Die Räuber - Gordon Kämmerer bietet für Schillers Erstling am Schauspiel Leipzig Massen an Effekt und ein leibhaftiges Pferd
Der Mob lässt Euch nicht entwischen
von Tobias Prüwer
Leipzig, 4. Juni 2016. Da steht ein Pferd auf dem Flur... Ohne einen lebendigen Gaul auf der Bühne kommt das Schauspiel Leipzig bei "Die Räuber" einfach nicht aus. Sechs Jahre sind seit der letzten Inszenierung vergangen, jetzt wuchtet Gordon Kämmerer Schillers Frühwerk samt Vierhufer wieder in den großen Saal; und kämpft mit den gleichen Problemen wie damals Martin Laberenz. Er kann sich nicht entscheiden, ihm fehlt der Fokus.
Fett gespickt
"Wie tickt das Wir?", seine Ausgangsfrage beantwortet der Abend nicht. Die angekündigte Lektion in Sozialpsychologie lässt Kämmerer unter den Tisch fallen. Wir-Gefühl kommt beim großen Teil des frenetisch applaudierenden Publikums auf, während der Kritiker hadert. Nach den beiden lauen und zu braven Aufsagetheater-Vorgängern im angedachten Leipziger Schiller-Zyklus, sollte Kämmerer etwas Frisch-Freches liefern. Verve hat sein Unterfangen. Im Übermaß. Er bringt in seiner Regieabschlussarbeit fürs Ernst-Busch-Studium alles unter, was ihm an Einfällen in den Sinn kommt. Vielleicht erklärt der Diplom-Druck den überbordenden Charakter dieser wie ein Mettigel gespickten Räuberpistole.
Vor den ersten Akt hat Kämmerer Publikumsbeschimpfung und Prolog (gespeist aus 1. Akt, 2. Szene) gesetzt. Beim Eintreten werden die Zuschauer vom wirklich knurrigen, scheidenden Wirt der realen Theaterkneipe Skala (Jens Nitzschner) angeblafft wie Schulkinder in der Hofpause. Hinterm Eisernen wummst basslastiger Techno. In Hawaiihemden beschwört Spiegelberg den Kreis um Karl Moor, eine Räuberclique zu werden. Was hat Moor zu verlieren? Der Grafenspross wurde soeben vom Vater verstoßen. Den sieht man in der nächsten Szene im Clinch mit seinem anderen Sohn Franz, dann kollabiert er. Franz wirbt um Karls Geliebte Amalia. Eine Kabale später reitet Karl im elterlichen Haus ein, doch am Treuschwur zu den Mordbrennern zerbricht alle Hoffnung aufs adlig-artige Liebesleben. Das Schlussbild ist ein kannibalisches Abendmahltableau.
Mit Bravour in Mausgrau
Für jede Szene hat Kämmerer eine eigene Übersetzung in stets großartiger Kulisse (Bühne: Jana Wassong) gefunden. Der Guckkasten ist allzeit von einem Fotokopie-Passepartout einer Bühne des 19. Jahrhunderts eingerahmt. Bei der ersten Waldepisode werden gemalte Florapappen vom Schnürboden heruntergelassen, Busch- und Baumteile als kleiner Balletttanz hin und her geschoben. In vielen Szenen kreiselt auf der Drehbühne ein aufgeschnittenes Stelzenhaus, an dem immer wieder Veränderungen vorgenommen werden.
Viel Raum fürs Spiel greift sich das im großen Saal sonst häufig blass bleibende Ensemble. Hier trumpft es in einer mausgrauen Persiflage klassischer Kostüme mit großer Beweglichkeit in bravouröser Gesamtleistung auf, gerade in den vielen auf Komik zugespitzten Momenten. Andreas Herrmann gibt Amalia formidable als Grand Dame. Mit ausdrucksstark-brüchiger Stimme zeigt Katharina Schmidt einen zwischen zweifelnder leiser und zorneslauter Haltung oszillierenden Karl – und sticht aus dem strahlkräftigen Schauspielerrund noch heraus.
Leider steht sich Kämmerer selbst im Weg, wenn nachgeschobene, aus dem Ärmel geschüttelte Regieeinfälle einen gerade gezündeten Effekt schon wieder übertünchen und nicht zur Entfaltung kommen lassen. Um von den Pennälerwitzen ganz abzusehen: Die Frage nach dem "Entwischen", wird mit einem Mob-Einsatz kommentiert, der Böhmerwald lockt mit Knödeln und Pilsner Urquell.
Was dem Intendanten nicht schmeckte
Intendant Enrico Lübbe hat das Pferd auf der Bühne nicht haben wollen. Bis zum Tag vor der Premiere liefen die Verhandlungen darüber, so war zu vernehmen. Nun ist das Eingreifen eines Theaterchefs in die Regiearbeiten kein feiner Stil. Aber hier hätte der – wenn dramaturgisch, nicht zensorisch gemeinte – Rat geholfen: Das Pferd auf dem Flur plus pseudofranzösisches Palaver ist so lustig wie der olle Schunkler von Klaus & Klaus. Aber auch die finden ihr Publikum.
Dass Kämmerer Konzentration und Fokus aber doch versteht, ist in den ersten zehn Minuten nach der Pause zu erleben. Dunkel im Saal, nur ein kleiner Scheinwerfer simuliert den Mond auf einer Leinwand. Ebenso dunkle Räuberschemen intonieren sanft "Ein freies Leben führen wir". Ambient-Sound mischt sich in den Chor, verstärkt den emotionalen Sog. Ohnehin ist die Live-Begleitung durch Musikerin und Komponistin Friederike Bernhardt stets aufs Neue eine berückende Erfahrung.
Dann stimmt Karl sonor kehlig wie klar den nächsten Gesang an, Bernhardt lässt den Sound aufwallen. "Keine Welt für Brutus mehr ..." erhebt sich zum Dark-Wave-Song. Die noch lange nach dem Schlussapplaus nachhallende Wucht dieses Moments beschwichtigt schließlich alles Hadern.
Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Gordon Kämmerer, Bühne: Jana Wassong, Kostüme: Josa Marx, Live-Musik: Friederike Bernhardt, Dramaturgie: Christin Ihle, Licht: Jörn Langkabel.
Mit: Andreas Dyszewski, Andreas Herrmann, Roman Kanonik, Anna Keil, Andreas Keller, Tilo Krügel, Dirk Lange, Michael Pempelforth, Denis Petković, Runa Pernoda Schaefer, Katharina Schmidt, Brian Völkner.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
Eine Kooperation mit der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch Berlin
www.schauspiel-leipzig.de
www.hfs-berlin.de
"Gediegenheit und Konvention" allerding in einer "jungenhaft kecken Variante" bescheinigt Steffen Georgi in der Leipziger Volkszeitung (6.6.2016) der Inszenierung. Wie das ginge? "Ganz unbedingt mit irgendeiner Techno-Mugge". Dazu gebe es "diesen und jenen Kalauer und als wirkliche Attraktion ein echtes Pferd". Seinen Reiz hat aus Sicht des Rezensenten allerdings das Gespür des Regisseurs "fürs visuelle Erzählen". Allerdings scheint die Inszenierunng dem Eindruck des Kritikers zufolge "gleichsam vor der Sprach- und Empfindungswelt Schillers zu flüchten", hin "zu einem Bildertheater des Karikierens und Überzeichnens".
"Der Abend geht drei Stunden, hat aber nur Substanz für die Hälfte", so Wolfgang Schilling im mdr-Kultur (6.6.2016). Stück für Stück tappe die Regie in eine selbstgestellte Falle. Da sei also die Generation Facebbook und Twitter nun im Theater angekommen, aber sie wollten nur posten, Bilder produzieren, könnte aber nicht erzählen. Am Ende lande der Abend in Stadttheaterbehäbigkeit. Eine Reihe von Darstellern möchte der Kritiker gern erst mal in die Sprecherziehung schicken.
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Verwunderlich ist, warum sich die Leipziger Nachtkritiken oft auf für das Verhalten des Intendanten so viel Platz nehmen? Überall werden Premieren verschoben, abgesagt - zuletzt eine Produktion von Herrn Laberenz am DT, den sie oben erwähnen. Man stelle sich diesen Vorgang in Leipig vor. Was hätten Sie da alles wieder in ihrer Kantine gehört und schreiben dürfen.
(Lieber @Tobias Prüwer,
da Sie anonym schreiben, können wir nicht überprüfen, ob die von uns gekürzte Passage der Wahrheit entspricht. Weil sie andere Personen betrifft, können wir sie so nicht veröffentlichen.
Bitte schreiben Sie uns doch eine E-Mail unter Klarnamen an redaktion@nachtkritik.de, damit wir diese Information verifizieren können. Dann spricht natürlich nichts gegen eine vollständie Veröffentlichung.
Viele Grüße
die Redaktion)
Bei den Räubern muss ich dem Herrn Prüwer nun völlig zustimmen, es wirkte als hätte der Regisseur unter dem Diplomdruck versucht, all seine Regieeinfälle unterzubringen, damit möglichst für jeden was dabei ist - so kann man auch auf Nummer Sicher gehen.
Auch wenn einige Bilder wirklich schön anzusehen waren (vor allem die beiden Lieder nach der Pause) bleibt am Ende ein Abend ohne Substanz und ohne Aussage.
Große Hoffnung!
Nichts davon erzählt etwas, bzw. trägt wenigstens noch was zu den wenigen atmosphärisch dichten Momenten bei. Diese tragen ganz klassisch die Schauspieler, insbesondere Michael Pempelforth, Andreas Herrmann und – mit Abstrichen – Katharina Schmidt.
Als Diplominszenierung geht der Abend schon in Ordnung. Die billige Anbiederung an das antizipierte Publikum aus von ihren Deutschlehrern mit sanfter Gewalt ins Theater geschleiften Oberstufenklassen allerdings streckenweise nur schwer erträglich.
Seinen Fokus hat er auf die Räuberbande und auf Karl gelegt, der Bruderzwist blieb diesmal hintergründig. Dafür wurde Karl als zerbrechlichen Hauptmann gezeichnet und dies hervorragend von Katharina Schmidt gespielt.
Was anfangs als witzige Gruppe im Hawaihemd-Kostümen begann, endete mit einem erschreckenden radikalisierten Selbstläufer und nur Karl erfuhr seine Katharsis.
Tolle Leistung der Schauspieler*innen, klasse Live-Musik und stilvolle Kostüme/Bühnenbild ... eine großartige, spannende Räuberaufführung.
Ich freue mich schon auf Kämmerers nächstes Stück!!!
1. Ist es auffallend und völlig absurd, dass die Diskrepanz zwischen den Inszenierungsstrategien des ästhetisch-episodischem Slapstick vs. der inhaltlichen Tiefe (um es einmal zuzuspitzen) scheinbar 1:1 als eine Generationsfrage behandelt wird.
2. Das die Leistung des Ensembles und insbesondere Katharina Schmidts weder vor diesem Hintergrund diskutiert wird (Welche Szene war denn berührend, ergreifend, inhaltlich stimulierend in der sie nicht beteiligt war?), d.h. in Bezug zu der (wohlwollend formuliert) doppelten Inszenierungsstrategie gesetzt wird. Noch wird ausreichend gewürdigt, dass sie hier eine ganz eigene Interpretation des Karl Moor - nämlich dessen völlige Überforderung und bisweilen schlicht affektives, emotionales Reagieren auf die Umwelt - liefert. Mir ist es jedenfalls völlig unklar, wie man die Vorwürfe und Kritik an der Regie im zweiten Schritt zu seinen eigenen Vorwürfen an die Schauspieler(-in) machen kann (bspw. Steffen Georgi in der LVZ)