Die Simulanten - Claudia Bauers einfallsfreudige Uraufführung von Philippe Heules Distanzliebe-Stück bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen
Offline sterben wir
von Gerhard Preußer
Recklinghausen, 7. Juni 2016. Simulanten täuschen eine Krankheit vor, die sie nicht haben. Simulanten sind gesund. "Die Simulanten" heißt Philippe Heules Stück – doch die Jammerlappen, von denen es handelt, sind wirklich krank. Diagnose: Fernbeziehungsweh. Liebe in den Zeiten der globalisierten Marktwirtschaft, das Thema kennt man gut von René Pollesch. Doch ein Thema allein reicht nicht für den gewieften gegenwartsanalytischen Jungdramatiker. Privates und Politisches muss man doch zusammendenken. Die Klimakatastrophe und das Elend der Distanzliebe haben schließlich eine gemeinsame Ursache. Und im komplexen kreiskausalen Gefüge unseres Planeten heizen die hin-und-herjettenden Beziehungskörper auch noch die Atmosphäre zusätzlich auf.
Gipfeltreffen internationaler Fernbeziehungsopfer
Für seine lustvolle Klage über den Zustand der Welt greift Philippe Heule in seinem Erstling, entstanden, bevor er Hausautor am Theater Basel wurde, auf ein altes Modell zurück: fünf eingeschlossene anonyme Figuren (2w, 3m), die nicht wissen, wo sie sind. Ein Raum mit Wänden ohne Türen. Fast wie in Jean-Paul Sartres "Huis Clos" ("Geschlossene Gesellschaft"). Sie finden sich dort vor, hineingeworfen wie in das Leben. In das kommt man auch hinein, ohne zu wissen wie, man fühlt sich völlig falsch, aber jetzt, wo man schon mal da ist, macht man weiter.
Die fünf Figuren argwöhnen, dass sie verdammt sind zur Gruppentherapie. Ein "Gipfeltreffen von internationalen Fernbeziehungsopfern" mutmaßen sie, sei ihre Situation. Im therapeutischen Rollenspiel sollen nicht nur die abwesenden Fernpartner simuliert werden, sondern auch der UN-Weltklimagipfel. Denn auch dort geht es um Fernbeziehungen und um "Nachhaltigkeit".
Munteres Sampling – von Ulrich Beck über Leo DiCaprio bis Shakespeare
An das Sampling-Verbot hat sich im Pollesch-Paradigma der Hip-Hopisierung des Theaters sowieso nie jemand gehalten. Da braucht es kein Bundesverfassungsgerichts-Urteil, um Sätze aus Analysen, Ratgebern, Reden oder Romanen von Ulrich Beck / Marieluise Gernsheim, Dorothee Elminger, Michael Cöllen oder Leonardo DiCaprio als grundierendes Reflexions-Rauschen dem Beziehungsgezänk unterlegen zu können. Und auch Shakespeare darf nicht fehlen. Der Shylock des digitalen Zeitalters besteht auf seiner Leiblichkeit: "Wir sind nicht digital, wir sind Menschen, wenn wir offline gehen, dann sterben wir." Und dementiert sie in demselben Satz. Denn schließlich entdecken die fünf Figuren zu ihrem Schrecken am Ende, dass sie im Internet sind. Die Simulanten sind gefangen in der Wirklichkeitssimulation.
Aus dem Theorie-Sampling-Modell Polleschs ergibt sich auch das Problem: Wie komme ich von einer Replik zur nächsten, wenn es eigentlich keinen Dialog gibt? Und wie komme ich zu einer Grobstruktur des Stücks, zu etwas Spannungskurvenartigem, wenn es keine Handlung gibt? Da es keine Entwicklung durch sprachliche Konfliktentfaltung gibt, wird ein rein äußerliches Bühnengeschehen hinzugefügt. In Heules Stück sind es Windmaschinen, die einen Tornado simulieren, ein Wassereinbruch, der die Flutkatastrophe simuliert, schließlich ein imaginärer Flugzeugabsturz.
Denkgymnastik und Einfallskaninchen
Die Uraufführungsregie Claudia Bauers nimmt die Problemlösung energisch in Angriff. Zunächst schafft jeder Wortwechsel im tristen, mit Kunststofffurnier ausgeschlagenen Bühnenkasten (Bühne: Andreas Auerbach) seine Mini-Situation, die sofort durch die nächste Replik wieder umdefiniert wird. Das sorgt für beschleunigte Denkgymnastik beim Zuschauer. Doch dann werden, der gattungsspezifischen Steigerungsanforderung entsprechend, die Mittel immer gröber. Unheilvolles Getöse gliedert den Ablauf, mehrfach wird die Ratlosigkeit der Figuren vom Stückbeginn wiederholt. Im scharf gebündelten Scheinwerferlicht werden paarweise Beziehungskrisen im Rollenspiel simuliert. Die Erregtheit kulminiert in einer (natürlich nur simulierten) Gruppenorgie.
Zum Reenactment der Weltklimakonferenz werden runde Schwellköpfe aufgesetzt, später dann noch Gasmasken, die Sprinkleranlage sorgt für eine kleine Dusche. Man turnt nur noch mit hautfarbener Unterwäsche bekleidet herum oder verkleidet sich als buntes Zotteltier. Auch Kunstblut darf nicht fehlen und ein freundliches Kirchenlied ("Geh aus mein Herz") sorgt, richtig platziert, für passenden Zynismus. Die gut trainierten Dortmunder Schauspielerinnen und Schauspieler kommen richtig in Fahrt. Doch je wilder ihre Hysterie, desto weniger kann sie die Beliebigkeit ihres Verhältnisses zu Heules Satzkonglomerat verdecken. Man wird des Mitdenkens müde, wenn immer neue Einfallskaninchen aus dem Regiehut gezaubert werden.
Am Ende steht das Résumé: "Das ist der eigentliche Erkenntnisgewinn: die Unfähigkeit, sich zu verändern." Viel Aufwand für solch schalen Pessimismus.
Die Simulanten
von Philippe Heule
Uraufführung
Regie: Claudia Bauer, Bühne: Andreas Auerbach, Kostüme: Patricia Talacko, Musik: Smoking Joe, Dramaturgie: Dirk Baumann.
Mit: Ekkehard Freye, Björn Gabriel, Sebastian Kuschmann, Bettina Lieder, Julia Schubert.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.ruhrfestspiele.de
www.theaterdo.de
"Der Abend ist eine Art Fake-Feier des Unechten, ein Gedankenexperiment, das den angeblichen Zustand der modernen Menschen auf die Spitze treibt", findet Dorothea Marcus vom Deutschlandfunk (8.6.2016). Auf die Dauer sei das, trotz knackiger Kürze, genau deshalb auch ermüdend und gleichförmig. "Claudia Bauers und Philippe Heules Versuchsanordnung tritt letztlich auf der Stelle: Wenn alles gleich wieder hinterfragt wird, wenn sich keine Entwicklung oder Geschichte einstellt und jeder Satz den nächsten entlarvt."
"Es braucht nicht lange, um zu spüren, dass hier auf Dauer immer das gleiche Stroh gedroschen wird, dass man zwischendurch immer wieder von vorne beginnt, dass nur der Hysterie-Pegel immer weiter steigt. Da man die Hoffnung auf eine Entwicklung beizeiten aufgeben kann, freut man sich zumindest über gelegentliche Schwarzblenden in Tateinheit mit ohrenbetäubendem Lärm, über starke Winde und einen Wassereinbruch", schreibt Arnold Hohmann in Der Westen (8.6.2016).
Ralf Stiftel vom Westfälischen Anzeiger (8.6.2016) schreibt: "Die gut anderthalb Stunden könnten sich dehnen, wenn Bauer den Text nicht so komödiantisch aufgebrezelt hätte. Sie unterteilt den Abend mit Verdunkelung und Schwarzes-Loch-Donner in Momentaufnahmen, was Struktur schafft." Durch die Hingabe und die Spiellust der Darsteller kriege das Stück einen Schwung, den der Text nicht vermuten lasse. "Es gibt einiges zu lachen an diesem aufgekratzten Abend. Die fünf Schauspieler verwandeln den so sterilen Raum in ein Chaos, und ihr ausgelassenes Komödiantentum lohnt das Anschauen."
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Wenn ich das Stück mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich wohl das Wort das“Bullshit“ wählen. Zwar erlaubt die Prämisse der Geschichte eine gewisse Freiheit, dennoch fehlt dem Stück der rote Faden und jegliche Substanz.
Ideen werden schlampig angerissen, möglichst dramatisch verpackt, fallen gelassen und vergessen. Jede Idee, schon tausend Mal gedacht und besser zusammengefasst, wird lieblos und hysterisch in den Raum gebrüllt und versickert ohne Fazit.
Im Folgenden fasse ich kurz die Geschehnisse zusammen:
5 Charaktere erwachen
Hysterie bricht aus
Hui, einer hat Kippen (Sind wir nicht hipp, wir rauchen im Theater!)
Eine raucht nur auf Backe,
Eine raucht gar nicht auf Lunge
Einer sagt „Du belügst dich doch selber“
Einer sagt „lecker.“
Dieser Dialog wiederholt sich vielleicht 5 Mal. → Wird nie wieder angerissen, aber hey, Wiederholung ist auch ein Stilmittel, nicht?
Dann irgendetwas mit Fernbeziehung
Eine Schauspielerin hat Probleme
Einer zieht die Hose aus (hhhuuuuuiiiiiii! SKANDALÖS! Das gab es ja noch nie! Nackige, hihi.)
Dann kommt langer zusammenhangloser Bullshit.
Umweltkonferenz. → insgesamt tatsächlich Unterhaltsam, aber, warum? Hatte das irgendeine Bedeutung?
Bullshit 2.0
Eine Schauspielerin hat Sex auf der Bühne und kotzt dabei Schokolade. (Warum? Darum. Kunst, dude)
Drei Schauspieler sind plötzlich in Pelzkostümen und reden in ekelhaft hohen Stimmen irgendein Zeugs, dass sie vermutlich aus dem Einführungskurs „Philosophie der Digitalen Welt, Fernuni Hagen“ aus Powerpoint geklaut haben.
Die Mädchen sind jetzt nur noch in Unterwäsche unterwegs (gefällt mir als Frau ganz gut)
Alle tanzen?
Springler Action.
Hysterie, Wiederholung, Bullshit.
Ein Dude spritzt sich mit Blut voll (Voll die Metaebene, weißt du, jah.)
Das Licht geht aus.
Der Dude hängt wie Jesus an der wand (So viel Symbolik... so kreativ. So anspruchsvoll.)
Irgendetwas passiert.
Ende.
Das Stück verspricht viel, hält nahe zu nichts und ich habe nur geklatscht, weil die Schauspieler wie immer einen großartigen Job gemacht haben,
Abgesehen von der Hysterie natürlich.
Mein Partner beschreibt das Stück als „artsy Fartsy“, also einen aufgeblähten Furz der sich als als Kunst verkauft.
Fazit: Keine Substanz, nichts dahinter, oberflächlich, abgedroschen