Garantiert ohne Sex

von Sabine Leucht

München, 11. Juni 2016. Gerade haben sich alle zum Eingangs-Gruppenbild postiert und im Chor die Zahlen gesungen, die Figaro jenem Raum abliest, in dem er nach der Hochzeit mit Susanna zu leben gedenkt, da befindet man sich schon auf posthochzeitlichem Gebiet. Michael Wilhelmis hämmerndes Klavier verschluckt die Worte über Susannas entzückenden Hut. Man lobt das Fest, und eine in Papageienfarben gewandete Dame preist Rieslingsekt von der Mosel an. Das ganze bei Mozart und da Ponte drei von vier Akten dauernde Hin und Her davor, die Gier des Grafen nach der Zofe Susanna, die ganzen Listen und Schliche dagegen und die Enthüllung von Figaros Herkunft: All das spart sich David Marton in seinem "Opernhaus", das er für diese Spielzeit an den Münchner Kammerspielen eingerichtet hat.

Die Oper vor der historischen Aufführungspraxis retten, Folge 2

Seine "Hochzeit des Figaro" nach Mozart et al. produziert allenfalls einen Nachhall des Werkes, das vielen Opernfreunden als eine Art Bibel des Musiktheaters gilt. Und diese sind es auch, die die Veranstaltung zu verlassen beginnen, als Franz Rogowski einige lange Töne ins Parkett heult. Schön singen will hier heute nur einer: Der Bariton Thorbjörn Björnsson, dessen Bühnenaktionen lose an die Figur des Dieners Figaro gebunden sind. Und bis man in dem, was er singt, ein opernreifes Organ und die Figaro-Arien erkennt, dauert es eine Weile. Das ist natürlich Absicht, denn Marton ist ein erklärter Feind der musealen, "historisch korrekten" Musikexegese. Ihm geht es darum, mit einem hier aus sieben Nationen stammenden Ensemble aus Schauspielern, Sängern, Musikern und Performern eine für jeden einzelnen mund- und ohrengerechte Version des Stückes zu erarbeiten, in die alle einbringen, was ihnen einfällt und was sie können. Das hat im Januar mit Bellinis "La Sonnambula" ziemlich gut geklappt, der "Figaro" aber wirkt über weite Strecken beliebig, unfokussiert und auch nicht wirklich nah an den Menschen. Weitgehend abgekoppelt von der 1786 uraufgeführten Oper und dem dieser vorausgegangenen "Revolutionsstück" von Beaumarchais scheinen viele der Handlungen aus dem Nichts zu kommen und dort auch wieder zu verebben. 

FigaroNozze 2 560 c Christian Friedlaender uVereinte Liebestöter: Thorbjörn Björnsson, Nurit Stark, Michael Wilhelmi, Jelena Kulic, Franz Rogowski, Niels Bormann   © Christian Friedländer

Niels Bormann als Graf ist ein Schluffi, dem sein Kammerdiener Figaro irgendwann hilft, die sackige Strickjacke über seiner goldenen Pyjamahose gegen einen Kimono auszutauschen. Er ist der cholerische Regisseur, der rund um ein zeitweilig mit Hausfassade verkleidetes Bühnengerüst Mundwinkel justiert, bäuchlings im Rindenmulch liegend wenig glaubwürdig herauspresst: "Glaubt mir nur, ich mach das schon!" und dem singenden Figaro heulend sein Unterhemd verrotzt. Der verführerische Page Cherubin ist bei Rogowski ein fast debil wirkender Kerl mit einer Affinität zu beweglichen Textil-Falten und Achselschweiß, weshalb er als einziger auch den Frauen nahe kommt. Die Szene, in der er mit automatischem Lächeln die sich auf ihm räkelnde und dabei Texte der Feministin Olympe de Gouge absondernde Annette Paulmann betatscht, ist ziemlich lustig, aber dezidiert unerotisch.

Revolution gegen Liebe

Überhaupt hat Marton diesem Stück der amourösen Irrungen und Wirrungen jeden Sex ausgetrieben. Dass Susanna und Figaro zusammengehören, merkt man nur daran, dass sie ihren "Schatz" den Suppentopf holen schickt. Einen Ausschnitt aus der Schmerzensarie "Porgi, amor qualche ristoro" der Gräfin, die zu einer der schwierigsten der Opernliteratur gehört, sprechsingen Marie Goyette, Annette Paulmann und Jelena Kuljic in ihren jeweiligen Muttersprachen hintereinander weg: Müde, fast emotionslos, dabei die Handtasche oder das fast leere Glas umklammernd. Da ist längst kein Kampf und keine Hoffnung mehr auf Liebe oder Tod aus Verzweiflung. Warum auch? Selbst von der Untreue des Grafen ist der Abend ja befreit. Bormann fasst der Zofe lediglich einmal mit einem kauzigen Quietschgeräusch an die Brust, weil man sich hier ganz wie Mozart in Milos Formans "Amadeus"-Film gerne infantil gebärdet. Und immer, wenn es irgendwo amourös zu knistern beginnen könnte, versammelt man sich in und um einer am rechten Bühnenrand stehende Badewanne (ein Verweis auf den hautkranken Marat?) und doziert im Fluxus-Jargon über revolutionäre Kunst.  

Weil sie die Selbstverliebtheit und Hermetik dieser Diskurse mitspielen, schaut man den Akteuren gerne dabei zu. Und es gibt auch zarte, die Neugier auf die Welt feiernde Momente an diesem Abend. Etwa wenn alle leise und wie für sich "Jede Frau bringt mein Herz aus dem Takt" singen und selbst das Piano kurz ins Stolpern gerät; wenn Rogowski mit Gino Paolis "Senza fine" in die Zielgerade einbiegt oder Nurit Stark mit ihrer Geige ein zentrales Motiv der Oper mit richtig schrägem Jazz einkreist. Aber letztlich bleibt alles so assoziativ und beliebig, dass nichts nachwirkt. Keine Figur, keine noch schwelende Frage – und auch kaum einmal die Musik.

Figaros Hochzeit
nach Wolfgang Amadeus Mozart, Lorenzo da Ponte und Pierre Augustin Caron de Beaumarchais
Regie: David Marton, Bühne: Christian Friedländer,  Kostüme: Tabea Braun, Musikalische Bearbeitung: Daniel Dorsch, David Marton, Michael Wilhelmi, Klanggestaltung: Daniel Dorsch, Licht: Pit Schultheiss, Dramaturgie: Katinka Deecke, Barbara Engelhardt.
Mit: Gundars Abolins, Thorbjörn Björnsson, Niels Bormann, Marie Goyette, Jelena Kuljic, Annette Paulmann, Franz Rogowski, Nurit Stark (Violine), Michael Wilhelmi (Klavier), Orchester: Alissa Rossius (Flöte), Petra Slottova (Flöte), Andrei Slota (Cembalo), Miriam Ströber (Oboe), Maximilian Strutynski (Klarinette).
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause

www.muenchner-kammerspiele.de

 

Kritikenrundschau

David Marton wage es, "hehres Kulturgut kurz und quer zu schließen mit profaner Alltagskunst, hineinzupfuschen ins Göttliche und das Klangentrückte herabzuholen auf den harten Boden der weltlichen Dissonanzen", schreibt Bernd Noack auf Spiegel online (12.6.2016). Marton mache sich nicht lustig über das Genre; er nehme es nur anders ernst und entdecke dabei "das verborgen Komische, das verschwiegen Widersprüchliche, nicht das Aktuelle, sondern das ewig Gültige. Auch das Überflüssige". Neben den klassischen Verwechslungen, heiter harmlosen Identitätskonflikten und den zeitlosen erotischen Verunsicherungen plagten Martons Figuren vor allem offene Streitfragen nach dem Auftrag der Kunst, "in die sie hier alle so gnadenlos verstrickt sind, ohne die sie sich aber gar nicht mehr artikulieren könnten und wollen". "Da geht es – eingedenk der einst 'revolutionären' Dimension des 'Figaro' – dann auch bühnenstürmerisch zu, diskurswütig und intellektuell mäandernd wie bei René Pollesch an der Volksbühnenrampe."

"Doch nach 45 Minuten ist das Glück vorbei", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (13.6.2016). Nach weniger als der Hälfte des Stückes fände Marton nur noch "einen Weg aus seinem Misstrauen dem Opernbetretrieb gegenüber: Er verlässt Mozart." Stattdessen lässt er "Suaden über Bourgeoisie, Diktatur, Kunsttheorie und die mögliche Anarchie der Avantgarde übereinander schichten. Das ist leider so wenig geistreich wie ziemlich fad und wirkt wie die Adagio-Version eines Pollesch-Prestos." Jedes "berückende Funkeln" wird von Marton "erstickt". "Erst kurz vor Schluss (...) fängt sich der Abend wieder", befindet Tholl. "Dann singt der Figaro Thorbjörn Björnsson, der einzige Opernsänger in der Aufführung, (...) und das Ensemble formiert sich zum Gruppenbild wie zu Beginn. Man kann das auch als eine ostentative Kapitulation des Bilderstürmers Marton vor der bürgerlichen Macht der Gattung Oper begreifen, und das wäre so klug wie schön, ja fast weise."

"In der zweiten Hälfte geht Mozart immer mehr verloren", findet Robert Braunmüller in der Abendzeitung (12.6.2016). "Auch das Gerede über die Widersprüche der Avantgarde hat man schon öfter gehört." In dieser Version von "Figaros Hochzeit" an den Kammerspielen "marthalert es jetzt aber zu oft", heißt es weiter. "Wer 'Figaros Hochzeit' von Mozart nicht mag, wird an Martons Verbesserungsvorschlägen seinen Spaß haben. Andersgläubige dürften es mit jenen Teilen des Premierenpublikums halten, die nicht bis zum Schluss durchhalten wollten", so Braunmüllers deutliches Urteil.

"Der grosse Mozart, heruntergebrochen auf das kleine, nackte Leben," schreibt Marco Frei für die Neue Zürcher Zeitung (13.6.2016): "Es geht um die liebevolle Demontage einer Kunstgattung, die als Inbegriff des Bürgerlichen gilt." Der Figaro wird auf "Taschenbuchformat gestutzt, mit vortrefflich aufspielenden Kammermusikern um die Geigerin Nurit Stark, die alle Teil des Geschehens sind." Frei sah viel junges Publikum, das "hörbar seine Freude an der Demontage von Hochglanz-Arien" hatte. (...) Einige ältere Semester haben hingegen den Saal vorzeitig verlassen. Das postdramatische, intermediale Theater Lilienthals erzeugt eben Reibungen. Im wohlsituierten München tut das gut und not."

Michael Laages findet den Abend im Deutschlandradio Kultur (11.6.2016) "ein wenig zu durchschaubar", wobei seine grundsätzliche Sympathie für das Theater David Martons durchscheint: "Bereichernd" sei dieser Marton "wie eh und je. Deutlicher wird über die Jahre, wie grundsätzlich die Distanz ist, die der Regisseur zwischen sich selber und den Opern geschaffen hat. Mit ihnen und um sie herum kreiert er Montagen, die den Freund und die Kennerin auch verschrecken und verärgern können – in München war das nicht anders."

"Willkommen in der faszinierenden Opernbude", schließt K. Eric Franzen seine Kritik für die Frankfurter Rundschau (13.6.2016). Den Abend analysiert der Kritiker so: "Marton kapriziert sich nicht auf die Handlung. Rezitative lösen sich immer wieder von der musikalischen Begleitung, mäandern durch den Raum, binden sich an eine mechanische Schreibmaschine und an den seriellen Sound eines Apparats zur Herstellung von Matrizen, bis sie schließlich ganz im Textvortrag münden. Stärker als die Oper betont Marton den (vor-)revolutionären Aspekt des Stücks."

Kommentare  
Figaros Hochzeit, München: gar kein Sex mehr
Ja, sehr sehr seltsam. Wieso geht es da nicht um Sex. Oder geht es heute garnicht mehr um Sex, überall. Wer hat denn noch Sex. Die Kammerspiele nicht mehr.
Figaros Hochzeit, München: kein Ziel, keine Richtung
Ich war über die Belanglosigkeit an diesem Abend erstaunt!! Es entstand keine eigene Welt, keine Atmosphäre und keine Spannung. Von daher teile ich die Beschreibung von Frau Leucht. Und frage mich, wenn es nicht um die Oper von Mozart geht, worum geht es dem Regisseur denn dann??! Ich bin kein Opernkenner, habe aber an den Reaktionen einiger nicht schlafender Sitznachbarn erkennen können, dass der Abend wohl bei der ein oder anderen Stelle, klug mit der Vorlage umgeht. Aber was will der Abend?! Kein Ziel, keine Richtung!! So plätschern die mehr als 2 Stunden endlos vor sich hin. Besonders ärgerlich finde ich zum wiederholten mal die Lilienthal Claquere, die gleich losjaulen um den Premierenapplaus anzuheizen. Mitarbeiter des Theaters?? Unsouverän und schade.
Figaros Hochzeit, München: klare Sache
Wenn Castorf nachgewiesen ist, dass man mit dem Abstraktum Theater auch an der Volksbühne in Berlin kein Abstraktum wie "den Westen" ficken kann, warum sollen dann die Münchner Kammerspiele konkreten Sex haben müssen, bloß weil David Marton die Hochzeitsvorbereitungen eines barbierten Dieners, der gerne seinen Kammerumfang künftig größer als sein Bett haben möchte, als Opern-Theater inszeniert???
Da setzt man als Publikum Prioritäten: Entweder Mozart vor, noch ein Tor oder Theater vor, Mozart-Tor. Die, die dann denken, Oper geht auch richtig wie Oper, wenn Lilienthal die Sache erstmal angeht - der kommt ja aus BERLIN! - die gehn dann eben vorzeitig...
Figaros Hochzeit, München: belanglos und langweilig
Die Kritik ist gütig und das Problem der Kammerspiele ist offensichtlich,wenn man gestern dabei war.Wie leider in letzter Zeit immer ,ist die Aufführung belanglos und langweilig.Mir tun die Schauspieler leid,die sich dem Niveau der Stücke anpassen müssen.Wer kann,sollte das Weite suchen.
Figaros Hochzeit, München: nett und brav
zu 3: es geht doch nicht um die Tatsache, dass Oper richtig geht, dann kann ich auf die andere Straßenseite wechseln und in die Oper gehen. Es geht auch nicht um richtigen Sex haben, sondern um die Alternative für die sich der Regisseur entscheidet, seine "Geschichte" zu erzählen. Den Zugriff. Ob Dekonstruktion, Verfremdung oder extreme Formalität. Das ist mir alles recht und interessiert mich, wenn dahinter das ANDERE des Zugriffs sichtbar wird. In dem Sinne ist die Inszenierung für mich total gescheitert. Es bleibt nett und brav, irgendwie ein gediegener muffiger Abend. Eben ohne Erotik, nicht Sex. Ohne Humor und Kraft. Da helfen mir auch nicht die dargebotenen Texte in und an der Badewanne über Kunst Freiheit etc. Das wirkte eher bemüht und hielt so Alibi-technisch die Fahne für den eigenen Zugriff hoch.
Figaros Hochzeit, München: Hinweis
Der Rezensent wird durchaus genannt...

(Wurde übersehen, ist jetzt ergänzt – danke für den Hinweis, d. Red.)
Figaros Hochzeit, München: besser als Sonambula
Also. Der Abend ist schwierig und bis zur Hälfte dachte ich auch: Nett mit Mozart gespielt, die Revolution mit dem "Will der Herr Graf den Tanz mit mir wagen" (war in der Inszenierung eine andere Übersetzung) aus der Druckerpresse kommt auch am Anfang vor, und ich dachte: Sonambula war besser. Aber dann: Die Texte von Beaumarchais (wenn ich das richtig erkannt habe), die Desillusionierung der Revolutionäre, die cluster-artige furiose Mittel- und Höhepunktszene, der Rückbezug auf den Beginn des Abends, dazu die großartigen Schauspieler, Sänger, Musiker, die kluge wenn auch (mich) überfordernde Dramaturgie, die Mischung aus intellektuellem Denkvergnügen und emotionalen Momenten - für mich ein großartiger Abend, den ich mindestens noch zwei- bis dreimal sehen will! Danke an David Marton und sein ganzes Ensemble! Eine Nacht später also mein Fazit: Sonambula war ein sehr toller Abend, Figaro ist noch besser.
Figaros Hochzeit, München: Kein Sinn
Lieber Autor, es ergibt wenig Sinn, diesen Abend hier so zu verteidigen. Sie haben ja Recht, in dem Sie alle Ansätze, die hinter der Arbeit von David Marton stecken, benennen, aber nichts desto trotz ist das im Vergleich zu den großen Figaros, die die Welt schon gesehen hat, viel zu wenig. Marton funktioniert bisher nur klein. Das soll jetzt nicht eine falsche Messlatte anlegen, aber es war eben kein toller Tag, wenn man abends in so eine schluffe und selbstverliebte Premiere geht. Ihre Involviertheit unvorausgesetzt herzlich geschätzt, Ihr CS
Figaros Hochzeit, München: krampfhaftes Versatzstück
Theater hat die Pflicht zu unterhalten und Denkanstöße zu liefern. Nichts dergleichen hier. Schließe mich der Mehrheit an: keine Dramaturgie, einfallslose Bühne, unspannende Beleuchtung, stupide Regie. Inhaltlich ein krampfhaftes Versatzstück ohne erkennbare Botschaft. Überflüssig, peinlich, ärgerlich. Qualität geht anders.
Figaros Hochzeit, München: Hinweis
Nachtkritik schreibt in der Kritikenrundschau auf der Startseite: "Die erste Kolleg*in ist positiv überwältigt von dieser Mozart-Dekonstruktion; uns hallte da zuwenig nach." Bei allem Respekt vor der gendergerechten Bezeichnung verstehe ich das * hier nicht: War es nun ein Kollege oder eine Kollegin? Und wieso muss man sie oder ihn gleicher machen als sie/er ist? Das * macht doch nur bei der Bezeichnung gemischtgeschlechtlicher Gruppen Sinn und muss nichts gleichmachen, was nicht da ist (bisher werden nur Rezensionen männlicher Kollegen wiedergegeben, die übrigens auch allesamt weniger überwältigt zu sein scheinen)!

(Sehr geehrte/r "überkorrekt", vollkommen richtig. An der Stelle war das Sternchen nicht angebracht. Ist geändert. Vielen Dank für den Hinweis, Christian Rakow / Redaktion)
Figaros Hochzeit, München: kein Gesetzbuch
"Theater hat die Pflicht" - nein, das ist schon mal falsch. Theater hat gar keine Pflicht, es ist ja kein Gesetzbuch sondern Kunst.
Figaros Hochzeit, München: Denkanstöße zu Herr und Knecht
Musikalisch ging es darum, durch Wiederholungen, Verteilung auf Sänger und Schauspieler, Auslassungen und Verfremdungen Mozart "wie neu" erleben zu lassen - diese Absicht des Regisseurs ist gelungen. Inhaltlich wird der soziale Rollentausch in der Oper weiterentwickelt in Richtung der politischen Dialektik von Herr und Knecht im Sinne von Diderot und Hegel - Höhepunkt, wenn Figaro im Morgenrock des Grafen dessen Arie singt. Danach legt er aber die Aristokratenrolle wieder ab und stimmt im bürgerlichen Anzug das Figaro-Finale an - eine Bild für genau jene Verbindung von Bourgeoisie und Kunst, über die zuvor in der Badewanne theoretisiert wurde. Wenn jemand also keine Denkanstöße,keine Dramaturgie, keine Atmosphäre erkennen kann,liget es wohl nicht an der Aufführung.
Figaros Hochzeit, München: nur klug ist zu wenig
das ist schon klar, habe ich auch so gesehen.macht daraus aber nicht automatisch einen guten schlüssigen und packenden theaterabend.nur klug ist eben ein bisschen wenig.und nur für die eigene kleine gemeinde arbeiten, empfinde ich als sehr begrenzend.
Figaros Hochzeit, München: gut gebrüllt
Ich kann mich nur wundern über die vorsichtigen Äußerungen der bisherigen Kommentatoren. Auch ich konnte die Aufführung am 11.06. nach 1 3/4 Stunden nicht mehr ertragen, als alle Sänger minutenlang nur so vor sich hinbrüllten. Das hatte mit Gesang nichts mehr zu tun! Es war regelrecht eine Zumutung und hat mir wieder mal gezeigt, dass man heutzutage in ein Theaterstück erst dann gehen kann, wenn andere Mitmenschen davor schon ihre Erfahrungen gesammelt und veröffentlicht haben.
Fest davon überzeugt bin ich, dass die Kammerspiele nur noch zur Hälfte gefüllt gewesen wären, wenn es bei dem 2 Std. und 10 Min. langen Stück eine Pause gegeben hätte.
Meine Großachtung gilt den Musikern, die hervorragend gespielt haben, allen voran die Geigerin und der Pianist.
Die Schauspieler taten mir leid, weil sie zum großen Teil nicht nur sinnlose Texte hatten erlernen müssen, sondern sich -meiner Meinung nach- in krankhafte Geschehen hinein versetzen mussten.
Figaros Hochzeit, München: Leer gespielt
War gestern in der Vorstellung. Und nach 2h:15 Minuten völlig ratlos.
Mindestens 20%-30% der Zuschauer hatten da schon das Weite gesucht. Applaus fast nur von den Freunden und Verwandten der Musiker und Schauspieler/Beleuchter usw. Irgendwo waren bestimmt gute Ansätze vorhanden: Vorrevolution, Erotik (?), Herrschaftsverhältnisse, Multikulti, Songs, Badewanne, Bücher... Aber diese waren in dem völlig uninspirierten Durcheinander nicht zu entdecken. Sollte wohl auch so sein. Es scheint ja das Ziel von Lilienthal zu sein, die Kammerspiele leer spielen zu lassen, um dann neu und ganz modern in den Kammern 1-3 Clubs zu installieren die möglichst wenig mit Theater zu tun haben.
Schade. Gutes klassisches Theater hätte in München Zukunft und würde auch in die Kammerspiele junges Publikum locken. So droht wohl die Schließung.
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