Splatter-Stück mit Kampfrobotern

von Otto Paul Burkhardt

Stuttgart, 19. April 2008. Überall Blut. Durch die Decke tropft es, an den Wänden rinnt es herunter – und alle Akteure sind blutüberströmt, sehen aus wie Überlebende eines gigantischen Gemetzels. Nur der Hausmeister nicht. Er wischt ab und zu mit dem Bodenlappen das Gröbste weg. Denn die Bühne hat nichts Antikisches; sie gleicht eher einer heutigen Turnhalle, in der ein paar auf blutig gestylte Schauspieler Kleist proben. Wir sehen Spuren, Anmutungen von Horror, beobachten aber letztlich eine Nachspielsituation. Das ist nicht unbedingt neu, schafft aber erst einmal Distanz.

Regisseurin Karin Henkel, 2006 mit ihrem Stuttgarter "Platonow" beim Berliner Theatertreffen dabei, will uns nicht einfach Kleists "Penthesilea" zeigen, sondern eher eine Studie dazu. Nicht umsonst gilt das monströse Stück vielen als unspielbar, als Lesestück, eher für den Denkraum Bühne geschrieben. Also beschränkt sich Karin Henkel auf ein Kampf-Spiel. Kleist revisited: Ein Penthesilea-Crashkurs für Leute, die es eilig haben. Ein Kondensat auch: Der Originaltext wurde auf kompakte 100 Minuten eingedampft, und das Personal besteht, von Achilles und Penthesilea mal abgesehen, der Einfachheit halber nur noch aus zwei Blöcken, aus Amazonen und Griechen.

Im Penthesilea-Workshop

Viele mythologische Anspielungen (etwa Kleists Lieblingseinwurf "beim Styx!") sind getilgt. Die Schauspieler stehen aufgereiht im Hintergrund, warten, bis ihr Auftritt kommt, und wiederholen auch schon mal die eine oder andere Passage. Manches wirkt wie ein Penthesilea-Workshop. Und die öde Turnhalle passt gut zu Kleists Botenberichten: Hoch oben auf der Sprossenwand sieht man besser nach draußen, durch blutbespritzte Scheiben, versteht sich.

Doch die Frage bleibt: Wie lässt sich heute eine Geschichte erzählen, bei der zwei hochtrabende, stolze Kampfmaschinen sich so in Liebe verkeilen und verletzen, dass am Ende Penthesilea ihren geliebten Achilles von Hunden zerfleischen und zerreißen lässt? Ist Kleists Amazonenstück etwa eine Expedition ins Wunschterritorium Frau? Oder lässt es sich einem neuem Feminismus aufladen, womöglich mit Blick auf Charlotte Roches derzeit viel diskutierten Roman "Feuchtgebiete"? Taugt es, um germanistische Seinsfragen über Grazie, Furien und den Verlust der Mitte zu erörtern? Oder läuft es auf ein psychologisches Männer-haben-Angst-vor-starken-Frauen-Stück hinaus?

Das Supertraumpaar ...

Wenig von alledem bei Regisseurin Karin Henkel. Kaum Heldenposen. Wenig Gebrüll. Nur selten eine Kampfszene. Henkel konzentriert sich statt dessen auf die Geschichte eines Supertraumpaars, das zwischen die Fronten ideologisch verhärteter Systeme gerät. Katja Bürkle spielt eine Frau, die Penthesilea spielt – als junge, draufgängerische Frau in Rohrstiefeln, die am Amazonenstaat zu zweifeln beginnt, weil ihr politisch unkorrekte Gefühle für einen Mann heillos über den Kopf wachsen. Ähnlich Felix Goeser: Der Achilles-Darsteller entwickelt seine Figur vom zähnebleckenden, fauchenden Imponiergesten-Macho hin zum heiß beseelten Lover, der am Ende aus der Helden-Kameraderie seiner dauerkriegführenden Griechen-Kumpel ausscheren will.

Kein schlechter Ansatz. Es gibt einen Moment, in dem Katja Bürkles entflammte Penthesilea ihrem geliebten Achilles die antipatriarchalische Konzeption des Amazonenstaats erklären will. Doch der hört nicht wirklich zu, flüstert ihr etwas Verliebtes ins Ohr, worauf sie lacht und nicht wieder in ihre eigene Erzählung vom Funktionieren der Frauenkampfgemeinschaft, nicht in ihre gewohnte Identität zurückfindet. Das ist gut gemacht. Doch damit reduziert Karin Henkel auch Kleists Penthesilea – auf eine kleine, rührende Lovestory in Romeo-und-Julia-Manier. Zumindest einen Moment lang.

... im Blutrausch

Dann wieder geht es zu wie im Splatter-Movie. Etwa, wenn Penthesilea gierig das tropfende Blut trinkt und von "zehntausend Sonnen" zu phantasieren beginnt. Oder wenn Achilles’ Leiche in Henkels Pro- und Epilog mit herausquellendem Gedärm als antike Horrorshow-Attraktion zur Schau gestellt wird. Und immer wieder bricht die Regie den Blutrausch mit süßlicher Klavierkitschmusik.

Kleists Sprachgewalt bleibt in Stuttgart jedenfalls auf der Strecke. Was Karin Henkel uns zeigt, ist allenfalls die tragische Geschichte zweier unbremsbarer Hybris-Menschen, zweier ideologisch vernagelter Kampfroboter, zweier Kleist-Maschinen, die, einmal von der menschlichen Regung Liebe gestreift, aufeinander losrasen und sich gegenseitig zerstören.

Zugegeben, der ganze Kleist ist das bei weitem nicht. Aber ein streitbar inszenierter Teil immerhin.

Penthesilea
von Heinrich von Kleist
Regie: Karin Henkel, Bühne: Stefan Mayer, Kostüme: Klaus Bruns, Dramaturgie: Beate Seidel.
Mit Anja Brünglinghaus, Katja Bürkle, Jonas Fürstenau, Felix Goeser, Sebastian Kowski, Angelika Richter, Elmar Roloff.

www.staatstheater.stuttgart.de

 

Mehr von Karin Henkel in dieser Spielzeit: Minna von Barnhelm am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und Der Menschenfeind am Schauspiel Köln. Und hier lesen Sie über die Penthesilea in der Regie von Luk Perceval an der Berliner Schaubühne.

 


Kritikenrundschau

Liebe unter den Bedingungen mythischer Ordnungen, schreibt Stefan Kister in der Stuttgarter Zeitung (21.4.) könne sich "nicht anders bekunden als in Gewalt". Karin Henkel habe diese Gewalt, "wie sie unscheinbar durch die Ritzen unserer Alltäglichkeit sickert, in drastisches Blutrot eingefärbt." In Stuttgart regne es Blut. Dieses "übersteigerte Theaterbild" passe zu den "übersteigerten Sprachbildern" Kleists. Die Akteure kletterten auf Sprossenwände und kommentierten eher im Polleschton, "als in dem eines heiligen Ernstes". Abwechselnd träten die Herren- und die Damenriege "an die Rampe hervor wie Wettermännchen", und erzählten, wer in dem wetterwendischen Schlachtengetümmel gepunktet habe. Katja Bürkle als Penthesilea komme in "der eigentümlichen Mischung aus theatraler Selbstpreisgabe und rhythmischer Sportgymnastik" Kleists "Zwitterwesen aus Grazie und Furie erstaunlich nahe". Gemeinsam mit Felix Goeser als Achill bilde sie ein "Traumpaar der vereitelten Liebe". Henkel und ihre Dramaturgin Beate Seidel seien mit Kleists Vorlage ähnlich leidenschaftlich umgesprungen sind, wie die Penthesilea mit Achilles. So blute das "wilde Drama" aus vielen Wunden, verströme "so zugerichtete" eine Bühnentauglichkeit, die "angesichts der nahezu handlungslosen Folge von Botenberichten und indirekten Repräsentationen" kaum zu erwarten gewesen wäre.


Henkels Sicht auf das Stück sei reduziert, schreibt Armin Friedl in den Stuttgarter Nachrichten (21.4.), ihre Bühnensprache jedoch "absolut präzise", sie kenne "brachiale Momente" und "solche des Innehaltens". "Penthesilea", als Stück vor allem "eine Aneinanderreihung von Berichten über Vorgänge", sei "theatralisch nicht so prickelnd darzustellen". Henkel konzentriere sich deshalb "ohne die geringsten Kompromisse" auf den Liebeskonflikt zwischen Achill und Penthesilea. So sei es auch ein Stück für die Schauspielerin Katja Bürkle. Dass sie im "martialischen Umfeld" die Umsicht bewahre und noch Sinn habe "für die leisen Zwischentöne", sei die Stärke ihrer Interpretation. Felix Goeser fungiere über weite Strecken nur als "Stichwortgeber", erst am Ende besinne er sich auf "seine Größe als Feldherr". Letztlich gelinge es aber nur Bürkle, "den Konflikt zwischen der Verantwortung des Einzelnen in einer Gemeinschaft und dem individuellen Interesse aufblitzen zu lassen".