Europas Spukhaus

von Jan Fischer

Braunschweig, 16. Juni 2016. Wollte man jemanden, der nicht in der Vorstellung war, beschreiben, wie "Haus der Hunde" ist, das Wort wäre: Spukhaus. Nicht die Geisterbahnen auf den Jahrmärkten mit ihren lächerlichen animatronischen Figuren, diese Spukhäuser, die es jetzt immer häufiger gibt, in denen Darsteller einem aus dem Dunkel mit einem blutigen Messer in der Hand anspringen, in denen untot geschminkte Schauspieler zu drückender Musik kreischen. Sondern echte Beklemmung. Echte Furcht.

Kellerlampen-Atmosphäre

Das ukrainische DAKH-Theater mit Regisseur Vladyslav Troitskyi veranstaltet allerdings keine billigen Horrorfilmeffekte zum Selbstzweck. Beklemmung, dafür reicht im ersten Teil allein das Bühnenbild: Ein Stahlkäfig ist aufgebaut, ein Gefängnis, darin fristen 12 Menschen ihren Alltag. Die Zuschauer sitzen auf dem Käfig, blicken als Voyeure, als fleißige Mittäter des Panoptikon, auf das Treiben der Insassen herab. Es gibt Gewalt, es gibt Schikanen, es gibt Alpha-Tiere und das untere Ende der Hackordnung, es gibt Milchsuppe zum Essen und einen Gefangenen in Einzelhaft. "Früher hatten wir Hühner", sagt einer, irgendwie zweifelnd, irgendwie hoffend. Mal knallt einer laut auf seiner Suppenschüssel herum, mal sind die gesprochenen Worte fast zu leise, um sie auszumachen.

Der Käfig ist dunkel, das einzige, was ihn erhellt sind Kellerlampen, und irgendwo zwischen dem Flüstern der Sehnsucht und dem Kreischen der gewalttätigen Gegenwart wird ein Abgrund geschmiedet, der intim wirkt, beklemmend, als hätte man gar nicht das Recht dazu, dort zuzusehen, und eigentlich will man es auch nicht.

HausDerHunde1 560 Natalka Dovga uWie im Gefängnis: "Haus der Hunde" zu Gast beim Festival Theaterformen © Natalka Dovga

Im zweiten Teil der Inszenierung kommt die Furcht: Die Zuschauer werden in den Käfig hineingelotst, auf dem sie eben noch gesessen haben, über ihnen stampfen und krachen die Darsteller herum, nun keine Insassen mehr, sondern ein geigen- und cellobewehrter Chor, der düstere, atonale Harmonien von sich gibt, während der Käfig mit jedem Stampfer bedrohlich wackelt und vibriert und hin und wieder unvermittelt das schreiende Gesicht eines der Darsteller über dem Publikum auftaucht. Unterbrochen werden die Lieder von kurzen, leisen Erzählungen: Kriegstote, Fragen nach Gott, Hoffnungslosigkeit.

Ein Mosaik des Unterbewusstseins

Erst Stück für Stück schält sich in Troitskys "Haus der Hunde" – laut Spielplan ein "Szenegrafisches Experiment über politische und geistige Unbeweglichkeit" – ein Thema heraus. Einzelne kleine Geschichten von Gewalt, einzelne Sehnsuchtseufzer, Krieg, Gott, die faschistische Hackordnung des Gefängnisses: Das alles ergibt ein eigenartiges Mosaik, das am ehesten vielleicht als Reise durch das klebrige Unterbewusstsein eines Landes bezeichnet ist, oder als der Alptraum, der nachts durch das Politfeuilleton geistert, wenn es keiner liest.

Es liegt nahe, all das auf die jüngten Ereignisse in der Ukraine zu beziehen, die Toten und die Gewalt rund um den Euromaidan 2013, das Scheitern der "Revolution der Würde" und die Frustration darüber, dass das alles nichts genützt hat und die Ukraine nach wie vor ein zerrüttetes Land ist. Allein: Solche konkreten Bezugspunkte fehlen in der Inszenierung,

Was hinter der nächsten Ecke lauert

Eine Inszenierung, die allein durch ihre Bilder und ihre Situation Beklemmung und Furcht auslösen kann, ist selten – und die Truppe rund um Troitsky macht das nicht dadurch kaputt, dass sie sie konkretisieren. Denn das hieße, dem Dämon einen Namen zu geben, und ihn damit zu bannen. Viel mehr beschränkt sich die assoziative Inszenierung darauf, ihre Szenarien wabern und wallen zu lassen und die Bezüge zu aktuellen Ereignissen dem Publikum zu überlassen.

So kann "Haus der Hunde" auf vielen Ebenen wirken: Im Unterbewusstsein, dort, wo die irrationale Angst vor dem Eingesperrtsein lauert, in der konkreten Situation eines gewalttätigen Gefängnisses, in der diffusen Angst vor Krieg, Zerstörung und Gewalt. Aber eben auch auf einer ganz konkreten Ebene, die sich auf die Ukraine beziehen kann oder nicht – sicherlich lässt sich derzeit auch in Deutschland gut Angst vor stampfend marschierenden Massen haben. Aber das bleibt dem Publikum überlassen. Denn im Spukhaus ist das schlimmste immer das, was noch in der eigenen Vorstellung hinter der nächsten Ecke lauert.

Haus der Hunde
von DAKH-Theater
Idee, Text, Regie: Vladyslav Troitskyi nach Texten von Sophokles, KLIM, Vasyl Barka, Janusz Korczak, Ilya Kalyukin, Bühne: Vladyslav Troitskyi, Dmytro Kostyumynskyi, Musik: Vladyslav Troitskyi, Roman Iasynovskyi, Solomiia Melnyk.
Mit: Ievgen Bal, Vasyl Bilous, Natalka Bida, Maksym Demskyi, Tetiana Havrylyuk, Roman Iasinovskyi, Ruslana Khazipova, Vira Klimkovetska, Solomiia Melnyk, Semen Mozgovyi, Andrii Palatnyi, Nikita Skomorokhov, Tetyana Vasylenko, Vyshnya Zo.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.dax.com.ua/en
www.theaterformen.de

 

Kritikenrundschau

"Das Stück von Regisseur Vladyslav Troitskkyi ist die Wiederentdeckung des Wohnküchenrealismus in brutal", findet Robert Meyer-Arlt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (20.6.2016). "Es ist, wie es ist, im Knast: Der Starke und Brutale hat das Sagen. Hier ist aber wohl ein ganzes Land als Gefängnis gemeint." Der Gesang des eindurckvollen Chores sei bemerkenswert. Allerdings funktioniere die Gefangenendarstellung nicht: heute scheitere der Naturalismus schon an den gepflegt lackierten Fingernägeln der Darstellerinnen. Kurz: "Mit feierlichem Ernst zelebrierte das ukrainische Ensemble eine Theaterform von gestern."

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