Fest steht unser gemeinsamer Feind

von Friederike Felbeck

Düsseldorf, 18. Juni 2016. Die Finnen haben's erfunden. Die Kuratorin Eva Neklayeva machte ihren Traum "Art goes Politics" in ihrem letzten Jahr als künstlerische Leiterin des renommierten "Baltic Circle" in Helsinki wahr: Unter dem Titel "Make Art Policy" und mit Unterstützung des israelischen Kollektivs Public Movement wurden ein Jahr vor dem Wahlkampf Politiker und Parteien befragt, welche Positionen und Programme sie im Hinblick auf die Kulturpolitik haben. Ein Jahr vor den Landtagswahlen in NRW wiederholten Public Movement als internationales Auftragswerk des Theater Festival Impulse nun das Format mit einer Veranstaltung im Rathaus der Landeshauptstadt Düsseldorf, die gediegen und ohne Kratzer als kulturpolitische Fragestunde mit Klärungsbedarf daherkam.

Im langwierig vorgestellten Regelkatalog gibt man sich Fußball-affin: Die "rote Karte" bedeutet "Sei konkret! Gib ein Beispiel!". Eine bestimmte Musikfolge fragt nach dem "Warum?". Denn nur sieben Minuten haben die Politiker jeweils Zeit für ihr Statement, eine Überziehung wird ebenfalls musikalisch moniert. Dabei erweisen sich die unter der Leitung von Kornelius Heidebrecht generierten kammermusikalischen Vignetten als zu lieblich um als Drohgebärde für Wahlkampf-geschulte Politiker zu funktionieren. Das Publikum kann in einer Urne Fragen absetzen, die nach dem Zufallsprinzip von der Moderatorin verlesen und an den jeweiligen Politiker gerichtet werden. In einem Nachbarraum haben sich Experten aus der freien Szene, dem Stadttheater und der Theaterwissenschaft versammelt. Indes hapert es mit der Livezuschaltung der Experten (vielleicht sind sie einfach – geografisch – zu nah), der Bildschirm bleibt schwarz, man versteht sich nicht, was gleich zu Beginn das Setting der Veranstaltung, die als Livestream im Internet übertragen wird (und auf der Webseite der Impulse als Aufzeichnung angeboten wird), ins Schleudern bringt.

Festival-Eröffnung im Düsseldorfer Rathaus: "Macht Kunst Politik!" von Public Movement

In zwei Exkursen werden Sitzungsprotokolle aus den 1960 und 1970er Jahren verlesen. Der Streit um den Erwerb der Paul Klee Sammlung, Joseph Beuys' Vorschlag einer internationalen Kunstakademie sind die Themen, von Theater keine Spur. Schon im Vorfeld der Veranstaltung entzündete sich eine Kontroverse um die Einladung eines Vertreters der AfD, denn die Partei ist zur Zeit weder im Düsseldorfer Rathaus noch im Landtag in NRW vertreten – allein, ein gemeinsames Feindbild stärkt die Freundschaft.

KMP 560 ScreenshotFinaler Politiker*innenchor in "Macht Kunst Politik!" © Screenshot

In den sieben mal sieben Minuten werden nach Kräften die Finger auf die Wunde Kultur gelegt: "Kultur als freiwillige Leistung kann nicht mehr funktionieren!" (Die Linke), von einem notwendigen "Naturschutzgebiet" im Angesicht von Theatersterben und bedrohten Haushalten ist die Rede. Denn Erfolg kann nicht in Zuschauerzahlen gemessen werden und "Menschen, die Kultur machen, müssen von ihrem Schaffen leben können." (Piratenpartei). Fragen nach der möglichen Finanzierung von Kulturausgaben, die mit 1,7 Prozent der Gesamthaushalte traditionell weit abgeschlagen ist, werden – wenn überhaupt – mit dem Hinweis auf ein Anheben der Vermögenssteuer beantwortet.

Was ist eine "Empfindungsgemeinschaft"?

Nach satten zwei Stunden tritt dann der kulturpolitische Sprecher der AfD in Gestalt des Gymnasiallehrers und Schulleiters Helmut Seifen ans Rednerpult, der dank eifrigen musikalischen Unterbrechungen und seinem sowieso länglich geratenden kulturhistorischen Abriss von der Antike über Preußen bis ins Heute gar nicht mehr zur Vorstellung seines kulturpolitischen Katalogs kommt. Unterbrochen von Sprechchören "Stoppt die Nazi-Propaganda" entwirft er das Bild einer "Empfindungsgemeinschaft", in der erst ein friedliches Zusammenleben möglich sei, und reizt das vollbesetzte Auditorium durch den Hinweis auf "Parallelgesellschaften". Kritische Fragen der Experten, die nach der Haltung der Partei zur Freiheit der Kunst und der Zensur bohren, perlen an Seifens jovialer Oberfläche schlichtweg ab.

Der Hinweis auf das geplante Kulturfördergesetz NRW gepaart mit dem Vorschlag, die Projektförderung gänzlich abzuschaffen (CDU) runden das Gruppenbild ab zusammen mit einem "Das ist nicht mit Frau Kraft abgesprochen!"-Vorschlag des Vertreters von Bündnis 90/Die Grünen, Kultur mit drei "i" zu schreiben: "Identität – Inklusion – Interkultur". Am Ende kommen Politiker und Expertenrat zu einem gemeinsamen Ständchen des Klassikers "Karma Chameleon" von Boy George zusammen.

Politik gegen AfD, Kunst gegen Politik

Erstaunlich ist bei dieser ambitionierten Versammlung, zu welcher Mimikry Künstler*innen fähig sind, wenn sie in ein Ambiente wie einen Plenarsaal versetzt werden. Die israelische Gruppe Public Movement unter Leitung der Choregrafin Dana Yahalomi verblasst in ihrem Zugriff genauso wie die Moderatorin Nina Sonnenberg, von Haus aus Rapperin, oder die Musiker und Schauspieler*innen des vielgelobten Anarcho-Kollektivs Subbotnik – während die geladenen Politiker komfortabel in ihrer Home Zone agieren und das tun, was sie dort immer tun: reden. Die Politik arbeitet sich an dem undemokratischen Schmuddelkind AfD ab, während sich die Künstler*innen und Expert*innen an der übermächtigen Politik abarbeiten – da hat Selbstkritisches ja sowieso keinen Platz. Der Impulse-Auftakt gerät so zu einer trockenen, grau-in-grau gehaltenen Uneindeutigkeit, die weit hinter den ästhetischen und politischen Statements des sonstigen Festivalkanons zurückbleibt.

Botschafter 560 KnutKlassen uDie Eröffnungsinszenierung: "Der Botschafter" © Knut Klaßen

Dabei platzt das diesjährige Programm fast vor künstlerischer und geografischer Vielfalt, die auf zahlreiche Spielorte in Düsseldorf und auf "Satelliten" in Köln und Mülheim verteilt ist. Das Festival steht unter dem Motto "Start cooking... recipe will follow". Dieses von dem Musiker Brian Eno geprägte Wort stand am Ende einer Rede anlässlich der Gründungsveranstaltung von DiEM25 – einer Initiative zur (Re-)Demokratisierung Europas, deren Polit-Star der ehemalige griechische Finanzminister Yannis Varoufakis ist.

Reichlich Zutaten für die Festivalsuppe

Neun Produktionen sind zu den Impulsen eingeladen, drei Auftragswerke entstehen; Hörspiele und Installationen, die Fortführung der im Vorjahr begonnenen Silent University, Symposien, Talks und Diskussionen, das neu ausgelobte Archiv des Freien Theaters, Konzerte, Partys, Live-Kritik und natürlich Fußball ohne Grenzen im Festivalzentrum im FFT Düsseldorf sind die Zutaten, die für die Festivalsuppe bereit stehen. Eröffnet wurde durch ein Gastspiel von "Der Botschafter" von Gintersdorfer/Klaßen (Nachtkritik von der Berliner Premiere am 20. Januar 2016), die wie gewohnt mit dem Zusammenspiel von Akteuren von der Elfenbeinküste und Deutschland Perspektiven brechen. Als Vorlage wird der Film "Die Regenschirme von Cherbourg" von Jacques Demy bemüht, während Daniel Wetzel/Rimini Protokoll in "Evros Walk Water" das Reenactment eines Kurzstückes von John Cage serviert, der in seinem "Water Walk" Haushaltsgegenstände zum Thema Wasser bespielt. Die Badewanne wird hier ersetzt durch ein Schlauchboot, und die maximal 24 Zuschauer folgen den Anweisungen von jungen Flüchtlingen, die in einer Einrichtung in Athen lebend ihre Geschichten mit spielerisch produzierten Geräuschen würzen und die Festivalbesucher*innen fernsteuern.

Evros 560 RobinJunicke u"Evros Walk Water" von Rimini Protokoll © Robin Junicke

Materialfülle herrscht auch auf der Impulse-Webseite, auf der die polnische Theaterwissenschaftlerin und Kritikerin Anna Burzynska bemerkenswerte "Zehn Gebote des partizipativen Theaters" an die Hand gibt, denen natürlich die Aufführung von Rimini Protokoll prompt nicht standhält. Aber vielleicht lassen sie sich doch anwenden, hätte der "Macht Kunst Politik!"-Sitzung im Plenarsaal gerade das gut getan: die leidenschaftlich verrückten Live-Collagen von Ariel Efraim Ashbel and Friends, wie sie diese in "The Empire Strikes Back: Kingdom of the Synthetic" angelegt haben oder die dissoziierten Stimmen von Flüchtlingskindern, die in "Evros Walk Water" einen neuen Alltag aufbauen, nachdem ihre bisherigen Gruppenzugehörigkeiten weggebrochen sind.

Macht Kunst Politik!
Von: Public Movement
Fachliche Beratung Kulturpolitik: Peter Grabowski, Moderation: Nina Sonnenberg, Musikalische Leitung: Kornelius Heidebrecht, Dirigentin des Abends: Dana Yahalomi.
Mit: Andreas Bialas (SPD), Dr. Veronika Dübgen (FDP), Oliver Keymis (Die Grünen), Lukas Lamla (Piraten), Martin Maier-Bode (Die Linke), Dr. Paul Schrömbges (CDU), Helmut Seifen (AfD) und Bernd Neuendorf (Staatssekretär im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport) sowie den Expert*innen Inke Arns (Künstlerische Leiterin Hartware MedienKunstVerein Dortmund), Ekaterina Degot (Künstlerische Leiterin Akademie der Künste der Welt Köln), Prof. Ulrike Haß (Theaterwissenschaftlerin, Direktorin Institut für Theaterwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum), Mischa Kuball (Künstler und Professor für Medienkunst), Harald Redmer (Geschäftsführer NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste), Kay Voges (Intendant Schauspiel Dortmund) und den Musiker*innen: Nico Brandenburg, Kornelius Heidebrecht, Henning Nierstenhöfer und den Performer*innen: Bianca Künzel, Andreas Laurenz Maier, Oleg Zhukov.

Unsere Festivalübersicht Impulse mit Informationen zu allen Produktionen (und ggf. Nachtkritiken), auch zu den weiteren in diesem Bericht erwähnten Arbeiten – Der Botschafter von Gintersdorfer/Klaßen, Evros Walk Water von Rimini Protokoll, The Empire Strikes Back: Kingdom of the Synthetic von Ariel Efraim Ashbel and Friends

www.festivalimpulse.de

 

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