Die elitäre Revolution

von Janis El-Bira

Berlin, 1. Juli 2016. Die Kunst wird ja dort schnell öde, wo sie sich vom Stellen der richtigen Fragen aufs Geben der richtigen Antworten verlagert. Nun ist "Sesperado – Revolution of Color" am Ballhaus Naunynstraße zwar sicherlich kein öder Abend, aber die kräftigen Aussagesätze liegen auch ihm eindeutig mehr. Hierzu zählen: Dass die Frage "Wo kommst du her?" an eine Person of Color zumeist die eigentlichen Implikationen des Fragenden verschleiert und mithin in maligner Absicht gestellt wird. Dass die öffentlichen Diskurse um Demokratie und Toleranz in einer Weise geführt werden, die einzig der Sicherung einer weißen Vorherrschaft dient. Dass weißen Professorinnen, die sich mit "interkultureller Kompetenz" befassen, qua unbelasteter Biographie jede fachliche Eignung abgeht. Dass "Rassismus nicht nur bedeutet, auf der Straße 'Scheiß Kanake!' zu brüllen", sondern auch im Privaten allgegenwärtig ist. Dass alle bessere Menschen würden, läsen sie doch nur Frantz Fanon und Michel Foucault.

Sesperado 1 560 c Ute Langkafel uBallhaus-Agitprop © Ute Langkafel

Herausgeberin so vieler be(un)ruhigender Sicherheiten ist am Ballhaus die Akademie der Autodidakten, ein noch unter Shermin Langhoffs Leitung entstandenes Projekt, das die Perspektiven junger migrantischer Künstler*innen aus unterschiedlichen Richtungen in der Naunynstraße theatralisieren will. Es sind zumeist Laiendarsteller*innen, die hier auch ihre eigenen Biographien und Erfahrungen auf die Bühne tragen. Mit der Adaption eines Romans von Mutlu Ergün über den Berliner "lyrical guerillero" Sesperado, der die "Revolution of Color" vorantreiben will, begeben sie sich nun ins Herz einer Dialektik, die das postmigrantische Theater schon immer notwendigerweise mit sich rumschleppen musste: Dass Herkunft gerade deshalb so beharrlich thematisiert werden muss, damit sie letztlich als soziale Kategorie verschwindet.

Elitärer Agitprop

Sesperado und seine Clique durchwaten also erneut die vor allem am Ballhaus Naunynstraße einschlägig bekannten Brackwässer des Alltagsrassismus. Vor einer mehrstöckigen Baugerüstkulisse zu sehen sind Weiße, die die Namen der People of Color einfach nicht korrekt aussprechen wollen; POC-Schauspieler, die nur für die Rollen von Drogendealern gecastet werden; ein stumpfgrölender Fußballfan, der Sesperados feministisch emanzipierte Tanten als "arabische Stuten" beschimpft. Doch es sind die versteckteren, oft hypokritischen Formen der Fremdheitszuschreibung, die in "Sesperado" als die größere Grausamkeit gelten. Da ist etwa Lena, die Latzhose tragende, betont alternative Turkologiestudentin, die alles richtig machen will, am Ende aber doch vor allem Angst hat, ihr muslimischer Freund könnte ihr das Weihnachtsfest und die Schinkenpizza madig machen. Als sie schließlich noch die inkriminierte "Woher kommst du?"-Frage stellt, wird sie dem Publikum genüsslich als Pointenfraß vorgeworfen.

In seinen stärksten Passagen ist "Sesperado" schnelles, authentisch wütendes (und mitunter auch ziemlich lustig als Agitprop-Lehrstück montiertes) Theater, getragen von einem so jungen wie hochtalentierten Ensemble. Dass es dennoch erstaunlich wenig berührt und selbst die am Ende keimende Revolution sich in der lauen Kreuzberger Sommerluft verflüchtigt, liegt an der dogmatischen Verabsolutierung der Hochsitzperspektive, von der aus die Akademie der Autodidakten über die Diskurslandschaft zu blicken glaubt. Was richtig und was falsch ist, was man sagen darf und was nicht, dessen ist sich "Sesperado" absolut sicher.

Derlei sattelfeste Überzeugungen verlangt die Inszenierung freilich auch von ihren Figuren, deren seltene Abweichungen durch rasche Vernunfteinsicht eilig wieder angeleint werden. Wer die lösenden und alle Klippen des Repräsentationsdiskurses souverän umschiffenden Worte "Ich kann euer Leid nicht nachempfinden, aber ich bin solidarisch" ausspricht, wird sogleich wieder aufgenommen in die Konsensgemeinschaft. So einfach kann's sein – und so schnell ist alles dramatische Moment aufs Kreuz gelegt. Das Ballhaus Naunynstraße präsentiert sich an diesem Abend als geschützter Raum, in dem Inszenierung und Publikum sich ganz der steten Einübung in das etabliert Korrekte widmen dürfen. Man ist unter sich, lacht und verdreht gleichermaßen kennerisch die Augen, die Umgangsformen sind geschliffen durch jahrelange Regelschulung. Für erklärte Revolutionäre ist das irgendwie eine ganz schön elitäre Angelegenheit.

 

Sesperado – Revolution of Color
von Akademie der Autodidakten
Text: Mutlu Ergün-Hamaz, Mitarbeit Textfassung: Azar Mortazavi, Projektleitung: Murat Dikenci, Hasan H. Taşgın, Bühne: Cleo Niemeyer, Kostüme: Yu-Chia Hsu, Video: Traviez Tuan Minh, Musik: Bekir Karaoglan, Dramaturgie: Selina Shirin Stritzel.
Von und mit: Kira Lorenza Althaler, Kareem Anaya, Merve Avdiç, Yusuf Celik, Lodi Doumit, Latifa Hahn, Hoang Tran Hieu Hanh, Sionnan Kahveci, Ceyda Keskin, Niklas Korte, Barbara Krebs, Antonia Meier, Jenifa Marie Simon, Jan Yilmaz.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.ballhausnaunynstrasse.de

 

Kommentare  
Sesperado, Berlin: keine böse Absicht
Ich frage Menschen oft, woher sie kommen, ob nun aus Kuba, Ghana, Thüringen, Tübingen oder aus Bremen. Und verstehe nicht, warum das SOFORT eine böse Absicht implizieren soll. Kann mir das einer von den Autodidakten erklären? Oder besteht da kein Redebedarf mit angenommenen "Rassisten"? Was wir so alles annehmen von anderen, die wir gar nicht kennen und/oder gar nicht kennenlernen wollen. Rassenfrage? Beiderseitige Ignoranz? Oder einfach nur eine Frage der Persönlichkeit? Spielen da nicht auch Klassenklischees mit rein usw.?
Sesperado, Berlin: Schleichwerbung
Sesperado - Revolution of Color ist grandios und ich wünsche allen PoCs, dass sie die Möglichkeit haben es sich anzusehen. Von der ersten Minute an ist man dabei und lacht und ist berührt und fühlt sich am Ende gestärkt. Es ist ein Stück, dass sich vor allem Schüler*innen, Azubis und Student*innen ansehen sollten, also Altersgruppe 15-30. Ich finde es schade, dass das Stück so kritisiert wird hier in der Rezension, denn es ist einzigartig und Empowerment für PoC Zuschauer*innen und wenn man sich die Theaterlandschaft anschaut, dann gibt es wahrlich nicht viele Stücke, die das leisten. Die Schauspieler*innen waren alle großartig und ich wünsche mir noch viele weitere Sesperado Geschichten auf deutschen Bühnen!
Sesperado, Berlin: Check your Priviledge
Wie können diese Privilegierten Foucault und Fanon Faschisten nur so blind für die Strahlende Unschuld weißer mehrheitsbürgerinnen sein. Meinungsdiktatur ist das doch, und dann auch noch Autodidaktinnen, also jene Leute in unserer Gesellschaft die Definitionsmacht besitzen. Check your Privilege PoC, aber ernsthaft.
Sesperado, Berlin: große Ausnahme
Vielen Dank für dieses tolle Stück, dass mir als POC in Erinnerung gerufen hat, dass Theater auch spaß machen und sich positionieren darf. Schade, dass solche Beispiele in der deutschen Theaterlandschaft noch eine große Ausnahme bilden. Warum dies so ist, erahnt man, wenn man sich diese Kritik durchliest. Daß die Revolution in einem Kontext wie Deutschland ausbleibt, ist wohl allem Möglichem aber sicher nicht der weitestgehend ignorierten und systematisch marginalisierten Wissensarbeit von POC geschuldet.
Sesperado, Berlin: Mikroaggression
Liebe Inga,

Nur weil Sie niemals eine böse Absicht verfolgen, frei von jeglicher Niedertracht sind und noch nie selber Rassismus erdulden mußten, heißt es nicht , daß es diese Dinge nicht gibt und manche Menschen damit konfontiert sind.
Wie soll ich es anschaulich machen? Vielleicht mit Klassismus.
Es muß keine böse Absicht hinter der Frage nach der sozialen Herkunft stehen : "Auf welche Schule haben Dich Deine Eltern geschickt?"
Es kann harmloses,freundliches Interesse bedeuten oder eine Spitze zum Aussortieren oder Verunsichern. Es hängt vom Ton, Subtext und Kontext ab. Das nennt man Mikroaggression. Es klingt alltäglich, harmlos und ist nicht nachweisbar. Es wirkt dennoch wie ein unsichtbares Gift. Es gibt viele Arten, wie Menschen einander bekämpfen.Dies ist eine davon.
Sesperado, Berlin: Klassenklischees
@ klara: Ja, das kann ich mir vorstellen. Und genau so meinte ich das auch mit dem Begriff des "Klassenklischees". Welches aber vielleicht nicht immer nur von oben nach unten geht (das ist hier doch gemeint?), sondern vielleicht auch ebenso andersrum? Es gibt sicher auch Arbeiterkinder, die nicht mit Akademikerkindern spielen wollen, sondern vielleicht auch nur kaputt machen wollen, was sie kaputt macht, so wie ihre Eltern es ihnen (möglicherweise parolenhaft) beigebracht haben. Ob damit "Menschen kaputt machen" gemeint ist, würde ich befragen wollen. Das meinen die Autodidakten doch auch nicht mit "Revolution", oder? Revolution wäre, wenn wir uns gemeinsam gegen das/die wenden, die uns auseinanderdividieren wollen, um ihre Kapitalinteressen durchsetzen zu können. Da geht's dann aber nicht allein um Fragen des Rassismus, wobei manche PoC hier vielleicht doppelt oder dreifach (gender race class) betroffen sind? Es gibt aber andersrum sicher auch PoC, die privilegiert sind, oder nicht? Ich habe nirgendwo gesagt, dass es "diese Dinge nicht gibt und manche Menschen damit konfrontiert sind". Wie kommen Sie darauf, dass ich das meinen könnte? Ja, auch ich meine, dass es sehr stark darauf ankommt, WIE man miteinander spricht. Hier schreiben bringt dann bzw. deswegen auch nicht viel.
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