Elegischer Witz sucht Existenzschmerz 

von Shirin Sojitrawalla

Salzburg, 30. Juli. Oktober 2016. Sie bilden das aufgekratzt trostloseste Duo auf dem Theater: Hamm und Clov. Ein Paradepaar für Ausnahmeschauspieler; Heinz und David Bennent, Gert Voss und Ignaz Kirchner, Ulrich Matthes und Wolfram Koch. Sie sind Vater und Sohn, Regisseur und Regieassistent, Herr und Knecht und bleiben immer auch ein altes Ehepaar, das aneinander zugrunde geht. Seit der Uraufführung 1957 treiben sie das Spiel. Jetzt also: Nicholas Ofczarek als Hamm und Michael Maertens als Clov.

Erstaunliche Zartheit

Unter der seelenruhigen Regie von Dieter Dorn ergeben sie ein Paar wie gemacht für den Weltuntergang. Ofczareks Ham sitzt auf einem thronartigen Rollstuhl: Zottelige Haare, Sonnenbrille auf den ausgestochenen Augen und Schlabberkleidung. Er erinnert von fern an Papst Innozenz X., eher von Francis Bacon gemalt als von Velásquez.

Endspiel2 560 Salzburger Festspiele Bernd Uhlig uNicholas Ofczarek und Michael Maertens © Bernd Uhlig

Clov tritt zuerst als versiffter Hanswurst in Pantoffeln auf, zwar kann er gehen und sehen, doch bewegt er sich beinahe nur dienend fort, buckelt immer herum. Dabei ist er mal niedliches Kind, mal windschiefer Choleriker, mal winselt er die Worte, mal wringt er sie greinend aus oder brüllt sie schamlos nieder. Er ist der einzige, der sich an diesem Abend bewegen darf und muss. Hamm stützt sich indes allein auf seine Stimme und Gestik. Ofczarek vollbringt das überwiegend stoisch spielend. Seine kleinen weißen Hände flattern dann durch die Luft, aber auch er wird zuweilen laut, krächzend und unangenehm. Viel häufiger aber ist er von einer geradezu singenden Zartheit beseelt, wie überhaupt der ganze Abend von einer erstaunlichen Zartheit ist.

Vom Dasein künden

Diese geht mit einem großen Respekt dem Stück gegenüber einher, der sich in diesem Fall darin zeigt, alles so zu belassen, wie Beckett es geschrieben und gewollt hat. Das war nicht anders zu erwarten und ist doch frappierend, denn wann kaprizieren sich Inszenierungen heute schon noch voll und ganz auf den Text und befolgen selbst Regieanweisungen? Das heißt in diesem Falle schönerweise auch, dass Hamms in Mülltonnen dahinvegetierende Eltern, Nagg und Nell, nicht, wie in jüngster Zeit so oft, gestrichen wurden. Ganz im Gegenteil beschwören Joachim Bißmeier und Barbara Petritsch in diesen Rollen elegisch gewitzt zutiefst bewegende Momente herauf, die vom Dasein und vom Zweisein künden.

Endspiel1 560 Salzburger Festspiele Bernd Uhlig uJoachim Bißmeier, Barbara Petrisch und Nicolas Ofczarek © Bernd Uhlig

Das strikte Am-Text-bleiben birgt natürlich wenig Überraschungen, doch der Text funkelt bei Dorn erstaunlich klar und fein, so dass man fast meint, ihn zum ersten Mal zu hören, wiewohl die schon lange legendäre Elmar-Tophoven-Übersetzung neue Impulse gut verkraften würde, etwa was die Wortspiele und Lautmalereien betrifft.

Auch formal wartet der Abend nicht mit großen Überraschungen auf. Zu Beginn sehen wir eine Art große Schuhschachtel im Hintergrund der nackten Bühne, die langsam nach vorne an die Rampe fährt und zum Guckkasten wird. Ohne Tür, aber mit den zwei vorgeschriebenen Fensterchen. Die Welt draußen ist also an diesem Abend immer Bühne, was im Sinne des Erfinders Beckett sein dürfte. Als dumpfer running gag dient eine laut zuknallende Bodenluke, die genau so nervt wie das von den Positionswechseln der Zuschauer verursachte permanente Knarzen und Knarren im Saal.

Diffuse Traurigkeit

Angedeutete Slapsticknummern auf der Bühne verfehlen ihre Wirkung dann zuweilen ebenso wie manch ein dick aufgetragener Gespensterblick, den Maertens ins Publikum stiert. Durchweg unterhaltsam sind die mehr als zwei pausenlosen Stunden nicht. Und wenn sich zu Recht Lachen breit macht, ist es eher ein Schmunzeln, zumindest bei mir.

Dass die Frage nach dem Sinn dieses Stückes ähnlich gefährlich ist wie die Frage nach dem Sinn des Lebens, macht der Abend deutlich. Beckett selbst bezeichnete sein "Endspiel" einmal als "bloßes Spiel". Dorn belässt es dabei, verstärkt lediglich sachte die religiösen Konnotationen des Stücks. Zum Ende fährt die Guckkasten-Schuhschachtel dann wieder nach hinten, zu ihrem Ausgangspunkt. Zurück bleiben eine diffuse Traurigkeit und ziehende Existenzschmerzen. Nichts ist komischer als das Unglück? Von wegen.

 

Endspiel
von Samuel Beckett
Regie: Dieter Dorn, Ausstattung: Jürgen Rose, Licht: Tobias Löffler, Dramaturgie: Hans-Joachim Ruckhäberle
Mit: Nicholas Ofczarek, Michael Maertens, Joachim Bißmeier, Barbara Petritsch
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at
www.salzburgerfestspiele.at

 

Alles über die Salzburger Festspiele auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Ronald Pohl vom Standard (1.8.2016) ist begeistert von Dorns "Beckett-Hochamt". "Wollte man Dorns Herangehensweise an diesen großen Theaterabend beschreiben, man müsste sagen: So wie er seinen Beckett, so las früher vielleicht Nikolaus Harnoncourt seinen Beethoven. 'Werktreue', dieser hermeneutisch so hochproblematische Begriff, ist etwas für Meister." Man verfolge den Text bis in alle Winkel, und er beschenke einen mit Leichtigkeit.

Norbert Mayer von der Presse (1.8.2016) schreibt, Dieter Dorn habe sich gewissenhaft an die Anweisungen Becketts gehalten. "Entstanden ist, getragen von vier großartigen Darstellern, ein Meisterwerk der Regie, bei dem einfach alles stimmt – die Bildwelt, das Tempo, die Musikalität der Sprache und vor allem die vielsagenden Pausen zwischen den Sätzen, die Grausamkeit, Einsamkeit wie auch den Versuch der Menschlichkeit nachklingen lassen." Diese Aufführung habe das Zeug zum Klassiker.

"Vorhang auf für Dieter Dorns Schauspielerfest, in dem keine Neu- oder gar Fehlinterpretation zu befürchten, sondern Beckett in astreiner Textwiedergabe zu haben ist, gemeistert von zwei Top-Schauspielern des Wiener Burgtheaters", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (1.8.2016) Am Ende bleibe weniger ein Schrecken als eine metaphysische Heiterkeit zurück.

Für Sven Ricklefs vom Deutschlandfunk (31.7.2016) zeige sich leider an diesem Abend, dass das Theaters Dorns bei aller Liebe zum Detail, gefährdet sei "durch diese Form von Schau-Spielen, das durchaus heute auch als Form eines Overacting eines zu viel Spielens ankommt und das vielleicht gerade durch Fesselung der anderen Schauspieler an ihre Plätze ansonsten dankenswerter Weise vermieden wird". Darüber hinaus buchstabiere die Regie den Text aus und halte sich mit jeglicher Interpretation vornehm zurück. "Dabei läuft Dorn allerdings Gefahr, dass man auch nach gut zwei Stunden nicht wirklich weiß, ob einen dieses Endspiel wirklich noch betrifft oder betroffen macht, oder ob man da nicht einfach vier Schauspielern über weite Strecken gern beim Schau-Spielen zugeschaut hat. Aber selbst das ist ja schon viel."

Hannes Hintermeier schreibt in der FAZ (1.8.2016): "Mit seinen vier exzellenten Schauspielern holt Dorn als unermüdlicher sprachlicher Präzisionsarbeiter auch den Klamauk, das irre Gelächter, heraus, das diese vier Untoten produzieren." Dass das Stück dennoch in die Jahre gekommen ist, weil seine Botschaft längst angekommen ist, kann er damit aber nicht verbergen."

"Wie ein komplexes Räderwerk sind Sprache, Bild, Raum, Szene, Bewegung, Geste und Kostüm verzahnt!", staunt Hedwig Kainberger von den Salzburger Nachrichten (1.8.2016). In der Premiere sei diesem feingliedrigen Werk noch etwas von Angestrengtheit abzulesen - in manchen Bewegungsfolgen scheint die Akrobatik durch. Und nicht nur in Körpereinsatz, auch in der Bildsprache wird das Bühnengeschehen manchmal manieriert. Dennoch: "Sprachliche und schauspielerische Virtuosität sowie rundum beeindruckender Einfallsreichtum machen dieses 'Endspiel' zum kostbaren Theaterereignis."

Beckett erzwinge "einen ikonografisch korrekten Umgang mit seinem Text, der ohne diese Gegebenheiten keinen Sinn hätte, auch keine Bedeutung mehr", findet Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (2.8.2016). Eine Folge davon sei, dass auch hier sämtliche Personen jederzeit zu erkennen seien und die Schauspieler reproduzierten, was so oder so ähnlich schon gesehen worden sein muss. "In der höchst korrekten, dabei unverdrossen, aber auch unverhohlen routinierten, ein bisschen kraftlosen – aber auch dies gehört praktisch dazu – Lesart des Altmeisters Dorn fällt das gewiss besonders auf, ohne im Besonderen abzufallen."

"Hier wird nicht gedeutet und variiert. Hier wird treues Texttheater zelebriert", schreibt Manuel Brug in der Welt (3.8.2016). "Das kann man, wenn man es kann. Dieter Dorn kann es immer noch. Auf allerfeinstem Niveau. Da werden Worte gedrechselt, exekutiert, geflötet, gekaut und genossen, eine heimelig wohlvertraute Buchstabenpartitur entfaltet sich sprachmusikalisch als gefahrlos ausbalanciertes Quartett." Kurz: eine "famose Männerwirtschaft" und eine "Ehrenrunde der Großen von gestern".

Altmeister Dieter Dorn zeige in seiner "Endspiel"-Inszenierung, dass "Werktreue – bis hinein in die Verästelungen kleinster Regieanweisungen – und der Verzicht auf eigenmächtige Interpretation auch zu einem Theaterglücksfall führen können", meint Bernd Noack in der Neuen Zürcher Zeitung (5.8.2016). Dorn nehme Becketts Stück "wie eine kostbare Partitur und zelebriert das Ende der Welt als einen schmerzend komischen Abgesang auf all unsere Gewissheiten und Sehnsüchte, auf unsere Hoffnungen und Träume." Er nehme Hamm und Clov, "diese klassischen siamesischen Marionettenzwillinge des allerletzten Tages, denen Gott keine Gnade gönnt (...) fast zärtlich bei der Hand, obwohl er weiss, dass auch er ihnen nicht mehr helfen kann."

 

 

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