Allerlei Schauspieler-Strandgut

von Reinhard Kriechbaum

Salzburg, 2. August 2016. Den kleinen Handspiegel, mit dessen Hilfe er Ariel auf die Beine, Pardon, in die Lüfte gebracht hat, zerbricht Prospero und vergräbt sein Gesicht danach in den Händen. Machtverzicht fällt schwer, auch am Ende eines Lebens, das philanthrope Einsicht gebracht hat. Da setzt auch schon der Beifall ein. Wie sollte ein Festspielpublikum auch ahnen, dass der alte Insel-Zauberer noch einen – gar nicht so belanglosen – Schlussmonolog hat?

Die Schiffbrüchigen des Heute

So etwas kann in Salzburg allemal passieren, vor allem wenn sich ein gewisses Längengefühl aufgestaut hat. Deborah Warner, deren beide Shakespeare-Inszenierungen ("Coriolan", "Richard II.") bei den Festspielen schon zwanzig Jahre zurück liegen, ist keine, die mit dem Rotstift übertrieben großzügig umgeht. Für den "Sturm" hieß sie ihren Ausstatter nur ganz wenig Strandgut auf die Riesenspielstätte spülen. Holz vor allem. Einigermaßen geordnet lehnen Platten an den Wänden am Bühnenrand. Eine Rechteckfläche mit Erde, eine andere mit Schlamm, eine altmodische Badewanne, ein langer Kiesweg ganz hinten, ein paar Ausnehmungen im Boden für die rascheren Auf- und Abgänge: Da ist nicht viel, was großem Schauspielertheater, das Deborah Warner wohl im Sinn gehabt haben mag, im Weg stünde. Doch findet solches auch statt?

Der Sturm 560 Sara Tamburini Maximilian Pulst Peter Simonischek c SF Monika Rittershaus U(Video-)Geisterzauber mit Schauspielern: Sara Tamburini, Maximilian Pulst, Peter Simonischek
© Monika Rittershaus

Vor allem: Zeigt sie viel mehr, als das Milde-Werden eines alten Herren, der eben nicht auf Rache aus ist, sondern die Schurken nur ein klein wenig beschämt und sie dann laufen lässt? "Sich mit dem Stück am Ende eines Jahres zu befassen, das von den Bildern der schrecklichen, gefahrvollen und lebensverändernden Seereisen all jener dominiert wurde, die ohne Hab und Gut schiffbrüchig an unbekannten Inseln strandeten, ist eine außergewöhnliche Erfahrung." So zitieren die Salzburger Festspiele Deborah Warner auf der Website.

Kleine Interventionen echten Temperaments

Die Fährte erweist sich als eine falsche. Zwar tragen alle heutiges Gewand, König Alonso gar einen Frack, wie überhaupt die ganze Schiffbrüchigen-Gruppe kleidungsmäßig wenig Schaden genommen hat. Aber fokussierte, gar aufrüttelnde Geschichten vom Stranden in der Ferne werden nicht erzählt. Deborah Warner bleibt der Gegenwart fern. Textlich stelzt und stakst es gelegentlich an dem langen Abend, und die Visuals – die Video-Wogen branden immer wieder auf, beruhigen sich aber auch – bleiben routiniertes Bühnenhandwerk.

Der Sturm 280 Harzer Simonischek c SF Monika Rittershaus UProspero und Caliban: Peter Simonischek mit
Jens Harzer © Monika Rittershaus
Peter Simonischek ist Prospero. Ein wenig mürrisch zuerst, wenn er der leichtfüßig-kleinen Miranda (Sara Tamburini) die Familiengeschichte erzählt. Sie hat das wohl schon oft über sich ergehen lassen müssen, geriert sich pubertär-zappelig. Aber sie zeigt dann doch Neugier. Am Ende gibt Peter Simonischek dem Prospero Ruhe, abgeklärte Altersweisheit. Aber wenn er Alonso, der ihn immerhin um ein dreiviertel Leben als Herrscher von Mailand gebracht hat, umarmt, dann überkommt's ihn und der König von Neapel landet unsanft am Boden.

Solch kleinere Interventionen echten Temperaments bringt die Regisseurin öfters mal an, auch in den anderen Rollen. Splitternackt taucht Caliban auf, der Indigene gilt nicht viel. Wie draufgängerisch-verzweifelt Jens Harzer die hündische Unterwürfigkeit dieser Figur auslebt, ist anrührend. Ariel trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Invisible", braucht sich also nicht extra-windig aus dem Staub zu machen. Die Besetzung mit Dickie Beau, einem Playback-Performer aus London, ist originell. Sein Text wurde von Fiona Shaw, Angela Winkler und Peter Simonischek eingelesen, ist vorwiegend auf Englisch und im Video untertitelt. Kein sonderlich wirbeliger, eher ein stationärer Geist, der die Lippen mehr bewegt als die Gliedmaßen.

Das Zaubrische bleibt erdschwer

Branko Samarowski lässt als König Alonso tiefe Depression raushängen, was es Charles Brauer leicht macht, als Gonzalo zu sticheln. Das tut er mit vorzüglicher Sprechtechnik und gar nicht ungefährlicher Leisheit. Fast schon Witz hat es, mit wie viel Understatement Sebastian und Antonio einander ein Messer zuzustecken versuchen, um den jeweils anderen zum Mord an den beiden Alten anzustiften. Zuletzt haben sie beide eins in der Hand, wenn Ariel die akut Bedrohten gerade noch aufweckt. Der leicht dekadente Trinculo und der derbere Stephano (Matthias Bundschuh und Matthias Redlhammer) erzielen nur partiell buffoneske Aufheiterung.

Es mangelt nicht an leiser Pikanterie im Kleinen. Aber was dieser Aufführung letztlich doch stark abgeht, ist ein Sog, der übers Episodische trüge. Das Zaubrische bleibt erdschwer und wirkt irgendwie mühselig erarbeitet. An dieser Arbeit muss sich das Publikum insofern beteiligen, als die sprachliche Abstimmung wohl nicht im Zentrum der Vorbereitung gestanden ist. Man muss sich im ohnedies akustisch heiklen Riesenraum auf der Halleiner Pernerinsel auf sehr unterschiedliche Idiome und Sprechintensitäten einstellen. Selbst in der elften Reihe, also noch im vorderen Drittel des Zuschauerraums, bleibt manches schlecht verständlich.

 

Der Sturm
von William Shakespeare
Übersetzung: August Wilhelm Schlegel
Regie: Deborah Warner, Bühne und Kostüm: Christof Hetzer, Licht: Jean Kalman, Komposition / Sounddesign: Mel Mercier, Video: fettFilm
Mit: Peter Simonischek, Sara Tamburini, Dickie Beau, Jens Harzer, Branko Samarovski, Max Urlacher, Daniel Friedrich, Maximilian Pulst, Charles Brauer, Saskia von Winterfeld, Christian Dieterle, Matthias Bundschuh, Matthias Redlhammer, Wolfgang Seidenberg
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten

www.salzburgerfestspiele.at

 

Kritikenrundschau

Elmar Krekeler sah für Die Welt (9.8.2016) "eine Spielfläche, die man selbst mit Bildern füllen muss. Was Deborah Warner in Salzburg inszeniert, erinnere an eine "dramaturgische Versuchsanordnung, die so sperrangelweit offen ist, so scheinbar unfertig wie das ganze Stück." Krekeler findet, Warner lasse vieles "anspielen und anspülen". Aber: "Was flach ist an Figuren, bleibt flach."

Durch die Halle in Hallein wehe "nur ein lindes Phantasielüftchen, man könnte auch sagen, dass der britischen Regisseurin Deborah Warner (...) schon nach dem fulminant theaterdonnernden Auftakt (...) die Luft ausgegangen ist", schreibt Bernd Noack in der Neuen Zürcher Zeitung (5.8.2016). "Keine Spur von sphärischer Magie, keine theatralischen Wunder, kein Staunen und Bangen, kein Hintersinn. Zum Lachen ist da schon gar nichts. Stattdessen langweiliges Stellungsspiel (...)." Nur bei Peter Simonischek als Prospero sei "etwas Grosses zu spüren", nur ihm wolle man diesem Abend Nachsicht gewähren.

Simonischek erfreue als Prospero "auf die ihm eigene gewinnende Weise", schreibt Barabra Petsch in der Presse (4.8.2016), wirklich erfinderisch aber sei Warners Inszenierung. "Sie zeigt das Politische: Aus der Heiratsdiplomatie ergibt sich eine lukrative Handelsachse von Tunis über Neapel bis Mailand." Das Bühnenbild sei "grandios, ebenso die Lichtregie, die Musik und das Video vom meisterlichen Duo Fettfilm." Die Schauspielerführung indes wirke "weniger gelungen als die Optik." Viel "von der zarten Poesie in Shakespeares vielleicht letztem Werk (...) geht unter".

"'Der Sturm' hat eine interessiertere Inszenierung verdient, als sie ihm Deborah Warner angedeihen lässt", schreibt Martin Lhotzky in der FAZ (4.8.2016). Simonischek wirke "wenig gefordert". "Zu wenig Empathie überträgt sich von der Bühne bei solchem Sturm im Wasserglas." Die Zeit vergehe dennoch recht schnell, "ist man in Gedanken doch permanent andernorts, wo es freundlicher, gefährlicher oder wenigstens spannender sein mag."

Margarete Affenzeller vom Standard (3.8.2016) schreibt: "Wirksamkeit und Veranschaulichung der Zauberkraft im Stück sind zentral, doch selten wissen Regisseure damit etwas anzufangen. Die Scheu vor Kitsch ist groß. Und auch Deborah Warner hält den Ball flach." Die große Action werde von Videobildern erzeugt. "Und wie von der Dimension dieser Wirkung angestachelt, ringen auch die Schauspieler um Präsenz."

Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung (4.8.2016) fand das alles "ein bisschen langweilig". Der Abend erzähle "seltsam schwerfällig" die Geschichte nach, die Inszenierung beweise "brave Schauspielerführung" und komme nicht in Schwung. Der Abend zeige nicht, warum das Stück heute aktuell sein soll.

Judith Belfkih von der Wiener Zeitung (3.8.2016) schreibt: "Warner ist sehr präzise in der Zeichnung ihrer Figuren, sehr klar in ihren dunklen, starken Bildern. Keine Geste, kein Wort, kein Requisit, das nicht zum Wesentlichen beiträgt." Die zeitlose Aktualität der Themen weide sie nicht aus, sondern lasse sie für sich stehen und sprechen. "Sie sorgt damit auf der Perner Insel für Theater, das in den Bann zieht, fesselt und berührt."

"Deborah Warners Zugriff erschöpft sich in falsch verstandener Shakespeare-Treue. Alles bleibt leere Illustration", schreibt Erik Franzen von der Frankfurter Rundschau (4.8.2016) Das Publikum verfalle über weite Strecken des Abends in Apathie. Die Theaterkunst Shakespeares habe keinen Platz zum Atmen gehabt.

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