Cash kommt vor dem Crash

von Stefan Keim

Duisburg, 7. September 2016. Die Bühne ist vollgestellt mit Hightech-Geräten aus dem 19. Jahrhundert. Schreibmaschinen stehen für den technischen Aufbruch. Plötzlich erschlossen sich neue Märkte, Syrien, Nordafrika, die Eisenbahnen machten es möglich, Kanäle wurden gebaut. Nach Liebe erzählt Luk Perceval im zweiten Teil der "Trilogie meiner Familie" bei der Ruhrtriennale vom "Geld". Er kombiniert drei Romane aus Emile Zolas 20teiliger Serie über die Rougon-Macquarts, eine Großfamilie, die während des Zweiten Kaiserreichs die Entstehung der kapitalistischen Industriegesellschaft erlebt.

geldtrilogie 2 2 560 ruhrtriennale 2016 Armin Smailovic uDer Rhythmus des Kapitalismus: Stephan Bissmeier und Oda Thormeyer © Armin Smailovic

Wie im ersten Teil, der vor einem Jahr Premiere hatte, bleiben die Kostüme historisch. Es gibt keine klaren Verweise auf die Gegenwart. Sie wären auch überflüssig und würden die Assoziationsräume verengen. Denn Zolas Geschichten haben so eindeutig mit uns heute zu tun, dass sich die Parallelen aufdrängen.

Gewissenloser Geldhai, gewissenlose femme fatale

Das gilt besonders für "Das Geld", einen der letzten Romane der Reihe. Bankdirektor Saccard spekuliert und finanziert zunächst äußerst erfolgreich, die Gewinne sprudeln, die Dividenden sind enorm, die Universalbank baut sich einen Palast. Dann kommt der Crash, am Ende ist Saccard bankrott und sein Traum geplatzt. Als Kommentar zur Bankenkrise hat John von Düffel den Roman bereits für das Düsseldorfer Schauspielhaus bearbeitet.

Luk Perceval kombiniert die Geschichte um den charismatischen und gewissenlosen Geldhai Saccard mit zwei weiteren Romanen Zolas. "Das Paradies der Damen" erzählt von einem luxuriösen Kaufhaus, in dem Marketingkonzepte entwickelt werden, die immer noch nicht aus der Mode gekommen sind. Wie die Bank wächst auch das Kaufhaus immer weiter. Saccard (Sebastian Rudolph) ist in Percevals Fassung auch der Direktor des Kaufhauses, was die beiden Handlungen geschmeidig verzahnt. Auch in der dritten Geschichte um die Edelprostituierte und Möchtegern-Schauspielerin Nana taucht Saccard auf, hier als einer ihrer Liebhaber, der sich aber nicht wie die anderen von der femme fatale zugrunde richten lässt. Dafür ist er viel zu egoistisch.

Diamanten im Feuer

"Nana" ist neben der Bergbaugeschichte "Germinal" – die im nächsten Jahr den Abschluss von Percevals Trilogie bilden wird – der berühmteste Roman Emile Zolas. Die Titelheldin kam schon in Teil eins kurz vor, als junges Mädchen, das seine Wirkung auf Männer entdeckte. Nun ist sie voll erblüht und ein hundertprozentiges Geschöpf des hemmungslosen Frühkapitalismus. Nana nutzt ihre körperlichen Vorteile, um so viel Geld wie möglich zu machen. Dabei ist ihr der Reichtum selbst völlig egal, Diamanten wirft sie ins Feuer, um zu schauen, ob sie verglühen. Sie liebt den Rausch der Macht und nimmt den Männern das ab, was sie außer ihr am meisten lieben, ihr Geld. Nana ist auch ein Zerrbild der industrialisierten Welt, eine schöne Zerstörerin.

Maja Schöne spielt Nana mit einer Fülle an Tönen und Gesten, die alle nicht hinter ihre Oberfläche blicken lassen. Erst als sich einer ihrer Liebhaber umbringt, zeigt sie Risse in der Fassade. Manchmal scheinen die Darsteller des Hamburger Thalia-Theaters ein bisschen zu überdrehen, doch im nächsten Moment schaffen sie wieder packende, glaubwürdige Momente. Es sind die Sprache und Ästhetik des 19. Jahrhunderts, mit denen sich Luk Perceval beschäftigt und die zu manchen exaltierten Augenblicken führen. Dagegen setzt Barbara Nüsse als alter Liebhaber Nanas – und Gegenspieler Saccards – mit reduzierten Mitteln das atemraubende Porträt eines Mannes, der sich für ein paar Berührungen bis auf die Knochen demütigen lässt. Ein Gebrochener, ein Krummer, ein Verendender, der sich am letzten Funken festklammert und alles dafür gibt, sich für Sekunden noch einmal lebendig zu fühlen.

End- und Wendepunkt?

"Geld" ist ein anstrengender Theaterabend. In zwei Stunden hat Luk Perceval eine Menge Handlung gepackt. Auf der wellenförmigen Bühne mit den Schreibmaschinen gibt es kaum eine optische Orientierung, was gerade verhandelt wird. Die Szenen wechseln rasant, wer nicht aufpasst, verliert schnell den Anschluss. Die Konzentrationsleistung lohnt sich. Denn Perceval gelingt ein analytischer Blick auf gesellschaftliche Konstellationen, und das grandiose Ensemble schafft immer wieder körperlich explosive, berührende Momente. Gegenfigur zur diabolischen Nana ist die aufrechte Denise, eine vom Lande stammende Verkäuferin aus "Paradies der Damen". Sie interessiert sich für sozialistische Ideale und lässt sich nicht verführen. Patrycia Ziolkowska verkörpert die Stimme der Vernunft und der Hoffnung.

Im monumentalen Hochofen, der über der Bühne in der Gießereihalle des Landschaftsparks in Duisburg schwebt, krabbeln Musiker herum. Ferdinand Försch hat einen Soundtrack aus industriellen Schlägen und bedrohlichen Bässen komponiert, der filmmusikalisch die Emotionen untermalt. So entsteht eine besondere Stimmung, die sich im nächsten Jahr verstärken wird, wenn die Handlung unter Tage spielt. Luk Perceval hat angekündigt, die Zola-Trilogie sei ein End- oder Wendepunkt seiner Arbeit, so wie es der Shakespeare-Marathon "Schlachten" vor 17 Jahren war. Im kommenden Jahr sollen alle drei Teile komplett aufgeführt werden, bei der Ruhrtriennale und in Hamburg. Damit will Perceval seine Zeit als leitender Regisseur am Thalia-Theater beenden. Acht bis neun Stunden dieses hochkonzentrierten, komplexen Theaters - das wird eine Riesenherausforderung für alle Beteiligten, auch für die Zuschauer. Es könnte ein unvergessliches Erlebnis werden.

Geld. Trilogie meiner Familie 2
nach Emile Zola
Regie und Bearbeitung: Luk Perceval, Bühne: Annette Kurz, Kostüme: Ilse Vandenbussche, Licht: Mark van Denesse, Dramaturgie: Susanne Meister, Jeroen Versteele, Musik: Ferdinand Försch.
Mit: Patrick Bartsch, Stephan Bissmeier, Ferdinand Försch, Pascal Houdus, Marie Jung, Barbara Nüsse, Sebastian Rudolph, Gabriela Maria Schmeide, Maja Schöne, Rafael Stachowiak, Oda Thormeyer, Tilo Werner, Patryczia Ziolkowska.
Dauer 2 Stunden, keine Pause.

www.ruhrtriennale.de

 

Kritikenrundschau

Hubert Spiegel sah für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (9.9.2016) ein "hochverdichtetes Gesellschaftspanorama, das manchmal in Mosaiksteine zerfällt" und "dessen Zusammenhänge ohne vorbereitende Lektüre nicht immer zu durchschauen sein dürften." Allerdings: "Dort, wo die Handlung allzu kompliziert ist, werden Geste und Symbole oft überdeutlich." So vollführen zum Beispiel Männerunterkörper "eindeutige Bewegungen", um zu verdeutlichen, "woher der Kapitalismus die Energie bezieht." Anderes sei "indes weniger leicht zu verstehen."

 "Kann so etwas gutgehen?", fragt Bernhard Doppler gleich zu Anfang in seiner Besprechung für der Standard (8.9.2016). "Über Abgründe geturnt wird etwas weniger" in diesem zweiten Teil von Percevals Zola-Riesenwerk, dafür ist "Szenenfolge ist viel rasanter und verschiebt sich daher manchmal ein wenig zu sehr in die kulturgeschichtliche Belehrung."

"War das Tempo der Szenenmontage bereits im ersten Teil 'Liebe' vor einem Jahr ziemlich hoch, so legt Perceval nun bei 'Geld' noch eine Schippe drauf", findet Karsten Mark von den Ruhrnachrichten (8.9.2016).  "Wie im ersten Teil" glänzt Perceval hier "mit einem glänzenden Ensemble". Nur zum "Zurücklehnen taugt dieses Stück nicht."

Perceval verdichte Zola drei Bände Zolas "in einer unermüdlich suchenden Radikalität", schreibt Frauke Hartmann in der Frankfurter Rundschau (4.10.2016). Im Medium des Theaters entstehe hier etwas völlig Neues. Es ergebe sich eine ganz andere, intensive Form von Präsenz. Die Sätze der Schauspieler "erscheinen als Sprechblasen aus einer anderen Welt".

"Das Theater lebt von solchen Stoffen, und Perceval gelingt das Kunststück, Zola auf allgemeingültige Konflikte zu verdichten", schreibt Simone Kaempf in der taz (5.10.2016). "In starken Momenten fügen sich Text, Musik, Raum zu einer albtraumhaften Bühnensetzung aus der Urzeit des Kapitalismus, die Vergnügungssucht genauso wie Entmenschlichung provoziert." Jenseits solcher suggestiven Szenen tue sich der Abend schwer, die Schicksalswege differenziert zu entwickeln. Kein richtig große Coup also, aber: "Was Perceval aus Zola an menschlicher Hybris hervorholt, ist von einer Kraft, die man im Moment nicht oft zu sehen bekommt."

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