Der gute Mensch vom Schiffbauerdamm

von Dirk Pilz

20. September 2016. Diesmal zu Claus Peymann. Der Mann ist Künstler und Intendant, Jahrzehnte schon, und immer Garant für Streit und Stress. Peymann? Kunst? Dem Gros der theaterkritischen Kolleginnen und Kollegen gelten seine Inszenierungen inzwischen als so wenig diskussionswürdig, dass sie im Kopf bereits abgehakt sind, noch bevor Peymann mit den Proben begonnen hat. Er hat oft beklagt, vornehmlich die Berliner Presse begegne ihm mit Hass. Die Wahrheit ist, sie begegnet ihm mit Häme und Herablassung. Das ist peinlich, man schämt sich für die eigene Zunft. Mir fallen auch wenige Peymann-Inszenierungen der vergangenen zehn Jahre ein, die ich zu loben gewusst hätte, ja. Aber man hüte sich vor abschließenden Urteilen. Was heute als verstaubt gilt, wird morgen schon hochgejubelt. Die Kunst hat keine naturgegebenen Kriterien für Gelungenheit, ihre Geschichte keinen Begriff von Fortschritt.

Unmoralisches Handeln

Das vorweg, man muss es betonen, um falsche Vermutung zu unterbinden, ich schriebe hier aus Abscheu vor der Peymann-Kunst. Ich schreibe über den Intendanten. Als Intendant hat er vergangene Woche die Presse in sein Berliner Ensemble gebeten. Aufschlussreich bereits seine Einleitung: Früher, als Chef am Burgtheater, anfangs auch noch in Berlin, habe er alle drei, vier Monate zur Pressekonferenz geladen. Aber er habe das bald gelassen: "Es waren keinerlei Wirkungen zu erkennen." Die Presse hat Peymann nicht nach dem Mund geschrieben, also redet er nicht mit ihr: interessantes Verständnis von Presse in demokratischen Verhältnissen. Die Herren Putin, Erdogan, Orban werden ihn bestens verstehen.

kolumne 2p pilzDanach verkündete Peymann die Pläne für die kommende Saison, bekanntlich seine letzte als BE-Vorsteher. Im Sommer folgt nach 18 Peymann-Jahren in Berlin Oliver Reese ihm nach. Es ist für Peymann natürlich alles toll, was er an seinem Haus veranstaltet, viel toller als alles, was die anderen machen. Aber das machen gemeinhin die Intendanten dieser deutschen, neidgeplagten, missgestimmten Theaterwelt immer so: sich loben, die anderen herabsetzen. Es macht nur keiner so gut wie Peymann.

Derlei Gebaren muss man sich leisten können, finanziell wie moralisch. Peymann glaubt, er könne es sich hervorragend leisten. Das muss man wissen, um seine Tiraden wider die Berliner Kulturpolitik und Oliver Reese zu begreifen. Die Politik, sagt Peymann, gehe schmuck- und würdelos mit den Künstlern um, Reese respektlos mit den jetzigen Mitarbeitern am BE. Das Haus werde "leergeputzt", das Ensemble "vernichtet", das Theater "ausgelöscht wie der Palast der Republik". Von den gut 80 Angestellten im künstlerischen Bereich müssten 65 bis 70 gehen, darunter 35 Schauspieler. Der Senat nennt zwar andere Zahlen, aber das ist nicht der Punkt. Auch nicht, dass Peymann selbst damals gut 30 Schauspieler entließ, als er 1986 das Burgtheater übernahm.

Der Punkt ist, dass er, Peymann, der Politik und Reese unmoralisches Handeln vorwirft.

Humanes Theater?

Peymann fordert von der Kulturpolitik, dass sie "Reese zur Besinnung" rufe, und er fordert vom Senat einen Sozialplan für die künftig Beschäftigungslosen zu finanzieren; von gut einer Million Euro ist die Rede. Vor allem die älteren Schauspieler müssten künftig sonst von Hartz IV leben. "Ich vertrete ein humanes Theater, in dem die Alten nicht aussortiert werden", so Peymann.

Das muss man erklären, um die Perfidie solcher Sätze zu erkennen. Das BE ist eine GmbH, Peymann der alleinige Gesellschafter. Das Haus gehört nicht zum Bühnenverein, es verzichtet, auf Peymanns ausdrücklichen Wunsch, auf tarifrechtlichen Schutz, vor allem für jene, die länger als 15 Jahre am Haus sind. Seit Jahren hat er seinen Schauspielern lediglich Jahresverträge gegeben, immer für eine Saison. Er brüstet sich damit, die Schauspieler stets im Oktober bereits über eine Verlängerung oder Nicht-Verlängerung des Vertrags informiert zu haben. Aber er hat das getan, um maximal flexibel zu sein: Passte ihm jemand nicht, war er ihn schnell wieder los. Man habe als Intendant auch eine soziale Verantwortung, nicht nur eine künstlerische, hält Peymann Reese entgegen. Schöne Worte. Peymann selbst hat sich nicht daran gehalten.

Er preist die GmbH-Struktur ja als "verlockende Konstruktion", als "gut ausgedacht". Das war sie: für ihn. Das Haus konnte so Gewinne erwirtschaften und sich große, teure Produktionen leisten, von Robert Wilson zum Beispiel. Die Kosten trugen die Angestellten: Sie bezahlten durch maximale Unsicherheit.

Der Betriebsrat, sagt Peymann, habe nie "ultimativ" gefordert, dass diese Konstruktion geändert werde. Und er habe immer im "moralischen Glauben" gehandelt, dass sich niemand "als Sau" verhalte, so wie es nun geschehe.

Avantgarde der Theaterunternehmenskultur

Die "Sau" in diesem Stall ist allerdings Peymann. Nicht nur, dass – wie die Senatskanzlei zurecht betont – Reese lediglich die auslaufenden Verträge nicht verlängert, was Peymann zwar zynisch findet, aber nicht zynischer ist, als seine Praxis der Jahresverträge. Nicht nur auch, dass er selbst seine künstlerischen Mitarbeiter in jene Situation gebracht hat, die er nun beklagt. Er verhält sich wie das Management der Commerzbank und Deutschen Bank in der Finanzkrise: Erst nutzte es die Gegebenheiten des Finanzsystems maximal aus, als es zerbrach, rief es nach dem Staat und nach der Moral – und stellte sich dumm.

Peymann reklamiert jetzt den Anspruch auf Naivität für sich: Er habe immer an die Moral geglaubt. Naiv war Peymann jedoch noch nie, immer schon berechnend. Es folgen die entscheidenden Sätze dieser denkwürdigen Pressekonferenz: "Warum sollen wir nicht naiv und im guten Glauben sein? Das postulieren wir doch auf der Bühne." Im Theater, fügt er hinzu, gebe es eine Verbindung zwischen dem eigenen und eingeforderten Handeln.

Das ist die Lebenslüge dieses Theaters: Es gibt diese Verbindung nicht. "Ich glaube noch an die 'Erziehung des Menschengeschlechts' durch Kunst. Ich bleibe ein Weltverbesserer, das macht mich heute zu einer anachronistischen Figur", gab er vor drei Jahren in einem Interview an. Er ist keine anachronistische Figur, er ist die Avantgarde in einer Theaterunternehmenskultur, in der immer nur die anderen schuld sind und mit Moral das eigene unmoralische Verhalten entschuldigt wird, um alles auf andere abzuwälzen. Das Schlagwort dafür heißt Neoliberalismus, der Lieblingsgegner der Theater – weil es ein so enger Verwandter ist.

Nach ihm, sagt Peymann, kämen "die Schlitzis", die aalglatten, morallosen Theaterbewirtschafter. Er hat wirklich "Schlitzis" gesagt und nicht sich selbst gemeint.

Sorry, das ist diesmal etwas länger geworden. Aber es musste sein. Noch ist die Hoffnung nicht getilgt, dass sich an diesen Verhältnissen etwas ändert, ehe die Verhältnisse die Theater wegwischen.

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.

 

Zuletzt entdeckte Dirk Pilz an dieser Stelle Verfallssymptome beim Deutschen Bühnenverein.

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Kommentare  
Pilz über Peymann: alles über Reese
Aber perfide, lieber Dirk Pilz, ist doch, dass Sie hier kein Wort über das Verhalten des neuen Intendanten schreiben. Hatten Sie das alles Jahre lang zurückgehalten, was Sie jetzt über Peymanns schreiben, und in einer Dekade hörn wir erst alles über Reese?
Pilz über Peymann: eher ein Peachum
Wie sagt der grobe Volksmund so fein: Die Gewinne privatisieren und die Verluste sozialisieren. Peymann hat daraus eine hohe Kunst gemacht. Die Gewinne in die eigene künstlerische Identität investieren und die prekäre Situation seiner Künstler am Ende durch den Senat sozialisieren lassen. Der lahme Reißnagel eröffnet der Gesellschaft seine Rechnung für nicht geleistete Gesellschafskritik. Für mich eher ein Peachum, der seine Künstler für drei teure Groschen in hochbezahlte Kostüme steckt, um sie am Ende ohne einen Cent nach Hause zu schicken und dafür auch noch andere anklagt.
Pilz über Peymann: besser schützen
Danke für diesen Kommentar - und die präzisen Worte. Ungeachtet der Tatsache, dass CP von seiner Geschäftsführung offensichtlich falsche Zahlen bekommt, wirkte für mich als Außenstehender die ganze Veranstaltung peinlich. Ich mache mir Sorgen um Herrn Peymann. Können die Damen, die in irgendwelchen Positionen um ihn herumschwirren, ihn nicht besser vor sich selbst schützen? Wieso lässt man es zu, dass er sich so demontiert!
Pilz über Peymann: nicht erst seit Peymann
Naja, das Berliner Ensemble war schon seit 1992 eine GmbH, nicht erst seit Peymann. Nach den Jahren mit den unsäglichen 5er-, dann 4er-, dann 3er-Intendanzen, dann Heiner Müller, dann Martin Wuttke, dann Stephan Suschke und das alles in einer sehr kurzen Zeit, war das Haus in einer ziemlich chaotischen Situation, die Peymann schon ziemlich bald stabilisiert hat. Ob das Berliner Feuilleton "seine Inszenierungen inzwischen als so wenig diskussionswürdig, dass sie im Kopf bereits abgehakt sind, noch bevor Peymann mit den Proben begonnen hat", ist ja relativ belanglos, so lange sein Haus zu den bestbesuchtesten der Stadt gehört. Da kann man mit der gleichen Häme ggf. über Touristen, Schulklassen und altem Bürgertum lästern, auch die haben ein gutes Theater verdient. Und eine GmbH hat eben ganz andere Zwänge als ein rein städtisches Theater. (Da kann auch die Schaubühne ein Lied von singen.)
Dass Peymann sich mit der von ihm selbst zu verantwortenden Misere der Jahresverträge für die Künstler quasi ins eigene Bein geschossen hat, das bleibt als bitterer Geschmack für die Betroffenen zurück.
Trotzdem fänd' ich ein bisschen weniger Häme und Kopfschütteln manchmal auch ganz angebracht. Ich werde sein Theater jedenfalls vermissen.
Pilz über Peymann: verantwortlich
@3: er ist selber Geschäftsführer. Und Gesellschafter. Und Intendant. Er ist verantwortlich, und das macht seine Aussagen so gemein. Nicht peinlich, nicht 'ach je der Claus'.
Wenn man sich angesichts dieser Vorgehensweise auch noch so selbst beweihräuchern kann (...)
Danke für diesen ausgesprochen klaren Kommentar, Herr Pilz.
Pilz über Peymann: Reißwolf-Sätze
Ich machte mir spätestens Sorgen um das Berliner Theater als Herr Peymann das BE einst übernahm mit der öffentlichen Ankündigung, dass es für i h n überhaupt kein Problem sei, er würde die restlichen Theater in Berlin auch noch übernehmen können, das damals aktuell von Abwicklung bedrohte Schlossparktheater z.B. als kaum erwähnenswerte Lappalie... Ich glaube, er hat nie damit gerechnet, dass einer, oder vielleicht sogar Publikum, so gut zuhört, wenn er wieder einmal die Presse zwecks Verbreitung seiner Reißwolf-Sätze geladen hatte - auch den Ober- und Untertönen. Und ich denke, er war einverstanden mit Reese, wenigstens mit dem; er musste als Alleingesellschafter ja wohl doch gefragt werden?
Pilz über Peymann: was nicht ganz stimmt
Hier werden einige Dinge nicht ganz richtig dargestellt bzw. vermischen sich zu seltsamen Ergebnissen:
Die Tarifregelungen des Bühnenvereins bieten für die künstlerischen Mitarbeiter so gut wie gar keinen Schutz. Die einzige nennenswerte Absicherung für Künstler ist die 15-Jahre-Regel, die jedoch meistens so umgangen wird, indem in Spielzeit 14 das Engagement nicht verlängert wird.
Aus dem Bühnenverein tritt man in der Regel aus, um sich vom TVöD zu lösen, dessen Tarifsteigerungen und sonstigen Regelungen existenzbedrohend sein können, besonders dann, wenn man ein Orchester am Haus hat (Siehe Baumol’s Disease). Und ob ein Theater eine GmbH oder landeseigener Betrieb ist, spielt dabei erst einmal keine Rolle.
Dass Schauspieler einfach zu kündigen sind oder umgekehrt wenig Sicherheit haben, ist genau der SINN des Normalvertrag Bühne des Bühnenvereins, um für das Haus größtmögliche künstlerische Gestaltungsfreiheit zu haben. Das man nun schwerlich Herrn Peymann anlasten denn es ist eben nicht Peymanns „Praxis der Jahresverträge“, sondern die des DBV.

Zur GmbH: Es klingt hier öfters an, dass der Hintergrund, um ein Theater als GmbH zu betreiben, Gewinnstreben sei. Dies ist vollkommener Unsinn. Man wählt diese Rechtsform, um nicht als Teil der Landes- oder Kommunalverwaltung („als Amt“) existieren zu müssen und umgeht damit alle Facetten des bürokratischen Irrsinns eines Amtes. Ein Großteil der Theater in Deutschland wird genau aus diesem Grund mittlerweile als GmbH oder in ähnlich privatrechtlicher Form geführt.

Und dass das BE Gewinne macht, ist schlichtweg falsch. Den letzten Jahresüberschuss hat das BE im Jahre 2010 (etwa 250.000 €) gemacht und damit die Verluste der Folgejahre ausgeglichen. Dazu genügt ein Blick in den Haushaltsplan, der für jedermann im Netz einsehbar ist. Die Behauptung, dass man mit Gewinnen eine Robert Wilson Produktion finanziert, ist vollkommen realitätsfern und lässt auf mangelnde Sachkenntnis des deutschen Theaterbetriebs schließen. Für so eine Produktion müsste man ganz andere Gewinne auffahren.
Die Tatsache, dass Herr Peymann Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der GmbH ist, der wiederum den Intendanten bestimmt, ist ebenfalls Makulatur. Wenn der Senat die Zuschüsse an die GmbH einstellt (was er, eben weil es eine private Gmbh ist, sehr leicht tun kann) ist Peymann im selben Augenblick insolvent und die Gesellschaft damit aufgelöst.

Mal ganz abgesehen davon, steht das BE, was die Finanzierungslage und die damit verbundene Legitimation für öffentliche Zuwendung betrifft, im Berliner Vergleich glänzend da. Bei „nur“ 12,1 Mio. € Zuwendung vom Land erwirtschaftet das BE einen Umsatz von 4,5 Mio. € (Zahlen von 2012). Zum Vergleich: Die Volksbühne erhält 17,5 Mio. € und nimmt dabei lediglich 2,5 Mio. € ein.
Ähnlich erfolgreich wie da BE ist in Berlin nur noch die Schaubühne (14,7 Mio. Zuschuss, 4,6 Mio. Einnahmen). Interessanterweise wird der Schaubühne jedoch nie vorgeworfen, dass sie als private GmbH existiert und die gleichen, unsicheren Bedingungen für die künstlerischen Mitarbeiter hat wie das BE. Die Schaubühne ist zwar im Bühnenverein, aber das Ensemble ist erstens relativ jung und wird zweitens kontinuierlich durchgewechselt, so dass dort niemand auch nur in Sichtweite der 15-Jahre Klausel kommt.

Bei aller Kritik und allem Unmut, den Herr Peymann evoziert, erwarte ich besonders von Nachtkritik, dass in der Sache korrekt und in der Kompetenz auf Augenhöhe mit dem jeweiligen „Gegner“ diskutiert wird.
Pilz über Peymann: danke für Übersicht
Danke, Herr Schmidt, für die Übersichtlichkeit der Versachlichung dienenden Argumente.

Ich frage mich, wie ein Kommentar wie #6 hier zugelassen werden kann. Selbst wenn niemand namentlich genannt wird, ist er verunglimpfend gedacht und offenbar zu keinem anderen Zweck abgeschickt.

(Liebe/r nbeat, danke für den Hinweis. Der Kommentar, den Sie meinen, ist jetzt abgeschaltet. MfG/die Redaktion)
Pilz über Peymann: danke für Versachlichung
@8
Danke für diesen Beitrag zur Versachlichung. Soviel Häme hat Herr Peymann dann doch nicht verdient.
Pilz über Peymann: es geht um die Doppelmoral
@8: guter Einwand. Aber es geht ja weniger um die Umstände, unter denen Herr Peymann arbeitet, als um die Scheinheiligkeit und Doppelmoral, mit der er kommuniziert.
Pilz über Peymann: kein Abfindungsanspruch
@8:
wenn die betroffenen einen nv bühne hätten, stünde ihnen eine abfindung wegen intendantenwechsels zu. dank peymanns entscheidungen nicht.
Pilz über Peymann: Peymann lädt zum Polemisieren ein
Natürlich wird hier auch polemisiert, weil Peymann ja nun auch dazu einlädt durch seine hochtrabende, bigotte Moral. Man kann ja so eine Gesellschaftsform auch zum Vorteil der Künstler führen und nicht gleich versuchen auch noch die wenigen Regelungen zum Schutz im NV-Solo auch noch zu umgehen. Da hätte es doch ebenso Gestaltungsraum gegeben , der bewusst nicht genutzt wurde.
Pilz über Peymann: sachlich klug
#7 Vielen Dank, Herr Schmidt. So sachlich kluge Texte liest man selten.
Pilz über Peymann: Gentlemen's Agreement funktioniert nicht
@11 Einwand + Nachtrag
Ein kleiner Nachtrag meinerseits. Dieser Aspekt hat platztechnisch nicht mehr in meinen ursprünglichen Beitrag gepasst:

@Einwand "Abfindung":
Da haben Sie vollkommen recht. Und das ist genau der Aspekt, den Peymann mit dem "moralischen Glauben" anspricht.
Bei Intendanzwechsel gibt es traditionell eine Art Gentlemen's Agreement unter Intendanten. Das sieht in etwa so aus, dass der neue Intendant bei SEINEM bisherigen Ensemble (und explizit den Kollegen des älteren Semesters) nachfragt, ob sie bereit sind, in ihrem ggf. höheren Alter noch einmal den Wohnort und den Lebensmittelpunkt zu wechseln, um mit an das neue Haus zu gehen. Wollen diese Kollegen das NICHT, setzt sich der Intendant bei seinem Nachfolger dafür ein, dass er den betreffenden Kollegen übernimmt. (15 Jahre Klausel hin oder her).
Gleichsam tritt der NEUE Intendant auf das vorhandene Ensemble im NEUEN Haus zu, und bespricht mit dessen Intendanten die Übernahme von altgedienten Ensemblemitgliedern. Bei diesem Vorgang spielt der Bühnenverein so gesehen auch erst einmal keine Rolle. Man darf auch nicht vergessen: die 15 Jahre Klausel trifft auf die wenigsten Kollegen, da sie dafür DURCHGEHEND 15 Spielzeiten in Folge engagiert sein müssen. (Nebenbei war diese Regelung ursprünglich zur Absicherung von Tänzern gedacht, wobei sie hier meist das genaue Gegenteil bewirkt, nämlich, dass noch früher gekündigt werden.)

Dieses Agreement scheint offenbar bei Reese/Peymann nicht zu funktionieren.
Peymann ist jetzt natürlich der Dumme, weil er nicht mal mehr auf den Bühnenverein zurückgreifen kann.
Man muss sich immer klar machen, dass der Bühnenverein der ArbeitGEBERverband ist und es implizit so gewollt ist, dass Schauspieler ausgewechselt werden können, damit ein Haus künstlerisch lebendig bleibt. Davon kann man halten, was man will.
Wie es aussieht, wenn dem nicht so ist, kann man gut am Wiener Burgtheater sehen. Dort versauern Generationen von Schauspielern auf der Ersatzbank, weil ein Heer von Unkündbaren Kollegen die entscheidenen Rollen spielt. Deswegen spricht man branchenintern auch von einem Todesurteil, wenn ein jüngerer Schauspieler ein Angebot von der Burg bekommt und dieses auch annimmt.
Pilz über Peymann: juristisches Instrument
@11: ich weiß nicht so recht. Ich bin kein Arbeitsrechtler, aber wenn man nicht im Tarif ist, sollten eigentlich die 'normalen' Regelungen greifen. Da würde ich nach 14 Jahren am Haus dann einfach mal Kündigungsschutzklage einreichen und sehen war der Arbeitsrichter dazu sagt.
Pilz über Peymann: auch nicht ganz korrekt
Sehr geehrter Herr Schmidt,

jetzt tragen Sie aber selbst dazu bei, dass "einige Dinge nicht ganz richtig dargestellt" werden bzw. "sich zu seltsamen Ergebnissen" vermischen:

1) Richtig ist, dass der NV Bühne des Deutschen Bühnenvereins von einer "Unkündbarkeit" nach 15 Jahren ausgeht. Claus Peymann wird Ende der Spielzeit 17 Jahre Intendant des BE sein, d.h. der eine oder andere Künstler dürfte die 15 Jahre voll haben, nachdem Herr Peymann selbst für sich in Anspruch nimmt: "Ich vertrete ein humanes Theater, in dem die Alten nicht aussortiert werden." (Es wäre interessant zu erfahren, ob und wie viele von der Regelung tatsächlich erfasst worden wären!)

2) Sie stellen richtig dar, dass das BE nicht Mitglied des Deutschen Bühnenvereins ist (warum auch immer, darauf kommt es nicht an - auch wenn es wohl nicht am Orchester lag!) und deshalb der NV Bühne nicht anwendbar ist. Deshalb geht es hier auch überhaupt nicht um die „Praxis der Jahresverträge“ des Bühnenvereins, sondern selbstverständlich und ausschließlich um die des Herrn Peymann. Es geht auch nicht darum, ob es Sinn des NV Bühne ist, "Schauspieler einfach zu kündigen" oder ihnen "wenig Sicherheit" zu geben, "um für das Haus größtmögliche künstlerische Gestaltungsfreiheit zu haben". Denn völlig unstreitig ist der NV Bühne hier doch gar nicht einschlägig!

3) Es geht hier allein darum, wie Herr Peymann sein Theater organisiert hat und ob er seine Schauspieler hätte besser schützen können (und wollen!). Sei es durch Eintritt in den Bühnenverein (s.o.) oder durch ganz schlichte unbefristete Verträge (die sind nämlich nicht verboten!). Das hat er aber nicht und ich unterstelle mal, dass er es auch nicht wollte (es wäre nämlich nicht schwer gewesen).

4) Es ist nun kein Geheimnis, dass der auf deutschen Bühnen formulierte moralische Anspruch selten mit der hinter der gleichen Bühne vorherrschenden Wirklichkeit in Einklang zu bringen ist. Ich wollte da Herrn Peymann nicht einmal vorwerfen, dass er die bestehenden Möglichkeiten in der "verlockenden Konstruktion" voll ausgeschöpft hat - aber gleichzeitig seinen designierten Nachfolger (der ebenfalls die bestehenden Möglichkeiten ausschöpft) indirekt als "respektlos", "unmoralisch" und "Sau" zu beschimpfen, das ist schon beschämend!

5) @Peymann: Die schärfsten Kritiker der Elche, waren früher selber welche. (F.W.Bernstein)
Pilz über Peymann: wenigsten Haltung
@16 Bill

Lieber Bill,

alles was Sie sagen, ist doch vollkommen legitim und steht in keinerlei Widerspruch zu dem, was ich geschrieben habe.
Natürlich geht es darum, wie Peymann sein Theater organisiert. Aber gerade dafür muss man doch einen Vergleich mit den branchenüblichen Gegebenheiten, also NV-Bühne, heranziehen.
Die Frage ist dann letztendlich, ob man Peymann vorwerfen kann, dass er seine Leute nicht BESSER als branchenüblich geschützt hat, also mit unbefristeten Verträgen. Das macht in der Theaterbranche aber niemand.

Und dass Herr Peymann gerne mal über das Ziel hinausdröhnt, ist wirklich keine Neuigkeit und offenbar sein Charakter. Das kann man mögen oder nicht.
Nur: Fehlende Haltung und mangelndes Rückrat kann man ihm nicht vorwerfen. Es einer der wenigen Intendanten, die noch öffentlich Position beziehen und für ihre Wertvorstellungen eintreten - und auch Spott und Häme in Kauf nehmen.
Man kann seine Ansichten altbacken, ewig gestrig oder sonstwie falsch finden - aber Haltung haben heute die wenigstens Intendanten, obwohl es Teil ihrer gesellschaftlichen Verantwortung ist.
Pilz über Peymann: gerechte Lösungen
Nun Herr Schmidt, alles klug gedacht, aber wenn einer so schlitzig ist seine Schauspieler beim Restschutz derartig über's Ohr zu hauen, was mag der erst für Talente haben seine Bilanz zu frisieren, so wie er seine Moral hochtoupiert. Es würde ja häufig einfach reichen, ehrlich zu sein mit sich und den Kollegen, und zu sagen, ja, auch ich trage Verantwortung an der Misere.

Schon lange vermeide ich es auszusprechen , es gibt unlösbare Konflikte unter Menschen. Wahrhaftig ist der, den es nicht schreckt zuzugeben, dass auch er sie nicht lösen konnte. Aber man arbeitet eben weiter an gerechteren Lösungen. Peymann nicht.
Pilz über Peymann: Spielzeitheft lesen
Lieber Herr Schmidt, woher wissen sie denn das es an der Schaubühne keiner in die Unkündbsrkeit geschafft hat. Nehmen sie doch mal das Spielzeitheft und schauen wie lange die einzelnen Schauspieler da sind.So sachlich finde ich ihre Polemik ganz und gar nicht.
Bei der 18 jährigem Peymann Intendanz hätten es viele von den Alten in die Unkündbarkeit geschafft und gerade die armen Alten bedauert er doch gerade öffentlich.
Pilz über Peymann: Ablenkungsmanöver
Lieber Herr Schmidt,

ich muss noch einmal widersprechen, denn ihre Darstellung versucht, vom eigentlichen Problem abzulenken.

Vorwerfen kann und will ich Herrn Peymann nur eines, das aber sehr deutlich (und in dieses Horn stößt wohl auch die Kolumne): wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!

Ich meine auch, dass das weder mit seinem Charakter zu entschuldigen ist, noch für eine besondere "Haltung" oder "Wertvorstellung" spricht - sondern eben gerade dagegen!

Auch wenn es unerheblich ist: ich habe sonst nichts gegen Herrn Peymann, kenne ihn nicht, erinnere aber eine gute Inszenierung von ihm an der Burg und finde sein Theater zwar nicht das beste aber auch nicht das langweiligste in Berlin.

Herzliche Grüße, Bill
Pilz über Peymann: leider zutreffend
Lieber Herr Pilz,

nach langer Zeit mal wieder ein Text auf Nachtkritik über den man in seiner schärfe zumindest schmunzeln kann. Leider ist er in der Sunstanz vollkommen zutreffend.
Pilz über Peymann: genaue Zahlen, bitte
Dieser pauschale Peymann-Hass ist schwer auszuhalten. Fakt ist, dass er die alten Schauspieler nicht gekündigt hat, sonst wären sie nicht so lang da, Reese sie jetzt anscheinend zum großen Teil kündugt. Dass Schauspieler von einem Jahr aufs nächste gekündigt werden können, ist theaterüblich, dass ein Theater eine GmbH ist, immer häufiger. Ebenso passiert es immer öfter, dass Theater versuchen, die Unkündbarkeit zu umgehen. Ich habe das Gefühl, dass die gleichen Leute, die sonst den Bühnenverein für eine Erfindung des Teufels halten, hier Peymann vorwerfen, dass er nicht Mitglied ist. Zur Klarstellung: ich finde Peymanns Theater schrecklich und ibn auch - aber das nimmt ihm nicht das Recht, sich für seine gekündigten Schauspieler einzusetzen. Wenn Reese wirklch niemand von einem so großen Ensemble übernimmt, ist das eine harte Entscheidung. Könnte nicht Nachtkritik mal genaue Zahlen erfragen. Es gibt immer nur tendenziöse Äußerungen wie: alle raus oder einige wollten gar nicht.
Pilz über Peymann: höchste Platzausnutzung
Im Übrigen sollte man sich Gedanken darüber machen, wie es möglich ist, daß das von der Kritik abgelehnte Haus über den höchsten Einnahmeanteil und die höchste Platzausnutzung verfügt.Selbst wenn der BE-Tourismus den wesentlichen Beitrag zu diesen Zahlen leistet, klafft hier eine bedenkliche Wahrnehmungslücke.
Pilz über Peymann: nutzlose Erklärungen
#23 Dankeschön! Dazu fallen mir viele Erklärungen ein. Bringt aber nicht viel, die hier auszuführen.
Pilz über Peymann: nicht gut
Das es woanders ähnlich ist, heißt ja noch lange nicht, dass es gut ist.
Pilz über Peymann: nicht allgemeingültig
Naja, Herr Baucks, was gut IST oder nicht, so weit gehe ich persönlich nicht, das zu sagen. Ich lege Wert darauf, dass ich etwas gut finde, was jemand anders schlecht finden kann. Ich finde, vieles im Feuilleton stimmt verdrießlich, weil Menschen sagen, was gut sei. Das klingt für mich oft sehr überheblich. - Ich finde das Theater von Claus Peymann sehr gut. Wenn es anderen auch so geht, freut mich das. Wenn nicht, dann eben nicht. Das ist aber nie allgemeingültig.
Pilz über Peymann: vertragliche Absicherung
Ich bezog mich eher auf die Vertragsverhältnisse von Schaupieler. Die sind überall ungefähr gleich schlecht , aber Peymann vermag auch das noch zu toppen. - Wie oft wurde es hier schon gesagt: Die Schauspieler sollten nicht allein auf den guten Willen der Intendanz angewiesen sein. Das ist ein schreckliches Abhängigkeitsverhältnis, das sich durch nichts beschönigen lässt. Wie soll man jemanden offen kritisieren von dem man wirtschaftlich direkt abhängig ist?! Die Intendanten müssen in ihrer Macht eingeschränkt werden, massiv eingeschränkt werden, das ist doch der entscheidende Punkt. Wer will denn schon in der Abhängigkeit zu der Naivität und Moral von einem Peymann arbeiten und leben? Davon will man doch nun wirklich nicht abhängig sein. Man sollte als Schauspieler vertraglich so gesichert sein, dass es einem im Notfall auch egal sein kann, was Peymann gerade wieder so heraushaut . Das ist der Punkt.
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