Zukunft ohne Sorgen

von Gerhard Preußer

Düsseldorf, 24. September 2016. Der "Schwebezustand, in dem Rauscherfahrung und Nüchternheit, Selbst- und Fremdbeobachtung, Pflichterfüllung und Zerstreutheit" sich verbinden – ein schönes Ideal, ein Ideal mit einer langen literarischen Ahnenreihe, die bis zu Flauberts "impassibilité" und Robert Musils tagheller Mystik im "anderen Zustand" reicht. Für Leif Randt ist dieser Zustand "postpragmatisch". Er steht im Mittelpunkt seines im letzten Jahr erschienenen Zukunftsromans "Planet Magnon". Und dieses Magnon ist eine Droge, die diesen Schwebezustand noch intensiviert und verstetigt.

Ein neues, bekanntes Zeitalter

Die meisten Utopien verlängern Eigenschaften der Gegenwart in die Zukunft, um jene zu kritisieren. Auch das ferne Sonnensystem des Romans ist eigentlich unseres und die fantastische Zukunft ist unsere Gegenwart. Randt beschreibt einen gesellschaftlichen Zustand, in dem Affirmation und Kritik ununterscheidbar sind, und er beschreibt ihn mit derselben opaken Haltung.
Ein Computer-Superhirn namens Actual Sanity (AS) steuert die Gesellschaft: eine Mischung aus Big Data, Planwirtschaft und direkter Demokratie, ein postpolitischer und postkapitalistischer Zustand. Es gibt keine institutionell ausgetragenen Interessenkonflikte. Die Gesellschaft ist nach Kollektiven organisiert, die sich durch Lebensstile definieren (ganz wie die Milieus der heutigen Soziologie). Es gibt kein Individualeigentum außer einer Sammlung von Schuhen und Accessoires.

planetmagnon 01 560 sebastianhoppe uNachrichten aus einer postpragmatischen Zukunft: Rainer Philippi, Niklas Maienschein, Hanna Werth © Sebastian Hoppe

Das halbe Glück

In diese prästabilierte, aber flexible soziale Harmonie bricht ein Konflikt ein: Ein "Kollektiv der gebrochenen Herzen" genannt "Hank" verübt Anschläge und sammelt seine Anhänger auf dem Müllplaneten "Toadstool". Sie wollen "die Augen für die Gewalt öffnen, mit der wir täglich leben", sie verlangen "ein Bewusstsein für das eigene Unglück" und bieten "Restchancen auf halbes Glück". Zwei prominente Vertreter des postpragmatischen Kollektivs "Dolphin" reisen deshalb durch das Sonnensystem, sollen Hank ausspionieren und unschädlich machen. Einen "Thesenroman" hat man "Planet Magnon" genannt. Leif Randt hat nach dem Erfolg seines Romans nun für Düsseldorf ein "Spin-off" (wie sein Verlag es nennt) geschrieben: ein Thesendrama.

Randts Bühnenfassung weicht erheblich von seiner Vorlage ab. Der Roman endet unentschieden. Er schwingt sich nicht zur analytischen oder auch nur ironischen Kritik der Gegenwart auf, er bleibt in der Haltung seiner Protagonisten: gleichmütig und offen. Die Theaterfassung verdeutlicht aber die Synthese. Der Konflikt zwischen den Kollektiven der Dolphins und den Hanks wird als von der AS gesteuert erkannt ("AS unterstützt die Kritik an sich selbst, weil sie sieht, dass verunsicherte Menschen in dieser Kritik Halt finden.") und ein abtrünniger Dolphin wird im Epilog zum neuen Lenker der verbündeten Hanks & Dolphins erwählt, denn er vereinige den "Gestus der Rebellion mit dem der tiefgreifenden Reflexion". Die AS hat eine neue Meta-Stragie der Immunisierung ihres Systems der Gouvernementalität gefunden.

planetmagnon 03 560 sebastianhoppe uIm Nebel der harmonischen Unentschiedenheit  © Sebastian Hoppe

Die Düsseldorfer Uraufführung bepackt die luftigen Thesen mit schweren Bildern. Ein riesiger kupferner Braukessel prangt in der Bühnenmitte als Magnon-Symbol, eine abgebrochene Säule als Dekadenzsymbol am Rand, später kommt noch eine schwarze Riesenkugel dazu, wie eine bedrohliche Abrissbirne, die planetarische Bedrohung der perfekten AS-Harmonie (Bühne: Daniel Wollenzin). Die überraschende Liebe zum Getier, die einige Aussteiger des Planetensystems erfasst, führt dazu, dass sie sich als aufgeblähte schwarze Kakerlaken über den Bühnenboden schleifen und dabei piepsend einen Briefwechsel über verschmähte Liebe verlesen. Die Videomannschaft projiziert – ganz im Castorf-Paradigma – Großaufnahmen von intimen Momenten des postpragmatischen Propagandistenpaares, die sich irgendwo in den Hinterräumen ereignen, auf einen bühnenbreiten weißen Vorhang.

Brüllender Ekel

Vor allem aber bläst die Inszenierung Alexander Eisenachs die subtile Heiterkeit des Romantextes zu kräftiger Komik auf. Das wird plakativ, wenn die Dolphin-Protagonisten Martin (Niklas Maienschein) und Emma (Hanna Werth) beim Westphal-Kollektiv von einem grapschenden, brüllenden Ekel im Camouflageanzug empfangen werden, hat aber operettenhaften Charme, wenn Marten in einem winzigen Whirlpool von zwei halbnackten Mitgliedern des Purpur-Kollektivs bedrängt wird: drei Männer in der Dampfkiste.

So variantenreich die Inszenierung Leif Randts Gegenwartsverschiebung auch visuell verziert, sie kann den abgeklärt heiteren Ton, den ganz verborgenen sanften Zynismus von Randts gut abgemischter Prosa nicht erreichen. Und ohne diese Mischung bleibt nur lustiges Zitateraten und beschwingtes Bilderrätsellösen. Von einem "literarischen Halluzinogen" blieb nur ein schwaches theatrales Amphetamin.

 

Planet Magnon
Bühnenfassung von Leif Randt nach seinem gleichnamigen Roman
Uraufführung
Regie: Alexander Eisenach; Bühne: Daniel Wollenzin; Kostüm: Lena Schmid; Video: Fabian Koch; Licht: Konstantin Sonneson; Dramaturgie: Frederik Tidén.
Mit: Niklas Maienschein, Rainer Philippi, Nina Steils, Sebastian Tessenow, Hanna Werth.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.dhaus.de

 

Kritikenrundschau

Alexander Eisenach schickt seine Darsteller in weißen Uniformen, die aus einer dieser Raumschiff-Fernsehserien stammen könnten, in ein sperriges Bühnenbild, schreibt Dorothee Krings in rp-online (26.9.2016). An der Bühnenfassung habe Leif Randt selbst mitgearbeitet, einige Szenen ganz neu geschrieben. Auf der Bühne wölbe sich eine Kupferkugel wie der Kessel aus einem Brauhaus. "Um diesen Planeten wird beliebig herum gespielt, es gibt Live-Videoprojektionen. Das sei weder bewusster Trash, noch erschließt sich das Gehampel aus dem Text. "Dafür gerät eine Komik ins Spiel, die sich gegen den Text wendet." Das Theater könnte mit den Bildvorräten in den Köpfen seiner Zuschauer spielen, es besitze das Abstraktionsvermögen, "um den Blick auf existenzielle Fragen des Romans freizulegen". Aber "auf dieser Reise zum Planeten Magnon war davon nichts zu sehen."

 

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