Nachen ist nustig

von Martin Pesl

Wien, 22. Oktober 2016. Es gab 1978 eine Inszenierung von "Pension Schöller" an den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt, die kennt in Wien jedes Kind. Diese Version mit Maxi und Alfred Böhm gehört zu den wenigen Theateraufzeichnungen, die Menschen auf DVD besitzen. Sie ist hier so berühmt, dass viele "Pension Schöller" für eine österreichische Komödie halten, obwohl ihr Erfinder Wilhelm Jacoby und ihr Texter Carl Laufs beide aus Mainz stammten.

Berliner Stoff, Wiener Klassiker

Um den Schwank aus dem Jahr 1890 erstmals auf die Bühne des Burgtheaters zu bringen, wurde nun nicht, wie vielleicht naheläge, Herbert Fritsch als Regisseur engagiert, sondern Andreas Kriegenburg, der vor exakt einem Jahr hier nach 15 Jahren seinen Wiedereinstand mit Gorkis "Wassa Schelesnowa" beging: einem weit weniger heiteren Stoff, den er aber mit freundlichen Scherzen und nervösen Ticks in der Charakterzeichnung aufzulockern suchte.

PensionSchoeller2 560 Reinhard Werner uSMILE! Marta Kizyma, Alina Fritsch, Alexandra Henkel, Martin Vischer, Sabine Haupt, Dietmar König,
Michael Masula, Tino Hillebrand, Christiane von Poelnitz, Max Simonischek, Bernd Birkhahn
© Reinhard Werner

Nervöse Ticks haben, gelinde gesagt, auch einige Figuren im aktuellen Kriegenburg-Abend, was prinzipiell dem Thema der Geschichte entspricht: Der Spießer Philipp Klapproth will in Berlin eine Irrenanstalt besuchen. Sein Neffe nimmt ihn daraufhin zur Abendgesellschaft in Schöllers Familienpension mit, wo die urbanen Gäste eben alle ein bisschen exzentrisch sind – der Löwenjäger, der sensible Major, die Schriftstellerin – und vom Provinzler Klapproth bedenkenlos als mehr oder weniger gefährliche Geisteskranke akzeptiert werden.

Lustig oder nicht lustig???

Die Prämisse fällt hier freilich einer gewissen Unschärfe anheim, da alle Figuren von Anfang an ausnahmslos als klapsmühlentauglich durchgehen würden. Fans der biederen, getaktet pointierten Kammerspiele-Version bedient Kriegenburg jedenfalls nicht. Seine Inszenierung wirkt vielmehr wie ein angewandter Diskurs über das Lachen. Das Ensemble probiert alle Formen der Komik durch, vom Slapstick über den Klamauk und den Wortverdreher bis zu kabarettistischen Exkursen über den Schauspielerberuf. Roland Koch in der Hauptrolle des Klapproth hat da einen besonders schweren Stand. Er muss sich mit hineinimprovisiertem Text unaufhörlich um Kopf und Kragen reden, haarsträubende Eselsbrücken erfinden und so tun, als rette er sich qualvoll über Texthänger. An seiner Lust zum atemlosen Palavern steht und fällt die Energie des Abends.

PensionSchoeller1 560 Reinhard Werner u Roland Koch (Philipp Klapproth), Sabine Haupt (Amalie Pfeiffer), Christiane von Poelnitz (Josephine
Krüger) © Reinhard Werner

Und ist dieser also lustig? Das ist bei einer solchen Produktion ja die ultimative Frage. Insgesamt nein, insgesamt ist diese "Pension Schöller" eine Antikomödie, eine zehrende Angelegenheit von dreieinhalb Stunden. Ihr Statement drückt sich in einer an den Anfang gestellten Szene aus, in der Sabine Haupt eine Bananenschale in aller Vorhersehbarkeit auf einer dafür vorgesehenen Markierung platzieren soll. "Ick schäme mir", empört sie sich mehrmals (und hat damit gleich hübsch den Schauplatz Berlin eingeführt). Auch die ganze Inszenierung sagt: Ihr seid gekommen, um Komödie zu sehen, sorry, aber gerade deshalb kann und darf ich euch nicht einfach Komödie geben.

Maßgeschneidert für jeden Humor

In Einzelheiten findet sich aber natürlich trotzdem viel Lustiges. Die Kostüme von Andrea Schraad: Jenes von Martin Vischer zum Beispiel erinnert mit Hut, Stock und langen Locken an Kubricks "A Clockwork Orange". Harald B. Thors Bühnenbild: sehr lustige, sich drehende Buchstaben, in denen man wohnen kann und die das Wort SMILE bilden – wieder so ein Kommentar. Szenen ohne Pointenzwang wie aus Jacques-Tati-Filmen, etwa wenn Aenne Schwarz als kesse Friederike sich im Hintergrund umständlichst zum Sonnenbaden in der Rundung des S aufmacht. Wer traditionsbewusster lachen will, ist bei Max Simonischek am besten aufgehoben, der als Möchtegernschauspieler kein "L" hinkriegt und dem sie daher das Deknamieren des Othenno verbieten wonnen. Na, schafft er's? Oder rutscht ihm doch mal ein "L" aus? Er schafft's, virtuos.

Zweien, die sonst nicht aufs komische Fach abonniert sind, sieht man hier besonders gerne zu: Christiane von Poelnitz gibt sich in der Rolle der neugierigen Schriftstellerin Josephine Krüger höchst präzise und doch ausgelassen dem Spleen hin, und Sabine Haupt blüht sowohl anfangs als Kellner mit Conférencier-Ambitionen auf als auch später in der ganz anderen Rolle der stellvertretend verführerischen Amalie Pfeiffer, die eigentlich ihre Tochter unter die Haube bringen möchte. Andere amüsieren sich vielleicht mehr über Alina Fritschs plötzlichen Akzent, als sie denkt, ein Russe habe sie gezeugt. Dass nicht alle über alles gleich lachen können, ist ja hier auch die Meta-Message. Im Burgtheater wird sich jedenfalls gewiss an jeder Stelle jemand zum Lustigfinden finden, dieser Abend also zum Longseller werden.

Pension Schöller
von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Andrea Schraad, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Hans Mrak, Choreografie: Daniela Mühlbauer.
Mit: Bernd Birkhahn, Alina Fritsch, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Tino Hillebrand, Marta Kizyma, Roland Koch, Dietmar König, Michael Masula, Robert Mayer/Nikolaus Tiller, Christiane von Poelnitz, Aenne Schwarz, Max Simonischek, Martin Vischer.
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

"Wäre da nicht Roland Koch (..) man hätte keine Sekunde gezögert, das Theater fluchtartig bereits eine Viertelstunde nach Vorstellungsbeginn zu verlassen." Martin Lhotzky sah für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (25.10.2016) einen Abend, den er fast "nicht ertragen" hätte. Kriegenburg bestünde "darauf, die Chose auf über dreieinhalb Stunden, immerhin inklusive Pause, sprich: Fluchtkorridor, auszuwalzen." Man schäme sich für die vielen "Zoten, handgreiflich-halbpornographischen Anspielungen" und halbnackte Ärsche. Ein "Abend der Niederungen".

"So sieht's nun also aus, wenn das Burg-Ensemble drei Stunden 'Quatsch macht' – bis der Arzt kommt, etwas viel, etwas zu großspurig, aber insgesamt: Sehenswert", schreibt Barbara Petsch in der Wiener Presse (24.10.2016). Jede Figur in diesem irren Tohuwabohu wirkt auf die Kritikerin aufgeblasen bis zum Platzen. "Amüsement wird an dieser moralischen Anstalt nicht allzu oft zelebriert. Seit Matthias Hartmann gehen musste, hat der Spaß weiter abgenommen. Seit einiger Zeit aber darf man gelegentlich wieder lustig sein. Der Höhepunkt dieser Welle ist mit 'Pension Schöller' erreicht." Immerhin habe die Burg nun "ihr Silvesterstück". "Und es ist würdig und richtig, auch wenn die Aufführung dem Werk eine Substanz aufdrängt, die es nicht hat."

"Als technische Leistungsschau verdient der Abend so viel Anerkennung wie das Bundesheer, das seine Zelte aktuell neben der Burg stehen hat", so Ronald Pohl in der Wiener Tageszeitung Der Standard (24.10.2016). "Eingeschworene Parteigänger der guten Laune müssen sich trotzdem vorsehen. Gegeben wird nicht so sehr Pension Schöller. Gezeigt wird, was von dem Schwank übrig bleibt, wenn man eine Horde todesmutiger Burgmimen und -miminnen auf ihn loslässt. Der Stückkadaver bläht und dehnt sich und wächst zu schrecklicher, dreieinhalbstündiger Größe an."

Im ersten Akt braucht die Inszenierung für den Geschmack von Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (24.10.2016) "ein bisschen lang, bis sie auf Touren kommt", und der Versuch, im dritten Akt noch eine Horrorebene zu eröffnen, wirkt auf ihn etwas aufgesetzt. "Insgesamt aber ist das eine stimmige Aufführung, die immer dann am stärksten ist, wenn sie die Bühne selbst als Narrenhaus erscheinen lässt."

"Warum wird dieser 1890 uraufgeführte Bühnenschwank aus den Tiefen des Dramaturgenarchivs gefischt und im Jahr 2016 erstmals auf die Bühne des Wiener Burgtheaters gebracht?" fragt sich Eva Biringer auf welt.de (24.10.2016). "Gut, es geht um die Frage, ob die sogenannten Verrückten nicht vielleicht die eigentlich Gesunden sind und die sogenannten Normalen die Verrückten. Das betrifft uns heute ja auch irgendwie (Lektüreempfehlung: Rainald Goetz, 'Irre'). Blödelnderweise ergibt sich aus dieser reizvollen Ausgangsidee eine dreistündige Aneinanderreihung von Unsinn mit dem Beigeschmack einer Kaffeefahrt samt Alleinunterhalter."

"Dreieinhalb erschöpfende Stunden" sah Bernd Noack für die Neue Zürcher Zeitung (25.10.2016). "Es wird tatsächlich schon gekichert, wenn gleich am Anfang eine Bananenschale mittig auf dem Bühnenboden platziert wird" – mit dem Kalauer-Humor, der sich durch Kriegenburgs Inszenierung zieht, kann Noack nicht viel anfangen. "Wie das eben so ist, wenn man dreieinhalb Stunden gnadenlos von Witz zu Witz weitergereicht wird: Irgendwann ist die heitere nurmehr heisse Luft, und der Schrecken macht sich breit." "Der Irrsinn müsste hier prasseln", aber anstatt dessen darf jeder "brav wie in einer Nummernrevue des fortlaufenden Schwachsinns seine spezielle komödiantische Kunst ausleben".

 

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