Presseschau vom 28. Oktober 2016: Oliver Reese verteidigt das Intendanten-Modell in der FAZ

Kein Übermensch

Kein Übermensch

28. Oktober 2016. Oliver Reese, Intendant des Schauspiels Frankfurt, wiederspricht in der FAZ (28.10.2016) der Kritik am Intendanten-Modell. "Ich betreibe, wie viele andere Kollegen auch, Theaterleitung auf moderne, kollegiale Weise und arbeite dabei vor allem zusammen und im Team." Es gebt keine wesentliche Entscheidung, egal ob sie Spielplan, Personalia oder Organisatorisches betreffe, die nicht wenigstens mit dem Leitungsteam besprochen und abgestimmt sei.

Reese, der in der nächsten Spielzeit ans Berliner Ensemble wechselt, begegnet damit zahlreichen Vorwürfen der letzten Zeit: "Intendanten würden sich 'über Künstler hinwegsetzen' und 'nur die eigenen künstlerischen Interessen durchsetzen', steht da; 'ich brauche niemanden, der mich anschreit', sagt Shenja Lacher; von 'irrationalem Charisma' und 'Übermenschen' (Balme) wird, pardon, schwadroniert".

Reese verwehrt sich auch gegen den Vorwurf, es sei üblich, Schauspieler per se mit Einjahresverträgen auszustatten. Die ständige Angst vor der Nichtverlängerung des eigenen Engagements sei "keinesfalls zwangsläufig eine Tatsache". Im Gegenteil gelte zumindest für die großen Häuser: "Je prominenter oder auch nur erfolgreicher, desto schwerer wird es, einen Schauspieler überhaupt für einen Festvertrag zu gewinnen."

Auch die Praxis, dass neue Intendanten meist große Teile des Ensembles neu besetzen, also Schauspieler durch Leitungswechsel an ihrem Haus zwangsläufig ihre Jobs verlieren, verteidigt Reese indirekt, indem er auf seine Verantwortung für die Ensemble-Arbeit hinweist.

TINA – There Is No Alternative

"Wenn ich mich einmal für einen Schauspieler aus ganzem Herzen und überzeugt von seinem Potential entschieden habe, muss ich in der Konsequenz an einem Spielplan arbeiten, der genug Entfaltungsmöglichkeiten für ihn und alle anderen Festengagierten bietet und diese dann auch bei den Besetzungsgesprächen mit den Regisseuren verteidigen und gegen deren eventuelle Gastforderungen durchsetzen. (…) Kann ich diese Herzensentscheidung nicht mit voller Überzeugung treffen, darf ich einen Schauspieler nicht engagieren oder – nach genauer Prüfung – bei einem Intendantenwechsel nicht übernehmen."

Reese betont außerdem, es gebe neben dem Intendanten-Modell "kein anderes strukturiertes Konzept (...), das als echte Alternative zum im Team arbeitenden, am Ende aber allein verantwortlichen Intendanten als Modell tauglich erscheint". Er weist ferner darauf hin, dass die Diskussion über das Modell viel eher mit der Kulturpolitik geführt werden müsse: "Die Intendantenverträge werden doch von den Städten und Gemeinden angeboten, die Intendanten schaffen die Strukturen ja keineswegs selbst!" Diese wiederum habe wohl ebenfalls kein Interesse an einer Änderung der Verhältnisse: "Wer fragt denn die Kultursenatoren und -dezernenten, ob sie bereit wären, Verantwortung etwa auch einem Leitungskollektiv zu übertragen? Sie würden sich damit natürlich der Gefahr aussetzten, im Zweifelsfall deren internen Streit schlichten zu müssen."

(FAZ / miwo)

 

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