Schwabo-Comedy zu heiß gewaschen

von Verena Großkreutz

Stuttgart, 29. Oktober 2016. Der Matthias geht zur Bundeswehr, der Devid wird ein "Radikalidingsda" und geht zum IS, und der Flüchtlingsjunge Rashid ist glücklich, dass er eine Lehre beim Waffenhersteller "Lecker & Loch" bekommen hat. Von der Arbeit bei "Lecker & Loch", das eines der weltweit meistverkauften Sturmgewehre herstellt, lebt ein ganzes schwäbisches Dorf. Aus dem stammen auch Devid und Matthias. Und in einem Land im Nahen Osten, aus dem Rashid einst floh, stehen sich Devid und Matthias dann gegenüber, mit Waffen aus "hiesiger" Produktion, der Firma, in der Rashid gerade seine Lehre macht. Und zufällig erschießen sich Matthias und Devid an der Front gegenseitig, ohne sich erkannt zu haben.

feuerschlange2 560 conny mirbach uChristian Czeremnych und die Kinder legen schon mal die Flinte an in "Feuerschlange"
© Conny Mirbach

Das erzählen sich Mütter in Philipp Löhles neuem Stück "Feuerschlange", das jetzt in der Außenspielstätte Nord des Stuttgarter Staatsschauspiels uraufgeführt wurde. Freilich wird das Muttersein hier ironisch gebrochen: "So hätte es sein können", sagt die eine am Ende. "Ja, wenn wir Mütter wären", antwortet die andere. Die Mütter hat Regisseur Dominic Friedel nicht mit erwachsenen Darstellerinnen besetzt, sondern mit drei Stuttgarter Mädchen. Verfremdungen, die wirken. Aber retten die den Abend?

Deutsche Waffenexporte

"Feuerschlange" widmet sich einem brisanten, dennoch in der Gesellschaft gerne totgeschwiegenen Thema: Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur weltweit und hat auch im Krisengürtel Nahost / Nordafrika wichtige Abnehmer sitzen, nicht zuletzt Saudi-Arabien, das durch Finanz- und Waffenhilfen an islamistische Rebellen im syrischen Bürgerkrieg für die dortige Destablisierung mitverantwortlich ist. Und da schließt sich der Teufelskreis deutscher Mitschuld an Kriegen und Flüchtlingsdramen. Löhle trifft thematisch also den Nerv der Zeit.

Im Mittelpunkt der 15 Episoden, deren Reihenfolge frei wählbar ist, steht die "Feuerschlange", als märchensprachliches Bild fürs Sturmgewehr, dessen Weg aus Schwaben bis an die Front verfolgt wird. Und dieser Weg endet – trotz strenger Auflagen für Rüstungsexporte – mal im mexikanischen Drogenmilieu, mal in den Händen von IS-Terroristen.

Unterwanderungsirrtum

In seiner Mixtur aus mexikanisch-indigener Märchenerzählung, Dokudrama, Gesetzestexten, schwäbischer Comedy und Philippe-Marlowe-Krimiparodie ist Löhle immer darauf bedacht, die Ungeheuerlichkeiten deutscher Verstrickung in Menschenrechtsverletzungen und internationale Kriegshandlungen bis ins Groteske und Absurde zuzuspitzen. Und das hat auch eine Menge Unterhaltungspotential, bei dem einem aber natürlich das Lachen im Halse stecken bleiben sollte. Aber die komischen Vorlagen Löhles werden von Regisseur Dominic Friedel geradezu unterwandert.

Die Dialoge schmilzt Friedel oft zu Monologen ein, in denen die Schauspieler alle Rollen selbst sprechen. Zum Teil inklusive Rollennamen, etwa wenn es um die Umgehung von Kriegswaffenkontrollgesetzen beim Handel zwischen "Loch und Lecker" und dem "Land der Schnurrbärte" und das laxe Verhalten der zuständigen Bundesministerien geht. Dann hat Horst Kotterba, eigentlich mit einer Menge komischem Talent beschenkt, vor jedem Satz Worte wie "Bundeswirtschaftsministerium" oder "Das zuständige Amt“ vorzuschalten, was dem Dialog jedweden Witz nimmt und durch Monotonie immer mehr langweilt. Zudem muss Kotterba die Szene in einer affigen Hasenohrmütze sprechen. Wat ham wa gelacht!

feuerschlange3 560 conny mirbach uDie Hauptdarstellerinnen  © Conny Mirbach

Völlig witzfrei gestaltet sich auch der absurd unverständliche, ellenlange Original-Text eines Waffengesetzes namens "Die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern". Susanne Schieffer, in albernem Puppen-Outfit aus silbernem Turban, rosa Stiletto-Stiefeln und Reifrock, kämpft sich sicht- und hörbar mit Mühe und Not durch den Text.

Kinderarbeit

Bewegung kommt nur dann auf die Bühne – karg bestückt mit einem Holzhausgerippe und anderen sinnfreien Holzutensilien –, wenn sie von den 14 Kindern belagert wird, die Kriegshandlungen spielen, als Dialogpartner*in oder Märchenzuhörer*in dienen oder thematisch inspirierte Choreographien tanzen. Highlight des Abends ist ihr glänzend einstudierter Sprechchor eines hintergründigen Textes über schwer moralische Fragen und Verlogenheiten nicht nur in Sachen Waffen, sondern auch der Kinderarbeit: "Kinder in einer Fabrik", skandieren sie, "die damit helfen, ihre Familie zu ernähren und die kranke Mutter zu pflegen, das ist böse! Aber Kinder, die auf eine Bühne gestellt werden, wo man ihnen zuguckt, wie sie Dinge tun, die sie nicht verstehen. Das ist nicht böse. Das ist gut. Das ist süß."

Letzteres kann aber auch grenzwertig sein. Zwar hat Dominic Friedel nicht alle Episoden des Stückes auf die Bühne gebracht, dafür tanzt Berit Jentzsch zwischendurch eigene Choreographien: darunter einen Pas de deux mit einem schlaffen Kinderkörper – offenbar um Assoziationen an Flüchtlingskinder zu wecken, die bei der Mittelmeerüberfahrt zu Tode kamen. Der kleine, zur Passivität verdammte Junge, dessen Körper Jentzsch ihrer Choreographie einverleibt, wird herum und durch die Luft gewirbelt, dass einem Angst und Bange um ihn wird. Kinder auf der Bühne treffen gleichermaßen das Herz wie sie auch wunderbar komisch Erwachsene spielen können. Aber das reicht in diesem Fall bei weitem nicht aus für einen gelungenen Theaterabend.

 

Feuerschlange
von Philipp Löhle
Uraufführung
Regie: Dominic Friedel, Bühne: Peter Schickart, Kostüme: Ann-Christine Müller, Musik: Malte Preuss, Choreografie: Berit Jentzsch, Dramaturgie: Carmen Wolfram.
Mit: Christian Czeremnych, Berit Jentzsch, Horst Kotterba, Robert Kuchenbuch, Susanne Schieffer; und den Kindern Rasmus Armbruster, Anna Gesche, Luca Harr, Hosea Hellebrandt, Mia Koenen, Nikolai Krafft, Xenia Leonhard, Amadeus Lerch, Emanuelle Lerch, Katinka Lerch, Lena Neumann, Vildan Rizai, Jan Rohrbacher, Frieda Schwenk.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspiel-stuttgart.de

 

Kritikenrundschau

Friedel inszeniere mit fünf Schauspiel-Profis und 14 Stuttgarter Kindern – "was dem Ganzen einen durchwachsenen, eigenwilligen Charme verleiht", findet Otto Paul Burkhard in der Südwest Presse (31.10.1016). Der Regisseur habe die historisch und philosophisch grundierten Szenen gstrichen aus Löhles Text gestrichen, auch solche mit böse-abgründigem Witz. "Heraus kommt so eine entschärfte Fassung" in einer Inszenierung, in der die Schauspieler "den eh humorigen Text oft mit albernem, kindischem statt kindgerechtem  Kasperltheater plattmachen". Glück, dass der zwischen Satire, Fakten und Melancholie irrlichternde Löhle-Text hintergründig genug sei, um die gebremste Uraufführung zu überleben. Friedels Ansatz flutsche an dem Abend dann bessser, wenn er die Kinder agieren lasse.

Dass das Konzept auf der Bühne seine Schwierigkeiten habe, liege vor allem an Dominic Friedels über weite Strecken undurchsichtige Inszenierung, so Sabine Fischer in der Stuttgarter Zeitung (31.10.2016). "Nicht nur bleiben viele der eigentlich starken Episoden durch ihre allzu sprunghafte Verknüpfung lose im Raum hängen, auch der Ton des Stücks schwankt immer wieder fast fragend zwischen düsterer Märchenerzählung, blecherner Gesetzestext-Leierei und stellenweise schwer zu folgenden Ein-Mann-Auftritten hin und her." Einzig an den Stellen, an denen zu den fünf Ensemblemitgliedern zusätzlich einige Kinderdarsteller kommen, gewinne die Inszenierung an Schlagkraft.

"Feuerschlange" sei "ein Aufklärungsstück, das sich dokumentarischen Materials bedient, sich allerdings einer abschließenden Klärung der Verhältnisse verweigert", schreibt Judith Engel in der tageszeitung (2.11.2016). Vielmehr wandele sich das Thema Waffenherstellung zur Frage nach einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung jenseits von halblegalen Exportverfügungen auf staatlicher Ebene. "Schwer verdaulich ist die Tatsache, dass hier Kinder eine Wirklichkeit spielen, von der man naiverweise gedacht haben mag, dass sie nur Erwachsene tangiert."

Laut Martin Halter von der FAZ (5.11.2016) präsentieren Friedel und Löhle "ein heiteres Potpourri aus Doku- und Spielszenen, altväterlichen Kaiser-Wilhelm- und Philip- Marlowe-Parodien, Aztekenmythen, Märchen und Schwabenkabarett". 'Feuerschlange' sei kein Sturmgewehr der Aufklärung, "sondern nur rustikales Kasperletheater".

Jürgen Berger von der Süddeutschen Zeitung (17.11.2016) schreibt, Löhle umrunde das Thema mit einer Fülle Rüstungsindustrie von Textsorten vom orientalischen Märchen bis hin zum Krimi. Dominic Friedel komme dem Text-Potpourri mit einem Stilmix aus Schauspiel, Performance und Tanz bei. "Vor allem die Tanzeinlagen sind überflüssig und wirken wie ein unbeholfener Versuch, nicht zu sehr im Genre des Dokumentarischen zu stromern. Nötig wäre das nicht gewesen, ist Löhle doch deshalb so erfolgreich, weil er selbst thematisch fokussierten Auftragswerken den Charme einer dramatischen Bühnenerzählung geben kann."

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