Presseschau vom 11. November 2016 – Die Süddeutsche Zeitung widmet sich ganzseitig der vermuteten Krise an Matthias Lilienthals Münchner Kammerspielen

Im Sozialtheaterverein

Im Sozialtheaterverein

11. November 2016. Die Süddeutsche Zeitung widmet heute der vermeintlichen Krise an den Münchner Kammerspielen, die nicht zuletzt durch Kündigungen einiger Schauspieler*innen virulent geworden ist, die gesamte Titelseite des Feuilletons.

SZ Seite 280Eine ganze SZ-Seite zu den "Jammerspielen"Christine Dössel schreibt im Aufmacher, dass das Vertrauen in Lilienthal anfangs groß gewesen sei, "auch wenn dieser die bürgerlichen Schauspielhäuser schon mal als 'vernagelte Stadttheaterkisten' abtat und das, was darin gegeben wird, als 'Kunstkacke'." Es möge "im Nachhinein naiv wirken, aber man dachte, der Deal sei: Lilienthal soll die Kammerspiele mit seiner Volksbühnen- und HAU-Erfahrung weiterführen zu einer Art 'Kammerspiele plus' – einem international aufgestellten, ästhetisch wie gesellschaftlich nach allen Seiten hin offenen Sprech- und Ensembletheater auf dem Qualitätssockel seiner Tradition. Aber was macht Lilienthal? Er macht: HAU", indem er "eine Art Gastspielbetrieb mit angeschlossener Partyzone (...)" durchführe. "Selbst die Namensgebung HAU 1-3 hat Lilienthal unpassenderweise auf die Münchner Spielorte übertragen: Schauspielhaus, Werkraum und Spielhalle heißen nun Kammer 1, 2 und 3, was für Münchner einigermaßen schmerzlich ist."

Es geht nur um Botschaften

Die Zuschauer wie auch die Schauspieler würden an Lilienthals Kammerspielen "permanent unterfordert. Viel lieber wäre man überfordert, herausgefordert, zum Schäumen oder Nachdenken angestachelt. Überfordert ist man aber nur auf der sehr chaotischen Internetseite des Hauses, wo man nie genau weiß: Ist das ein Gastspiel, eine Eigenproduktion oder ein Kochabend mit Syrern?"

Christine Dössel weiß auch Näheres über die Absage von Julien Gosselins Inszenierung "Unterwerfung". Gosselin habe dem Ensemble einen Brief geschrieben, in dem er mitteilt, dass mit ihm "über Politik gesprochen" worden sei, "über Sinn. Man hat mir gesagt, dass es darum gehe, eine Botschaft rüberzubringen (...)." Er aber suche "nicht nach Botschaften, sondern nach Ästhetiken, nach Welten und Menschen". Frau Dössel resümiert: Lilienthals "Sozialtheaterverein" fehle eines "schmerzhaft: die Kunst."

Zahlen und Historie

In einem weiteren Artikel sagt Egbert Tholl einiges über die Zahlen von Lilienthals erster Saison: "Während die Anzahl der Veranstaltungen stieg, nahmen die Erlöse an der Kasse ab. 2,781 Millionen Euro nahmen die Kammerspiele in der ersten Saison Lilienthals ein; 3,057 waren es in der letzten von Simons, in dessen schlechtester (2012/13) waren es allerdings etwas weniger, 2,739. Die geringeren Erlöse unter Lilienthal erklären sich mit einer Verjüngung des Publikums, also mit einem erhöhten Verkauf von Studentenkarten und sogenannten Flat-Rate-Saisonkarten."

Seien die Zahlen für 2015/16 somit gar nicht so übel, schaue es zu Beginn der zweiten Spielzeit "düsterer aus. Die prozentuale Gesamtauslastung sank auf derzeit 60 Prozent, 18 Prozent der Abos wurden gekündigt, wobei etwa die Hälfte davon durch neuaufgelegte Probe-Abos teilaufgefangen wurde. Im Oktober konnte man etwa eine Jelinek-Lesung im Schauspielhaus verfolgen, bei der mehr Menschen auf der Bühne agierten als zahlende Zuschauer im Parkett saßen."

In einem letzten Beitrag schaut Christopher Schmidt auf die Historie der Kammerspiele und stellt fest, dass sich Lilienthal auf deren Erbe "mit ebenso viel Recht berufen" könne "wie jeder Intendant vor ihm."

(wb / Süddeutsche Zeitung)

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