Eine schlechte Kritik bedeutet ein leeres Haus

30. November 2016. Über die Krisen-Signale wurde bereits im Sommer berichtet. Armin Petras würden die Zuschauer davon laufen, hieß es. Die Auslastung sank binnen zwei Jahren von 145 000 auf 113 000 Besucher in der Spielzeit 2015/16, die Kritik wuchs. Kurzum: Die Chemie zwischen Stuttgart und Petras schien nicht mehr zu stimmen. Im Herbst versprach er noch einen Turnaround, dann wurde bekannt, dass Petras die vereinbarte Vertragsverlängerung bis 2021 doch nicht erfüllt und das Haus frühzeitig verlässt. Aus persönlichen und familiären Gründen, wie es vage hieß. Verena Großkreutz sprach mit ihm.

Herr Petras, Sie verlängern Ihren Fünf-Jahres-Vertrag als Intendant nun doch nicht um drei Jahre, sondern hören im Sommer 2018 auf. Sie nennen persönliche und familiäre Gründe für den verfrühten Rückzug. Aber klar, dass sich jetzt jeder fragt: Wenn Sie sich hier künstlerisch zuhause fühlten, würden Sie doch trotzdem bleiben, oder?

Die Familie ist leider nicht da, wo ich bin. Sie ist 900 Kilometer von hier weg in Brandenburg. Und das ist mein Problem. Ich fühle mich hier durchaus künstlerisch wohl. Wir hatten im letzten halben Jahr ganz großartige Produktionen. Es war bisher die spannendste Zeit. Vieles wurde vom Publikum gut angenommen, anderes lief schlechter – wie etwa Sebastian Hartmanns Im Stein. Dafür wird seine neue Inszenierung Der Raub der Sabinerinnen geradezu euphorisch gefeiert.

Wie kommen Sie mit der schwäbischen Mentalität klar?

Ich habe zu Beginn meiner Intendanz mal gesagt: Stuttgart ist für mich der fremdeste Ort in Deutschland. Das hat sich mittlerweile geändert. Ich habe in den drei Jahren sehr viele Menschen kennengelernt und künstlerisch spannende Kooperationen in die Stadt hinein erlebt, wie mit dem Kunstmuseum Stuttgart, dem Württembergischen Kunstverein, dem Literaturhaus Stuttgart, der Akademie Schloss Solitude und den Hochschulen.petras 280 Fabian Schellhorn Armin Petras, seit 2013 in Stuttgart
© Fabian Schellhorn

Da gibt es nach wie vor seltsame Dinge, mit denen ich nicht klar komme. Etwa eine bestimmte Art, auf die Dinge zu schauen, sie zu bewerten, Dinge, die sehr viel mit Zahlen, mit Geld, mit Nummern zu tun haben. Anderes habe ich schätzen gelernt: etwa bei unseren Technikern, bei den Gewerken. Sie haben eine derartige Genauigkeit. Kein Wunder, dass Porsche und Mercedes hier entstanden sind. Die Arbeit hat hier einen hohen, auch moralischen Wert. Schätzen gelernt habe ich auch diese große Ernsthaftigkeit des Publikums, sich mit den Dingen zu befassen.

Zuletzt waren Sie wegen sinkender Zuschauerzahlen kritisiert worden, wofür viele Ihre Spielplangestaltung und den Inszenierungsstil einiger Regisseure verantwortlich machen. Es gibt auch Stimmen, die sagen, dem Publikum fehle das politisierte Theater Ihrer Vorgänger.

Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich Hasko Webers Arbeit und die von Herrn Lösch sehr schätze. Aber natürlich werde ich hier nicht ein Stück machen, dass sich eins zu eins mit "Stuttgart 21" beschäftigt. Ich glaube, dass Theater a priori immer politisch ist. Nur die Art und Weise, wie Zeichen benutzt werden, ist sehr unterschiedlich. Ich bin keine Volkshochschule, ich bin keine politische Partei, ich gebe keine Antworten und mache keine Propaganda. Wir sind Künstler, die sich mit der Welt beschäftigen und eine Haltung zu ihr haben. Wir sind in dem Augenblick politisch, in dem wir auf der Bühne die drängenden Fragen der Gegenwart stellen. Ich bin angetreten mit dem Ziel, viele unterschiedliche Fragen zu stellen und viele verschiedene Handschriften, viele neue Ästhetiken zu zeigen. Und das muss sich ja auch erst mal durchsetzen bei den Zuschauern.

Sie haben kürzlich geäußert, dass schlechte Kritiken in einer bestimmten hiesigen Zeitung sich massiv auf das Publikumsverhalten auswirken ...

Absolut. Wie damals bei "Tod eines Handlungsreisenden", eine Produktion, die das Publikum liebt, und jetzt wieder bei "Lolita". Da gab es neben euphorischen Besprechungen einen sehr harten Verriss, und da bleibt das Publikum weg. Ich kenne das aus meiner Zeit in Kassel. Eine schlechte Kritik in der Lokalzeitung bedeutete ein leeres Haus. Todeines1 280 Julian Roeder u"Tod eines Handlungsreisenden" von Robert
Borgmann inszeniert © Julian Roeder
So was gibt's in Berlin oder Frankfurt/Main natürlich nicht. Das hat immer etwas mit der Monopolstellung einer Zeitung zu tun.

Was wollen Sie denn dann in Zukunft machen, dort in Brandenburg?

(lacht laut) Ich glaube, dass ich weiter inszenieren und weiter schreiben werde. Und vielleicht auch wieder Intendant sein werde. Das schauen wir mal.

Sie wären dann auch wieder näher an Berlin?

Auf jeden Fall. Sie haben ja sicher auch in der Presse gelesen, dass ich schon als Volksbühnen-Intendant nominiert worden bin. Was ich sehr lustig finde! Ein Jahr bevor ich hier aufhöre, soll ich schon Volksbühnen-Intendant sein. Aber das ist völliger Quatsch. Es gab keine Gespräche mit politisch Verantwortlichen in Berlin.

Mehr zu Armin Petras und die Krise in Stuttgart:

Armin Petras streitet sich mit der Stuttgarter Zeitung über die Erträge seiner Intendanz am Schauspiel Stuttgart - Presseschau vom 16. November 2016

Stuttgarter Schauspielchef Armin Petras geht vorzeitig - Meldung vom 14. November 2016

In Stuttgart wächst die Kritik an Intendant Armin Petras - Podcast vom 20. Juli 2016

 

 

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Kommentare  
Interview Petras: Sekundärrationalisierung
Armin Petras ist ein Meister der Sekundärrationalisierung. Es ist, wie schon in vorausgegangenen Interviews, offenkundig, dass er Kritik nicht an sich heranlässt und stattdessen wie fast alle Schauspieldirektoren, die eher PR-Agenten gleichen, die eigenen als "ganz großartige" Produktionen anpreist. Da wäre es schon sinnvoller und auch verständlich, wenn er Gespräche mit Journalisten ablehnte. Sie haben schließlich die Wahrheit ebenso wenig gepachtet wie die Künstler, über die sie urteilen. Dass die Familie 900 Kilometer entfernt lebt, wusste Petras auch schon, als der den Vertrag für Stuttgart unterschrieb, und dass das ein Problem sei, wusste er spätestens, als er ihn verlängerte. Wozu also die Floskel von den "persönlichen und familiären Gründen", auf die dann doch ganz andere Begründungen folgen? Dass eine einzige Kritik daran Schuld trage, dass das Publikum ausbleibe, ist wenig wahrscheinlich. Zumal die "Stuttgarter Zeitung" für das Theater (noch) keineswegs eine Monopolstellung hat. Man kann ehrlicherweise nicht so dünnhäutig auf einen Verriss reagieren, wenn man zugleich die "euphorischen Besprechungen" als Argument anführt. Ein Künstler, also auch ein Intendant, muss das Recht haben, eigensinnig, gegen die Kritik und sogar gegen einen Teil des Publikums, zu machen, was er für richtig hält, und sich dafür Zeit zu nehmen. Nicht, dass er seine Vorstellung von Theater in Stuttgart realisieren wollte, sollte man Petras vorwerfen, sondern dass er ihr, mit wenigen Ausnahmen, im Spielplan und in der Auswahl der Regisseure ein - und hier trifft das Wort zu - Monopol eingeräumt hat in einer Stadt, in der es zum Staatstheater keine auch nur annähernd so großzügig ausgestattete Alternative gibt. Wenn Armin Petras tatsächlich die Fehlbesetzung ist, als die er jetzt beschrieben wird, kann man auch jene nicht von der Mitverantwortung freisprechen, die ihn berufen haben. Von ihnen hat noch keiner seinen Vertrag von sich aus gekündigt. Wie immer die Chemie zwischen ihnen und den "Untertanen" aussehen mag.
Interview Petras: liebend gern in Berlin
Und wenn es mit der Volksbühne nichts werden sollte, dann würde ich jedenfalls Armin Petras liebend gern in Berlin sehen. Ein interessanter Spielplan, begnadete Regisseure (Hartmann, Borgmann, Castorf, Petras, ...) und hinreißendes Ensemble (Peter Kurth!, Hanna Plaß, Holger Stockhaus, Astrid Meyerfeldt, Sandra Gerling, Horst Kotterba; alles Typen, alle fesselnd/substanziell). Theater mit Haltung und Format, ästhetischem Anspruch. Mir ist sein "Ich bin keine Volkshochschule" hochsympathisch.

Alles nur meine private Meinung, aber eine Unterstützerin hat er.

Zieht doch bitte einfach geschlossen um, auch mir sind die 900km zu weit weg.
Interview Petras: Tendenz zum Workaholic
Ich finde, er sollte lieber mal wieder 'nur' Regisseur und Autor sein. Es gab bei ihm ja immer schon diese Tendenz, viel zu viel zu machen und zu vieles dann auch entsprechend fahrig. Mit zunehmender Dauer seiner Intendanz in Berlin und all den Verpflichtungen, die sich daraus ergaben, wirkten die meisten Arbeiten auf mich dann irgendwann nur noch hinskizziert. Mein Vorschlag: Mal neun Monate gar nichts machen und dann in einen Turnus von zwei Inszenierungen und einem Stück pro Spielzeit wechseln. Aber, ach, bei einem Workaholic wie Petras sind diese Worte eh in den Wind gesprochen.
Interview Petras: trotz allem zu früh
Die Demission von Armin Petras kommt trotz allem viel zu früh. Ich dachte eigentlich, dass Petras trotz allem Gegenwind doch noch die Kurve kratzen würde. Obwohl ich eher ein konservativer Theatergänger bin, habe ich mich doch vom neuen, performativen Stil immer wieder in Bann ziehen lassen, wahrscheinlich und vor allem durch dieses phänomenale Ensemble, das Petras um sich zu scharen gelang. Gespenstig allein das Stuttgarter Publikum. Ich meine die erste Zuschauerkonferenz, noch in dieser ersten Wunderspielzeit, sie entglitt zum Tribunal gegen Armin Petras, indem sie dem Mann mit der Mütze nur auf dieselbe gehauen haben. Das tat mir damals schon unendlich leid. Und dann diese Zeitung, diese Stuttgarter. Sie schrieb, wie einst gegen Albrecht Puhlmann an der Oper, auch dieses Ende eifrig herbei. Und sie tat es, wenn schon weit weniger erfolgreich gegen Hasko Webers Theater (vor allem gegen dessen politisches Theater, und da meine ich vor allem den Hausregisseur Volker Lösch). Da würde ich doch glatt empfehlen, erst mein Zeitungsabonnement zu kündigen, und keinesfalls mein Theaterabonnement (nebenbei bemerkt: das habe ich ohnehin längst gemacht). Dass Petras zur Berliner Volksbühne weit besser passen würde als zu uns teilweise doch etwas biederen und humorlosen Stuttgartern, das steht leider ausser Zweifel. Und dass man sich ums Traditionshaus am Prenzlauer Berg indes die allergrössten Sorgen machen muss, das ist eine andere Sache. Aber wenn schon Petras an die Volksbühne, dann doch wenigstens Castorf nach Stuttgart! In diesen Tagen ist offensichtlich alles möglich. Auch das Gegenteil.
Interview Petras: richtig für die Stadt?
die zuschauer stimmen mit den füßen ab: schlechte kritiken bedeuten nicht unbedingt ein leeres haus und umgekehrt. und wenn die intendanten (u.a. petras, lilienthal) ihr staatstheater immer wieder zum stadttheater "degradieren", dann sollten sie mal selbstkritisch überprüfen, ob ihr theaterangebot denn das richtige für die stadt ist, in der sie leben und arbeiten.
Interview Petras: Fragen
@frankenquelle Hat Petras nicht gerade das stadtbezogene Theater von Weber wieder mehr in Bezug zu dem was außerhalb von Stuttgart passiert gestellt? Und ist er nicht (unter anderem) gerade daran "gescheitert"?
Interview Petras: wie kommen Sie auf Floskel
Sehr geehrter Herr Rothschild,
was berechtigt Sie zu der Aussage, Armin Petras' Begründung für seine Demission sei eine "Floskel"? Antworten Sie.
Interview Petras: bitte nach Hamburg
Petras soll nach Hamburg (ist ja nicht so weit weg von Brandenburg) kommen, sein wunderbares Ensemble mitbringen und spätestens 2019 Lux im Thalia Theater ablösen. Dort gehörte er neben Kriegenburg, Thalheimer und Kimmig schon einmal zu den prägenden Regisseuren in der sowohl künstlerischen als auch wirtschaftlichen äußerst erfolgreichen Ära Khuon. Die Hamburger würden sich freuen, wenn er im Thalia endlich Schluss mit der Tristesse pur und dem grauen Einerlei machte.
Interview Petras: eine Floskel
Normalerweise reagiere ich nicht auf Aufforderungen im preußischen Befehlston. Aber die Antwort "Ausschlaggebend waren am Ende familiäre und persönliche Gründe" auf Roland Müllers Frage "Und was hat am Ende den Ausschlag gegeben, die Schauspiel-Intendanz im Sommer 2018 niederzulegen?" nenne ich eine Floskel. Dazu fühle ich mich "berechtigt" angesichts der Begründungen, die Petras auf nachtkritik.de nachschiebt.
Interview Petras: Thalia wäre großartig
Ich fände das Thalia auch Grossartig für Herrn Petras.
Ich bin Hamburgerin , aber lebe zur Zeit in Mannheim , habe frühere Arbeiten in Hamburg von Petras gesehen und jetzt viel in Stuttgart.
Also die Idee mit dem Ensemble nach Hamburg weiter zu ziehen, kann ich nur befürworten.
Da kann sich Hamburg freuen.
Interview Petras: am Thalia laufen gute Sachen
Mors mors. Hey, ich bin Hamburger und würde mich nicht freuen. Auch bin ich nicht der Ansicht dass das Thalia ein schlechtes Programm macht. Da laufen gute Sachen. Mag nicht für pauschalisierende Meinungsmache vereinnahmt werden. Weil ichs doof und billig finde.
'Der oder der soll hierhin oder dahin kommen.' Dann schreib Armin Petras einen Brief, Mensch! Over and out
Interview Petras: keine Unterstellungen, bitte!
So? Welche anderen Begründungen für seine Entscheidung "schiebt" er denn nach? Ich halte das für eine niederträchtige, bösartige, das Persönlichkeitsrecht verletzende Unterstellung (...). Und dabei geht es mir nicht, überhaupt nicht um Armin Petras, sondern lediglich um die D-dreistigkeit von selbst- und fremdernannten Experten, die glauben zu jedem und allem irgendetwas "meinen" zu müssen. Was fällt euch eigentlich ein? Und wenn er "nur" unter Blähungen litte, keiner von euch hat das geringste Recht an der Dringlichkeit dieser "persönlichen Gründe" zu zweifeln. Niemand ist Leibeigener dieser (...) ach so kritischen, dauerpräsent rauslabernden Öffentlichkeit. (...)
Interview Petras: in Foren wie diesem regiert der Mob
Den Kommentar von Juliane empfinde ich als passend und spricht mir aus dem Herzen. Solche Foren mögen vielen Menschen die Möglichkeit gewähren, Ihre Stimme zu erheben, aber im Moment habe ich das Gefühl das hier und in anderen Foren das Niederste des Menschen zutage tritt und der Mob regiert, was sich dann leider auf die Personalpoltik niederschlagen kann oder in Entscheidungen. Auch Nachtkritik spielt dieses Spiel mit, weil es Klickzahlen braucht. Glaubt nicht alles, was ihr denkt und tut es kund.
Interview Petras: worum es geht
Breithaupt verweist in seinem Buch Kultur der Ausrede auf die Möglichkeit, unlösbare Situationen durch den Einsatz von Floskeln zu lösen. Das untergehende Schiff gerade noch rechtzeitig verlassen, sich dabei möglichst schadfrei halten, darum geht es.
Interview Petras: gutes Recht
Die Floskel, die beharrlich nicht in konkrete Einzelgründe aufgelöst wird, bekennt sich zu diesem legitimen Verfahren. Was zählt ist, was daraus wird. Das ist wie bei den Wahlversprechen, bei denen alle schon vorab wissen, dass es nichts als Wählerstimmenfang-Versprechen sind. Wenn Arnim Petras also zur Floskel steht, ist das auch sein gutes Recht und seine näheren persönlichen Gründe gehen niemanden etwas an außer ihn und seine persönlichen Freunde, Bekannten, Familie... Ich hoffe nur, dass so einen - daran besteht ja nun bei ihm kein Zweifel! - Workoholic auch einmal ohne öffentliche Zeugenschaft jemand kollegial fragt: Gehts dir gut, man? Bist du gesundheitlich und so okay?
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