Hollywood-Stars zeigen Alptraumseiten der Traumfabrik

von Ulrike Gondorf

Recklinghausen, 3. Mai 2008. Speed the Plow – man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Und das Eisen, das der mittelmäßig erfolgreiche Drehbuch-Agent Fox da für den mittelmäßig einflussreichen Produzenten Gould ins Feuer gelegt hat, ist rot glühend: ein Superstar, ein Kassenmagnet, ein Erfolgsgarant will den Film machen, den Fox ihm vorgeschlagen hat. Und Goulds Studio kann in das lukrative Geschäft einsteigen. Das wird sie beide dahin bringen, wohin sie immer schon wollten: an die Spitze, wo ungezähltes Geld und schrankenlose Macht auf sie warten.

"Speed the Plow" (mit dem deutschen Titel "Die Gunst der Stunde") von David Mamet ist eine schwarze Satire auf Hollywood und das Filmgeschäft. Zur Eröffnung der Ruhrfestspiele in Recklinghausen feierte die Inszenierung des Londoner Old Vic Theatre ihre kontinentaleuropäische Premiere. Und die ist bereits Legende, denn unter der Regie von Matthew Warchus stehen drei veritable Leinwandstars auf der Bühne und verhandeln das böse Stück über Karrierebesessenheit, Kommerzialisierung und Korruption der Filmbranche: Laura Michelle Kelly, Jeff Goldblum und der zweifache Oscar-Preisträger Kevin Spacey.

Authentizitätsbonus durch Hollywood-Stars

Das hat natürlich schlagende Attraktivität für sich. Und die ersten Szenen erlebt man vor allem wie ein ironisches, augenzwinkerndes Spiel: der umtriebige Agent Fox, gespielt von Spacey, hat einen Superstar an der Angel. Was, wenn der Kevin mit Vornamen hieße statt Doug wie in Mamets Text? Dass hier Akteure, die ganz oben mitspielen in diesem Business, die Underdogs geben, hat einen schillernden Reiz – wie sie die Kehrseiten der Traumfabrik schonungslos offen legen, das gewinnt einen Bonus an Authentizität. Und das gilt ja durchaus auch für den Autor David Mamet, der als erfahrener und erfolgreicher Drehbuchautor ebenfalls Insider-Kenntnisse ausspielen kann. 

Der voyeuristische Kick dieser Schlüsselloch-Perspektive in das schwarze Herz von Hollywood, das hier genauso geistlos, oberflächlich, skrupellos, geldgierig und machtgeil ist, wie wir immer schon vermutet haben, wird aber schnell entbehrlich. Den Promi-Glamour  vergisst man, Goldblum und Spacey sind brillant und virtuos. Auch wenn sie Gould und Fox hießen, würden sie das Publikum – wie im ständig ausverkauften Old Vic und auch jetzt in Recklinghausen – zu Begeisterungsstürmen hinreißen.

Generalpause als großer Bühnemoment

In atemberaubenden Tempo, auf volles Risiko, preschen sie durch David Mamets scheinbar banalen bis vulgären Text. Aber der hat es in sich. Wie in einer Komposition überlappen sich die Stimmen, mäandern umeinander, laufen ins Leere, verdichten sich zu eruptiven Kaskaden, prallen aufeinander, werden ausgebremst vom plötzlichen Verstummen. Nicht der Inhalt ihrer Worte zählt, in der fiebrigen Energie ihrer Rede liegt das Psychogramm dieser Figuren.

Den Höhepunkt des Stücks treibt Spacey in den Aberwitz: Gould hat sich über Nacht entschieden, nicht den erfolgsträchtigen, aber sinnfreien Film mit dem Star zu machen, sondern ein düsteres, esoterisch angehauchtes Weltuntergangsdrama. Nicht ganz ohne fremdes Zutun, denn er hat die Nacht mit seiner Sekretärin verbracht, die ihm dafür diese Zusage abgepresst hat.

Der lange, schlaksige Jeff Goldblum als Gould teilt seine Entscheidung beiläufig mit, seine Unsicherheit überspielend mit geschäftsmäßiger Knappheit. Er muss das mehrmals tun, denn Spacey als Fox hört sie nicht. Für gefühlte zehn Minuten steigert er sich immer weiter in die Vorstellung hinein, wie die Unterschrift des Stars ihn ans Ziel aller seiner Hoffnungen und Wünsche katapultieren wird. Der Absturz in einer Generalpause, in der ein ganzes Leben zu versinken scheint, ist ein großer Bühnenmoment. Einer, in dem man versteht, warum der Filmstar seine Hollywood-Karriere beinah nur noch nebenbei betreibt. Seit 2004 ist Kevin Spacey Direktor des Old Vic und will es bleiben – mindestens bis 2015.

 

Speed the Plow
von David Mamet, deutsch von Bernd Samland
Koproduktion Ruhrfestspiele Recklinghausen mit
The Old Vic Theatre Company London
Regie: Matthew Warchuis, Bühne und Kostüme: Rob Howell.
Mit: Laura Michelle Kelly, Jeff Goldblum, Kevin Spacey.

www.ruhrfestspiele.de

 

Kritikenrundschau

Auf Ruhr Nachrichten.de (4.5.2008) schreibt Bettina Jäger: Goldblum und Spacey seien im Geschwindgalopp durch das Stück geprescht, Mamet-Rap nenne man die "Sprache in den Stücken des US-Autors David Mamet, der so schnelle und rhythmische Dialoge schreibt, dass dem Zuhörer schwindelig wird." Packe man "noch einen Stapel derber Sprüche dazu", komme das Drama "Die Gunst der Stunde" von 1988 heraus: "24 Stunden in der Alptraumfabrik Hollywood". Natürlich beziehe der Abend "einen Teil seines Charmes" aus der Tatsache, dass "sich zwei Helden des Systems über das System lustig machen". Doch vor allem faszinierten Goldblum und Spacey "schauspielerisch"; sie trieben ihre Figuren in "die Karikatur: am Anfang zwei Kerle unter Strom. Am Ende zwei Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs, die sich blutig prügeln." Vorher buchstabierten sie noch "das ABC des gewissenlosen Managers" vor: "die ach so dynamischen Gesten vom Schulterklopfen bis zum ständig hochgereckten Daumen. Das Grinsen. Das Getue, das von Erfolg kündet und doch nur knapp die Goldgräber-Gier zu übertünchen vermag. Und das eiskalte, ironische Reden über die Konsumenten. Ein Lehrstück in Sachen Kapitalismus."

"Speed the Plow", schreibt Stefan Keim, gleich in zwei großen Feuilletons (Welt online am 4.5.2008 und Frankfurter Rundschau am 5.5.2008) sichtlich darum bemüht, die Begeisterung der anderen zu dämpfen, sei ein "dramaturgisch brav gestricktes Boulevardkomödchen". Das alles bekomme allein durch die Schauspieler "einen doppelten Boden". Denn natürlich habe es "Witz, wenn bekannte Filmstars Hollywood auf die Schippe nehmen". Kevin Spacey "überzeugt als Underdog, der mit allen Mitteln um die Chance seines Lebens kämpft". Dagegen zeige der schlaksige Jeff Goldblum einen Menschen, "der zwar einen Karriereschritt nach oben getan hat, aber an sich und seinem Leben zweifelt". Laura Michelle Kelly bleibe "Stichwortlieferantin der Stars". In "Speed-the-plow", dessen Geschichte sich, klug gekürzt, auch in einer halben Stunde erzählen lasse, steckten "interessante Themen", auch ließen sich die Charaktere "genauer auf Brüche durchleuchten". Aber Spacey und Goldblum beließen es bei der "glänzend polierten Oberfläche".  

Kommentar schreiben