Presseschau vom 14. Dezember – Chris Dercon gibt der dpa ein Interview zur Zukunft der Volksbühne
"Frag nicht, was Berlin für dich tun kann"
"Frag nicht, was Berlin für dich tun kann"
14. Dezember 2016. Der designierte Intendant der Volksbühne Berlin Chris Dercon hat der dpa ein Interview gegeben, aus dem mehrere Medien zitieren, unter anderem der RBB. Im Kern hat es die Botschaft: Dercon möchte ein festes Ensemble für die "neue" Volksbühne. Dafür wolle er "exponierte, bekannte Künstlerinnen und Künstler, aber auch solche, die noch ein Versprechen sind oder deren Star-Charakter sich bereits jenseits der großen Häuser entwickelt hat", rekrutieren. Konkreter wird er nicht.
Auch zu seinem Programm spricht Dercon weiterhin in Andeutungen, die Rede ist von "Kontinuitätslinien" und davon, wie er und sein Team die Volksbühne sähen, nämlich als "Seismograf, Impulsgeber und Plattform für aktuelle Entwicklungen in den darstellenden Künsten – für Theater, Tanz, Performance, Konzert, Kino, Bildende Kunst und Kulturen des Digitalen".
Trotz seiner kritischen Aussagen bei einer Veranstaltung in der belgischen Botschaft Anfang Dezember, von der die "Welt" berichtete, halte er an Berlin als "Ort für Innovationen" fest, so Dercon. Nach "think global, fuck local" sei sein neuestes Motto: "Frag nicht, was Berlin für Dich tun kann, sondern was Du für Berlin tun kannst."
(RBB / sae)
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bitte: stoppt die tägliche "Berichterstattung" über die "Berichterstattung" über "Äußerungen" von Chris Dercon. Informationsgehalt ist gleich Null. Was kommt als nächstes: Die Stuhlganganalyse? Warum berichtet ihr nicht einfach wieder, wenn er ein zusammenhängendes Konzept vorgestellt hat? Ihr müsst nicht über jeden Pups und jedes Hurz noch Buch führen. Echt jetzt.
Es ist echt so leer.
Entscheidend sind nicht politisch opportune Quoten, die Anzahl der Regisseure oder das Alter eines Intendanten.
Das "erstmal abwarten was er macht" ist kein Argument sondern eine Strategie von "Dercon-Befürwortern". Dercon scheint eine Entwicklung in Berlin zu symbolisieren, die wenigstens kritisiert wird.
Wie schon andernorts angemerkt: Das Bashing gegen Dercon hat nicht primär mit ihm als Kurator zu tun, sondern mit seiner selbstgewählten Rolle in der Causa Renner/Volksbühne. Bei einem solch desaströsen Vorgehen/Kommunizieren/Einbeziehen sowohl von Renner als auch von Dercon ist eine "Front" kein Wunder.
Sie schreiben: "[...] genauso wenig [...] ist eine Intendanz komplett dadurch zu beurteilen, was jemand vo[r] Dienstantritt von sich gibt.". Das sagen die Trump-Relativisten analog. Institutionen wachsen/blühen nicht so schnell, wie Personalien wechseln und auch nicht so schnell, wie Instituttionen niedergehen. Das hat in letzter Konsequenz etwas mit Vertrauen zu tun. Mit Tim Renners Vorgehen ist genau das zerstört worden. Damit wird Diversität zerstört. Spezifizität auch. Dercon ignoriert das (alles). Er beharrt darauf, dass er formal eingesetzt ist. Die Trümmer (Abwanderung der Künstler, Mitarbeiterbrief, Petition, Diskussionen, ...) scheinen ihn weniger zu kümmern. Ein gewisser H. Faust sekundiert:
"Das Drüben kann mich wenig kümmern;
Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
Die andre mag darnach entstehn.
Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
Dann mag, was will und kann, geschehn."
Fuck local. Sein Motto.
Und der echte Fick ist nach wie vor: nicht digital!
Insofern wird es Sie nicht überraschen, wenn ich eine Lanze für den Unmut breche, der natürlich in einer Ohnmacht gefangen ist. Das hat etwas mit Herren und Knechten zu tun. Das demokratische Selbstverständnis behauptet ja oft genug eine Aufhebung dieser Trennung. In der Causa Volksbühne erleben wir nach wie vor: The Renner takes it all. Oder hätte sich faktisch seit Dercon's Nominierung irgendetwas geändert? Insofern wäre es fair, zu konzedieren, dass die anhaltende Besprechung der Sachverhalte mit einem anhaltenden Wunsch nach Veränderung zu tun hat. Das soll nicht alle Entgleisungen rechtfertigen. Aber überraschen sollten die nicht. Das ist eben: Auseinandersetzung. Nicht: Bashing. Letzteres ist eine Seitenkonsequenz.
Und natürlich bemisst sich die Bedeutung eines Theaters nicht nach der Anzahl der Menschen, die dort inszenieren. Das wäre ja absurd und so war es nicht gemeint.
Aber Dercon u.a. vozuwerfen, er würde die "Diversität" zerstören (@10), während an der Volksbühne eben seit Jahren und Jahrzehnten die selben (tollen!) Hansel inszenieren, es höchstens ein minimales Schauspiel-Ensemble gibt und de facto keine regieführende Frau vorkommt, ist maximal absurd.
Ähnlich grotesk, wie den Trump-Vergleich (@10) zu ziehen, aber das kann ja nur satirisch gemeint gewesen sein. Mir scheint eine große Angst zu grassieren, dass irgendwas unterzugehen droht, woran man sich schon so gewöhnt hat und das setzt dann die Emotionen frei.
Und ja: Tatsächlich finde ich, sollte man mal abwarten. Zumal der Rest des Team – der in der Diskussion irgendwie nie erwähnt wird –, zB. Susanne Kennedy, Alexander Kluge, Marietta Piekenbrock dann irgendwie nicht so richtig in die Dystopie des theaterfremden Volkes, das über die Volksbühne herfällt, passen will.
Und keine Sorge: Es werden alle gut versorgt sein. Herbert Fritsch wechselt an die Exporteventbude der Republik, die Schaubühne, und Frank Castorf darf bei Oliver "Wir schreiben gerade die größte Erfolgsgeschichte seit Jahrzehnten" Reese inszenieren. Ist doch alles prima.
Bei dem von Tim Renner proklamierten "radikalen Neuanfang" geht es ja auch nicht darum die eine oder andere Regie am Haus neu zu besetzen; da irren Sie womöglich. Das Ergebnis seines Handelns ist jedenfalls, dass die gesamte Volksbühne als solche zerschlagen wird (da reicht ein Blick auf die beteiligten Künstler vorher und nachher; aber das ist nicht alles). Und das ist *zweifelsohne* eine Zerstörung an Diversität. Ästhetisch, politisch, historisch, in Berlin.
Dercon ist lediglich Nutznießer der Entscheidung von Tim Renner. Aber er hat sich in diesen Nutznießerkokon zurückgezogen und ist damit mithaftbar. Was er auf Grundlage dieser Trümmer aufzubauen vermag, ist eine andere Kiste; relativiert aber nicht das Desaster als solches.
Sie schreiben "Mir scheint eine große Angst zu grassieren, dass irgendwas unterzugehen droht, woran man sich schon so gewöhnt hat [...]". Tja, vielleicht lesen Sie noch einmal den Brief der Mitarbeiter.
https://www.volksbuehne-berlin.de/download/Image/diverses%20ab%2014_15/Offener%20Brief.pdf
Nein, dass sie strukturell parallel zu Anti-Trump-Protestierern argumentieren, ist nicht satirisch gemeint, sondern (grotesker) Fakt: "warten wir mal ab, es wird schon nicht so schlimm" (Paraphrase). Das können Sie ja nicht ernsthaft bestreiten. Bottom line: Nicht warten, bis die Institutionen zerschlagen sind, sondern grundfalsche Prozesse und Entscheidungen von Anfang an kritisieren und Alternativen aufzeigen.
Und auch deswegen bräuchte es Debatten, die Rücksicht nehmen. Eben keine Establishment-Entscheidungen (wie beispielsweise im Falle der super delegates pro Clinton und contra Sanders)!
Zuletzt: In Ihrem letzten Absatz wiederholen Sie ein Scheinargument, das nun hinreichend oft wiederholt wurde. Gut wäre es, unter die Oberfläche zu schauen statt den Labels hinterherzurennen und hinterherzuglauben. Daher noch einmal: Es geht nicht um die Regisseure Fritsch und Castorf. Es geht um die Intendanz Castorf. Es geht um den Organismus, das Haus, diese singuläre Institution samt aller Beteiligten, es geht um den katastrophalen Prozess, der dahin führte.
Man stelle sich vor, es ginge um ein „zerbrechliches Gut“ und alle würden kollektiv mutwillig damit verfahren. Und das Theater ist so ein fragiles Gut.
Jeder weiß, dass man eine Theaterproduktion klein reden kann. Damit schon vor der Vorstellung zu beginnen, ist frevelhaft. Schon lange vor Probenbeginn monatelang eine nicht begonnene Arbeit nicht nur klein, sondern sogar kaputt zu reden, das ist Destruktion, in der Gewissheit, dass ein fragiles Gut irgendwann zerbrechen wird. Man wünscht sich mit solchem Tun, dass es zerbricht. Man sehnt es sich herbei.
Zu verbreiten, dass frühe Opposition von Nöten wäre, die das Ganze verhindern muss, und hierzu schlimme „Despoten“ zum Vergleich herbeizuziehen, und ihre Machtergreifung mit einem Intendantenwechsel (nach 25zig Jahren) gleichzusetzen, wäre es nicht so absurd, man könnte es für eine Art „Propaganda“ halten.
Alle Argumente sind schon einmal ausgetauscht worden. Wozu also diese ewige Wiederholung? Wem nützt die noch?
Die Ermüdung, die Erschöpfung, die Irritation, die Abstumpfung und die Gewöhnung, die von so einem Prozess ausgehen, sind grundfalsch für einen Vorgang, der letztendlich nur in gehobener Stimmung lebendig sein kann. Und das Theater lebt von so einer gehobenen Stimmung. Es ist sein Lebenselixier. Man raubt ihm die Luft zu atmen, wenn man ständig nur mit schon längst stumpfen Waffen weiter ficht.
Khuon hat gerade in einem Interview empfohlen, man solle nun die Setzung „Dercon“ erst einmal als Setzung akzeptieren. Das ist vernünftig und gesund, wenn man nicht der gefühlten Zerschlagung eines Hauses eine echte Zerschlagung des Teams von Dercon entgegensetzen möchte, um den Trümmerhaufen weiter zu nähren. Was soll da am Ende bei herauskommen? Schadenfreude?
Mal abgesehen davon, dass die Künstler, welche das Haus in seiner Tradition fortführen sollen, für den Zeitraum schon gar nicht mehr zur Verfügung stehen, da sie sich andernorts verpflichtet haben, auch wenn es zu einer Revision der Entscheidung durch Lederer käme, was nicht wünschenswert wäre, die Volksbühne könnte faktisch nie mehr die sein, die sie mal war.
Und Lederer skizziert in der Kulturzeit eine „Linie Piscator, Besson, Müller, Castorf“.
Und die möchte er fortgesetzt sehen, im Sinne der Tradition des Hauses. Auch er spricht von einem Organismus. Diese Linie ist aber künstlich gedacht. Keiner dieser Künstler könnte ausschließlich nur von der Volksbühne beansprucht werden. Es ist mehr eine kulturpolitische Linie, denn eine historische. Da versucht jemand indirekt in die Geschicke des neuen, designierten Teams kulturpolitisch einzugreifen. Und das ist nicht richtig. Das wissen wir alle.
Die Methode, dass designierte Team klein und nieder zu reden, dient lediglich dazu, den hierdurch entstehenden Schaden an der „Freiheit der Kunst“ zu vertuschen, zum Vorteil einer gedachten Traditionslinie, die man meint nicht näher erläutern zu müssen. Wie weit Dercon und seine Künstler nicht auch in diese Linie passen könnten, wissen wir noch nicht. Deshalb soll er möglichst auf einen neoliberalen Eventkurs festgelegt werden, für den es noch keine Belege geben kann. Das er jetzt auch angegriffen wird, wenn er auf Wünsche seiner Gegner eingeht, wenn er verspricht ein festes Ensemble aufzubauen, ist symptomatisch für den destruktiven Charakter der Debatte.
Nichts was er sagt oder tut, soll jemals gültig sein. Er wird vorab als völlig Geltungslos dargestellt, damit die Verletzungen an seiner Person kleingeredet werden und die Allgemeinheit sich an solche Vorgänge im Kulturbetrieb gewöhnt.
Die immer selben Brocken zwischen den Fronten hin und her zu werfen, kann nicht sinnvoll sein und führt lediglich zur Abnutzung der Sinne
Nein, das 'wissen' wir nicht, und schon gar nicht 'alle'. Was für eine Anmaßung. Die Ursünde ist ja Tim Renners vollkommen uninformierte Entscheidung samt Beharren. Nur aus dieser Uninformation und Unangemessenheit heraus ist die aktuelle Lage zu verstehen.
Hätte er auf der 100-Jahr-Feier mit offenem Visier agiert, hätte er das kommen sehen können. Im Nachhinein von "Kommunikationsfehlern" zu sprechen ist entweder naiv oder dummdreist.
In Hinblick auf Ihren oben von mir zitierten Gedanken sind Sie in einem Schisma gefangen, martin baucks. Entweder ist Renners Entscheidung richtig gewesen und dann ist es auch die von Lederer. Oder beide sind falsch. Sich mal jenes und mal jenes Vorgehen herauszusuchen ist wenigstens unaufrichtig, jedenfalls inkonsistent.
Und jetzt kommen Sie bitte nicht mit dem Lamento "25 Jahre". Ich bitte Sie. Sie monieren das Wiederholen der Diskussion und stiften selbst das ewige Bürokratenargument "Amtsdauer" neu. Dann sollte es nicht wundern, dass meine Replik folgt: In der Kunst gilt's der Kunst. Und da ist die castorfsche Volksbühne fraglos ein Glanzpunkt. Zudem ist sie ein notwendiger, alleinstellungsmerkmalüberreicher Bestandteil der Berliner Landschaft.
Beides verkannte Renner mit seinem Alleingang. Dercon sekundiert der Renner-Entscheidung und verhält sich nur innerhalb seiner Rolle, aber nicht ZU seiner Rolle.
Dercon wird sein Programm, wie vertraglich vereinbart, im Frühjahr vorstellen. Zu nichts anderem ist er verpflichtet. Wer etwas anderes einklagt, handelt mit konstruierten Verantwortlichkeiten, um seine Position künstlich aufrecht erhalten zu können. Haltungen, die Versäumnisse beklagen, die es faktisch von Seiten Dercon's aus nicht gibt. Selbst wenn er von einem inkompetenten Menschen engagiert wurde, fällt dies nicht in seine Verantwortung. Er wäre nicht der erste gute Intendant, der von einer "Pfeife" ins Amt gehoben wurde.
Sein Programm wird erst offiziell zum April von ihm erwartet. Akzeptieren sie das. Bitte!
Keiner der Mitarbeiter der Gewerke und der Verwaltung wird entlassen.
Ein festes Schauspieler-Ensemble wird aufgebaut und es gab auch heute schon verschiedene Sparten in diesem Haus, insbesondere Tanz. Es gab Johann Kresnik und es gibt Gob Squad.
Was ist also das Problem? Dass neue künstlerische Wege gegangen werden, die sich substanziell und ästhetisch von den letzten 25 Jahren unterscheiden werden? Das ist der Sinn bei einem Intendantenwechsel.
Schauen Sie mal das Maxim-Gorki-Theater an, wo das "alte Publikum" mittlerweile wirklich weg bleibt, was aber vom Feuilleton niemanden interessiert und das Haus ja mit einem neuen Publikum offensichtlich auch gut ausgelastet ist. Kann sich noch jemand an Armin Petras im Gorki erinnern, der im Gegensatz zu Dercon wirklich alles gekündigt hat, was sich vertraglich irgendwie kündigen ließ?
Ich glaube, es geht mittlerweile bei dieser Debatte nur noch darum, dass sich niemand mehr die Freiheit zum Drauf hauen nehmen lassen möchte. Das ist alles Meinungs- und Äußerungsfreiheit, bitteschön. Aber wenn es nicht mehr um bedrohte Arbeitsplätze geht und auch nicht um Künstler, die so ziemlich alle schon wo untergekommen sind für die Zeit ab kommenden Sommer, worum geht es denn dann noch? Dass man (wer auch immer) nicht gefragt wurde, ob man mit der Personalentscheidung zufrieden war? In welchem Theater wurde das in der Vergangenheit gemacht?
Geht es darum, dass ein Ruf zu verlieren ist und, wenn ja, welcher? Der Ruf eines Hauses, an dem viel Neues, noch nicht da Gewesenes zu entdecken ist oder geht es um den Ruf eines Hauses, dass sich auch darüber definiert, dass es ein Bunker gegen die böse kapitalistische Welt da draußen ist? Bei letzterem hat das nur noch bedingt etwas mit Theater zu tun, sondern damit, dass Menschen sich in einem politischen Vakuum räumlich nicht gestört fühlen möchten. Dafür bekommt eine Kulturinstitution aber keine Subventionen.
Ich finde, man sollte dem neuen Team eine Chance geben und die Gewehre mal zur Seite legen.
Wie ich jedoch bereits an anderer Stelle feststellte, handelt es sich bei dieser ganzen Gemengelage (Volksbühne, Renner, Dercon) um eine derart heikle (und auch zeitsensitive) Angelegenheit, dass ein Abweichen vom Schema F angebracht wäre. Das ist nicht irgendein Stadttheater! Diese Feststellung teilen Sie sicherlich auch. Und das bedeutet, dass es doch Verantwortlichkeiten jenseits der formalen Vertragserfüllung gibt. Chris Dercon setzt auf Aussitzen. Kann er machen. Aber die Kritik daran muss er sich dann auch gefallenlassen.
By the way, haben Sie eine Quelle für die von Ihnen zitierten Vertragsinhalte?: "Dercon wird sein Programm, wie vertraglich vereinbart, im Frühjahr vorstellen."
Wie ich bereits dargestellt habe, verhält sich Chris Dercon eben nicht zu seiner Rolle. Er beharrt auf seinem Vertrag und negiert damit die Rufe nach einem anderen, informierten Verfahren, einer Revision, wie sie auch der Kultursenator angekündigt hat. Das erkenne ich als Dercons Versäumnis. Mithin ist er williger Protagonist im rennerschen Spiel. Er ist Profiteur der rennerschen Entscheidung. Ohne sein Zutun gäbe es die aktuelle Lage nicht. Dieser Makel bleibt. Ohne seine Einsicht hierein wird das nicht heilen können.
Sie können gern weiter für "Ruhe bitte" plädieren. Der Versuch des Schweigenmachens wird nicht dazu führen, dass die Vorgänge an sich richtiger/demokratischer/kunstgerechter/legitimer/informierter geworden wären. Insofern: Halten Sie es aus, den offenen Austausch.
Mag sein, dass Tim Renner "inkompetent" oder eine "Pfeife" ist, das interessiert mich nur sekundär. Mich interessiert die Volksbühne. Und die hätte was anderes verdient. Die Ausgangslage hat sich nicht verbessert; eben auch aufgrund von Dercons Äußerungen und Nichtäußerungen.
Sie drängen und zwängen das Team Dercon in ihr Koordinatensystem, welches fast durchweg mit politischen Ansprüchen arbeitet. Sicherlich gibt es in der Politik eine Strategie dringende Entscheidungsprozess einfach auszusitzen, die keinen Aufschub dulden. In der Kunst und Kultur gelten andere Regeln. Neben dem, dass man der Kunst keine Befehle erteilen darf, denn sie ist frei, kann man ihr auch keine politischen Verfahrensweisen aufzwingen. Nichts drängt in der Kunst mehr als sie selbst. Sie bestimmt ihre Inhalte, ihre Ästhetiken frei, und auch den Zeitpunkt, wann sie sich zum Zeitgeschehen äußert. Sie zwingen diesem kulturellen Vorgang politische Kategorien auf, wo man sich in der Tat gegenüber akutem Zeitgeschehen politisch verantworten muss oder ansonsten wegen schwerer Versäumnisse angegriffen wird. Das sind politische Kategorien. Künstler und Kuratoren gehören einfach nicht in Koordinatensystem. Da liegen sie grunfalsch. Von daher gibt auf Seiten des Teams von Chris Dercon weder ein Makel noch ein Versäumnis, außer jene, die man Ihnen anzudichten gewillt ist, aus Gründen, die das Team Dercon nicht zu verantworten hat.
Mir geht es nicht um Auslastung. Das kann ja wohl nicht ernsthaft Ihr Argument sein. Das wäre so als ob ich vorschlagen würde, dass Chris Dercon den Friedrichstadtpalast übernehmen soll. (Was für die Stadt vielleicht gar nicht so uninteressant wäre. Spaß beiseite.)
Die Parallele zum Gorki-Theater ist verfehlt. Weder hatte der von mir sehr geschätzte Petras eine derartige Institution wie die castorfsche Volksbühne geschaffen, noch war die Neubesetzung der Gorki-Intendanz derart uninformiert. Oder haben Sie im Umfeld des dortigen Wechsels je solche Stimmen wie die des Mitarbeiterbriefes, der Petition, der Intendanten (Oberender, Flimm, Khuon, Peymann, ...), der Kritiker (nicht alle, ich weiß), des Publikums, der Kommentatoren (zum Beispiel hier) mitbekommen? Nein. Und warum nicht? (Übrigens habe ich damals schon das Nichteinsetzen einer Findungskommission moniert!! Hier auf nachtkritik.)
Sie fragen: Worum geht es dann noch? Um die Wahrung eines sehr besonderen Raumes. Dazu gehört das Haus mit seinem Personal, seiner Tradition, seinem Publikum. Das alles zu schleifen, kann man politisch wollen. Der Stadt als ganzes schadet es. Da geht es auch um den Osten, das wird oft vernachlässigt.
Noch einmal: Wenn man Dercon haben will, wäre andernorts Platz gewesen. Warum fängt man bei Intendanzbeendigungen eigentlich bei einem der angesehensten Häuser an und überlegt nicht erst einmal, wie das Gesamtbild aussieht (vgl. das Ivan-Nagel-Gutachten aus den Neunzigern)?
Was wäre denn so schlecht daran gewesen, eine Castorf-Volksbühne weiterarbeiten zu lassen? Das muss doch die Ausgangsfrage sein. Nicht andersherum: Erst zerschlagen und dann nachfragen, warum die Trümmer eigentlich nicht auch ihre Schönheit haben.
Nun, die Castorf´sche Grundhaltung „Da spuck ich drauf, dass habe ich in der DDR so gelernt, und das werde ich bis zu meinem Tod beibehalten!“, war lange Zeit ein Katalysator für Widerständiges, Schrilles, eben ein lebendiger Aufschrei, in all seiner Agonie.
Aber der Kadaver-Gehorsam gegenüber der eigenen Haltung hat tatsächlich ausgedient. Treue, Unverbrüchlichkeit sind Kategorien des Vergangenen.
Heute brüllt man nicht mehr: Wir sind das Volk!
Heutzutage fragt man: Wer wird das Volk!
Castorf hat den „Verrat“, sicherlich der schlimmste Feind des realen Sozialismus, seiner Zeit zu seinem Motto erhoben.
Dercon erhebt die „Kollaboration“ in einen neuen Ehrenstand.
Dies ist in einer Linie und zugleich ein Bruch mit einer Linie. Und so war es immer. Castorf knüpfte an einen Bruch widerständig an. Dercon verknüpft sich mit dem Feind, um ihn zu vereinnahmen.
Verschiedene Länder, verschiedene Sitten und Strategien.
Darüber könnte man sicher streiten selbst wenn diese Schauspieler alle fast an der Volksbühne engagiert wären. Sind sie aber natürlich nicht. Und in "unzähligen" Stücken spielen die dort auch nicht. Frau Rieger findet man noch nich mal mehr auf der Website der Volksbühne!
Sowas wie ein "bestes Ensemble" gibt es ja aber ohnehin nicht. Für die Art des Spiels, die sich an der Volksbühne entwickelt hat, sind die genannten Stars sicher eine tolle Truppe. Ob sie als Ensemble aber objektiv (als ob sich das sagen liesse) "besser" sind als beispielsweise das DT Ensemble, oder, wenn man mal über den Berliner Tellerrand hinaussieht (das darf man doch, oder?), als die Ensembles der beiden großen Hamburger Häuser oder des Residenztheaters... naja. Wie gesagt, darüber liesse sich streiten.