Erinnern wir uns an vorgestern

von Christian Rakow

Berlin, 16. Dezember 2016. Ein guter Rat von Mutter zu Tochter: Lach Dir ja keinen zu gutaussehenden Kerl an. "Der Charakter ist sowieso das Wichtigste … bei einem Mann." Schmunzeln im Publikum, Anja Schneiders Kunstpause hat gesessen. Bei einer Frau, so will sie bedeuten, kann's gern anders herum laufen. Hauptsache adrett, Mädel!

Das ist Herdprämienhumor aus Großvaterszeiten. Also aus den Zeiten, als Tennessee Williams‘ autobiographisch gefärbte Familienstudie "Die Glasmenagerie" herauskam (1944). Die Hauptfigur Laura Wingfield hat das schwere Los, nicht einmal sonderlich adrett zu wirken, wie sie so daher hinkt, unscheinbar, zerbrechlich, keine Verehrer, dafür umso verliebter in ihre Sammlung Glasfiguren. Die resolute Mutter Amanda probiert ihr bestes, ein Rendezvous für Laura einzufädeln. Und treibt das arme Ding damit fast zur Ohnmacht.

Finanziert werden die beiden Frauen von Lauras Bruder Tom Wingfield, der in einer Schuhfabrik sein Geld verdient, heimlich Gedichte schreibt, sich regelmäßig mit Mutter in die Haare kriegt und längst vor dem Absprung in ein ungebundenes Leben steht, gleich seinem Vater, der die Familie vor Jahren verließ. Als Alter Ego von Tennessee Williams erzählt Tom die Erlebnisse im Rückblick.

Was war denn das für ein Rollenmodell?

Was anfangen mit dieser Reise nach Neurosenheim, in die Ära vor Elvis und seinem befreienden Hüftschwung, als Frauen noch Frauen waren und Männer noch Hallodris? Das Team um Regisseur Stephan Kimmig am Deutschen Theater scheint live mitzurätseln. In einer grünspanbefleckten Fabrikhalle (mit der Bühnenbildnerin Katja Haß Wohn- und Arbeitsort ineinander blendet) wählt man einen artifiziellen, choreographierten Auftakt und immer wieder feinsten Gegenwartspop vom Plattenspieler (von L'aupaire bis Let's Eat Grandma), um die Stimmungslage von Laura musikalisch aufzuhellen. In den heftigen Wortgefechten zwischen Tom und Amanda driftet der Abend punktuell in einen wuchtigen psychologischen Realismus, um sich beim Tischgebet vor dem Foto des verschwundenen Vaters (mit Cowboyhut) wieder maximal ironisierend abzustoßen: "Daddy, wir lieben dich!"

Glasmenagerie 560 ArnoDeclair hImmer dieses Genähe. Ich hab keine Lust mehr, Mama! – Anja Schneider und Linn Reusse
© Arno Declair

Die Dramaturgie zündet im Programmheft Nebelkerzen, wenn sie auf den Niedergang der amerikanischen Arbeiterklasse verweist. Von einem dezidierten zeitgenössischen Interesse fehlt jede Spur, echte Historisierung gibt es ebenso wenig. Am ehesten überzeugt der Abend dort, wo er mit Marcel Kohler zum Porträt des Künstlers als jungem Mann bittet: Mit konzentriertem, innerlich leicht bebendem Ton zeichnet Kohler den Poeten, der an der Arbeitswelt verzweifelt und sich vor den Übergriffen der Mutter nachts in die Welt des Kinos flüchtet.

Die Frauen, wiewohl erstklassig besetzt, schuften derweil etwas verloren an der Differenz zum antiquierten Rollenmodell. Anja Schneider – wieder zurück in Berlin und neu im DT-Ensemble – vergrößert die Herrschsucht ihrer Amanda bisweilen ins grotesk Hysterische. Und Linn Reusse ("Busch"-Absolventin 2016) verrät mit wenigen locker hingeworfenen Tanzschritten, dass Lichtjahre zwischen der souveränen Darstellerin und ihrer auf debil gepolten Figur Laura liegen. Da helfen auch die extradicke Doofie-Hornbrille und die Schlabberklamotte (Kostüme: Anja Rabes) nicht weiter.

Slapstick rettet Situationen

Als es auf die zweite Hälfte des Abends zuging, muss in Stephan Kimmig die Befürchtung übermächtig geworden sein, dass das Ganze bei aller inszenatorischen Hyperaktivität doch ziemlich staubt. Und also zog er das ultimativ letzte Ass aus dem Ärmel, Holger Stockhaus, der erst vor vier Wochen in Stuttgart mit "Raub der Sabinerinnen" Premiere hatte, sich aber nie zu schade ist, ein komödiantisches Feuerwerk abzufackeln. Selbst auf hölzernem Grund. Als abendlicher Gast Jim O’Connor schiebt er sich hinreißend verspannt herein. Die Wingfields wollen Jim mit Laura verkuppeln. Es geht nach hinten los (bei Tennessee Williams kommt es sogar zu einem angedeuteten sexuellen Übergriff; im DT bleibt's eher cosy).

Mit Stockhaus hebt der Abend doch noch ein wenig ab. In Richtung Slapstick. Alle fangen an zu extemporieren, es gibt ein paar schöne Solos (eine pantomimische Jazz-Einlage von Stockhaus himself, einen faszinierenden Robotnik-Schlangentanz von Linn Reusse zu Bronski Beat, jeweils mit Szenenapplaus empfangen). Anja Schneider plappert sich bei der Ankunft des Gasts umwerfend erregt um Kopf und Kragen.

Und dennoch. Das DT hat eigentlich gerade einen guten Lauf. Mit "Berlin Alexanderplatz", "Der Mensch erscheint im Holozän", "Fatzer", "Marat/Sade" gab es zuletzt konzeptionell anspruchsvolle, inszenatorisch überraschende Arbeiten in Serie. Das hier ist ein Rückfall in karge Zeiten. Im dramaturgischen Niemandsland ist es den DT-Schauspielern fraglos noch meist gelungen, mit individuellen Skills und Virtuosenstücken das Fehlen einer stimmigen Gesamtkomposition zu übertünchen. Mal besser, mal schlechter. Heute etwas besser.

Die Glasmenagerie
von Tennessee Williams
Deutsch von Jörn van Dyck
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes, Musik: Michael Verhovec, Licht: Robert Grauel, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Anja Schneider, Linn Reusse, Marcel Kohler, Holger Stockhaus.
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

"Die phänomenalen Schauspieler finden tief in diese Figuren hinein", so André Mumot für "Fazit" auf Deutschlandradio Kultur (16.12.2016). Die vier Schauspieler überzeugten in ihrem "Zusammenspiel der Liebes- und der Hassgesten, der Berührungen, Abstoßungen, des völlig unverkrampften Miteinanders". Es möge kein weltbewegender Abend sein, nicht viel mehr als eine leise Übung in Intimität und Charme. "Gemeinsam zeigen die vier Menschenmacher aber über immerhin zwei Stunden und 40 ungeheuer faszinierende Minuten, was im besten Fall passieren kann, wenn man sich auf konventionelles Literaturtheater mit vollem Herzen einlässt, wenn man sich nicht über die Figuren stellt, sondern tief in sie hineinfindet: Nah fühlt man sich dem Leben und diesen Gestalten, und nah fühlt man auch sich selbst."

Ein "Erinnerungsspiel", ein "anrührendes Illusionstheater" hat Simon Strauss gesehen und schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.12.2016): Von Anfang an sei "alles auf zarte Schlichtheit eingestellt". Man bekomme vor diesem Hintergrund "ein wahres Schauspielfest" zu sehen, "bei dem die vier Darsteller alles zeigen können, was in ihnen steckt: Der Slapstick ist unterhaltsam, die Pointen sitzen, das Gefühl der Rührung setzt im richtigen Moment ein – was man sonst vor allem aus dem Kino kennt, das sinnübertragende, gefühlsanstiftende Spiel, hier findet es einmal wieder an seinem ursprünglichen Ort statt", so Strauss. "Warum? Weil der Regisseur den Mut besitzt, die Zartheit des Stücks zart zu lassen und die Traurigkeit traurig." Nur manchmal verrate er die altmodische Sentimentalität des 1944 uraufgeführten Stückes an den Klamauk, unterlaufe mit allzu dick aufgetragener Geste den eigenen Ansatz ironisch.

Einen "erstaunlich waghalsigen Abend" hat Dirk Pilz gesehen und schreibt in der Berliner Zeitung /Frankfurter Rundschau (19.12.2016): "Williams wollte sein 1945 uraufgeführtes Stück 'in der Sphäre der Erinnerung' gespielt sehen, man könne es so 'unabhängig von aller Theaterkonvention' gestalten. Das nimmt Kimmig wörtlich: Er lässt seinen Schauspielern freie Improvisationshand, und sie nehmen das zum Anlass, sich von ihren Figuren überraschen zu lassen." Allen voran Anja Schneider: "Allzu viele Schauspielerinnen gibt es nicht, die derart entschieden die Amplituden des Daseins auszubuchstabieren wissen." Es seien die derart hergestellten "schmalen Selbstdistanzen" der Figuren, die dem Abend seine Fallhöhe, seine Dramatik verliehen, so Pilz. Man übersehe sie allerdings leicht im schwitzenden Szenengeschehen, vor allem im zweiten Teil. "Die Figuren rutschen ins Zweidimensionale, bis sie mit dem Eisberg der Verzweiflung kollidieren. In voller Fahrt, mit ganzer Wucht: schöner Scheitern für Fortgeschrittene."

"Tennessee Williams’ 'Glasmenagerie' ist 72 Jahre alt. Was also fängt man im ausgehenden Jahr 2016 damit an?", fragt Christine Wahl im Tagesspiegel (19.12.2016) und antwortet: "Stephan Kimmig überrascht dahingehend, dass er diese Frage zwar nicht recht beantworten kann, das Stück aber trotzdem mit Grandezza auf die große Bühne des Deutschen Theaters bringt."

"Mit Interpretationen, Aktualisierungen und Erklärungen hält sich der Regisseur zurück", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (28.12.2016). Vielmehr setze er auf Atmosphärisches, auf Stimmungen und Schwingungen – und auf das formidable Schauspieler-Quartett, "das aus diesem unspektakulären, stellenweise etwas öden Familiendrama einen sehenswerten Theaterabend macht". So konventionell küchenrealistisch der Abend daherkomme – er habe seine Verrücktheiten und komischen Ausreißer und verlangt manchmal ein bisschen Hingucker-Geduld, "da gibt es Zeitdehnungen, wie eigentlich nur noch das Theater sie zulässt (und aushält). Konfektionsware ist das nicht."

 

Kommentare  
Glasmenagerie, Berlin: Wagnis?
Ich verstehe ja jeden, der zur Pause rausgegangen wäre (wobei mir nur einer auffiel...), weil da bis auf den gut gebauten Anfang nichts positiv hängen blieb. Sondern man sich nur fragte: warum überhaupt so ein Stück machen, Fallhöhe bescheiden, so gut wie kein Bezug zu heute (der auch nicht versucht wird, was ich dem Abend zugute halte)?
Aber was für ein Unterschied nach der Pause! Das kann man jetzt für etwas billig, für Trickserei halten: wenn ich keine Idee habe, lasse ich halt die Schauspieler von der Leine. Aber es macht nicht nur den Abend ausgesprochen komisch und unterhaltsam, sondern da sind dann endlich auch die Brüche in den Charakteren, das Tragische und etwas Überzeitliches zu sehen.
Wenn es so geplant war, erste Hälfte meeh, zweite Hälfte wow, ist es ein Wagnis, was mit Glück aufgegangen ist.
Die Glasmenagerie, Berlin: Hauch einer Idee
Wenn man ein solches Stück erwählt muss man doch wenigstens den Hauch einer Idee dazu haben und/oder es ernst nehmen. Stattdessen verliert sich die Inszenierung in solistischen Darbietungen aus der untersten Schublade.
Anja Schneider hechelt hysterisch und hat keinerlei Schmerzpunkte.
Marcel Kohler grimassiert sich pseudowütend durch den Abend.
Ein leerer, sinnentleerter, langer Abend!
Die Glasmenagerie, Berlin: a la Ladykracher
Mit großer Vorfreude warteten die Feuilletons auf das Debüt von Anja Schneider am Deutschen Theater Berlin.

(...)

Für ihre Rückkehr nach Berlin hat sie sich eine hervorragende Rolle ausgesucht: die Amanda Wingfield in „Glasmenagerie“ von Tennessee Williams. Was man aus dieser Rolle machen kann, bewies im Frühjahr der Thalbach-Clan am Kudamm.

In der sehenswerten Inszenierung von Katharina Thalbach wurden die Figuren fein gezeichnet, Anna Thalbach gab die Amanda Wingfield als zugleich warmherzige und neurotische Vorform einer Helikopter-Mutter.

Anja Schneider hat hingegen in Stephan Kimmigs Inszenierung am Deutschen Theater Berlin die Aufgabe, vor allem hysterisch zu schreien, bevor sie nach der Pause über weite Strecken komplett abtaucht.

Das ist signifikant für die zwei Teile eines Abends, die deutlich auseinanderfallen: die erste Hälfte wirkt sehr verstaubt.

(...)

Wenn das Publikum nach der Pause zurückkommt, entert auch Holger Stockhaus die Bühne. Das langjährige Mitglied aus Anke Engelkes „Ladykracher“-Sketchreihe reißt den Abend an sich: von nun an wird eine unterhaltsame Boulevard-Komödie gespielt.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2016/12/17/glasmenagerie-stephan-kimmig-laesst-die-glasmenagerie-am-deutschen-theater-ins-boulevardeske-kippen/
Glasmenagerie, Berlin. Überfluss an Ausdrucksmodi
Da hat sich Katja Haß mal wieder ordentlich austoben können. Eine eindrucksvoll dimensionierte Raumflucht hat sie auf die grüße Bühne des Deutschen Theaters gestellt. Grüne Wände, die ihre besten Tage lange hinter sich hatten, und die schon großflächig mit braunen Flecken durchsetzt sind (oder ist es umgekehrt?), ein Hauptraum und eine Art Seitenflügel mit leicht erhöhtem Nebenzimmer, Kellergeschoss und einer Fluchtgalerie auf Höhe des 2. Rangs. Hier lebt die Familie Wingfield: allein erziehende Mutter, vom Leben als Schriftsteller träumender Sohn, behinderte Tochter, die sich am liebsten in private Träume zurückzieht und die Welt meidet, wo sie nur kann. Doch warum kleben an der Decke Neonröhren wie im Großraumbüro, stehen die Nähmaschinen (immer hin drei) in Reih’ und Glied wie in einer Fabrik? Eine Anspielung auf den Tagesjob von Sohn Tom, der Schuhe produziert, statt Romane zu schreiben, um die Familie über Wasser zu halten?Vielleicht. Auf jedem Fall ist die Bühne schon ein guter Indikator dafür, was den Zuschauer in diesen mehr als zweieinhalb Stunden erwartet: viel Unentschiedenheit, null Haltung, aber dafür ein Überfluss an Ausdrucksmodi und gestalterischen Mitteln. Sogar zwei Hühner gibt es, die Tochter Laura des öfteren herausholt und sehnsüchtig betrachtet. Eine Idee braucht es dann offensichtlich nicht mehr. Vielleicht war aber auch einfach keine Zeit mehr dafür.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2016/12/17/sie-wollt-sie-war-ein-huhn/
Glasmenagerie, Berlin: erste Hälfte besser
Mir taten die Schauspieler leid, denn sie waren alle sehr gut, wurden aber von der Regie dazu verdammt, sich in Mätzchen zu verlieren. "Die Glasmenagerie" ist in meinen Augen ein Stück, in dem sehr sensibel in menschliche Seelen geblickt wird.
Von Anja Schneider bekam man eine Ahnung davon, wie großartig sie ist. Nur leider musste sie ständig hektisch hin und her laufen und bekam nicht die Möglichkeit, ihrer Rolle die Vielschichtigkeit zu geben, die im Text drin ist. Marcel Köhler durfte da noch in seiner Rolle am tiefsten gehen.
Bis zur Pause war ich noch ganz guter Dinge, aber in der zweiten Hälfte war der Schwerpunkt dann nicht mehr bei den Schauspielern und auch nicht bei Tennessee Williams, sondern nur noch bei Stephan Kimmig.
Die Glasmenagerie, Berlin: reinstes Theaterglück!
Wieder einmal das inzwischen wohl schon vorprogrammierte Bashing eines selbstverliebten Kritikers („cosy“). Sehr traurig ist das. Get a life!
Ich habe gestern einen zutiefst berührenden Theaterabend erlebt in dem die Existenzkämpfe des kleinen Menschen so plastisch wie schon lange nicht mehr dargestellt waren.
Reinstes Theaterglück!
Glasmenagerie, Berlin: herrliche Balance von Abgrund und Komik
Entschleunigung im Sog der Geschehnisse

Eine Zeitschleife, eher ein Lasso, legte Kimmig im ersten Teil um den Zuschauer. Langsam dehnte sich die atmosphärische Stimmung des Südstaaten-Ambientes von der Bühne in den Theatersaal. Bis man befürchtet, die Beklemmung nimmt kein Ende. Jeder lebt seine Ängste anders, seine Neurosen, seine Spleens , auch mit echtem Federvieh auf der Bühne, in Trance, bei magischen Songs, alles in beklemmend-ästhetischer, morbider Einrichtung.
Durch die Knaller, die hauptsächlich durch die sehr jugendliche, dynamische Mutter Amanda (Anja Schneider) zu Jokes und Temperament dann gegen Ende des ersten Aktes zu lauten Lachern veranlassen oder durch den Sohn Tom (Marcel Kohler), der wie Schüsse sein Unbehagen auslöst, zieht sich das Geschehen zeitlich zusammen, das Lasso wird enger. Abhängigkeiten sowohl zwischen den Geschwistern wie von Sohn/Mutter und Mutter/Tochter müssen immer wieder explodieren. Man geht also vorbereitet für weitere dramatische Ausbrüche in die Pause.
Laura, die Tochter (Linn Reusse) wird dann dem Mann, Jim O'Connor zugeführt. Im Wettbewerb mit der Mutter, die auf Slapstick-Art und skurril wirkender Anmache eigentlich den Mann will. Hinreißende Tanzeinlagen von Laura und ebenso die körpermusikalische Rhythmusarbeit von O'Connor (Holger Stockhaus) begeistern das Berliner Publikum aufs Beste. Das ist nach dem Geschmack der Zuschauer, die einfach was zum Anfassen und Lachen brauchen, um nicht 2 1/2 Stunden lang ganz der Schwermut ausgeliefert zu sein.
Nein, Tennessee Williams Stücke sind keine Lachnummern. Aber Kimmig gelingt eine herrliche Balance von Abgrund und Komik, immer zurück gezwungen in die Ausweglosigkeit der ökonomischen und bildungsarmen Verhältnisse dieser exemplarischen Familie.
Noch bedeutender empfinde ich die Balance von Tempo und Innehalten durchs ganze Stück hinweg. Die Musikalität dieser Aufführung ist grandios, das meisterhafte Umgehen mit Zeitdehnung und Straffung, wie sie auch Zukunft und Rückblick in einem beleuchtet., spricht ein Jetztgefühl an, das auch immer wieder Ratlosigkeit von uns heute meint. Zum Verrücktwerden, hätte man nicht den Humor und das ganz geduldige Zuschauen aktiviert. Manchmal eine Stille im Theaterraum, die Einen ganz seltene poetische Momente erleben läßt, und oft die Zeit anhielt. Bravo, Bravo-viele Bravos.
Glasmenagerie, Berlin: ganz großes Theater
Um es gleich kurz zu machen, es war ein Feuerwerk des Schauspiels mit Kalauern, Slapsticks, großen Momenten der Rührung und Pausen, die wichtig waren. Musikalisch lag das alles irgendwie in den 80er Jahren, die Handlung spielt aber Mitte der 40er Jahre in einer amerikanischen Kleinstadt. Amanda, die Mutter erzieht ihren Sohn Tom und die Tochter Laura allein. Der Vater hat sie irgendwann verlassen. Eine letzte Karte folgte „Hallo! Bin fort!“ Laura ist 24 und noch immer nicht unter der Haube. Sie verlässt die Wohnung auch nicht. Sie hat einen Plattenspieler, zwei Hühner und eine Glastiersammlung, die Glasmenagerie. Tom arbeitet in der Fabrik, die Schuhe produziert, er schreibt Geschichten und Gedichte. Er ist ein Träumer, der jeden Abend ins Kino geht. Er will dieses Leben verlassen und in die Welt ziehen. Seine Mutter, die unglaublich gute Anja Schneider, vereitelt diesen Plan immer wieder, versucht ihn zu binden, eine Verantwortung für die Familie zu übernehmen.
Da kommt sie auf die Idee, Tom solle doch einmal einen Kollegen einladen, der sich vielleicht um Laura kümmern könnte.
Und es kommt Jim, der alles aufwirbelt. Die Mutter schmeißt sich ran, unglaublich gespielt mit so viel Mimik und Gestik, überzogen zwar, aber pointiert, wie man es selten im Theater erlebt. Laura kommt auf den Geschmack. Doch Jim hat eine Freundin und will heiraten.
Zurück bleiben die drei mit ihren Träumen, die sich nicht erfüllen lassen.
Was gäbe es mehr zu sagen, als das, es war ganz großes Theater, leider bekommen es viele (einige Kritiken siehe oben und deppernde Zuschauermeinungen, ich frage mich manchmal, was wollen diese Menschen eigentlich sehen?) nicht mehr mit.
Hervorzuheben sind die unglaublichen schauspielerischen Leistungen, bestimmt ist Anja Schneider ein Zugpferd, so wie sie verändert sich kaum ein*e Spieler*in im gleichen Moment, schreiend, fragend, schauend, träumend, verunsichert, liebend, abweisend, unmöglich, verständnisvoll, lachend, schäumend… Und Holger Stockhaus ein Musikinstrument für jede Jazznummer, einfach umwerfend, Marcel Kohler ist eh schon der Schauspieler des Jahres, er spielt den großen träumenden Jungen überzeugend. Und Linn Reusse hat sich so wunderbar in dieses scheue, schüchterne Mädchen hineinversunken, dass man immer wieder überrascht ist, wenn sie tanzend zu ihrer Musik über die Bühne schwebt.
Ganz viele Bravos auch von mir!!!
Glasmenagerie, Gastspiel Siegen: wunderbar
Die 4.Biennale im Apollo Theater Siegen eröffnete gestern mit
Der Glasmenagerie. Eine wunderbare Aufführung mit einer grossartigen Anja Schneider als Amanda!!
Glasmenagerie, Berlin: enttäuscht
Eer sich »Die Glasmenagerie« im DT anschaut und das Stück oder zumindest Tennessee Wilimans nur einigermaßen kennt, dürfte schwer enttäsucht werden. Wie man es schafft eine Tragöide zu einem billigen Boulevardtheater-Klamauk verkommen zu lassen, bleibt wohl das Geheimnis des Regisseurs. Wo das Unvermögen der Personen miteinander zu kommunizieren eines der wichtigsten Themen des Stpückes ist, wird hier zu lautem Geschrei und abgeschmackten, altväterlichen Humor gegriffen – die ganze Tragik der drei Hauptpersonen und des im zweiten Teil auftretenen »Verehres« bleibt so auf der Strecke. Es nötig schon einen gewissen Respekt ab, dass eine der profiliertesten Bühnen im deutschsprachigen Raum, seinen Zuschauen eine solche Inszenierung zumutet. Einzig Marcel Kohler imn der Rolle des Tom Wingfield weiß streckenweise zu überzeugen und vermittelt den Eindruck, ansatzweise verstanden zuhaben, worum es Tennessee Wiliams in seinem Drama ging.

Einzig das Bühnenbild und die eingespielte Musik weiß zu überzeugen. Das ist aber dann doch zu wenig, um einen Besuch im DT zu rechtfertigen.
Glasmenagerie, Berlin: Antikritik
Man kann von dem Abend denken, was man will. Die Frage ist aber, ob diese Kritik den Abend wirklich sieht oder eher die eigenen Erwartungen, zum Beispiel, was die Rollenvorstellungen angeht. Sollen Inszenierungen vorführen, wie Frauen heute zu sein haben? Diese Kritik hat einen genderideologischen Anstrich wie so manche Zeilen und manches Projekt in diesen Tagen. Sie versteht auch nicht das Anliegen des Abends, nämlich dass diese Inszenierung Laura hier gar nicht so "behindert" zeigt, wie bei Tennessee Williams zu lesen ist, sondern dass sie hier ein normales Mädchen ist in einer verrückten Welt. Die Überzeichnungen sind nicht boulevardesker Selbstzweck, sondern ein Stil, der eine entmenschlichte Realität sichtbar macht. So eine selbstbespiegelnde Kritik wie von Christian Rakow ist Teil einer verzerrten Welt wie sie auf der Bühne zu sehen ist.
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