Umgang mit einem "Vorzeige-Flüchtling"

von Sophie Diesselhorst

19. Dezember 2016. Am vergangenen Mittwoch morgen hat die Polizei in Augsburg und Frankfurt nach Ahmad Shakib Pouya gesucht. Sie wollten ihn in ein Flugzeug setzen, mit dem afghanische Flüchtlinge nach Kabul "rückgeführt" wurden. Rückführung bedeutet Abschiebung, klingt nur nicht ganz so brutal. Klingt eher, als würde man ein Kleidungsstück zurückschicken, das doch nicht passt. Wir reden aber nicht von Kleidungsstücken, sondern von Menschen, die ihre "Rückführung" in eine lebensbedrohliche Lage bringt.

Die deutsche Bundesregierung fühlt sich derzeit auch bedroht, und zwar von der rechtspopulistischen AfD, die Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Kabinett vorwirft, die Lage im Land nicht unter Kontrolle zu haben. Um zu demonstrieren, dass man "geltendes Recht durchsetze", die Lage also sehr wohl unter Kontrolle habe, hat die Bundesregierung im Oktober einen "Deal" mit der afghanischen Regierung geschlossen, die schwach und auf internationale Hilfe angewiesen ist. Der Deal verpflichtet Afghanistan dazu, so zu tun, als könnte es den "rückgeführten" Flüchtlingen eine (Über-)lebensperspektive bieten.

"Rückführ"-Land Afghanistan

Nach einem Anschlag aufs deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif im November wurde die erste geplante Sammelabschiebung kurzfristig abgesagt, weil es selbst im offiziell postfaktischen Zeitalter schwierig war, die Tatsache zu ignorieren, dass man ein Land, in dem gerade die eigene Auslandsvertretung in die Luft geflogen ist, nicht als "sicher" oder auch nur "teilweise sicher" bezeichnen kann. Nun aber scheint Masar-i-Scharif "verjährt", und das erste "Rückführungs"-Flugzeug ist am vergangenen Mittwoch gestartet und gelandet. Und auch wenn Pouya nicht dabei war, ist sein Weg auf die "Abschiebungs-Liste" womöglich ein repräsentativer.

 

 

 

Die Polizei hat Pouya also an diesem Mittwochmorgen nicht angetroffen. Zufall. Denn er wusste nichts davon, dass an diesem Tag ein Flug nach Afghanistan für ihn gebucht war. Was er schon wusste: dass die deutschen Behörden ihn loswerden wollen. Bereits im Oktober war sein Fall von der Ausländerbehörde Augsburg an die zentrale Ausländerbehörde des Regierungsbezirks Schwaben (ZAB) überstellt worden; zu diesem Anlass wurde Pouya in die ZAB zitiert und dort derart eingeschüchtert, dass er schließlich einen "Grenzübertretungsbescheid" unterschrieb, in dem er sich verpflichtete binnen einer von der Behörde gesetzten Frist nach Afghanistan auszureisen. Pouya wurde davon abgehalten, sich vor der Leistung dieser Unterschrift mit den Aktivist*innen des Grandhotels Cosmopolis zu beraten, die zu dem Termin mitgekommen waren.

Job, Sprachkenntnisse, Steuern zahlen

Das einzige Mittel, das einem Flüchtling noch bleibt, wenn er einen solchen Bescheid unterschrieben hat, ist, die Härtefallkommission des für ihn zuständigen Landes anzurufen, die dem Landes-Innenminister empfehlen kann, eine Ausnahme zu machen. So geschah es in Pouyas Angelegenheit. In ihrem Härtefallantrag beschreibt Sabine Reiter von dem Augsburger Flüchtlingshilfe-Verein "Tür an Tür", warum es unverantwortlich wäre, Pouya aus seinem neuen Umfeld zu reißen:

Nachdem sein Asylverfahren abgelehnt worden war – Pouya lebt seit 5 ½ Jahren mit dem Status "Duldung" in Deutschland – "hat sich Herr Ahmad Shakib Pouya trotz Arbeitsverbot nicht entmutigen lassen, das gesellschaftliche Leben in Deutschland und Bayern zu bereichern", heißt es darin. "Vor allem überzeugt er durch sein künstlerisches Engagement, das er von Beginn an in die Augsburger Kunst- und Kulturszene eingebracht hat." Und darüber hinaus: "Seine vielen Auftritte als Musiker, z.B. im Schloss Bellevue oder bei der Europäischen Zentralbank, kann er selbst schon gar nicht mehr alle zählen. Aufgrund seiner bundesweiten Darbietungen und seinem politischen Engagement wurde die IG Metall auf ihn 2015 aufmerksam und hat ihm eine Stelle in ihrer Beratungsstelle für Geflüchtete "Der Laden" in Frankfurt angeboten. (...) Der Vorstand der IG Metall setzt sich persönlich für Herrn Pouya ein und befürwortet ein Bleiberecht für ihn. (...) Darüber hinaus begleitet er viele Flüchtlinge zu Behörden, Ärzten oder Bildungseinrichtungen und fungiert hier als Dolmetscher. (...) Herrn Pouya liegt sehr viel daran, eigenständig Geld zu verdienen und auch hier in Deutschland einen Beitrag bei der Integration von Flüchtlingen zu leisten."

Pouya2 560 Zuflucht KultureV UPouya zu Gast bei Markus Lanz im Herbst 2015

Normalerweise wird die Abschiebung aufgeschoben, solange die Härtefallkommission den Fall prüft. Es gibt darüber eine Absprache zwischen dem bayerischen Innenministerium und den Ausländerbehörden – die für Pouyas Fall vom Innenministerium widerrufen worden ist. Das ist rechtlich nicht anfechtbar, weil es eben nur eine Absprache war.

Behörden-Schikane

Es ist nicht das erste Mal, dass der deutsche Staat sich in der Sache Ahmad Shakib Pouya eklatant selbst widerspricht. Zum Beispiel werden Flüchtlinge einerseits dazu aufgefordert, sich gefälligst zu integrieren. Andererseits, erstens, erfahren wir in Pouyas Härtefallantrag: "Seine Kenntnisse als Krankenpfleger in Afghanistan hätten ihm bei Aufhebung des Arbeitsverbots schon 2012 eine Beschäftigung in einem Engpassberuf ermöglicht. Zwei Altenheime haben ihm eine Einstellungszusage gegeben, jedoch hat die Augsburger Ausländerbehörde dies nicht erlaubt." Andererseits, zweitens, hat die Augsburger Ausländerbehörde es ihm auch nicht ermöglicht, seine Stelle bei der IG Metall in Frankfurt offiziell anzutreten. Trotzdem hat Pouya nun ein Jahr lang ehrenamtlich dort gearbeitet, seine Lebenskosten wurden privat finanziert.

Es hätte im Ermessensspielraum der Augsburger Ausländerbehörde gelegen, Pouya diese Möglichkeiten einzuräumen – genauso wie es offensichtlich in ihrem Ermessensspielraum lag, ihm möglichst viele Steine in den Weg zu legen.

Noch ein Beispiel: Pouya hat eine Frau kennengelernt. Sie wollen zusammensein, sie wollen heiraten. Also sind sie im Mai dieses Jahres zum Standesamt gegangen. Sie hat ihren deutschen Pass mitgebracht, er seinen afghanischen. Die Standesbeamtin (in Hanau bei Frankfurt) hat Pouyas Pass einbehalten und nach eigenen Angaben an die Augsburger Ausländerbehörde übermittelt. Die Augsburger Ausländerbehörde behauptet, den Pass nicht zu haben. Aber wenn der Pass nicht behördlich erfasst wäre, hätte Pouya überhaupt nicht auf die Abschiebungsliste gesetzt werden können.

Zum Beispiel, zum Beispiel... Es fänden sich unzählige weitere solcher Widersprüche.

Fahrt ins Ungewisse

Pouya befindet sich derzeit noch an einem sicheren Ort. Wenn es nach der deutschen Politik und den ihr unterstellten Behörden geht, nicht mehr lange. Aus der aktuellen Reisewarnung des Auswärtigen Amts: "Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt. In ganz Afghanistan besteht ein hohes Risiko, Opfer einer Entführung oder eines Gewaltverbrechens zu werden. Landesweit kann es zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und andere Gewaltverbrechen kommen."

In Pouyas Fall kommt erschwerend hinzu, dass er im Zuge seiner Arbeit als Krankenpfleger für eine von der französischen Organisation Humaniterra betriebene Klinik in Herat ins Visier eines Clanchefs geriet; bei einem Anschlag auf sein Haus wurde sein Vater schwer traumatisiert und starb kurz darauf an einem Herzinfarkt. Pouya ist nach Deutschland gekommen, um Sicherheit zu suchen.

Er hat sich für den kommenden Donnerstag, den 22. Dezember, ein Flugticket nach Kabul gekauft. Denn eine "freiwillige Ausreise" scheint derzeit die einzige Möglichkeit für ihn zu sein, zumindest eine "Wiedereinreisesperre" zu umgehen, also die einzige Möglichkeit, zu seiner Frau, seiner Familie, seiner Arbeit zurückzukehren – an den Ort, den man auf gut deutsch Heimat nennt.

Die Härtefallkommission wird seinen Antrag weiterprüfen. Normalerweise dauert so eine Prüfung etwa ein halbes Jahr, sagt Sabine Reiter von "Tür an Tür". Wenn der Antrag positiv beschieden wird, kann Pouya wieder nach Deutschland einreisen und hierbleiben. Falls er dann noch am Leben ist.

s.diesselhorst kleinSophie Diesselhorst, Redakteurin bei nachtkritik.de, ist Ahmad Shakib Pouya und seiner langjährigen Wirkungsstätte, dem Grandhotel Cosmopolis in Augsburg, freundschaftlich und als Mitstreiterin verbunden.

 

Aktuelle Informationen und Handlungsempfehlungen finden sich auf der öffentlichen Facebookseite des Grandhotel Cosmopolis.

Mehr zu Pouya auf nachtkritik.de: Ahmad Shakib Pouya war der Erste, den wir im April 2015 in der Rubrik die neuen deutschen porträtierten. Er nahm im Oktober 2015 teil an dem Berliner Symposium Einwanderung als Aufgabe der Kultur?

Mehr zu Pouya: Petition an den bayrischen Inneminister Joachim Hermann: Bleiberecht für Pouya

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