Theater ohne Autoren: Ist die Zukunft dramatisch? - Vortrag zur Eröffnung des tt08-Stückemarkts
Stockhausens Schrei
von Joachim Lux
7. Mai 2008. Theater ohne Autoren: Ist die Zukunft dramatisch? – Die Frage klingt schon wieder nach Krise, Untergang und Waldsterben. Keine Angst und auch keine Hoffnung: ich mache hier nicht die Kassandra für den angeblich oder wirklich vom Untergang bedrohten Autor. Im Gegenteil: ich möchte aufräumen und die Fenster aufreißen. Denn die Debatte um das Theater und seine angeblich immerwährenden Krisen ist weitaus verblödeter als das Theater in seinen Hervorbringungen. Sie klebt immer noch an Vorgestern. Die Klischees, mit denen Theaterleute und ihre sich antilobbyistisch gerierende kritische Lobby gern hantieren, ermüden seit langem.
Mit seiner Begabung, längst geschlagene Schlachten wieder aufzuwärmen, selbst wenn sich die Konfliktlinien seit langem verschoben haben, ist das Theater übrigens in guter schlechter Gesellschaft, in der der Politik nämlich. Alte Schemata werden hier wie dort mit Lust gedankenlos weitergetragen, als ideologische Nebelkerzen gegen den wahren Stand der Dinge. Besonders beliebt ist es, im Rahmen solcher Debatten für die Unterdrückten und Entrechteten Partei zu ergreifen: das sind im Theater in der Regel der arme Schauspieler und der vergewaltigte Autor, während der Folterknecht fast immer der Regisseur ist.
I. Rückblick auf Vorgestern (1968 bis Mauerfall)
Ein klischiertes Credo z. B. ist immer noch, mit dem Theater wäre es erheblich besser bestellt, wenn es aus Achtung vor dem Autor hermeneutische Textexegese im Sinne von Emil Staigers berühmter Formel "begreifen, was uns ergreift" (1955) betreiben würde, anstatt die Autoren durch die Regisseure und deren "Projekte" zu enteignen. Diese Argumentation nimmt den Autor mit dem Holzhammer eines unzulässigen "entweder – oder" nur mäßig verdeckt als Kronzeugen für Historizität und Klassizität in Anspruch, um das Theater vor den Zumutungen der Gegenwart respektive des Regietheaters zu retten.
Das Theater soll demütiger Diener der Autonomie der Kunst sein. Übermalung und Improvisation, Free Jazz als Variante des Jazz, auch Gesamtkunstwerk als Variante der puren Textverlebendigung – all diese künstlerischen Verfahren werden abgelehnt. Marthalers Wurzelfaust z.B. war in diesem Sinne Anfang der Neunziger Jahre manchem Symbol für den Untergang des Theaterabendlandes.
Das war zwar schon damals ein ziemlicher Unsinn, aber es entsprach in seiner Hitzigkeit doch wenigstens einer damals aktuellen Debatte. Heute sollte man diese bitte nicht mehr führen, denn das sogenannte Regietheater hat nicht nur Autoren vernichtet, es hat auch solche, die alle für mausetot hielten, reanimiert. Bis in den letzten Winkel ist die Erkenntnis vorgedrungen, dass es natürlich gar nichts anderes gibt als Regietheater und dass Autoren und Regisseure so etwas wie Sparring-Partner sind. Es sind aufs Ganze gesehen nicht die Regisseure, die die Autoren vernichten oder vernichtet haben.
Inflation der Gegenwartsdramatik
Eine andere unsinnige Litanei nimmt den Autor umgekehrt in Anspruch: Dem Theater ginge es besser, wenn es nicht so vergangenheitsverhaftet wäre. Es müsse sich mehr um die Gegenwart kümmern und der dafür zuständige, wenngleich vernachlässigte Seismograph und Kronzeuge sei der Autor. Von Vernachlässigung kann aber schon lange keine Rede mehr sein, auch das ist Unsinn – zumindest gibt es einen ziemlichen Betrieb um Autoren: Seit zehn Jahren etwa fördern zahllose deutschsprachige Theater, angelsächsische Fördermodelle (und auch deren Unarten) übernehmend, die Gegenwartsdramatik wie nie zuvor. Sie ergänzen damit ältere und verdienstvolle Institutionen wie den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens oder die Mülheimer Theatertage.
Die deutschsprachige Theaterlandschaft ist mittlerweile überschwemmt von Autorenförderprogrammen, Wiener Werkstatttagen, Author-in-residence-Projekten unterschiedlichster Art und das Flaggschiff des neuen Booms sind die Autorentheatertage des Thalia-Theater, die derzeit noch in Hamburg residieren. Überall kann man einreichen, sich bewerben, mitmachen, lesen, entwickeln und lernen, in den Theatern, an den Hochschulen. Wie immer produzieren solche Förderprogramme auch Stilblüten, deren Symbolkraft eindeutig in Richtung "Gefahr im Verzug" weist: So, als sich vor einigen Jahren ein junger deutscher Autor bei den Wiener Werkstatttagen unter Hinweis auf einen Nachwuchspreis in Adelaide/Australien bewarb und sich anschließend bei den Münchener Autorentagen auf seine Teilnahme in Adelaide und Wien berufen konnte...
Der Autor als Zeitgeist-Surfer
Es ist meines Erachtens dringend an der Zeit, innezuhalten, Kassensturz zu machen, Bilanz zu ziehen: Welche und wie viele Autoren sind mit einiger Nachhaltigkeit tatsächlich aus all diesen Programmen hervorgegangen? Setzen sich gute Autoren und ihre Stücke kunstdarwinistisch sowieso durch, oder helfen diese Förderprogramme? Lernen die Autoren in all diesen Workshops sinnvolles Handwerk oder werden sie dort im Sinne der Marktgängigkeit rundgeschliffen? Inwieweit kann man schreiben überhaupt lernen?
Öffentliche Geständnisse sind nicht leicht und auch gefährlich, stellen muss man sich diesen Fragen trotzdem. Natürlich kann man auch hier reflexartig gegenargumentieren (Die Anzahl aufgeführter Gegenwartsstücke ist seit zwanzig Jahren in Wahrheit nicht gestiegen, sondern nur in die Breite gegangen. Die Theater machen Uraufführungen nur, um im Kampf um mediale Bedeutung vorzukommen, die Theater spielen zu wenig nach, die Theater führen die Stücke zu oft auf Nebenbühnen auf etc.). Ich komme später noch einmal auf diesen Punkt zurück.
Ein dritter Vorwurf gegen das Theater, ebenfalls am Autor festzumachen, ist der, er degradiere sich selbst zum Zeitgeistsurfer. Er sei, wie das Theater auch, dem Irrtum aufgesessen, man könne die mangelnde gesellschaftliche Relevanz des Mediums durch die Selbstauslieferung an die Gegenwart ausgleichen. Die ehemals berechtigte Attacke gegen das Heilige und Wirklichkeitsferne des Theaters habe auf direktem Wege das Profane und Banale hervorgebracht.
Das Stück zum Spiegeltitel der Woche
Hier sei eine Sackgasse, die die ästhetische Differenz, von der die Künste, und also auch das Theater und seine Autoren leben, missachtet. Reine Gegenwärtigkeit mache blind und sei in Zeiten, wo die Medien jedes Thema sofort geschickt aufbereiten, besonders altbacken.
Und in der Tat: Kaum bricht ein neuer Krieg aus, werden Kindesmissbrauch, Glauben oder Klonen Thema, gibt es aus den nationalen und internationalen PCs das Stück zum Spiegeltitel der nächsten Woche. Und falls man Klassiker macht, werden sie textlich aufs Hier und Heute wahlweise der Börse, einer Ökologiekatastrophe oder auf gated communities zurechtbearbeitet.
Man sieht, wie sich im Autor der schreckliche Zustand des Theaters kristallisiert. Man könnte das Gleiche an den Regisseuren durchexerzieren, z.B. an der alten Konfliktlinie ästhetischer Idealismus (etwa von Andrea Breth) versus ästhetischer Materialismus (etwa von Frank Castorf) – aber diese Gegenüberstellungen greifen längstens nicht mehr, es sind Antagonismen einer längst verflossenen Zeit. Nein – das sind alles Positionen der Defensive, überkommene Argumentationen, ideologischer Retro-Müll.
Selbstreferentielle Postmoderne versus Dada-Dekonstruktion
Der Debattenstil nährt sich geriatrisch immer noch aus den Zeiten der 68er und dem damit verbundenen Sündenfall gegen den ästhetischen Idealismus der Fünfziger Jahre sowie aus der Zeit des Mauerfalls, dem zweiten entscheidenden Paradigmenwechsel, den unsere Gesellschaft mitgemacht hat. Hier fand ästhetisch eine Ost-Invasion in die westliche Wohlstandsglocke statt.
Zwar hatte es mit Autoren wie Heiner Müller oder Thomas Brasch und Regisseuren wie Tragelehn, Karge, Langhoff, Schleef u.a. schon früher eine invasive Vorhut gegen Botho Strauß, Luc Bondy und die sich in der Schaubühne Peter Steins versammelnden Westberliner Zahnärzte gegeben, aber der entscheidende Schlag kam von der materialistischen Dada-Anarcho-Destruktionsmaschinerie eines Frank Castorf, der das Theater aus der selbstreferentiell–narzisstischen Postmoderne riss.
Aber das eine entscheidende Ereignis (1968), das muss nun schon erwähnt werden, ist vierzig Jahre, das andere (der Mauerfall) bald zwanzig Jahre her. Die soziale und ästhetische Wahrheit des Theaters und unserer Gesellschaft ist aber seit geraumer Zeit eine vollständig andere. Was ich kritisiere, ist nicht die Debatte, die sich hinter all dem verbirgt – es ist die Jahrhunderte alte zwischen Kunst und Wirklichkeit, zwischen Autonomie und Realismus –, sondern die klischierten Ideologeme, mit denen da hantiert wird.
II. Rückblick auf Gestern (Die Postmoderne und ihr Ende)
Wenden wir uns dem Gestern zu, das noch fataler als das Vorgestern die heutigen Auseinandersetzungen dominiert: der gerade schon gestreiften Postmoderne. Parallel – und die bundesrepublikanischen Ereignisse überwölbend – fanden gesellschaftlich andere Entwicklungen statt, die der mächtige konservative und trotzdem (oder deswegen?) materialistisch argumentierende Verleger Hubert Burda für weitaus bedeutender und folgenreicher hält: die einst vom Silicon Valley ausgehende technologische Revolution und die globalisierten Wirtschaftsströme, in deren Folge es immer größere Schwierigkeiten gibt, das nationale Ich wirtschaftlich und psychologisch zu definieren.
Der Boom der postmodernen Philosophie entstand – ein Paradebeispiel für die Parallelität von Philosophie und Gesellschaft – in etwa gleichzeitig zu diesen Entwicklungen und hat unmittelbar mit der Frage zu tun, inwieweit Drama bzw. Autorenschaft möglich ist. Von Jean-Francois Lyotard stammt die Diagnose, das "Ende der großen Erzählungen" sei gekommen. Er war der Meinung, dass die Moderne, die immer noch vom bürgerlichen Subjekt und seiner Fähigkeit, sich umfassend welterklärend auszudrücken, zu Ende sei. Die einheitliche Weltschau aus dem Geiste Gottes, der Moral, eines Subjektes sei weder in der Philosophie noch in der Literatur länger möglich. Stattdessen müsse man sich postmodern dem Divergenten, Dissoziierten, dem Heterogenen und Zersplitterten stellen. Der Konsens einer einheitlichen Weltbehauptung sei weg.
Autorschaft und postdramatisches Theater
Das ist natürlich purer Anti-Hegelianismus, der das Ende der Geschichte und das Ende von dialektischen Bewegungen ausruft. Aber: Lyotards Diagnose der Unübersichtlichkeit stammt aus dem Jahr 1979. Und Hans-Thies Lehmanns bahnbrechendes Buch über die Folgen für das Theater stammt von 1999, ist also zwanzig Jahre nach Lyotard geschrieben. Seitdem firmiert in heilloser Begriffsverwirrung alles Mögliche als "Postdramatisches Theater", und es gibt zwei vorherrschende Tendenzen: Der Autor traditionellen Typus' ist erledigt, und wer trotzdem so weitermacht wie bisher, gerät unter den Generalverdacht nicht heilbarer ästhetischer Naivität.
Der Autor ist fortan jemand, der wie eine Schaumkrone auf der Welle tanzend, in postmoderner Meisterschaft mit dem Vagen und Virtuellen spielt und spielen kann und – ironischerweise – auf dem Umweg des Spiels mit allen möglichen Valenzen seine göttliche Deutungshoheit bewahrt bzw. neu erobert. Denn: die bloße Anhäufung des Aleatorischen und Unbestimmten verhindert ja Autorenschaft, sie braucht schon einen Komponisten.
Die zweite Folge der skizzierten Ereignisse ist eine Explosion "performativer" Theaterformen, die den Autor nicht mehr brauchen, solche Formen aber sind, Hans-Thies Lehmann bemühend, "postdramatisch" und ergo postmodern. Ich bezweifle, dass das heute noch gilt. Das Schicksal solcher Begrifflichkeiten ist nicht nur in diesem Fall, dass sie in dem Augenblick, wo sie auftauchen, schon nicht mehr stimmen.
Die Krise des Theaters und die Rückkehr der Geschichte
So laufen die wie immer verspäteten und falschen Argumentationsketten, die das Theater in die nächste Krise stürzen. Derlei mündet bei Theaterleuten wie Kritikern gebetsmühlenartig und selbstredend in den schönsten zwei Sätzen: Der eine "Das Theater ist in der Krise", der andere: "Das Theater ist, seitdem es existiert, in der Krise".
Aber was sind das anderes als allgemeine Sätze gedankenloser Selbstverteidigungsbemitleidung, um wieder einmal, angeblich mit dem Rücken zur Wand stehend, schwindende Legitimation, mangelnden Rückhalt in der Politik, mangelnden Publikumszuspruch oder einfach schlechte Aufführungen (auch so etwas soll es geben) irgendwie dann doch zu rechtfertigen und gleichzeitig wie ein todkranker Patient zitternd auf dem Bett die eigene Gesundung zu versprechen, die der Gesunde dem Hohläugigen allerdings nicht zu glauben geneigt ist?
Seit dem Höhepunkt der Postmoderne, den man vermutlich in den Achtziger Jahren verorten könnte, haben sich zwei historisch wesentliche Dinge ereignet: der schon erwähnte Mauerfall und der 11. September 2001, als symbolische und reale Aktion im Kontext des "clash of cultures".
Was hat das mit dem Theater und seinen Autoren zu tun? Mit diesen beiden Ereignissen, die unser aller Leben beeinflusst und verändert haben, hat sich die Geschichte mit unverstellbarer Macht zurückgemeldet. (Andere Ereignisse wie die Bluttaten an den Rändern von Schengen, die wir mit unseren Steuergeldern alle begehen, oder wie den Völkermord in Ruanda ignorieren wir der Einfachheit halber.) Es war zwar sowieso nie wahr, dass alles, was wir sagen, nichts bedeutet und sich jeder versuchte Sprechakt folgenlos im postmodernen Diskursnebel verläuft, aber es ist seit geraumer Zeit weniger denn je wahr.
9/11 oder die Erlösung aus dem postmodernen Nichts
Die Postmoderne war nie etwas anderes als die narzisstische Pose einer satten Gesellschaft, die Fußnote eines gesellschaftlichen Augenblicks. Es spricht vieles dafür, dass der Einsturz der Twin Tower für den Westen trotz mehrerer tausend Toter die Erlösung von dem unhistorisch postmodernen Nichts war. Ich zitiere zur Erinnerung Karlheinz Stockhausens berühmte, damals nur unzulänglich begriffene Formulierung: "Was da geschehen ist, ist (...) das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat." Und ich glaube, es war Boris Groys, der sagte, der Einsturz des ersten Twin Tower, den man noch für einen Unfall hätte halten können, sei "der Einbruch des Realen" gewesen, der Einsturz des zweiten – weltweit von den Medien übertragen und für jeden ersichtlich ein kalkuliertes Ereignis – "der Ausbruch der Kunst".
Dass Künstler und Philosophen hierfür ein besonderes Bewusstsein haben, verwundert nicht, ihre spontanen seinerzeitigen Äußerungen sind aus dem Abstand nicht zynisch, sondern Ausdruck realistischer Seismographie über den Zustand des Westens, auch in Bezug auf die Künste: Dies war – das ist meine Überzeugung – die Initialzündung für die Abkehr vom Postmodernen, der Abschied von der Verweigerung von Realität und Geschichte, der Moment der Rückkehr der Geschichte, der Sehnsucht nach Realität und Wirkung, die die Künste seitdem in Bewegung hält.
III. Die Gegenwart (Wiederentdeckung des Realen und des Subjektes)
Wo also stehen wir heute? Im Grunde stellt sich hier die Frage von Nachhall oder Vorschein, von "Nicht-mehr" oder "Noch-nicht". Ich entscheide mich – zugegebenerweise mit einem Anflug von Mutwillen – für Letzteres. Beliebten Unkenrufen zum Trotz behaupte ich, dass wir nicht die Stunde des Pessimismus, sondern die des Optimismus zu markieren haben.
Mit drei (tendenziell katastrophalen) Stichworten möchte ich kurz umreißen, weshalb ich so ungebremst optimistisch bin: das eine Stichwort ist Normalität, das zweite Klarheit, das dritte Diffusion. Katastrophal sind die Stichworte deshalb, weil Theater, das Drama sein will, eigentlich vom Gegenteil lebt: von der Zuspitzung des Außerordentlichen, von Abweichung, von Devianz, von Irritation.
Zunächst zur Normalität. Ich meine damit die Normalität unserer Gesellschaft. Wir haben viele tektonische Erschütterungen, Verwerfungen und Überlagerungen hinter uns und stecken teilweise noch mitten drin: von der größten technologischen Revolution aller Zeiten über die Auflösung unserer Nationalgesellschaften zugunsten multiethnischer Körper, in denen sich Spezialcommunities bilden bis zur radikalen Veränderung überkommener Lebensverhältnisse wie Familie, Arbeit oder Sesshaftigkeit.
Renaissance des Citoyen
Die Folge aber ist nicht die restaurative Sehnsucht, sich in altvordere Modelle zurückzuflüchten, sondern das Bemühen, neue Lebensformen zu entwickeln, und so mit den Irritationen umzugehen, die viele erfasst haben. Etwas pathetisch würde ich sagen: von der Rückkehr zum Bourgeois, von der manche Journalisten vor einiger Zeit berichten wollten, kann gar keine Rede sein, wohl aber vom neu erwachten Citoyen. Er will wissen, wie er leben soll, wie er die tradierten Modelle übertragen, anpassen und ändern soll etc.
Unsere Gesellschaften versuchen sich neu zu orientieren. Und dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Welt außerhalb von Schengen, die ohnehin schon mitten in unseren Gesellschaften ist. Ein Satz wie: "Es existieren mehr Lösungen als Probleme", von Dirk Baecker in seinem Buch "Postheroisches Management" (1994) formuliert, spiegelt als Mittelschichtssoziologie vielleicht korrekt diese gated community, ist aber aufs Ganze gesehen so falsch wie nur irgendetwas. In der Bezweiflung dieses Satzes könnte sich "Drama" neu generieren und mit ihm vielleicht auch ein "heroisches Management".
Zur Klarheit. Das bezieht sich auf die Stoßrichtung dessen, was das Theater heute inhaltlich will. Parallel zu den skizzierten Entwicklungen ist das Theater ziemlich reaktionsstark und mit deutlichen Zielen in einen Zustand der Entideologisierung eingetreten, es will Debatte und Auseinandersetzung, Recherche und Untersuchung statt Thesen und Belehrungen, es will Gespräch statt Schock, Erlebnis statt Kunsttempel, Verbindlichkeit statt Pseudoavantgardismus. Die Zeit der Dekonstruktion als westlich-spielerische (und latent narzisstische) Pose zur Kontingenz ist ebenso vorbei wie der östlich-aggressive Nihilismus.
Das Theater als Sozialarbeiter am Gesellschaftskörper
Aber den Wirklichkeits- und Subjekt-Zertrümmerungsposen ist nicht – obwohl es mal ganz kurz danach aussah – die restaurative Rekonstruktion gefolgt. Der Biedersinn von "ich will einfach nur Geschichten von Menschen erzählen" ist zwar der Kern von Theater, ist aber so billig im Moment nicht zu haben. Wer so redet, greift ähnlich kurz, wie der Bundestagspräsident Norbert Lammert, wenn er, sich gegen Lyotard wendend, die "große Erzählung" als synonym für eine fehlende "Leitkultur" forderte (2004).
Nein, das Theater heute sucht den Zuschauer und die Wirklichkeit, von der es umgeben ist. Das Theater heute ist eines, das sich seiner sozialen Verantwortung bewusst ist, ja diese sogar will. Dadurch ist es so lebendig und in seinen Erscheinungs- und Äußerungsformen so vielfältig und mutig wie schon lange nicht mehr. Es ist – mit durchaus doppeldeutigem Zungenschlag – oft auch Sozialarbeiter am Gesellschaftskörper: "Sinnproduktion und -reproduktion.com", eine Agora der Bürgergesellschaft. Und da, wo es das (noch) nicht ist, ist dies zumindest seine Sehnsucht.
Es hat sich – nochmals doppelter Zungenschlag – auf die Gesellschaft eingestellt, flüchtet weder (wie nach den Erschütterungen des zweiten Weltkriegs) in einen idealistischen Literatur- und Klassikhimmel, noch rennt es (wie in der Achtundsechzigerzeit) gegen eine (heute ohnehin nicht bestehende) formierte Gesellschaft an, es bleibt auch nicht im postmodernen Vagheitshimmel, sondern geht mit dem Verlust an Mehrwert, den es erlitten hat, produktiv, man könnte auch sagen "erwachsen", um und erarbeitet sich so möglicherweise einen neuen. Es arbeitet daran, den gegenwärtigen Zustand zu bilanzieren, an Wertefindung und Grundlagenforschung im gesellschaftlichen Raum.
In diesem Bemühen sind interessanterweise plötzlich wieder die Wissenschaften, sei es Ethnologie, Naturwissenschaft oder Soziologie zu Partnern des Theaters geworden. Man sucht sich Themen wie "Die Barbaren sind wir" oder "Glauben" oder "Natur" und trägt wie ein Kurator theatrale Aktivitäten zu diesen Komplexen bei. Oder man geht in die Stadt hinein, um die verloren gegangene Reibung zur sozialen Realität wieder herzustellen.
Mehr Inhalt, weniger Kunst
Die Aufmerksamkeit, die man da erringen kann, ist unspektakulär und Ergebnis von ernsthafter Arbeit. Auch für die Autoren ist bei diesen Tendenzen ein neuer und ganz und gar anti-postmoderner Raum entstanden. Er symbolisiert sich in dem – wie ich finde etwas zweifelhaften und Shakespeares "Hamlet" entlehnten – Schlachtruf der diesjährigen Hamburger Autorentheatertage: "Mehr Inhalt, weniger Kunst".
Zur Diffusion. Hiermit meine ich die Diffusion der ästhetischen Formen. Wenn Theater (mit etwas Glück) Kunst ist und Kunst, verkürzt ausgedrückt, das Bemühen um die ästhetische Bewältigung und Verdichtung der Wirklichkeit ist, dann können wir meines Erachtens in den Bemühungen um das Reale derzeit eine kongenial zersplitterte Vielfalt ästhetischer Formen konstatieren. Sie speist sich aus dem Bewusstsein, dass für den Realitätsgehalt von Theater seine Kommunikationsformen entscheidend sind.
Man will real kommunizieren statt ritualisiert, man will Interaktion statt Frontalunterricht, Transparenz und Echtheit des kommunikativen Aktes auf der Bühne statt der "Lüge" der Verabredung, Sprechakt statt Diskurs und hat Sehnsucht nach dem Realen, dem Echten, dem Wirklichen statt dem Virtuellen und dem Simulierten. Die Spielarten dessen sind so vielfältig wie die Akte möglicher Kommunikation selbst. Das gilt für die Off-Theater, für die freie Szene, für die Koproduktionsnetzwerke genauso wie für das Stadttheater.
Arbeit an der Rückgewinnung der Autorschaft
Überall findet Arbeit am Wirklichen und Arbeit an der Rückgewinnung des Dramatischen, auch der Autorenschaft statt, wenn auch unter veränderten Bedingungen. Der Autor kommt hier wieder ins Spiel, auch wenn sich seine Begrifflichkeit und Funktion zum Teil gewaltig verändert haben. Aber auch die vielfältigen Theaterformen jenseits des traditionellen Dramas haben sich stark verändert und sich gewissermaßen einmal um sich selbst gedreht: sie sind heute kaum postmodern, sondern meistenteils Arbeit an der Rückgewinnung des Realitätsbezugs.
Zwar kann man die Erfahrungen der Postmoderne mit ihrer Problematisierung von Subjekt und Geschichte nicht einfach ignorieren, aber es geht doch immer weniger um das Nicht-Mehr-Dramatische als vielmehr um das Beinahe-Schon-Wieder-Dramatische. Die Sehnsucht nach dem Einbruch des Realen in die Kunst hat zu einer Explosion von Performance, Happening und Event-Formen geführt, zu theatralischen Kongressen, zu GPS-gestützten Stadtwanderungen, zu einer Renaissance von Augusto Boals jahrzehntealtem "unvisible theatre" etc.
Man sieht, dass das Theater in Bewegung ist, auch wenn es sich dabei sprachlich die Syphilis zugezogen hat und sich in seinen Verlautbarungen einen ebenso modischen wie anmaßenden Ton angeeignet hat, den es der bildenden Kunst entlehnt hat. Kaum ein Theater ohne urbane Interventionen, Themenparks und interaktive Performances. (Man fürchtet sich schon beim Lesen und will die Realisierung dieser Projekte lieber nicht sehen – vielleicht ist es doch nur ein Straßenfest, das marketingmäßig aufgerüstet wird.)
Gelebtes, unverabredetes Bühnenleben
Trotz dieser Verirrungen muss man festhalten, dass es all diesen Akten des sogenannten "Performativen" nicht um die Auflösung, sondern um die Rückgewinnung des Theatralischen geht, sei es als Interaktion mit dem Publikum, sei es in der Beteiligung des Publikums an Echtzeiterlebnissen. Das kann durchaus dramatisch sein. Das sind die Folgen von Stockhausens Schrei.
Das alles gilt aber nicht nur für frei produzierte Performances, sondern auch für das Stadttheater. Drei Beispiele mögen genügen, um das Bemühen um die Rückgewinnung des Theatralischen und Dramatischen aus dem Geist des Realen zu belegen: Ein Regisseur wie Jan Bosse z.B. hat eine spezielle Publikumsdramaturgie entwickelt. Er nutzt das Theater, in dem oft genug verlogene Kunstkunst behauptet wird, um Kunstkunst zu vermeiden und Schauspieler und Publikum "real" aufeinanderzuhetzen.
Das funktioniert, denn er hat als treuen Feind-Freund die vierte Wand, die er nur permanent niederreißen kann, solange es sie gibt. Er hat einen Trick des inszenierenden Nichtinszenierens entwickelt, der die traditionelle "Figur" in Richtung gelebtes unverabredetes Bühnenleben auflöst. Bei kaum einem Regisseur ist das Subjekt des Schauspielers (allen Problematisierungen des Subjekts zum Trotz) so kräftig und ungeschützt erlebbar wie bei ihm.
Das Subjekt jenseits der Postmoderne
Der Schauspieler wird zur Energiemaschine für den Text eines Autors wie z.B. Shakespeare. Auf den Autor ist er genauso angewiesen wie z.B. Nicolas Stemann, bei dem die Sache anders und doch ähnlich liegt. Auch er braucht einen Autor wie die Luft zum Atmen, auch er bezweifelt das traditionelle Figurenspiel. Aber bei ihm entsteht das Drama aus der Problematik der Kontingenz: Handeln geht nicht, weder als Regisseur noch als Spieler, traditionelle Figuren spielen geht auch nicht, Geschichten erzählen mit konsistenten Figuren ist nicht möglich.
Damit ist er auf der Höhe der Zeit, lässt den Abend zwischen Ästhetik und Nicht-Ästhetik, zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, zwischen einer unzweifelhaften Realität und dem Bewusstsein, dass sie nicht zu fassen und auf der Bühne auch gar nicht darstellbar ist, schwingen und treibt den Zuschauer in einen wachen kommunikativen Akt.
Beide erfinden auf völlig verschiedene Weise aus dem Bewusstsein, dass die tradierten Theaterstile nicht mehr gehen, Neues und sind große Theatraliker. Sie arbeiten sich an der Problematik der verflossenen Postmoderne ab und behaupten – ähnlich wie René Pollesch in seinen hysterischen Diskursen – das Subjekt so kräftig wie sonst kaum jemand.
Der Autor als Sammler und Sampler
Was heißt das für den Autor? Der Autor als ästhetisch sublimierendes Gefäß, der die Dinge sammelt und so ausdrückt, wie man es selbst nie und nimmer könnte, hat es angesichts dieser Gemengelage schwer. Im Stadttheater gibt es ihn, außerhalb dessen nicht oder wenigstens ganz anders. Das Stadttheater ist aller Dynamik zum Trotz Zentrum der Arbeit mit Autoren geblieben. Und es gibt auch eine Reihe von Autoren, die die Zeit nach der Postmoderne ästhetisch auf der Höhe verarbeiten.
Beispielhaft sind dies Elfriede Jelinek, die mit sprachlichen ready mades arbeitet, diese übermalt und damit eine raffinierte Mischung von ungefilterter Wirklichkeitspräsentation und auktorialer Oberhoheit gelungen ist, oder Zaimoglus "Schwarze Jungfrauen", die als Text aus der Übermalung dokumentarischen Materials entstanden sind. Sie recyclen, samplen und mixen Vorhandenes und durchschießen es mit dem Autoren-Ich. Roland Schimmelpfennig dagegen bemüht sich darum, durch und durch postmodern geprägt, Geschichten durch komponierte Aleatorik doch wieder zu einer einzigen zusammenzuführen.
Außerhalb des Stadttheaters aber ist für den Autor wenig Platz. Denn alles Performative ist der Versuch der Rückgewinnung des Dramatischen ohne den Autor im klassischen Sinne. Hier wird, wie im Tanztheater, oft der Künstler zum Autor oder, wie in früheren Zeiten der oral history, das Kollektiv, wenn z.B. weblogs zum Material eines Theaterabends werden. Alle schreiben mit. Theater ohne Autoren ist möglich, und zwar sehr gut sogar.
Die Wirklichkeit als Text
Die Tendenz, den Autor im oben skizzierten Sinne infrage zu stellen, gibt es auch im traditionellen Stadttheater, etwa wenn Alvis Hermanis, der ästhetische Hyperrealist, den Spieler als virtuosen Anti-Virtuosen braucht, um so glaubwürdig und antitheatralisch wie möglich eine Putzfrau oder einen Taxifahrer auf die Bühne zu bringen. Die perfekte Imitation einer Putzfrau braucht aber bei Hermanis keinen Text, sondern die Wirklichkeit ist ihr Text, das Dokumentarische. Deswegen gehen die Schauspieler selbst auf die Suche nach Menschen und Geschichten, nehmen sie auf und spielen sie.
Ist so etwas Autorenschaft? Ich würde sagen: jein. Ist so etwas Drama? Ich würde sagen: möglicherweise. Haben Rimini Protokoll zurecht den Mülheimer Dramatiker Preis bekommen? Ich würde sagen: jein. Oder haben doch die berufsständischen Protestadressen eindeutig recht? Hätten Heinar Kipphardt für "Bruder Eichmann" oder Peter Weiss für "Die Ermittlung" den Mülheimer Dramatiker-Preis bekommen sollen, wenn es ihn in den 60er Jahren schon gegeben hätte? Ich würde sagen: ja.
Ist Walter Kempowski möglicherweise wegen seines "Echolots", wo kein einziges Wort von ihm selber stammt, ein größerer Autor als wegen "Tadellöser & Wolff" – denkbar. Die kunstvolle Montage von Wirklichkeitsmaterial kann Autorenschaft generieren, auch wenn der Autor wie im Fall von Rimini Protokoll oder Hermanis ein Theaterregisseur ist.
Ob das alles noch Theater ist?
Nun ist aber nicht die Wirklichkeitsnähe eines Textes, sondern seine Welthaltigkeit und die ästhetische Bewältigung des Stoffes ein Kriterium für seine Qualität. Und die ergibt sich bei Hermanis oder Rimini Protokoll möglicherweise nicht aus dem Text selbst, sondern nur im Kontext mit der jeweiligen Aufführung. Es stellt sich schon die Frage, ob bei aller Sehnsucht nach dem Echten das Echte an sich schon künstlerisch ist, oder ob es nicht doch einen Akt ästhetischer Selbstpräsentation braucht, auch auf der Textebene.
Schwierigkeiten.- Damit ist man dann allerdings mitten in einem hochkomplexen Kunstdiskurs, der dazu führen könnte, dass Duchamps berühmte Kloschüssel wirklich ein Readymade und also Kunst war, während die Beuys'sche Fettecke – offenbar unzulänglich ausgestellt – von den Putzfrauen möglicherweise zurecht mit Unrat verwechselt wurde. Warum soll das Theater von diesen Fragestellungen ausgeschlossen sein? Warum soll der Autor, nur eine von mehreren variablen Größen in dem Spiel, davon ausgeschlossen sein? Warum der Schauspieler?
Auch er wird zur Disposition gestellt: sei es bei Rimini, wo "echte" Diplomaten "echt" Theater spielen und ihre Geschichten erzählen, sei es bei Schlingensief, der mit dem nichtkalkulierbaren Verhalten seiner Laien kalkuliert. Sei es in Hanna Hurtzigs "Schwarzmärkten", wo sich der Zuschauer im Dialog mit Spezialisten sozusagen selbst aufführt und "ausstellt", während er mit dem Spezialisten spricht. Ob das alles noch Theater ist.
Formen in Bewegung
Das Ergebnis ist also die Diffusion ästhetischer Formen – eine produktive allerdings, die ihren Sinn und ihren gesellschaftlichen Platz hat. Das traditionelle Stadttheater hat hiermit aus verschiedenen Gründen seine Schwierigkeiten. Denn es definiert sich aus Autor, Text, Geschichte, Figur und Schauspieler.
Genau diese Säulen werden aber infrage gestellt. Die frühere Arbeitsteilung zwischen Off-Bühnen und Stadttheater, zwischen traditionellem Literaturtheater und Avantgarde verwischt mehr denn je, und ich wüsste nicht, warum man für eine der beiden Seiten Partei ergreifen sollte. Immer öfter werden kreuz und quer Bündnisse eingegangen, auch beim Berliner Theatertreffen, das seit einiger Zeit auch Produktionen, die nicht aus dem normalen Sprechtheaterbetrieb stammen, einlädt.
Die freie Gruppe SIGNA nimmt, provokativ formuliert, einer Produktion z.B. von Luc Bondy den Platz weg, und sie kostet den Veranstalter Schauspiel Köln und seine Besucher mindestens eine große Shakespeareproduktion. Auch hat das Theatertreffen den Sieger des Festivals der freien Theater, den Sieger von "Impulse", eingeladen anstatt z.B. eine Produktion aus Heidelberg oder Bremen. Das sind qualitative Entscheidungen der jeweils Verantwortlichen, die vor dem Hintergrund des oben Skizzierten begreifbar werden
Man sieht: der Paradigmenwechsel im Ästhetischen folgt einer Gesellschaft, die neugierig auf der Suche nach sich selbst ist und manchmal bei einem "Schwarzmarkt" mehr erlebt als bei "Tasso". Dies hat Folgen für die Theaterbetriebe, für Festivals, auch für den europäischen Theaterpreis, den in diesem Jahr in Saloniki u.a. die Gruppe Rimini Protokoll bekam.
Das Theater ist in Bewegung und das ist das Beste, was ihm passieren kann. Wenn die, die es tragen – Autoren, Schauspieler, Regisseure – produktiv verwirrt werden, kann das nichts Schlechtes sein. Aber das ist kein Schicksalsschlag, sondern Folge einer Gesellschaft auf der Suche nach sich selbst und nach zeitgemäßen Erlebnisformen, nach Erfahrungen außerhalb von einem selbst: nach Wirklichkeit. Ich glaube vor dem Hintergrund der berichteten Entwicklungen, dass "Drama" und "Autoren" wieder möglich sind.
IV. Die Zukunft (Kunst?)
Also ist alles gut? Nein. Zwei Anmerkungen zum Mangel, verbunden mit der Zuversicht auf baldige Besserung:
Die erste: Es hat, von wenigen Ausnahmen wie Elfriede Jelinek abgesehen, schon lange kein neues Stück gegeben, das in der Öffentlichkeit einen bedeutsamen Rang gehabt hätte. Die wesentlichen ästhetischen Impulse kommen schon seit geraumer Zeit nicht vom Text. Das aber müsste für einen Autor der Maßstab sein. Denn es waren ja immer wieder Autoren, die gesellschaftlich Wirkung hatten, wenn man z.B. an die europaweit gleichzeitige Uraufführung von Peter Weiss' "Ermittlung" denkt. Man muss nicht immer auf die Überpräsenz der Medien hinweisen, um zu beweisen, dass das heute nicht mehr möglich ist.
Und es waren immer wieder Autoren, denen das Theater eine ästhetische Provokation verdankte, die es erst einmal bewältigen musste und an denen es oft genug scheiterte, an und mit denen es sich aber veränderte. Dies waren z. B. Georg Büchner, die Revolte der Naturalisten, Brecht, Artaud, Heiner Müller, Botho Strauß oder eben Elfriede Jelinek. Und ich gestehe, dass meine Hoffnung, dass dies von Schreibwerkstätten und Dramatikerwettbewerben ausgehen könnte, gering ist. Diese Institutionen sind für den Eigensinn, den das bräuchte, nicht geeignet. Wenn dies derzeit fehlt, müssen wir nicht reflexartig die Zeit oder Förderprogramme verantwortlich machen, die das verhindern – es gibt genug Geschichte, genug Politik, genug Geschichten und Stoff fürs Drama.
Drama kommt übrigens gemäß dem erfrischend einfachen Wikipedia-Eintrag von griechisch "Handlung" und "ist Theater mit Textgrundlage, im Unterschied zum improvisierten Stegreiftheater. Das Hauptkennzeichen des Dramas nach Aristoteles ist die Darstellung der Handlung durch Dialoge. Dadurch unterscheidet es sich in der Antike vom erzählenden Epos – seit der Neuzeit unterscheidet es sich dadurch hauptsächlich vom Roman. Nach modernem Verständnis sind Dramen dafür geschrieben, durch Schauspieler im Theater aufgeführt zu werden."
Sehnsucht nach Entwürfen
Die zweite Anmerkung bezieht sich auf den schier unbändigen Realitätshunger, der – das wage ich zu prognostizieren – auch wieder abflachen wird. Denn nirgends steht geschrieben, dass der Autor hauptsächlich Agent des Wirklichen ist, das Theater mit seinen Regisseuren übrigens auch nicht. Es ist langfristig eine Sackgasse, jeden Klassiker von der "Orestie" bis zu "Don Carlos" auf die Wohnküche herunterzurechnen. Christopher Schmidt verortete den Theaterautor vor einem Jahr "zwischen Götterfunken und Live-Chat". Und er schloss mit der Pointe: "kein Gott gab ihm zu sagen, was wer leidet, sondern das Telefonbuch von Hamburg."
Ich glaube, dass gegen all die Beschäftigung mit dem Realen auf vertrackte Weise bald die Sehnsucht nach mehr Kunst, nach Vision, nach Radikalität, nach Entwürfen, die sich nicht im Hier und Jetzt erschöpfen, nach Archaik, nach Geschichte und Geschichten erzählen, zurückkommt. Vielleicht ist hier das wahrhaft Experimentelle zu finden. Vielleicht erfüllt sich dann Peter Handkes Wunsch: "Wenn nur beides, das Poetische und das Politische, eins sein könnten."
Das Visionäre im Realen
Vielleicht ist das die Stunde großer Theatervisionäre wie Jürgen Gosch, Dimiter Gotscheff oder Luk Perceval, die nicht klein-, sondern hoch rechnen. Sie sind Schmuggler des Visionären im Realen, suchen die autonome Kraft der Kunst und wehren sich als Realisten, die sie trotzdem sind, dagegen die Kunst zum Sklaven der Wirklichkeit zu machen. Die Kunst enthält bei ihnen (und vielleicht auch bei Talenten, von deren Existenz wir noch gar nichts wissen) das wahrere Leben. Und sie verzichten deswegen – übrigens genauso wie z.B. Nicolas Stemann oder Jan Bosse – nicht auf den auf der Bühne "gelebten Augenblick", den Peter Kümmel unlängst noch auf deutschen Bühnen vermisste.
Die Sehnsucht nach Poesie und großen realitätsgesättigten Entwürfen ist da. Und wir hungern nicht nur nach solchen Regisseuren, sondern auch nach Autoren, die das mutig wagen. Denn, ich schließe mit einem meiner Lieblingssätze: "Kunst ist Magie, befreit von der Lüge Wahrheit zu sein" (Adorno). Es war mir ein Bedürfnis, die Debatte um das autoren- und dramenlose Theater ein bisschen aus dem modischen Mantel zu lösen und sie in einen Kontext zu stellen. Ich hoffe, dass dies wenigstens stichwortartig gelungen ist, und bin zuversichtlich, dass das wahrhaft Experimentelle in diese Richtung gehen könnte.
Joachim Lux ist Chefdramaturg am Burgtheater Wien und designierter Intendant des Thalia Theaters Hamburg. Den Text hielt er in gekürzter Form als Eröffnungsrede des Stückemarkts beim Berliner Theatertreffen 2008.
Wir bieten profunden Theaterjournalismus
Wir sprechen in Interviews und Podcasts mit wichtigen Akteur:innen. Wir begleiten viele Themen meinungsstark, langfristig und ausführlich. Das ist aufwändig und kostenintensiv, aber für uns unverzichtbar. Tragen Sie mit Ihrem Beitrag zur Qualität und Vielseitigkeit von nachtkritik.de bei.
mehr debatten
meldungen >
- 28. März 2024 Berliner Theatertreffen: 3sat-Preis für Jenaer Arbeit
- 28. März 2024 Berlin/Bremen: Geschäftsführer Michael Helmbold verstorben
- 28. März 2024 Neues Präsidium für Deutsche Akademie der Darstellenden Künste
- 26. März 2024 Günther-Rühle-Preise vergeben
- 26. März 2024 Mülheimer Theatertage: Preisjurys berufen
- 26. März 2024 Theatertreffen der Jugend 2024: Auswahl steht fest
- 26. März 2024 Schauspieldirektor Maik Priebe verlässt Neustrelitz
- 25. März 2024 Dramatikerpreis für Correctiv-Autor:innen L. Lax und J. Peters
neueste kommentare >
-
hildensaga, Berlin Rauf und runter
-
Reise des G. Mastorna Hinweis
-
hildensaga, Berlin Biederes Bedienen
-
hildensaga, Berlin Wo ist der Witz?
-
hildensaga, Berlin Feminismus
-
Chico Citrone, Schwerin Warnung!
-
hildensaga, Berlin Karger Männerblick
-
Preisjury Mülheim Um Himmels Willen
-
Auswahl Mülheim Liste?
-
Auswahl Mülheim Erwartbar + bieder
Was nicht heißt, dass man über die Themen von Jürgen Köbl aus Kommentar 1 nicht auch diskutieren könnte.
Falls Sie sich, lieber Herr Buchta, für die Regeln interessieren, die bei uns fürs Kommentieren gelten, erfahren Sie Näheres im Impressum. Gruss, Esther Slevogt
heutige autoren kennen sich aus im betrieb, sie sind nicht selten selbst als regisseure, schauspieler, übersetzer oder dramaturgen tätig, sie reisen herum, mischen sich ein und wissen zu schätzen, wenn ihre stücke im sozialen kunstprozess theater eine spielerische auffaltung (oft auch überraschender möglichkeiten) erfahren. so sie es denn überhaupt erst einmal hineinschaffen ins system, vorbei an den mit manuskripten zugeschmissenen schwellenwärtern in den verlagen, dramaturgien und preisjurys.
es geht in der aktuellen autorendebatte, auf die sich joachim lux hier vielleicht auch bezieht, doch zuerst um ganz konkrete materielle forderungen von autoren. diese sollte man zur kenntnis nehmen und sie nicht reflexhaft als "litanei" abtun, auch wenn die konkreten ansprüche manchmal ungeschickt mit etwas nebulösen inhaltlichen forderungen verbunden werden. geschönte zahlen, wie sie der bühnenverband alljährlich verbreitet, helfen niemandem weiter.
der deutschsprachige stückemarkt ist ein subventionsregulierter markt, er setzt auf vielfalt (und das ist gut so! bloß: wie soll die aussehen?), fördert so aber auch immer mittelmaß und entwickelt mitunter auch alibierscheinungen bei der beschäftigung mit neuen stücken. hier ist der von lux eingeforderte kassensturz tatsächlich dringend nötig. hier fehlt längst eine neujustierung, hier müsste eine evaluierung der förderinstrumente stattfinden, das ist überfällig.
man frage beispielsweise einmal aktuell studierende des faches "szenisches schreiben" an der udk in berlin nach ihren oft erstaunlichen fördererfahrungen. das materielle hauptproblem besteht für viele autorinnen und autoren doch weiterhin darin, dass, ausgelöst auch von der verbreiteten förderalitis, jährlich eine unübersehbare zahl neuer (stärkerer und schwächerer) stücke entsteht, die theaterspielpläne sich aber - entgegen der marktschreierei der theater - auch in den letzten zwei jahrzehnten nicht ausreichend für neue stücke geöffnet haben.
das gilt für die neue wirkungsstätte von herrn lux weniger, für die allermeisten stadttheater aber im durchschnitt um so mehr. abgesehen vom prestigeträchtigen eiertanz um die ur- und erstaufführungen (in den theaterstudios, -fluren und -foyers dieses landes), siehts für das zweite stück eines autors oft schon mau aus. und das liegt sicher nicht an fehlenden qualitäten neuer stücke. auch die wenigen herausragenden werke, die ab und an tatsächlich geschrieben werden, haben es schwer, sich in der fülle der neuerscheinungen zu behaupten. zur alten klage über fehlende dramatische großwerke vielleicht noch dies: natürlich gibts neben den wunderbaren textflächen von frau jelinek, mit denen man sich nicht die sicht auf anderes vernageln sollte, eine ganze reihe relevanter und herausfordernder theaterstücke, die formal und inhaltlich auf der höhe der zeit sind.
vielleicht sind diese stücke aber auch einer sich gerade ausbreitenden bühnenmode, die nach "mehr realität" auf der bühne verlangt (was immer das heißen und welche erfahrungsarmut auch immer dahinter stecken mag), ästhetisch bereits um mehrere hundert seemeilen voraus. achtung, hier noch schleichwerbung für www.dramablog.de, wo die hier als "unsinnig" abgewehrte (und auch deshalb anscheinend dringliche) debatte um neue dramatik seit einer weile schon bunteste blüten treibt.
Denn natürlich sehen sich Autoren oft von der Regie geschmäht und vernichtet und insistieren - wie Theresia Walser, mit der ich in Berlin diskutiert habe - mehr oder weniger unverblümt darauf, daß die Inszenierung werktreu zu sein hat, d.h. dem inneren Bild, das der Autor von ihr hat, entspricht. Ich stimme Ihnen völlig zu, daß man den von Ihnen so genannten "subventionsregulierten Markt" überprüfen müßte. Im Kern fehlt es nicht an organisierter Stücke- und Autorenverwaltung, sondern - so blöd das klingt - an Liebe. Wie können Dramaturgen und Intendanten Regisseure verführen, am Ball zu bleiben und Kontinuität mit Autoren zu suchen?
Denn Partnerschaften wie Peymann/Bernhard, Luc Bondy/Strauß, Gosch/Schimmelpfennig, Kriegenburg/Loher, Sebastian Nübling/Händl Klaus oder Stemann/Jelinek sind es doch, die sowohl dem Theater wie den Autoren nutzen und in manchen Fällen zum Durchbruch führen. Am Burgtheater, wo ich seit 9 Jahren arbeite, ist dies z.B. abgesehen von der Verbindung Stemann/Jelinek auch mit Christiane Pohle/Jonke und Friederike Heller/Handke gelungen. Die Stiftung und Weiterführung solcher Verbindungen ist Sache der Theater, die Autoren selbst können dazu wenig beitragen.
Natürlich gibt es hierzu, wie immer, auch Gegenbeispiele: Stücke von Anja Hilling, Lukas Bärfuß oder in jüngster Zeit auch Palmetshofer setzen sich auch so durch. Trotzdem fehlen seit Jahren die großen Stücke, die ästhetische und inhaltliche Kraft haben. Warum eigentlich? Sie behaupten, daß es sie gibt. Wo sind sie? Von welchen unentdeckten Texten glauben Sie, daß sich dafür 700 oder 800 Leute interessieren könnten? Welche Stücke meinen Sie konkret?
Ich glaube, die Theater würden sie auführen, wenn es sie gäbe. Es ist keineswegs so, daß die Theater von Texten überschwemmt werden, die sie gern aufführen würden und die leider im boomenden Neuerscheinungsmarkt untergehen. Warum ist ein 33jähriger Autor wie Daniel Kehlmann zum Auflagenmillionär geworden, dessen Buch auf der ganzen Welt gelesen wird, warum geht das im Theater nicht? Warum kann er ein Thema greifen, daß über uns selbst hinausgeht, warum kann das Theater das nicht, oder nicht mehr. Liegt das am Medium Theater, an den Autoren? In die Richtung wollte ich eigentlich anstoßen, und das war auch der Grund für Stockhausens Schrei.
hier ein paar exemplarische fälle aus verlagssicht: sämtlich stücke, die mir am herzen liegen, nicht nur aus beruflichen gründen. sie kennen sie alle:
1) "transdanubia-dreaming" von bernhard studlar: autorenpreis in heidelberg 2001, uraufgeführt 2003 im akademietheater, große bude. von ihnen, herr lux, damals wesentlich mitbefördert. - und dann? die zweite inszenierung fünf jahre später, am 17.5.08 in bregenz. dann wird noch das gymnasium dingolfing folgen, wo immer dingolfing sein mag, schöne grüße jedenfalls, man traut sich was in dingolfing. dabei ist das ein großes stück, in dem ein junger dulder zu einem veritablen modernen helden mutiert.
2) "hermes in der stadt" von lothar trolle: ein jahrhundertstück, ein zerschlagener diamant, wie alle stücke von trolle die reinste regiespielwiese. na und? nach der castorf-uraufführung am dt berlin anfang der 90er gabs gerade mal eine handvoll inszenierungen.
3) man nehme die stücke von fritz kater, der sich sicherlich nicht über fehlende preiswürdigungen oder mangelnde feuilletonaufmerksamkeit beklagen kann. aber sind seine stücke "durchgesetzt"? schaut man etwas genauer hin, stellt man fest: es ist bei einer handvoll (räumlich) kleineren inszenierungen von "zeit zu lieben zeit zu sterben" geblieben, trotz mülheimer dramatikerpreis 2003. an "heaven" haben sich bislang genau zwei theater herangetraut, eines wird von einem engen freund von herrn kater geleitet. in wien galt kater (auch bei ihnen, lieber herr lux) über lange jahre als nicht durchsetzbar, bis sich das volkstheater mit einer kleinen inszenierung "traute", der man leider schnell die rückendeckung entzog.
4) "wildfremde" von sergi belbel, grosses stück über mitteleuropäische entfremdungen und den aufeinanderprall verschiedener kulturen. riesenthemen, riesenbesetzung, am schauspiel leipzig anfang 2006 im großen haus erstaufgeführt, vom großfeuilleton fast komplett ignoriert. bei minus 15 grad außentemperatur hat sich nur herr wengierek von der welt nach leipzig bemüht und dort "großes theater" entdeckt. seitdem ist das stück nicht gespielt worden.
ich bin mir sicher, die liste ließe sich mit etlichen großen werken (auch anderer verlage) fortsetzen. man möge aus der deckung kommen.
es geht ja nicht um werbung für wenig gespielte stücke, sondern um strukturelle prombleme. hier wäre jedenfalls platz für eine schöne leseliste. erfreulichstes beispiel für eine gelungene zusammenarbeit, um nicht immer nur zu quengeln, ist für mich aktuell die freiburger produktion von felicia zellers "kaspar häuser meer". volle ränge im "kleinen haus" mit über 300 plätzen. und das bei einer autorin, über die mir seit jahren gesagt wird, ihre stücke seien irgendwie zu speziell, schwierig und "zu poetisch".
ich bleibe dabei, wichtige stücke werden nicht angemessen wahrgenommen. man lese sich mal die "top twenty" der bühnenvereins-hitliste durch, dann wird schnell klar, welche kriterien spielplanentscheidungen heute noch immer zuerst beeinflussen.
solange zeitgenössische stücke ihre bedeutsamkeit in den spielplänen nicht erweisen können, weil man sie nicht angemessen ansetzt, hat es etwas von einer selbsterfüllenden prophezeiung, ihnen mangelnde relevanz zu bescheinigen, finde ich, lyotard hin oder her.
Ich lese daraus, daß auch die Stücke von diesen drei Dramatikern keine `großen` sind. Warum also werden sie `trotzdem`gespielt? Weil diese Stücke dieser drei ästhetisch und inhaltlich etwas `größer`sind als Stücke anderer Dramatiker?
Was ist z.B. mit Lothar Trolles `Weltuntergang Berlin`? Was ist z.B. mit Tankred Dorst `Korbes`? fk hat weitere genannt. Es ließen sich noch mehr Texte auffinden, die mir für eine Auseinandersetzung mit dem Theater wert scheinen. Wo werden diese Stücke gespielt?
Ich verstehe auch nicht, warum Sie fk fragen, von welchen unentdeckten Texten er glaubt, daß sich dafür an die 800 Leute interessieren. Was ist denn mit den vor 3 oder 4 oder sogar vor 15 Jahren entdeckten Texten? Warum stürzt sich das Theater auf das Neue und immer wieder das Neue? Was will das Theater bei der soundsovielten Ur-oder Erstaufführung entdecken? Warum sucht man große Visionen oft nur bei `jungen` Autoren? Natürlich lohnt auch da die Suche, aber ist die Suche nach dem großen Wurf da nicht etwas beschränkt?
Überall kann man einreichen, sich bewerben, mitmachen, lesen, entwickeln und lernen, in den Theatern, an den Hochschulen.` Was ist mit Autoren die sämtliche Fördermodelle kennengelernt haben und nun genug vom lernen haben? Und warum sollten die Autoren von den Theatern lernen? Warum nicht auch einmal umgekehrt? Autoren geben einen Workshop für Dramaturgen. Warum nicht?
Was ist die Notwendigkeit von Theater? Was ist die Kraft vom Theater? Die Dichtung, denke ich als Autor. Die Verdichtung der Gegenwart mit dem Wissen um die Vergangenheit und den Blick nach der möglichen Zukunft. Was ist Sprechtheater ohne Sprache? Performance und Konzeptkunst haben ihre Berechtigung, keine Frage, aber wo bleibt das Sprechtheater? Woher nimmt man als Autor die Kraft, zwei oder drei Jahre an einem Stück zu arbeiten?
Die Dringlichkeit, die Notwendigkeit einen Text zu schreiben, muß jeder Autor für sich entscheiden, natürlich. Aber welches Theater vergibt z.B. Stückaufträge, die sich über einen Zeitraum von sagen wir mal drei Jahren erstrecken? Welches Theater nimmt die Phrase Stücke zu wollen, die über das FastFood hinaus gehen ernst?
Den Autoren Zeit zur Stückentwicklung geben, wird dem Theater Stücke zur Zeit zurückgeben, so denke ich.
Das Ergebnis der Tagung der dramaturgischen Gesellschaft `Geteilte Zeit...`im Februar dieses Jahres, gibt wenig Hoffnung auf Besserung des Arbeitsalltags. Theater ist zur Fabrik geworden, die laufen muß. Ein Scheitern wird sich nicht mehr geleistet. Theater bringt Leistung hervor. Ist das die Berechtigung von Theater? Ich als Autor möchte im Theater nichts leisten müssen, ich möchte suchen dürfen. Eine Suche hat immer das Risiko, daß man auch manchmal nichts findet. Machen es sich manche Dramaturgen oder Regisseure nicht zu leicht, nach der Welt in Autorentexten zu fragen? Die Suche in Workshopwelten oder szenischen Lesungswelten kann nicht die ernstgemeinte Suche sein.
In dem auf der nachtkritik-stuecke08 seite veröffentlichten Artkel `Und was machst du so`von Claudius Lünstedt schreibt er ganz ähnlich über das Problem der Förderungen und deren Sinn für die Autorenarbeit, die über einen `entdeckten Anfang` hinausgeht.
Vielleicht ist es an der Zeit, sich zusammenzusetzen und andere, weiterführende Modelle auszuarbeiten, die sowohl dem Theater als auch den Autoren auf gleicher Augenhöhe begegnen.
Die Sicht solcher Herren ist professionell so deformiert, daß es Zeitverschwendung wäre, sich mit Ihnen an einen Tisch zu setzen. Sie halten Vorträge und dialogisieren, weil das die Aufgabe eines Dramaturgen ist, weil sie sich profilieren wollen, nicht um der Realität näher zu kommen oder gar mit der Perspektive auf Veränderungen.
Ich bin erst jetzt dazu gekommen, den Vortrag von Joachim Lux zur Eröffnung des Stückemarkts sowie die ersten Kommentare zu lesen - deswegen verspätet, aber vielleicht um so deutlicher nachfolgend ein Einwand gegen den Text, der auch ein Einwand gegen die sofort reflexartig einsetzende theaterinterne Diskussion über den Stellenwert der Gegenwartsdramatik ist.
Erste Verwunderung beim Lesen: die Überschrift „Stockhausens Schrei“. Dazu gehört schon einiges: Mutwilligkeit, Unbedachtheit, Chuzpe, Effekthascherei oder Provokationslust. Aber sie ist so gemeint, ganz offenbar: „Es spricht vieles dafür, dass der Einsturz der Twin Tower für den Westen trotz mehrerer tausend Toter die Erlösung von dem unhistorisch postmodernen Nichts war.“ Das verschlägt einem als Leser, das verschlägt zumindest mir dann doch den Atem. Soll, muss ich den Satz in die Kenntlichkeit übersetzen? Lieber nicht.
Stockhausens, wie Lux meint „damals nur unzulänglich begriffene“ Formulierung „Was da geschehen ist, ist - jetzt müssen Sie alle ihr Gehirn umstellen (den Einschub hatte Lux mit Pünktchen ausgeklammert) - das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat" wird von ihm als „besonderes Bewusstsein“ von Künstler und Philosophen und „Ausdruck realistischer Seismographie über den Zustand des Westens, auch in Bezug auf die Künste “ bezeichnet: es fällt schwer, es fällt mir persönlich schwer zu glauben, dass Joachim Lux es so meint, wie er es schreibt.
Stockhausen hatte „damals“ ja noch ein paar Sätze mehr gesagt, Lux müsste sie kennen: „… da sind Leute, die sind so konzentriert auf eine Aufführung, und dann werden 5000 Leute in die Auferstehung gejagt, in einem Moment. Das könnte ich nicht.“ In die Auferstehung gejagt - das könnte ich nicht: da verwechselt ein schwer esoterisch angehauchter Großkünstler die jeweiligen Realitäten - es ging bei dem Anschlag vom 11. September 2011 eben nicht um kosmische Musik, sondern um ein terroristisches Großattentat - und ein kluger Mensch wie Lux nimmt das als Beleg für seine These für das Ende der Postmoderne.
Aber Lux ist es tatsächlich ernst mit seiner Sehnsucht nach dem großen Einzelnen, dem Künstler und Philosophen (wahlweise Regisseur oder Dramatiker) - in aller Regel sind es bei ihm Männer, zur Not wird dann auch noch eine dezidiert antihierarchisch schreibende und denkende Frau wie Elfriede Jelinek in das Lager der Großkünstler eingemeindet - , unbekümmert reiht er seine Könige auf, die die Deutungshoheit in Anspruch nehmen können, Antworten besitzen, Lösungen parat haben, wie nur wenige in der Lage sind, große Texte und große Dramen zu inszenieren (schreiben kann sie ja kaum noch eine/r), kurz: potent genug sind, uns alle zu „erlösen“. Und ein wenig gehört man dann ja auch dazu - sonst müsste man das ja alles gar nicht sagen oder schreiben und könnte sich bescheiden mit ein paar klugen Beobachtungen und Anmerkungen zu den Dingen, mit denen man sich als Chefdramaturg auskennt.
Genau gegen diese Sehnsucht nach dem „Wort des Vaters“ schreibt und denkt die Postmoderne, arbeitet die Philosophie der Dekonstruktion, argumentieren die gender studies, behauptet sich das close reading, betreibt die Systemtheorie ihre Kunst der Ausdifferenzierung - um mit Joachim Lux zu sprechen: „Es spricht vieles dafür“, dass sie das noch immer tun und ganz offenbar gibt es noch immer viel zu tun.
Dass Lux jemanden wie Dirk Baecker als Mittelschichtssoziologe bezeichnet, er einen Gedanken wie „es existieren mehr Lösungen als Probleme“ kontextlos und vollkommen unbegriffen als „so falsch wie irgendetwas“ bezeichnet und dann noch als Schlussfolgerung ein „heroisches Management“ fordert: wofür ist das ein Beleg? Für die Kränkung...
Dass Lux jemanden wie Dirk Baecker als Mittelschichtssoziologe bezeichnet, er einen Gedanken wie „es existieren mehr Lösungen als Probleme“ kontextlos und vollkommen unbegriffen als „so falsch wie irgendetwas“ bezeichnet und dann noch als Schlussfolgerung ein „heroisches Management“ fordert: wofür ist das ein Beleg? Für die Kränkung, nehme ich an, dass die produktiven Vielheiten (man könnte auch einfach sagen: die Menschen) doch nicht auf den einen Heroen hören wollen, sondern mehr Realitäten besitzen, als das Schlagwort „der Rückkehr der Geschichte, der Sehnsucht nach Realität und Wirkung“ weiß, und dass uns das endlos Uneindeutige, das postmoderne oder schillersche Spiel, mehr Antworten zur Verfügung stellen kann, als Joachim Lux sich mit seiner einen Geschichte, seiner einen Realität und seiner einen Wirkung vorzustellen vermag.
Es gibt Geschichten, Realitäten und Wirkungen im Plural: was einmal gedacht und erlebt worden ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden.
Der Komponist Wolfgang Rihm hat zur Erkenntnis der „Realitätsform Stockhausen als eines womöglich terroristischen Komponisten“ (Klaus Theweleit in seinem Buch „Der Knall. 11. September und das Verschwinden der Realität“) einen sehr schönen Satz gesagt: „Seit Jahren von Außerirdischen und Weltraum phantasierend, ist Stockhausen offenbar der Bezug zur Menschen-Wirklichkeit abhanden gekommen.“ Und hinzugefügt, Menschen interessierten Stockhausen „nur als Rezipienten seiner Kunst.“
Dann fährt Börgerding fort und unterstellt die Sehnsucht nach der "Rückkehr des Vaters", nach starken „Männern“ (statt Frauen) oder gar nach "Heroen". Unterstellt wird ferner, daß die Rückkehr der Geschichte und die Sehnsucht nach Realität identisch ist mit der Ablehnung von Polyvalenzen.
Dabei braucht man wirklich keinerlei postmoderne Philosophie, sondern nur gesunden Menschenverstand, um zu konstatieren, daß man es immer mit mehreren Realitäten, Geschichten und Identitäten zu tun hat. Davon erzählt Elfriede Jelinek, mit der ich mich seit Jahrzehnten beschäftige, aber auch z.B. Zaimoglu in den Hybridfiguren in seinen "Schwarzen Jungfrauen". Auf beide – scheinbar postmoderne Autoren - habe ich mich in meinem Impulsreferat bezogen, warum wohl?
Und die sogenannten „Großkünstler“ (Börgerding), die keine Großkünstler sind, sondern schlicht große Künstler, haben ohnehin nie Antworten und Lösungen bereit, sondern höchstens intelligente und verzweifelte Fragen. Und schließlich bin ich auch nicht "erlösungssehnsüchtig" oder warte auf Stockhausens "kosmische Musik". Aber warum so schweres Gerät?
Weil so das postmoderne Bild von den Feinden der Postmoderne aussieht, und Börgerding mit großer Eindeutigkeit auf dem postmodernen "endlos Uneindeutigen" bestehen will, das mich aber (zumindest im modischen Theatergebrauch) zunehmend ermüdet. Der Begriff führt einfach viel zuviel Beliebigkeiten mit sich herum, auch in seiner Anwendung auf Regisseure.
Ist Bosse postmodern? Ist Stemann postmodern? Taugt der Begriff überhaupt? Von wem stammt der folgende Satz: „Ich will aufhörn damit, mir die Ähnlichkeiten zu erzählen, die ja nicht da sind. Es gibt sie nicht. Wir sind zu 100 % nicht ähnlich. Und dieser dramatische Gedanke muss doch hier mit irgendeiner konkreten Tinte in die Welt zu setzen sein!“ Von Andrea Breth oder von René Pollesch?
Lassen wir versuchsweise die ganzen postmodernen und antipostmodernen Ideologeme beiseite: Vielleicht könnten wir uns dann darauf einigen, dass die Infragestellung des Westens, seiner Wirtschaft, seiner kulturellen Hegemonie etc. durch den 11.9.2001 heftig und unbewältigt ist. Daß dies und die Dynamisierung unserer Lebensverhältnisse durch die neuen Technologien (sei es in der Gestaltung von Familie, von Arbeit, von Kultur) fast alles verändert hat.
Was beschäftigt uns zur Zeit also wirklich zentral? Vielleicht sind das zwei Hauptpunkte: a) das Bedürfnis sich mit der Identität der eigenen Kultur, auch der Stadt als sozialem Lebensraum, zu beschäftigen und b) das Bedürfnis, sich mit Kulturen außerhalb unserer eigenen zu beschäftigen. (Von dieser Welt außerhalb und innerhalb von Schengen habe ich auch gesprochen und also auch darüber, lieber Michael Börgerding, daß unser mittelständisches eurozentriertes Ich zwar wahrlich nicht das Maß aller Dinge ist, aber permanent unser Verhalten - auch in Bezug auf das Theater - bestimmt. Auch unter einem solchen Aspekt gibt es immer zahlreiche Perspektiven, Valenzen, Bedeutungen.)
Für diese und andere Dinge künstlerisch angemessene und weit greifende Ausdrucksformen zu suchen scheint mir wesentlich – jedenfalls für mich. Und das Theater, das sich immer wieder in der Defensive mit Hang zur Selbstmarginalisierung findet (siehe Martin Baucks), hat hier hoffentlich eine echte Chance, zu Wesentlichem und Zentralem vorzudringen - das ist jedenfalls meine Hoffnung und auch der Auftrag. Daß das dann auch immer wieder scheitert und auch in Zukunft (auch meiner eigenen) scheitern kann, ist ohnehin wahrscheinlich.
Lieber Herr Lux,
mit einigem Erstaunen lese ich gerade hier im Forum, dass Sie mir etwas in den Mund legen, das mir vollkommen fremd ist und noch nie meine Meinung war. Obwohl ich im Berliner Podiumsgespräch mit Ihnen immer wieder betont habe, dass es bei Inszenierungen nicht im geringsten um den Autor bzw. irgendeine Autor- Intention, sondern ausschließlich um die innere Struktur von Texten geht, behaupten Sie jetzt, ich hätte gesagt, Inszenierungen müssten in meinen Augen "dem inneren Bild" des Autors entsprechen.
So einen verquasten romantisch-esoterischen Unsinn habe ich noch nie in meinem Leben dahergeredet. Entweder haben Sie mir nicht zugehört oder Sie haben mich nicht verstehen wollen, oder Sie benutzen mich schlichtweg für Thesen, die zu bekämpfen keine große Kunst ist.
Dass Sie in Ihrer Rede meinten, ausgerechnet auf Emil Staiger verweisen zu müssen, zeigt ja bereits, in welche Ecke Sie Ihre angeblichen Gegner stellen wollen. Ich sehe darin nur das Bedürfnis, sich einen Gegner zu modellieren, der blöder nicht sein könnte, jedoch eine reine Projektionsfigur, um nicht zu sagen ein reiner Popanz ist. Insofern besitzt Ihre Behauptung, ich habe etwas vom "inneren Bild" des Autors dahergeschwafelt, bei aller Lüge vermutlich sogar Methode.
Sie reihen sich damit ein in eine Phalanx, die den entscheidenden Unterschied zwischen Autor und Text nicht wahrhaben will. Nichts einfacher, als gegen die sogenannte Autor-Intention anzurennen, zumal heutzutage eh kein Mensch mehr so etwas ins Zentrum interpretatorischer Deutungsarbeit rücken würde. Die Arbeit am Text dagegen ist etwas ganz anderes: Sie erfordert zuerst einmal handwerkliche Fähigkeiten, die denjenigen eines Musikers vergleichbar sind, der eine Partitur lesen können muß, bevor er sich das Werk zueigen macht.
Auf dem Berliner Podium habe ich ebenso dazulegen versucht, dass es ganz unterschiedliche Textarten gibt, die auch entsprechend unterschiedliche Anforderungen stellen. Manche Texte sind sprachmusikalisch so genau komponiert, dass Veränderungen sie sofort entstellen und ihre Musikalität zerstören. Andere Texte dagegen vertragen und provozieren sogar einen äußerst freien Umgang mit ihnen. Mit Autor-Intentionen hat das alles nichts zu tun, sondern ausschließlich mit Handwerk.
In der Hoffnung, dass Sie mir nie wieder einen solchen Blödsinn in den Mund legen und zwischen Autor und Werk zukünftig zu unterscheiden Wissen, verbleibe ich mit den besten Grüßen
Ihre
Theresia Walser
ich empfinde oft noch Schlimmeres. Die Theatermacher sind durchaus in der Lage eine Partitur zu lesen, sie erkennen die innere Struktur eines Textes, wenn sie sich Mühe gäben, und könnten durchaus das Werk vom Autor/inn getrennt wahrnehmen, sie wollen es häufig einfach nicht, so dass ich oft beim Schreiben zügig erschöpfe, weil ich weiß, falls mein Handwerk, meine Musikalität kenntlich wird, erwecke ich im negativen Sinne die Aufmerksamkeit der Inzenatoren/innen und sie stemmen sich bewußt dagegen. Ich erwische mich oft dabei vorsätzlich nachlässig zu schreiben, damit ich in diesem Kokon der Nachlässigkeit wenigsten einige Noten an der Wahrnehmung der Regie vorbeischmuggeln kann. Unauffällig, sozusagen subversiv im eigenen Text einige Stellen an der Liebe der Macher vorbeiführen...
Gruß
M.B.
sorry, Sie haben Recht, Sie haben von der inneren Struktur des Textes gesprochen, nicht vom inneren Bild des Autors. Trotzdem kann ich jetzt nicht auch noch die Debatte um Regie und Regiewillkür, um Handwerk, die Verweigerung von Handwerk oder schlicht um Minderbegabung führen.
Nur eines: das Verhältnis Dirigent - Partitur - Musiker bzw. Instrument ist dann doch meist ein anderes als das von Regisseur - Text - Schauspieler. Und da, wo der Text die größtmögliche Annäherung an eine Partitur darstellt, bei Beckett nämlich, hat sich in letzter Zeit öfters bestätigt, daß die Einmischung von Regie und Spielern den Text aus der Erstarrung in einer musealen Avantgarde befreien kann.
Und natürlich gibt es auch genügend Gegenbeispiele, wo Texte vergewaltigt und zerstört werden. Ich verstehe die Verletzung von Autoren, die darunter zu leiden hatten. Die Grenzen des Verfahrens, wo ein Regisseur sich zum Co-Autor macht, wären allerdings am Einzelfall zu diskutieren, da führen Generalisierungen nicht weiter.
Im Grundsatz aber ist das Theater ebensowenig Dienstleister am Text wie Spielwiese für das Regie-Ego, sondern im besten Fall Kommunikationsort der verschiedensten Ebenen, zu denen neben Text und Regie auch Raum, Musik, Schauspieler etc. hinzukommen. Und 2. wage ich zu bezweifeln, daß von den Theatern mehrheitlich Textverstümmelungsarbeit betrieben wird. Dieser Eindruck wird in solchen Debatten nämlich nicht ungern verbreitet.
Und gegen diese Art von Ideologieproduktion wehren sich die Theater mit Recht. Die Wahrheit ist aber oft ganz schlicht und sehr praktisch: Es gibt mittelmäßige Texte, in denen das Theater dennoch eine Chance sieht und denen es auf die Beine zu verhelfen versucht, und es gibt schlechte Aufführungen, die - ohne jeden bösen Willen - einfach mißlingen.
Zum Schluß: Nachtkritik ist ein tolles Medium und ich habe mich gern als Punchingball zur Verfügung gestellt. Trotzdem muß ich mich für meine Person jetzt ausklinken (zuviel Arbeit allerorten), ohne damit die Debatte selbst beenden zu wollen oder zu können. Ich wünsche dieser und anderen Diskussionen sowie Nachtkritik insgesamt gutes Gelingen und Gedeihen!
Joachim Lux
Kurz: ich vermisse eine Redaktion, die nicht nur Menschenrechtsverletzungen (wie offenbar vom bösen Buchta) mit Disqualifikation bestraft, sondern auch Inhaltsleere. Denn es hat wirklich keinen Sinn, eine kompakte Wortäußerung zerquatschen zu lassen. Außer den Beiträgen von fk, Bögerding und Walser war alles andere verzichtbar.
Im Verhältnis zu Nachtkritik ist der Lesesaal der FAZ, vormals "reading room", substanzieller. Entweder weil die Leser schlauer sind oder weil es dort in Form einer Redaktion den auktorialen Erzähler oder Zensor gibt, dem nicht alles recht ist, was es gibt, nur weil es es gibt, auch wenn er weiß, daß er keinerlei Recht hat, sich anmaßend und normativ zu gerieren und es trotzdem tut, weil es anders gar nicht geht.
Das wäre dann, lieber Herr Bögerding, auch wieder ein Beitrag zur Frage der Polyvalenz und zur Postmoderne versus Vaterhierarchien, allerdings ein so weites Feld, daß Fontane davon nicht einmal zu träumen wagte. Aber wir brauchen ja im Moment auch eher ein paar Zäune als Felder bis in die Unendlichkeit.
Kurz: Es geht um Qualität, und um die Frage, ob die sich durchsetzt. Bei Baucks war das bisher anscheinend nicht der Fall. Deshalb ist der Hinweis, daß man den googlen kann, der denkbar blödeste, denn ich kann auch meine Mitschülerin aus dem Jahr 1980 googlen. Ob Baucks sich durchsetzt, soll der Markt entscheiden, würde der von uns allen verachtete Guido Westerwelle sagen. Und das ist zwar total falsch, aber eben nicht nur.(Man könnte übrigens dem Wittgensteinschen System von 1.2.3.1.7.1 folgend noch eine Debatte über den Zusammenhang von Wirtschaftsliberalismus und Postmodene anschließen).
Ergo? Entweder beendet man die Debatte hier endgültig oder Nachtkritik oder sonstwer eröffnet parallel zur Fußballeuropameisterschaft eine wettbewerbsartige Umfrage:
Welche 5 Stücke der letzten zehn Jahre sind Ihrer Meinung nach zu Unrecht nicht häufig genug aufgeführt worden? Die Kriterien: ästhetische Bewältigung des jeweiligen Stoffes, Welthaltigkeit und ein potentielles Publikumsinteresse von 500 Zuschauern (ergo: keine Werkstattinszenierungen).
Das wäre ein konkreter und praktische Ansatz, um die Thesen von Lux zu überprüfen bzw. in eine Richtung zu lenken...
Daß hier auf Nachtkritik auch mal bezweifelt werden darf, ob ein Diskurs inhaltlich von Interesse ist oder nur aufgeblasen, das sollte so bleiben, lieber Möchtegernzensor
Auch Lux preist ja Autoren und das zeigt, wo er steht: Zaimoglus "Schwarze Jungfrauen": Vaginamonologe für türkische Frauen, spekulierend auf einen Tabubruch, und wen das nicht erregt, der findet's langweilig, eher Hörspiel als Theater. Und Schimmelpfennig, okay, ich hab "Das Reich der Tiere" am DT gesehen, das ist also Postmoderne, von "kombinierter Aleatorik", die Lux beobachtet, hab' ich nichts bemerkt. Aber das muß man gut finden, als Lux, weil das hat Marktwert.
Den Vorschlag fünf zu unrecht nicht weiter gespielte Stücke finde ich gar nicht total doof (und warum nur der letzten zehn Jahre?). Allerdings haben schlender und fk schon angefangen damit, Herr Markt.
Und ist doch auch schön, daß der noch an einen Weltgeist glaubt,in dem Entwicklungen kausal passieren anstatt als Abfolge von Moden und Zufällen! Und das der Stemann, Pollesch und Jelinek etc., die Ikonen der Postmoderne und der Postdramatik als Beispiele für die Rückkehr des Dramatischen abfeiert, ist entweder frech oder bedenkenswert, weiß nicht genau, hat mich jedenfalls beeindruckt.
Aber zurück zur Liste der Stücke. Wollen wir da nicht mal weitermachen?
Ich fasse mal das Bisherige zusammen:
1. Trolle: Weltuntergang Berlin
(disqualifiziert, Post-Heiner-Müller und keine Chance für größeres Publikum)
2. Trolle: Hermes in der Stadt
(dito)
3.Dorst: Korbes
(o.k., aber Merlin erst recht)
4.Studlar: Transdanubia Dreaming
(wen interessiert das in Berlin?)
5.Fritz Kater: Zeit zu lieben, Zeit zu sterben
6. Belbel: Wildfremde
7. Felicitas Zeller: Kaspar Häuser Meer
ich füge hinzu:
8. Peter Handke: Die Stunde...
9. Dea Loher: Adam Geist
10. Jelinek: Babel
11. Brasch: Rotter
(wird wahrscheinlich disqualifiziert, weil zu alt)
12. Schimmelpfennig: Greifswalder Straße
13. Reza: Gott des Gemetzels
Diese Schauspieler hatten es nicht nötig sich großartig einzumischen, und ihr Regisseur auch nicht. Sie nahmen sich vollkommen zurück und sogar die Ausstattung wurde auf ein absolutes Minimum reduziert. Im Gegenzug lasen die Darsteller auch die Regieanweisungen als einen Teil der "Partitur", oft ohne sie auch nur andeutungsweise umzusetzen, und gerade deshalb war es eine der bedeutesten Beckett Aufführungen die ich je gesehen habe. - Es geht doch nicht darum, ob Beckett vor uns besteht, museal hin oder her, es geht darum, ob wir heute noch vor ihm bestehen. In der ganzen Debatte vermisse ich und fehlt mir ein Begriff: Liebe. Liebe zu einem Autor oder einer Autorin und seinem/ihrem Text...
Gruß
Baucks
Und wieso wird Gott des Gemetzels in die Auflistung der zu Unrecht selten gespielter Stücke gesetzt? Das geht doch die Spielpläne rauf und runter, ist das noch nicht genug?
Und ein gutes Stück interessiert doch immer. Wieso sollte ein Stück nur gut sein, wenn es Berlin interessiert? (siehe Transdanubia) Gibt Berlin jetzt die Spielpläne der deutschen Theater vor?
Also, lieber Einsilber, "Transdanubia Dreaming" spielt, wie der auf die entsprechende römische Provinz Transdanubien anspielende Name schon sagt, natürlich in Wien, nicht in Berlin. Die Frage ist also, ob es dem Autor gelingt, jenseits des Lokalen das Allgemeine (und dann auch Berlinerische) zu thematisieren, wie das Horvath in seinen "Geschichten aus dem Wiener Wald" gelang.
Dann, lieber Baucks: Sie muß man nicht bashen, sie bashen sich ja ständig selbst: jüngstes Beispiel, Jürgen Holtzmann hat natürlich Beckett nicht gespielt, denn diesen Man gibt es gar nicht, das war nämlich Thomas Holzmann und nicht Jürgen Holtz und auch keine geclonte Mischung aus beiden. Aber egal, macht nichts, wichtiger ist etwas anderes: sie fanden die Beckettaufführung wie fast der ganze Rest der Welt toll, ich übrigens auch.
Aber wie ist das möglich? Der musikalische Beckettext wurde doch durch den Vortrag der Regieanweisungen, die nicht für den Vortrag gedacht sind, völlig zerstört, oder wie sehen Sie das, Frau Walser,die Sie als Autorin nicht Agentin der Autoren, sondern nur des Textes sein wollen, den Sie als Autorin geschrieben haben?
Also: Ist die Zerstörung der Beckettschen Musikalität durch die Regiewillkür, seine Regieanweisungen zum Vortrag zu bringen, nicht schon ramponiert?
Herr Baucks, Sie sind doch ein bißchen ein Trottel, es geht Ihnen fortwährend ums "Bestehen". Vor Lux wollen Sie weniger gern "bestehen" als vor der Gorki-Dramaturgin, stellen sich die Frage, ob wir vor Beckett "bestehen" und nicht ob er vor uns "besteht" - sie sind eindeutig ein Fall für die Börgerdingsche Prä-Postmoderne, immer auf der Suche nach Papi.
Und "Liebe" ist genau der Punkt, aber die hat doch Lux wörtlich und genau eingefordert, ist Ihnen das Vermissen derselben ins Whiskey- oder Wein-Glas gefallen?
Bleiben wir doch mal bei der Liebe. Welche Gegenwartstheatertexte lieben Sie denn z. B. so sehr, daß Sie unbedingt auf die Bühne müssen? (Achtung, Achtung, Achtung - nur ab 500 Zuschauern)
Jetzt mal Butter bei die Fische, Baucks und fk ed aliie statt Gequatsche!!!
mein nächtlicher Fehler ist mir unangenehm, deshalb vielen Dank für Ihre Korrektur.
Gruß
Baucks
Und nochwas. Sind es nicht die `Kenntnislosen` für die man Theater macht? Für die man die Stücke wählt? Oder ist Theater nur noch was für Eingeweihte?
Wieder so viel Fragen. Da ich nun mal das Einsilber bin, stelle ich Sie weiterhin direkt, ohne verschnörkelte Umwege. Vieldeuter dürfen sich andere nennen, das steht jedem frei.
Ich lade also ein zu einem Gespräch beim DramaTisch in Berlin. Anhand vier zeitgenössischer Theatertexte wird darüber geredet, welche Erwartungen Dramaturgen an Stücke haben und umgekehrt wo das Interesse von Autoren liegt. Wir treffen uns am 19.Juni um 18 Uhr mit Autoren, Dramaturgen, Regisseuren usw. Wen das interessiert, der schreibe an battle-autor@gmx.net, als Betreff "Teilnahme am DramaTisch 19.Juni genügt. Dann werden Anfang Juni die Stücke und nähere Informationen zugesandt.
Gruß
Baucks
wie wär´s mit gucken und beschreiben?
Also, der will auch Liebe und glaubt auch, daß er sie hätte, was dem Sparingpartner eigentlich nur im Kriegsfall wiederspricht.
Aber tun Sie mir doch bitte einen Gefallen, dann rede ich auch wieder sachlicher: Was sind denn ein paar Stücke aus Ihrem Horizont, die meinen Kriterien entsprechen. Verweigern Sie das? Finden Sie das sinnlos? Oder fallen ihnen schlicht keine ein? "rk" hat die gleiche Sehnsucht!!
...und ich möchte noch hinzufügen, Sie Herr Arkt sind wirklich zu bedauern. Sie können doch nicht, in dem Sie mir die Pistole auf die Brust setzen andere, "bessere" Spielpläne durch Listen herbeischießen...
freundliche Grüße
Baucks
P.s.: Listen sind liebslos...und Herr Lux hat die Debatte verlassen, als ihm eine Autorin die Stirn bot, da wiegen seine Taten mehr als seine Worte. Im Abgang Liebe zu "heucheln", das tut weh.
Ich habe einmal versucht, eine Frage zu stellen. Sehr einfach gehalten um eine soweit wie möglich klare Antwort zu bekommen. Nun gut. Ein Dialog klappt nicht immer. Schade! Ich glaube, auch M.Arkt findet die Gesprächsrichtung hier frustrierend, was ich aus dem letzten Kommentar entnehme.
Liebe läßt sich nicht erzwingen Herr Baucks, auch nicht wenn man ständig darüber redet. Wenn man etwas oder wen liebt, sollte man es auch konkret sagen.
Ich einsilber liebe z.B.:
Werner Buhss für Die Deutsche Küche
Katharina Gericke für Maienschlager
Claudius Lünstedt für Musst boxen
Baucks
viele Grüße
Martin Baucks
Allein die Präsenz von Kino und Fernsehen kann es nicht sein, denn auch in den 70ern gab es Film und Fernsehen, und man hat der Schaubühne oder der Volksbühne unter Besson die Türen eingerannt.
Ich vermute, dass das Theater - und hier sind die Autoren so schuldig wie die Regisseure - sich zu wenig auf seine spezifischen Wirkungsmöglichkeiten besinnt und sich zu viel aus Film und Fernsehen leiht.
Damit meine ich gar nicht den Einsatz von Video und dergleichen, sondern bestimmte Strukturen. Wenn viele Stücke eher Fernsehspielmäßig rüberkommen, wenn die Schauspieler mit Headsets agieren, um die öffentliche Form des Sprechens zu umgehen, dann nähert sich das Theater eben dem Kino oder Fernsehen an, bloß dass es auf diesem Gebiet halt schlechter ist.
Eigentlich müsste eine Anforderung an einen Text oder eine Inszenierung sein, dass sie im Fernsehen nicht funktioniert. Aber derzeit ist eine umgekehrte Tendenz zu beobachten: fast jeder Text könnte sofort auch als Drehbuch verwendet werden.
Gruß
Baucks
Es ist also verkürzend, wenn jetzt in der redaktionellen Ankündigung bei Nachtkritik anklingt, ich würde jegliche Autorenförderung infrage stellen. Das ist natürlich ein Unsinn, der auch mit meiner eigenen Theaterbiographie nichts zu tun hat, in der ich unentwegt und mit viel Lust Gegenwartsdramatik unterschiedlichster Provinienz angestoßen, betreut und gefördert habe und dies auch gedenke weiter zu tun. Die Anmerkungen zur Problematik der Autorenförderung waren nur e i n Subpunkt, der dann allerdings Ausgangspunkt der Nachtkritikdebatte wurde.
Joachim Lux
So zum Beispiel geht das, liebste Autorinnen und Autoren, Verleger und Verlegerinnen, Dramaturgen und Dramaturginnen!!
Unter dem Haufen von Karikaturen, Gags und bemüht einfallsreichen Spielideen, fiel es mir lange Zeit schwer, den Text von Wajdi Mouawad überhaupt zu hören. Bis ich schließlich in den Endminuten des Stücks und seiner krassen Pointe dachte, dass der Regisseur unbewusst oder bewusst etwas ausgewichen ist und sich dann in Ironisierung und Überzeichnung gerettet hat.
Im Musiktheater hat jedes Stück - durch die Musik absolut offensichtlich- gemacht, einen eigenen Ton, für den der Regisseur in seinem Stil eine Umsetzung finden muss. Das heißt natürlich nicht, dass es nur eine mögliche und "richtige" Umsetzung geben kann, aber er muss sich eben doch auf die Suche nach diesem Ton machen. Wenn der Regisseur diesen Ton verpasst oder ignoriert, fällt das Stück in sich zusammen und die Musik tönt leer ohne eine Verbindung zur Bühne.
Wahrscheinlich ist es ein Irrtum zu glauben, dass ein Sprechtext diesen Ton nicht hat. Stefan Bachmann hat sich meiner Meinung nach bei "Verbrennungen" nicht wirklich auf die Suche gemacht oder zu früh aufgegeben und hält das Stück mit einer aktionistischen, requisitenüberfluteten und dadurch bis aufs Blödste gegenständlichen Regie fast 2h künstlich am Leben.
Auf diese Weise mutet der Text von Anfang an wie ein billiges, flaches, überdramatisiertes Fernsehspiel an und wird dann pathetisch-rührselig, wo er in seinen vielen, fast trockenen Berichten verstören könnte.
Natürlich ist es einfach, wenn man bildhaft und somit für jeden verständlich, die halbe Bühne anzündet, mit Maschinenengewehren herumknallt und Musik bis zum Ohrendröhnen einspielt - doch dann wird der Text irgendwann so klein, dass er gegenüber der Regie unkenntlich wird.
wie kann man so naiv mit einem solchen text umgehen? warum werden hier so unverfremdet immer noch geschichten "über andere" erzählt? warum habe ich das gefühl, dass das gesamte team nicht mal einen gedanken daran verschwendet hat, wie und mit welchen zeichen ein europäischer blick auf den nahen osten funktioniert und wie man einen solchen zu befragen habe? warum holt man bei so einem monstrum (antike tragödie!) von text als regisseur wieder die vierte wand aus der staubigen untersten schublade? der text bietet so viel möglichkeit aufzurütteln, zum denken anzuregen, zu überraschen, zu erschrecken - und dann wählt der herr bachmann aber mittel zur umsetzung, die an antiquarischer beliebigkeit kaum zu überbieten sind. da lohnt sich auch kein publikumsgespräch mehr...
Fußball ist herrlich: Deutschland - Polen 2 : 0 - da herrscht Klarheit!
Die ins pädophile tendierende Kinderförderung ist ein anderes Problem.
Wenn Sie aber die Eintagsfliegenverfasser meinen, die zwischen Coburg und Pforzheim in Werkstattbühnen vorkommen, da haben Sie recht. Aber das ist wie mit Büchern - die kleine Novelle im Selbstverlag mit 500 Stück bringts halt nicht, und zwar zurecht, findet der Markt, Guido, herzlich und unerbittlich wie immer.
Also Autoren, schreibt mal was für die große Bühne, du Baucks, Mannsmann und so. So mal n bißchen Multikultikram oder Mann erschlägt Frau für den hippen Regieassistenten, das kann ja jeder. Ich will nen Text mal so voll stadelmaiermäßig auch später noch gut finden dürfen...
Und wieso so arrogant gegenüber kleinen Häusern? Coburg und Pforzheim haben hoch subventionierte Theater, an denen viele Menschen von ihrer Arbeit leben können. Das mit Selbstverlag zu vergleichen ist idiotisch.
Das Elend beginnt nicht in Pforzheim, sondern dort, wo die Dramaturgen sagen: Schreib doch mal für die große Bühne, mit einem optimistischen Augenzwinkern. Da setzt man sich einem hohen unternehmerischen Risiko aus, wenn man keinen Auftrag schreibt oder keinen großen Namen hat. Das ist Arbeit, falls es sich noch nicht herumgesprochen hat, und man braucht neben Talent auch viel Zeit, Glück und gute Kontakte, um so ein Stück anzubringen.
Und ob selbst ein Lukas Bärfuß von Tantiemen leben kann, da habe ich meine großen Zweifel.
Die Blauäugigkeit Ihrer Zeilen ist hochverbreitet. Es wird von den Theaterleuten konsequent verdrängt, unter welchen ökonomischen Bedingungen sie Autoren arbeiten lassen. Da hört man dann Sprüche wie: "Ja, ich will auch, dass alle gerecht bezahlt werden." Oder "Unsere Autoren sind zufrieden." (Weil keiner sich traut, den Mund aufzumachen.) Oder "Es gibt doch landauf, landab Förderungen, viel zu viele eigentlich."
Wer schafft endlich mal die Förderung von diesem Lux ab?! Der verdient doch im Jahr so viel, wie alle deutschen Dramatikerpreise zusammen kosten. Und von wem werden Sie gefördert, Herr MArkt?
Dieses Thema Geld ist so schwer zu besprechen, weil Deutschland da vollgesülzt ist mit dem Talkshowgejammer von allen Seiten. Da verstehe ich, wenn auch dem gesprächigen Arkt und anderen nur flotte Sprüche einfallen. Und der überförderte Lux oder ein ebenso überförderter Jörg Bochow (Staatstheater Stuttgart) die "Dramatikerförderung" für sinnlos erachten.
Die Theater stellen sich der Thematik ebensowenig, außer wenn sie ganz abstrakt in ihren Inszenierungen die böse Ausbeutung in dieser Welt anprangern. Die stellen sich dem einfach nicht! Das wird vehement verdrängt, daß die Autoren z.B. die einzigen sind, die das unternehmerische Risiko einer Theatervorstellung tragen, die unter den Subventionen der Häuser leiden, weil billige Eintrittskarten niedrige Tantiemen bedeuten.
Inhaltliche Diskussionen müssen sicherlich geführt werden. Die Frage sind da: Brauchen wir so viele Dramatikerschulen? Warum sind die Texte oft nullachtfuffzehn usw, aber: Wenn sich die Theater für Autoren entscheiden, dann stehen sie in der Verantwortung.
Oder sie machen nur noch "Performances". Rimini kann fünf Produktionen im Jahr locker stemmen, das rentiert sich dann, da ist nicht viel Arbeit dahinter. Zehn hochbegabte Kinder sind schnell mit ein paar albernen Spielchen auf eine Bühne gestellt. Dann soll das die Zukunft des Theaters sein. Theater ohne Autoren. Erst wenn die Verhältnisse wirklich kaputt sind, geht vielleicht wieder was.
außerdem: wenn man an 8 stadttheatern 6 stücke laufen hat, dann ist das sicherlich NICHT mittelmäßig! und die entsprechende bezahlung, die hier offengelegt wurde, ist auch nicht mittelmäßig, sondern mehr als niedrig!
aber liegt der grund dafür nicht auf der hand, nämlich mangelnde lobby der autoren bei geldgebern? und ist das nicht vielleicht auch der einzige vorwurf, den sich autoren gefallen lassen müssen, nämlich dass ihre lobbyarbeit mangelhaft ist? die zeiten des im kämmerchen zurückgezogenen genialen schreiberlings sind ja nun vorbei. müssen autoren nicht auch neben ihrer schriftstellerischen tätigkeit ihre notwendigkeit im theaterbetrieb unter beweis stellen? da hilft mal wieder nur der alte schlachtruf: BILDET BANDEN!
Und Sie, AUTOR, es ist schön, dass Sie bis zu 100 000 Euro verdienen, denoch wissen Sie ganz genau, daß das nicht die Regel ist. " also das gibt es eben auch." schreiben Sie, es gibt aber ebenso noch die anderen 90 Prozent, die doch mal über ihre Situation reden können, ohne dass das gleich als Gejammer abgestempelt wird. Hatte Gustav G. also doch Recht, als er meinte: "Die Theater stellen sich der Thematik ebensowenig, außer wenn sie ganz abstrakt in ihren Inszenierungen die böse Ausbeutung in dieser Welt anprangern."?
Und Sie geschichte, ich hoffe für Sie, dass Sie nicht an einem mittelmässigen Haus arbeiten sondern an einem der wenigen großen; ansonsten müssen Sie sich eben auch mit einem schmaleren Gehalt abfinden, nicht wahr? An kleineren Häusern arbeitet man ja viel weniger und kleiner, als an großen. An kleineren Häusern ist die Arbeit im Grunde überhaupt nichts wert, da kann man froh sein, wenn man dort überhaupt noch was verdient.
Neuestes Beispiel: Ein hoch subventioniertes Hauptstadttheater, das Maxim Gorki, macht "Werkstattinszenierungen" von zwei Autorinnen (jung und weiblich ist immer gut, ein Dramaturg des Gorki ist auch mit einer der Damen liiert), Darja Stocker und Tine Rahel Völcker. Statt sich zu diesen Autorinnen mit einer Uraufführung zu bekennen, werden sie abgespeist mit "Werkstattinszenierungen". Das ist billig und erzeugt weniger Erwartungen. Für andere Theater sind diese Stücke dann aber meistens durch. Natürlich dürfen die Autorinnen dankbar sein, dass sie überhaupt beachtet werden und ein paar hundert Euro werden schon herum kommen.
Ich empfehle nicht bloggen, sondern handeln. Wie ein Freund von mir, ein lange ungespielter Autor, der eine Autorin erfunden hat (eine von den jungen hübschen, denen es so gut geht). Die wurde zu Festivals eingeladen. Schnell mußte er jemanden erfinden, der ihre Rolle spielen kann. Und fand eine! Eine Marketingfachfrau! Harte Verhandlungen haben zu einer 20%igen Beteiligung geführt +Spesen. Jetzt sitzt er im Publikum und freut sich über ihre Antworten. Alle werden das für eine Story, einen Witz halten, aber es ist so.
Also Antworten finden mit Taten und nicht in diesem hämischen, erberecherischen, demokratischen Blog, aus dem ich mich hiermit mit freundlichen Grüßen verabschiede.
Und es hat ja auch nicht jeder Lust gehobenes Boulevard zu schreiben wie Yasmina Reza, die sich gut zu vermarkten weiss. Also, lasst die Autoren sich aufregen und ihre Meinung sagen! Und die anscheinend so erfolgreichen Autoren in dieser Dikussionsrunde, schön für Sie aber bitte nicht so arrogant! Es gibt vielleicht zu viele Autoren, aber ich bin total für Subventionen! Jeder der Lust hat zu versuchen sich künstlerisch auszudrücken sollte eine Chance dazu haben! Kapitalismus haben wir schon genug anderswo!
Und leider funktioniert das Theater allzu oft nach den Regeln, die es auf der Bühne anzuprangern scheint.
Also, positive Energie und weiter!
Und das Neue hat es schwer, Herr oder Frau Duve, weil im Theater anscheinend der Hase nicht frisst was er nicht kennt. Es ist einfach viel schwieriger Publikum anzulocken mit zeitgenössischen Stücken.Das stelle ich immer wieder fest.Ausser es ist was "zum Lachen", wie mein Nachbar es so flott ausdrückt. Das ist wahrscheinlich eher das Problem als dass die Dramaturgen keiner Textkritik Fähig sind.Theater ist und bleibt ein elitärer Sport,aber gutes Theater ist zu diesem Preis. Und natürlich habe ich auch manchmal meine Bedenken bei, z.B. in Theater heute abgedruckten Texten. Aber es gibt auch die Interessanten, und das mögen nicht für jederman dieselben Texte sein. Und was ist, wenn auch mal Müll dabei ist, ich habe lieber ein bisschen Theaterrecherche und es kommt dann bei einigen etwas heraus als den 20.098 King Lear zu sehen mit einem Ferkel als King Lear in der Hauptrolle weil man ja den Vorgänger toppen muss!Oder den 7456ten Menschenfeind, auch wenn es ein wunderbarer Text ist (also im Original, die Uebersetzung von Enzensberger ist jedoch auch sehr gelungen). Und wo ist dieses Ausland wo das Theater so nahe am Publikum ist und so interessant?! Sehen Sie sich mal in Frankreich die Publikumsrenner an!Leider sind allzuoft Publikumsrenner verbunden mit der Idee des kleinsten gemeinsamen Nenner. Oder eine Starbesetzung. Und was ich in diesen Kategorien gesehen habe war meist für mich grauenvoll und ansonsten sehr erfolgreich. Wollen Sie das,Herr Duve? Also, lasst die Autoren schreiben, auch die die euch nicht gefallen! In anderen Bereichen wird viel mehr Geld unnütz zum Fenster rausgeworfen.
Am DramaTisch haben sich übrigens inzwischen alle ausgeheult und reden jetzt über Texte und Taten. Das nächste mal am kommenden Donnerstag.
Wahrscheinlich nutzt all das Gerede nichts, denn es ist ein Zerreden. Die starke Autorin wird ihre Themen und Formen finden - und dann vom Betrieb hochgespült oder zermalmt. Am Stammtisch - oder am DramaTisch - kann man allenfalls ein Gruppengefühl erzeugen (und vielleicht einen "interessanten" Diskurs), aber kein starkes Stück.
Ja, im Grunde ist das meine Ansicht. Die Ideen kamen und kommen nie einfach so aus der Struktur des Theatersystems. Wenn es ein Bedürfnis nach großem Theater und großen Texten gibt, dann wird es großes Theater und große Texte geben, unabhängig von allen Strukturen. Ich behaupte allerdings auch, dass es das eben erwähnte Bedürfnis offenbar derzeit gar nicht gibt - es wird bloß behauptet. Vielleicht weil es unserer Gesellschaft noch zu gut geht. Dann könnte man auch gut auf den großen Theatertext verzichten, denn dass es unserer Gesellschaft schlecht gehen soll, das möchte doch keine.
Wer das meint, muß sich nicht engagieren. Hinter diesem Geniekult steckt ein deutscher Biedersinn.
Sollte man demzufolge nicht jedem Dramatugen, der nicht auf einer Stufe mit Heiner Müller steht, jedem Regisseur, der es mit Zadek nicht aufnehmen kann und jedem Schauspieler, der nicht die Qualität einer Duse besitzt, das Handwerk legen, d.h. die Gage entziehen?
Strukturen öffnen, ja, aber wie beginnen? Wie diesen wunderbaren Reichtum, den wir haben, fruchtbarer machen? Wie die Wohlstandsprobleme lösen? Sicher nicht durch Abschaffung des Wohlstands. Das führt in soche grottigen Zustände, wie wir sie in Italien sehen.
Nein, Herr Weyland, darum geht es nicht! Es gibt schon eine Art Nährboden, auf dem sich "das Genie" entwickeln kann - eine Grundkultur. Die sollte man erhalten. Jede Dramaturgin darf und soll gerne ihr Geld kriegen, ebenso jede Schauspielerin, auch wenn sie nicht die Duse ist.
Aber: In der Debatte hier klingt es oft so, als müsse man die Strukturen ÄNDERN, um wieder gute Texte zu bekommen. Das ist doch der Unsinn. Keine Strukturänderung wird gute Autorinnen generieren.
Wenn ich die Initiativen, die gerade unterwegs sind, richtig verstehe, geht es darum, jenen Autoren, die von den Theatern großzügig in die Spielpläne gewählt werden, faire Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.
Die Frage stellt sich, woher die ständige Behauptung kommt, diese Forderung würde für alle Autoren erhoben, und dann dieser Schaum vor dem Mund, der Schrei, daß das nicht geht. Ein psychologisch interessantes Phänomen.
1. Die Fälle, wo sich das Genie nicht durchgesetzt hat, sind uns nicht bekannt geworden. Wären sie uns bekannt geworden, hätte sich das Genie schließlich doch noch durchgesetzt. Es gibt also eo ipso eine nicht bestimmbare Grauzone verkannter Genies (keine Angst, ich gehöre nicht dazu).
2. Das Genie braucht in der Regel einen gedüngten Boden. In einem Land, in dem es kein Theater gibt, ist das Auftreten eines Theatergenies unwahrscheinlich. D.h. je besser die Strukturen sind, desto mehr Input bekommt das potentielle Genie. Je mehr es von mittelmäßigen Autoren (Regisseuren, Schauspielern etc.) umgeben ist, die von den Strukturen profitieren, desto eher wird es sich abstoßen und aufschwingen können. Im Klartext: Das Genie braucht eine bestehende Kultur, die es erweitern und überwinden kann.
Klaro? Yeah, Mann!
Mit herzlichen Grüßen auch an Katharina und Nike Wagner. Schöne Grüße auch an Rainald Goetz und Gerard Mortier sowie alles Gute an Sebastian Hartmann nach Leipzig, der dort mit Apostel Matthäus bestimmt reussieren wird, auch wenn der schon 2000 Jahre tot ist und ganz und gar kein Gegenwartsautor, den man zu irgendwelchen Autorentagen einladen könnte. So ist doch alles so verworren, wie es sein soll. Und Gott sah, das es gut war. Und am siebten Tag sollst du ruhen - weswegen wir seit 2000 Jahren das Wort zum Sonntag haben, das aber leidergottes noch keiner dramatisiert hat.
Sie müssen angeben wenn Sie für Leute mit einem IQ unter 30 Kommentare schreiben. Wie kann man nur eine solche Aussage machen und ernst genommen werden wollen? Romane lese ich wahrscheinlich mehr als Sie (sogar beruflich) und die richtig guten sind nicht so weit verbreitet, wie Sie es uns zu verstehen geben wollen, und ausserdem, was ist für Sie ein guter Roman? Namen bitte! Dann weiss man wenigstens mit wem man es zu tun hat.
Dass man einen Roman und ein Theaterstück auch nicht einfach so ohne weiteres vergleichen kann müsste Ihnen, grosser Literaturkenner, ja auch bekannt sein!
Was den Rest ihres Gelabers angeht, siehe 122.