Rollenspiel

von Teresa Präauer

Erwähnungen des Wortes Rollenspiel auf nachtkritik.de bisher: 105 Mal

24. Januar 2017. Treffen sich acht Menschen um einen Mord zu begehen, kann das einen herrlichen Abend ergeben. Ihre investigative Kolumnistin von nachtkritik.de, der Wahrheit verpflichtet, dem Verbrechen auf der Spur, befindet sich auf dem Weg zu einem sogenannten Mörder-Dinner namens "How to Host a Murder". Einem Rollenspiel, Unterkategorie Murder Mystery Game, dessen erste Episode "The Watersdown Affair" 1983 vom amerikanischen Spielehersteller Decipher, Inc. auf den Markt gebracht worden ist und seither als Serie fortgesetzt und produziert wird.

"So much fun, it's almost criminal!"

An den Wiener Jupiterweg, wo angeblich auch Elfriede Jelinek zu wohnen pflegte oder pflegt, lädt Ms. Aminmund, die Privatsekretärin von Sir Roger Watersdown, zur Dinnerparty: "So much fun, it’s almost criminal!" Ihre Kolumnistin wird angesprochen als Miranda T. Shetes, "beautiful and talented young American actress", Muttersprache Iowan-English mit österreichisch-deutschem Akzent. Außerdem geladen sind: Roger Astird und Dame Allison aus Graz, sie müssen noch ihre drei Kinder ins Bett bringen, bevor sie mit Champagner mit uns anstoßen können. Dame Allison ist laut Decipher, Inc. Schriftstellerin auf der Suche nach dem nächsten spannenden Plot, eine Aufgabe, bei welcher Ihre Kolumnistin sie ohnehin nicht unterstützen kann. Die Watersdown Mansion liegt in Yorkshire, England, gleich nach der Endhaltestelle "Wien Hütteldorf" rechts hinauf. Es ist das Jahr 1936, Donald J. Brooks fährt einen "Tesla Model X", seine Frau Florence trägt ein schwarzes Kleid mit diskretem Ausschnitt. Wir trinken zuerst einmal alle drei mitgebrachten Flaschen Champagner leer, dazwischen läutet Elfriede J. kurz an der Tür und fragt, ob wir den Rest von ihrem Gulasch mögen, ein paar Semmeln dazu? Wir verneinen dankend und versprechen, beim nächsten Mal vorbeizuschauen, vielleicht auf Kaffee und Kuchen.

kolumne 2p praeauerAuftritt Prosper Alvin Bates, der das Babyphon neben den Esstisch stellt, dabei den Mord von Sir Rogers betrauert und gleichzeitig versichert, nicht dessen Mörder zu sein. Dr. Malcolm Praktiss sitzt rechts neben mir und offenbart dem Grüppchen, was es ohnehin bereits ab Runde zwei, danke Decipher, Inc., ahnt: In meinem früheren Leben war ich eine Pornodarstellerin, deren späterer Aufstieg durch Sir Rogers finanziell gestützt worden ist. Ich bin erpressbar geworden und damit eine der neuen Hauptverdächtigen in diesem Spiel. Das Babyphon knarzt argwöhnisch. Allison möchte nun doch Gulasch essen bei Frau J., um sich dort "etwas in Sachen Plot abzugucken". Ich sage traurig: Auch sie wird dir nicht weiterhelfen.

Runde drei wird eingeläutet, dazwischen gab es Hendl mit Gemüse aus dem Ofen, dazu Salat. Prosper hat tüchtig Zwiebeln reingeschnitten. Ms. Aminmund rückt ihre grau-gelockte Perücke zurecht, Florence und Allison unterhalten sich in schönstem Oxford English. Ich glaube mich zu erinnern, dass Florence einmal ein Certificate erworben hat, ein Oxford English Certificate. Florence spricht richtig gut, es ist also wirklich etwas wert, das Oxford English Certificate. Dr. Malcolm Praktiss, kurz: Mal, war einmal Schauspieler, hat auch am Salzburger Mozarteum studiert, arbeitet aber jetzt in der Games-Industrie. Wie überhaupt die Hälfte der Anwesenden in der Games-Industrie arbeitet. Hätte ich in den 90er Jahren einen Computer adäquat, also technikkonform, bedienen können, hätte ich auch in der Games-Industrie angefangen, anstatt Schriftstellerin/Kolumnistin/Pornodarstellerin zu werden.

Decipher!

Donald J. Brooks raucht Pfeife und schenkt Whisky nach. Er füllt mein Glas und zwinkert mir mehrdeutig zu. Er raucht natürlich nicht wirklich, oder nur kurz, denn Rauchen ist ungesund im Jahr 2017. Für die Kinder, für die schwangere Ms. Aminmund, für mich, die ich mich erkältet habe und mein Nasenbluten nicht in den Griff bekomme, für die ganze Welt. Seht euch die Schockbilder an! Es ist 1936. Ich denke darüber nach, in meine Texte, vor allem in diese hier, Warnhinweise, Schockbilder und Witzschilder einzubauen. Sie würden sehr viel an Unklarheit beseitigen. Allison sieht mich jetzt mit ihrer gespielt-strengen Pseudo-Schriftstellerinnen-Miene an.

Ms. Aminmund stellt Schokolade auf den Tisch. Florence telefoniert mit ihrem daheimgebliebenen Sohn. Wie viele Kinder haben sie denn in die Welt gesetzt, alle meine lieben, doch mordlüsternen Freunde? Malcolm bekritzelt ab Runde vier seine Spielunterlagen. Er möchte Roger Astird den Mord in die Schuhe schieben. Der wehrt sich in broken English und bezichtigt stattdessen Prosper, Sir Rogers im Pool ertränkt zu haben, um, als dessen illegitimer Sohn, an sein Erbe zu kommen. Am Ende, Runde fünf vielleicht, soll ich Mittäterin oder Mitwisserin gewesen sein, um Sir Rogers, mit dem ich ein intimes Verhältnis gehabt haben soll, zugunsten meiner Karriere zum Schweigen zu bringen. Donald wiederum steht in Verdacht, beste Kontakte zur Unterwelt zu unterhalten, während Allison, dem Willen zur gründlichen Recherche schon einmal vollends erlegen, einen früheren Mord begangen haben soll, der mit dem aktuellen an Sir Rogers nun nichts zu tun hat. – Denn der junge Roger Astird ist es gewesen. Roger Astird, der links neben mir sitzt und ständig Schokolade futtert. Decipher, Inc.! Entschlüsselt das, ihr Leserinnen und Leser, oder läutet bei der Nachbarin, vielleicht ist ja jemand "zu Haus in der gedeuteten Welt" am Jupiterweg in Yorkshire, England.

 

Teresa Präauer ist Autorin und Zeichnerin in Wien. Sie schreibt regelmäßig für Zeitungen und Magazine zu Theater, Kunst, Literatur, Mode und Pop. Ihre Bücher erscheinen im Wallstein Verlag, als Taschenbücher bei S. Fischer, und wurden vielfach ausgezeichnet. Zuletzt war sie als Samuel-Fischer-Gastprofessorin in Berlin, aktuell erschienen ist ihr Roman "Oh Schimmi". In ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" denkt sie über die Einzelteile nach, aus denen Theater sich zusammensetzt.

 

Zuletzt schrieb Teresa Präauer in ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" über das, was das Fliegen mit dem Theater und dem Fußball gemein hat.

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