Auf dünnem Eis

von Gabi Hift

Wien, 25. Januar 2017. Fettrot, ferrarirot, fritschrot erhebt sich eine meterhohe Wand vor knallblauem Rundhorizont. Zitronengelb gleißt der Boden. Links steht ein Galgen, um seinen Fuß schlängelt sich aasig der Henker (enorm sexy und ein toller Akrobat: Merlin Sandmeyer). Rechts prunkt ein abstruses Objekt, ein selbstspielender Posaunenstrauch (vom Künstler Jakob Scheid), der trötet und schimpft und klagt – das bisher wunderbarste Musikmonster aus dem Fritsch’schen Panoptikum. Und schon marschieren sie alle auf, in Willhelm Busch’schen Buntperücken, -röcken und -wämsen. Die Herren zeigen viel bestrumpftes Bein – so soll es sein.

Virtuos, aber nicht lustig

Herbert Fritsch, der Großmeister des höheren Blödsinns, lässt seine Truppe auf Shakespeares "Komödie der Irrungen" los, ein Stück mit einem Nonsensplot als wär er selbst von Fritsch: zwei Paar eineiige Zwillinge (der Traum aller Genforscher), eins davon haben die Eltern einer armen Frau abgekauft, als künftige Diener für ihre Zwillingsbabies. Und dann: ein Sturm, ein Boot zerbricht, die Paare sind halbiert. 25 Jahre später kommen Antipholus (Sebastian Blomberg) und sein Diener Dromio (Simon Jensen) nach Ephesos – ohne zu wissen, dass dort ihre Zwillingsbrüder leben, die – parbleu! – genauso heißen. Ein wildes Verwechslungswerkel um Frauen, Goldketten, Mittagessen und Betrügereien setzt ein. Jedoch: Oh weh, oh je – es wird nicht lustig! Dabei sind die Schauspieler virtuos, wie so oft hat Fritsch die Zirkuskünstler aus ihnen herausbrechen lassen. Es gibt Dutzende wunderbare Nummern – aber sie passen auf merkwürdige Weise nicht zum Rhythmus der Shakespeare-Szenen.

Komoedie der Irrungen1 560 Reinhard Werner uDas Ensemble tänzelt unter'm Galgenbaum © Reinhard Werner

Fritsch beißt sich dreifach beim dem-Affen-Zucker-geben in die eigene Hand. Erstens ist er zu lieb. Er hat’s nicht mit der Gewalt. Shakespeare aber schon. Beide Antipholusse schlagen laut Text ihre Diener, dass es nur so spritzt. Natürlich trifft immer der jeweils falsche Diener auf seinen vermeintlichen Herren, weiß nichts von seinem Auftrag , denn den hat ja der andere erhalten – und schon kriegt er wieder eins in die Fresse. Das Publikum weiß es immer schon vorher, das ist der Witz, wie bei Kasperl und Krokodil, oder bei Tom und Jerry. Aber bei Fritsch steckt Antipholus seinem Diener zur Strafe nur versonnen den Finger in die Nase. Dabei bleibt ein Popel an seinem Finger kleben. Er versucht, ihn weg zu schnipsen, aber das Universum wirft ihn prompt zurück – eine schön verschrobene Etüde. Allerdings sind Antrieb und Running Gag sämtlicher Herr/Diener-Senen perdu.

Bis der Bart brennt

Mit der Zeit schraubt Shakespeare die Geschichte eine brutal-anarchische Gewaltspirale hinauf. Der zugereiste Antipholus glaubt sich von Geistern und Dämonen gehetzt und wehrt sich mit der Waffe. Der Ansässige wird für wahnsinnig gehalten, gefesselt und zur Teufelsaustreibung geschleppt. Beide reagieren mit einem Gewaltexzess: Der eine geht mit dem Degen auf die Häscher los, der andere zündet dem Irrenwärter den Bart an und lässt ihn langsam abbrennen. Das Ausmaß dieser Schrecken ist ganz angemessen für die Ängste, die jeder kennt: plötzlich verrückt zu werden, oder durch Gemeinheit in den Wahnsinn getrieben zu werden. Bei Fritsch jedoch will keiner kämpfen. Die Herren wissen nicht, was sie mit den Degen anfangen sollen und landen bei einem Menuett. Der Irrenwärter, Dirk Nocker, geht mit brennendem Bart ganz langsam über die Bühne und sagt leise: "Mein Bart brennt." Das ist absurd und schön, hier gibt’s den einzigen zarten Ansatz zu einem Szenenapplaus.

Dass die Zwillinge von jeweils nur einem Schauspieler gespielt werden, ist auch nicht unproblematisch. Simon Jensen macht das einfach kenntlich: der eine Dromio hat X- der andere O- Beine. Aber Sebastian Blomberg spielt einen Kerl mit so vielen komplizierten Ticks im Gesicht, dass man sich deren Varianten nicht merken kann – und oft geht der Spaß verloren, weil man nicht früh genug weiß, wer wer ist. Beide sind bei ihm Schnösel, die immer so tun als wären sie furchtbar angeödet. Ein sehr wienerischer Typus, Jeunesse dorée, gut und böse getroffen. Was dieser Kerl jedoch nicht kann, ist naiv staunen und fassungslos entsetzt sein. Grad so müsste es dem Antipholus aber gehen, damit er der rechte Clown für dieses Stück würde.

Und dann frönt Fritsch noch seiner Lust, sich über die Deppen zu mockieren, die nach Tiefsinn schürfen – und lässt die Schauspieler immer wieder für Momente alte Burgtheatermim*innen parodieren. Wer dran ist, tritt dazu an die Rampe und spricht mit vor Bescheidenheit bebender Stimme, einem leichtem Näseln und Zungen-R ein paar – tief gefühlte – Worte. Sebastian Blomberg gibt den Nachfahren von Josef Kainz bei den Zeilen "Ich gleiche in dieser Welt einem Tropfen Wasser, der einen andern Tropfen sucht im Meer." Dorothe Hartinger, die arme Ehefrau, zu der der vermeintlich eigene Mann sagt:" Ich kenne Sie leider nicht", channelt bei ihrer zitternden Klage vermutlich Paula Wessely (ihre Großnichte Mavie Hörbiger verknotet dabei oben in der Nische der roten Wand betörend sexy ihre Beine). Das ist vergnüglich – aber es diskreditiert den existentiellen Schrecken des "Wer bin ich überhaupt?" als blöde Tiefsinnshuberei.

Komoedie der Irrungen3 560 Reinhard Werner uSimon Jensen und Sebastian Blomberg © Reinhard Werner

Es gibt noch viele schöne Momente: Falk Rockstroh ist ein äußerst liebenswerter Juwelier mit Rocker-Vergangenheit, der die Slapsticknummer "Bei jedem Abgang ans Portal stoßen" ganz bezaubernd bringt. Stefanie Dvorak als Schwester der Ehefrau liefert sich mit Antipholus ein herrlich brünstiges Stöhnduell, Petra Morzé reißt sich mit einer solchen Begeisterung das Äbtissinenkleid vom Leib, dass es eine Freude ist, und seilt sich dann an zwei Tüchern aus ca. 10 Meter Höhe ab – unglaublich! (Beim Applaus toppt Herbert Fritsch das noch mit einem Überschlag). Doch trotz all dieser schönen Szenen: Ohne den Schrecken unter dünnem Eis vertröpfelt die Komödie leider unbelacht.

 

Komödie der Irrungen
von William Shakespeare, Übersetzung und Neufassung von Sabrina Zwach
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüm: Bettina Helmi, Licht: Friedrich Rom, Gerald Weilharter, Musik: Bernhard Gander, Dramaturgie: Evy Schubert.
Mit: Stefanie Dvorak, Dorothee Hartinger, Mavie Hörbiger, Marta Kizyma, Petra Morzé, Sebastian Blomberg, Simon Jensen, Michael Masula, Klaus Pohl, Falk Rockstroh, Dirk Nocker, Hermann Scheidleder, Merlin Sandmeyer.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

"Selten so wenig gelacht", bedauert Ronald Pohl vom Standard (26.1.2017). Das Verwirrspiel erhalte nicht eine Sekunde Zeit, Aroma zu entfalten. "Die wie immer hochvirtuosen Fritsch-Schauspieler sind mit so denkwürdigen Aufgaben wie dem Weiterreichen von (natürlich unsichtbaren) Nasenpopeln beschäftigt." Diese Form der Theaterkunst sei kokett, boutiquenbunt und von sich selbst erstaunlich tief gelangweilt.

"Das muss man mögen", bejubelt Guido Tartarotti vom Kurier (26.1.2017) eine "völlig durchgeknallte, hemmungslos kindische, ebenso aber- wie -witzige Inszenierung". Das Schauspielerteam sei einfach sensationell, "es ist eine Freude, zuzuschauen, mit welchem heiligen Ernst sie diesen herrlichen Blödsinn exekutieren."

Norbert Mayer von Die Presse (26.1.2017) sah nur eine "drollige Show". "Zu sehen gibt es eine Truppe, die all ihre Fertigkeiten und Macken auslebt. Allerdings entsteht so nur dreiste Harmlosigkeit." Bald scheine sich diese Art von Humor zu erschöpfen. "Das hängt auch damit zusammen, dass die Rechnung nicht ganz aufgeht, je einen Schauspieler ein Zwillingspaar spielen zu lassen. Sie müssen immer Clowns bleiben."

"Für den Slapstick- und Dada-Spezialisten unter den deutschen Regisseuren ist die Verwechslungskomödie Mittel zum Zweck", schreibt Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (27.1.2017) für eine "knallbunte Bühnenbonbonniere". Der Galgen auf der Bühne habe nichts Bedrohliches, sei nur ein Spielgerät zum Herumturnen. "Fallhöhe? Ach was, eine Falltüre tut's auch." Dazu fremdle das Burg-Ensemble "sichtlich mit dem Herbert-Fritsch-Theater, manches wirkt nicht gut schlecht gespielt, sondern nur neben der Spur".

"Mehr Fritsch als Shakespeare" werde am Burgtheater geboten, so Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (27.1.2017). All die bunte Pracht lenke "halb amüsant, halb blödsinnig" von der Handlung ab. Immerhin: "Der Quatsch war schon 1594 unerklärlich."

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