Der Kirschgarten - Nicolas Stemann zwingt Tschechow an den Münchner Kammerspielen ins Korsett der Performerdebatte
... und Vorhang
von Christian Rakow
München, 27. Januar 2017. Die Bühne also zuerst: Alles leergeräumt bis hin zur kahlen Brandmauer, ein paar Stühle stehen rum, Mikrophone, Tische für die Soundfrickler, blinkende Leuchtdioden in einem Elektrokasten ... Lass gut sein, sagen Sie. Es ist ein Stemann, da weiß man, wie es aussieht.
Nun. Also die pfiffige Besetzung: Ranjewskaja, die Gutsbesitzerin, die verschuldet aus Paris heimkehrt, um im Elternhaus beim Kirschgarten ihrer Kindheit sich seelisch und materiell zu sanieren, bald aber ebendiesen Kirschgarten in einer Zwangsversteigerung verliert, diese Ranjewskaja also, die man sich als Frau in den mittleren Jahren vorzustellen hat, spielt die ewig jugendfrische, doch an Lenzen reiche Ilse Ritter (Jahrgang 1944). Ihren Bruder Gajew gibt der real gute dreißig Jahre jüngere Daniel Lommatzsch (Jahrgang 1977). Für die älteste Partie in diesem Tschechow, den 87-jährigen Lakaien Firs, tritt der jüngste Mann an, Samouil Stoyanov (Jahrgang 1989) ... Also bitte, sagen Sie, wann hätte sich Nicolas Stemann je um altbackene Rollenvorgaben geschert? Wurde denn auch gezielt aneinander vorbei gesprochen, alles schön unszenisch, am Mikro oder an der Rampe, quasi Hörspiel mit Kollateralmimik? – Ja. – Und wedelten sie dazu mit einem Judith Butler-Suhrkampbändchen, als Signal, dass hier alle massiv repräsentationskritisch unterwegs sind? – Das auch. – Na also.
Jetzt aber der Clou: Das große Ding des Abends war der rote Vorhang der Kammerspiele, dem die Süddeutsche Zeitung vor nicht allzu langer Zeit als verschwundenem Zeichen einer "nostalgischen, hehren, samtig-royalen Theaterrepräsentationshaftigkeit" nachtrauerte. Der rauschte heute super ironisch hoch und runter und nach links und rechts. Und jetzt kommt's: Wer diesen Vorhang zu dirigieren wusste, das war die als Theaterzauberin alter Schule inszenierte Gouvernante Charlotta alias Brigitte Hobmeier. Genau, die jüngst ebenfalls von der SZ gefeierte, bald aus dem Haus ausscheidende Repräsentationstheaterikone Brigitte Hobmeier. Wo ist der zwinkernde Smiley? Das geht so weiter: Wenn die Tschechow-Figuren das Zimmer ihrer Kindheit oder den "alten Schrank" priesen, dann blickten die Spieler ganz bedeutungsvoll auf das Bühnenportal. Merke: Der Kirschgarten, der hier abgeholzt wird, das sind die Kammerspiele.
Ohne Visionen
Spätestens hier sagen Sie mir: Bitte, hör auf. Das kann nicht sein, dass die olle Kamelle vom Verlust des traditionsreichen Münchner Kammerspiele-Schauspiels unter dem Druck der Performerkunst mit diesem "Kirschgarten" noch einmal abendfüllend aufgebrüht wird. – Aber ja doch. Ich kann es ja auch nicht fassen.
Anton Tschechows "Kirschgarten" ist über die Jahre von Theatern landauf, landab auf den zentralen Modernisierungskonflikt hin angeschaut worden: hüben der kapitalistische Reformer Lopachin, der den Kirschgarten erwirbt, um auf dem Land lukrative Sommerhäuser zu errichten. Gentrifizierer, würde man ihn heute schimpfen. Drüben die Familie der Ranjewskaja: die irgendwie reizend sentimentale, reaktionäre, kopflos in den Tag hinein prassende Spätaristokratie. Je nach Gewichtung der beiden Pole erzählt man von Verlust und Gewinn der liberalen Ökonomisierung, von Fortschritt und/oder Entfremdung.
Was ist der Epochenbruch, der Nicolas Stemann interessiert? An den Neuerer Lopachin glaubt er nicht, er dämpft ihn bis zur Unkenntlichkeit: Peter Brombacher als Lopachin – eher resignierte Verwaltungsfachkraft denn Unternehmenskapitän. Sein intellektueller Gegenspieler Trofimow (Hassan Akkouch), der in den großen Monologen des Stücks das Zeitalter der Arbeit preist, darf ihn an diskursiver Wucht noch unterbieten: Komm, nimm mal das Mikro, wir hören Dich nicht, egal, schieb ab nach hinten, und Jungens spielt etwas Lärm ein, damit Trofimows Utopie auch ordentlich abschmiert ... So geht das hier.
Worüber wir stehen
In der letzten Wendung des Abends preist der agile Samouil Stoyanov als Firs die Epoche der Unfreiheit und das Aufkommen des Herdenmenschen, mit der Wucht einer führungssüchtigen AfD-Marktplatzrede. Und ja, denkt man sich, irgendwo da muss es für Stemann und seinen Dramaturgen Benjamin von Blomberg gelegen haben: in der pessimistischen Zeitdiagnose, im Verweis auf die verblichenen Versprechen des Liberalismus. Nur leider haben sie sich in den zweieinhalb Stunden zuvor in theaterkantinenhafte Kinkerlitzchen verstrickt.
"Uns kann nur noch ein Gott helfen", sagt Annette Paulmann (die über weite Strecken in ihrer Nebenrolle als ungeliebte Warja versauert) schon nach 45 Minuten. Wahr gesprochen. Zwar kommt nicht Gott, aber immerhin Brigitte Hobmeier, zum Beginn der zweiten Hälfte, um in einem virtuosen Solo ein Best of des ersten Teil zu extemporieren. Wärmster Szenenapplaus. Er durchbricht ein allenthalben kühles, unterspieltes Distanzierungsgetue mit punktuellen emo-realistischen Aufladungen, die sogleich eingefangen werden, wenn etwa Julia Riedlers Anja im Liebesspiel mit dem verklemmten Trofimow ihren Blazer abstreift und er alert witzelt "Ah, made in Bangladesh". Lame.
Kurzum: Es ist ein "Kirschgarten", der permanent zu schreien scheint: Wir stehen über dem Realismus, wir stehen über dem Einfühlungsspiel, wir stehen auch über der Performerdebatte, wir stehen über ... Wie bitte? Jetzt wollen Sie Nicolas Stemann die Worte zurufen, die Ilse Ritters Ranjewskaja dem selbstreferenziell gründelnden Studenten Trofimow entgegenhält: "Sie stehen nicht über der Liebe. Sie sind eine Zimperliese." Nein, also, das wäre ungehörig.
Der Kirschgarten
von Anton Tschechow
deutsch von Christian Schröder
Inszenierung: Nicolas Stemann, Bühne: Katrin Nottrodt, Kostüme: Marysol del Castillo, Licht: Jürgen Tulzer, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Dramaturgie: Benjamin von Blomberg.
Mit: Daniel Lommatzsch, Peter Brombacher, Gundars Āboliņš, Damian Rebgetz, Christian Löber, Hassan Akkouch, Samouil Stoyanov, Annette Paulmann, Julia Riedler, Brigitte Hobmeier, Ilse Ritter, Mariann Yar.
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause
www.muenchner-kammerspiele.de
Nicolas Stemann inszeniert Tschechows 'Kirschgarten' als selbstreferenzielle Verteidigung der aktuellen Münchner Kammerspiel-Ästhetik", heißt es bereits im Vorspann zu Christine Dössels Kritik in der Süddeutschen Zeitung (30.1.2017). So manches aus den Diskussionen der letzten Wochen, schreibt sie, floss als Anspielung in die szenische Umsetzung ein, "im Einzel-Zitat wohl nur für Insider erkennbar. Souverän ist das nicht unbedingt". Hammersymbolisch sei an dem Abend vieles. Mit Bravour nutze Brigitte Hobmeier in ihrer letzten Inszenierung den extra-großen Auftritt, den sie hier bekommt. "Ansonsten ist nicht so viel los. Die weiträumig leere Bühne hat Werkstattcharakter, wie immer bei Stemann-Inszenierungen." Man spricht hörspielartig in Mikros, es soll auf keinen Fall diese oft so wohlig-sentimentale Tschechow-Atmosphäre aufkommen, "es kommt aber auch keine Nähe auf. Warm wird man mit den Figuren nicht".
"Pseudo-avantgardistisches Brimborium", urteilt Simone Dattenberger im Münchner Merkur (30.1.2017). "Bloß keine echten Persönlichkeiten mit all ihren Schattierungen und Widersprüchen." Den Vorhang packe Stemann fast komplett aus und nerve damit wie mit den halbverwesten Witzen und Slapstickeinlagen. Hobmeier durfte nur die Gouvernante geben, "aber aufgeplustert mit Ausdruckstanz-Getue". Ab und zu erliegt Nicolas Stemann der Faszination von Tschechow. "Da lässt er zum Beispiel Julia Riedler als Anja Zukunftspathos vortragen. Aber davor und danach gähnen Löcher."
Anders sieht es Robert Braunmüller in der Abendzeitung (30.1.2017): "Brigitte Hobmeier hat als Gouvernante nach der Pause einen großen Auftritt". Weiter schreibt er: "Von Krise mag man nach dieser Aufführung der Kammerspiele nicht mehr reden. Stemann macht Tschechow ohne viel Firlefanz zum Zeitgenossen. Eine Aufführung für alle, die gerafft haben, dass die Stimmung bei dieser Tragikomödie nicht das Entscheidende ist."
"Die Drähte zwischen den großartigen Schauspielern glühen nicht", schreibt Erik Franzen in der Frankfurter Rundschau (30.1.2017). Insbesondere im ersten Teil kommen all diese wunderbaren, vom Alter her oft gegen die Vorgaben eingesetzten Schauspieler, nur schwer in Bewegung. "Die Stemann-typische, freie Suchbewegung der Akteure schwingt im Downbeat-Tempo, selbst dann, als mit lautem Knall abgeholzte Kirschbaumstämme vom Bühnenhimmel stürzen." Irgendwie wolle das nicht richtig gelingen. "Nach der Pause wird der Abend intensiver." Ganz am Ende plötzlich ein elektrisierender Kommentar: Der junge Stoyanov als alter Diener Firs mit Hoodie und Basketball-Hosen über Jeans strapaziert seine Stimmbänder, "endlich wird man aufgerüttelt".
"Das Theater selbst ist wie der Kirschgarten" – das sei "vielleicht die steilste These dieser ebenso brillanten wie hochkomplexen Interpretation mit einem großartigen Ensemble", meint Sven Ricklefs auf Deutschlandradio Kultur (Zugriff 29.1.2017). "Dass auch wir in Zeiten des Umbruchs leben, uns von Altbewährtem trennen und den Aufbruch wagen müssen, und dass nicht nur, was das Theater angeht" – auch daran lasse diese Aufführung keinen Zweifel.
"Stemanns Besetzungsentscheidungen gegen das aus dem Text zu erschließende biologische Alter der Personen gehen sämtlich auf, denn die Personen sind poetische Figuren, keine Beispielfälle der Sozialstatistik", schreibt Patrick Bahners in der FAZ (1.2.2017). Es verbreite sich "die zauberhafte, echte Tschechow-Stimmung: Von Handlung kann kaum die Rede sein, doch alles ist in Bewegung."
Not amused ist wiederum Peter Kümmel in der Zeit (2.2.2017): "Der wahre Inhalt der Aufführung, also das, was sich von ihr weitererzählen lässt, lautet: Theaterleute reiten ein Stück zu; sie heulen mit dem Wolf, durch den ihr Regisseur es dreht." Das sei das Öde an diesem Abend: "Man ist immer auf der sicheren, der herrschaftlich-ironischen Seite der Instrumente (unter anderem kommen Schlagbohrer zum Einsatz), mit denen man den Kirschgarten traktiert." Zu sehen sei die prekäre Existenz von Menschen, die nichts mehr zu spielen und miteinander nichts zu schaffen haben. "Der gesellschaftliche Befund Stemanns schlägt als Ausdruckslähmung auf sein Ensemble zurück."
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Wir sehen ja alle ein anderes Stück, lesen einen anderen Text, und noch mal mehr, wenn wir heute wieder reingehen. Ich habe den gestrigen Abend als klug und vielschichtig, poetisch und höchst musikalisch und wunderbar theater- und selbstreferentiell erlebt.
Diese Kritik indes sagt mehr über den Kritiker aus als über Stemanns Kirschgarten. ich vermute, er hätte jede andere Inszenierung auch durch diese Brille gesehen und darüber geschrieben. Oder vielleicht hatte ja auch Ihr Zug 2 Stunden Verspätung und Sie waren still in Paris, Herr Rakow?
PS: Schmeißt Herr Lilienthal jetzt wie Herr Petras aus persönlichen Gründen hin und will wieder nach Berlin?
Bin gespannt und besorgt, dass es wirklich so selbstgefällig ist wies in der Kritik durchscheint. Hoffentlich nicht.
Das klingt prima ! Ich fahre hin . Als
Sensations -Tourist ! Die Hobmeier als Performerin ! Klasse !
Das hat doch dann Chechovsche Ironie ! Sie performt doch , oder ?
Kann mir das jemand sagen ? Scharlatanerie allenthalben ! Die Welt , wie man sie kannte , ist verloren .
Aber nur Mut ! Alles kommt wieder ! Gerade in einem künstlerisch so engem Bereich wie dem Theater . Das geht ganz schnell .
Mut ! Durchhalten !
Hallo !
" Durchgesetzt wie es im Buche steht " ?
Meinen Sie das jetzt positiv oder negativ?
Verstehe ich nicht . Aber Chechov ohne Ironie und Schauspieler , die sich selber feiern ? Puh ! Ich komme nicht . Ich fand schon das Interview so peinlich .
Das was Sie sagen! Amen! Außerdem: Ich bin von Nachtkritik mehr Niveau und weniger flachwitzelnde Gehässigkeit gewohnt.
Ja, das könnte zutreffen, dass wir uns in Zeiten des radikalen Umbruchs und der Auflösung aller Sinn- und Kontinuitätsstrukturen endlich auch von der überflüssigen "altbewährten" Rumpelkiste Theater als solcher und der zugehörigen doofen "Literatur" im speziellen trennen müssen - das ist gut möglich, wenn das alles nur noch zu müden Aufgüssen ausgelutschter theatralischer Selbstreferentialitätsgruppenübungen verwest ist... da müssen wir radikal den Aufbruch bzw. besser gesagt: den radikalen Abbruch wagen. Daran kann nach dieser Aufführung wohl kein Zweifel bestehen. Schließt alle diese zu öden Diskursbuden verkommenen, überholten Theaterklitschen! Schafft Neues! Holzt den wurmstichigen Kirschgarten Theater endgültig ab! Kettensägenmassaker an Stadttheatern! Seid radikal und tut nicht bloß so! Schafft neue Kunstformen im Web 3.0 der Zukunft! Das wäre doch mal ein echt konsequenter Aufbruch zu neuen Ufern.
Dass das alle schlagartig glauben ist doch der eigentlich Skandal des Stücks!
Diese "Kirschgarten"-Gesellschaft, das hat jeder nach wenigen Sekunden, halt nach dem ersten "Vorhang", gemerkt, steht für das alte (Kammerspiel-) Theater. Aber gibt es etwas Neues? Der Möchtegern-Kapitalist Lopachin, der die finale Vorhangzerstörung herbei führen darf, kann es wohl nicht sein (oder vielleicht doch?), er ist nur der Profiteur des alten Systems. Steman ist klug genug, das mögliche Neue nicht auf zu zeigen. Statt dessen gibt er dem Zuschauer eine pessimistische Schlusspointe mit auf den Heimweg: der alte Firs, der bei Tchechow krank und vergessen im Gut zurück gelassen wird, ist mit einem jungen Schauspieler besetzt, der selbstverliebte Pirouetten dreht und am Schluss eine grausam rechtskonserative Marktplatzsuada in den Zuschauerraum brüllen darf. Ist das die (Schreckens-)Vision einer neuen Gesellschaft, nachdem die alte abgedankt hat?
Der Zuschauer in den Kammerspielen, dem diese Inszenierung ja gewidmet zu sein scheint, geht irritiert nach Hause. Will er das Gewohnte, den alten "Vorhang", die Unterhaltung auf höchstem Niveau, wieder zurück? Bekommt er statt dessen etwas Neues, was er noch nicht kennt und daher auch nicht mag?
Der Vorhang zu - nein, ab - und alle Fragen offen. Zum (Theater-)Glück.
Also doch ein wichtiger Theaterabend.
Wie weit muss man denn noch in seiner Schauspielerverachtung gehen um irgendwelche Thesen vorzuexerzieren, von denen man sich sicher ist das das ach so spiessige Publikum dafür eh viel zu dumm ist.
Wenn man das Theater nicht mag warum lässt man es dann nicht einfach.
Ich kenne sehr , sehr viele Menschen denen genau dieses Stück unheimlich viel bedeutet,für die das Teil ihres Lebens ist.
Wenn es euch so egal ist , nehmt doch was anderes zum zerhacken.
Ich weiß schon genau darum geht es ja im Kirschgarten , aberder kluge Cechov wusste das es schade um vieles von dem zerbrechlich zarten verfeinerten Alten ist.
Wenn man das nicht mehr verstehen möchte dann kann man gleich Trump mit der Axt holen.Dem ist auch alles egal.
Jetzt noch eine weitere Stimme, diesmal von Michael Stadler im Freitag, die von Stemanns Kirschgarten als einem "furiosen Befreiungsschlag" für die Kammerspiele spricht:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ein-schnipser
(aufnehmen im Pressespiegel)
Was geht ab!!?
Nach dem grandiosen Faustmarathon (Faust I und II in über 8 Stunden - Gastspiel des Thalia Theaters) und der anregenden Inszenierung des Kaufsmanns von Venedig, überrascht Stemann in Tscheschows Kirschgarten aufs Neue. Während der Kirschgarten hörbar abgeholzt wird - immer wieder stürzen Baumstämme krachend auf den Bühnenboden herab -, Handwerker eifrig im Hintergrund hantieren, verharren die Protagonisten der überholten gesellschaftlichen Strukturen in Selbstbespiegelung, Selbsttäuschung und Tatenlosigkeit. Stemann wählt diesmal ein minimalistisches Bühnenbild. Nur ein kirschroter Brokatvorhang schafft optische Akzente, zeugt womöglich vom Glanz der Vergangenheit und liegt am Schluss nutzlos am Boden. Ansonsten agieren hier 12 Schauspieler in 12 Rollen und zeigen das Beziehungsgeflecht in dieser historischen Übergangszeit eindrucksvoll auf. Sehr schnell fesseln diese Figuren und bieten ein Kaleidoskop der gesellschaftlichen Verhältnisse vor der Revolution in Russland. Ein unterhaltsamer Abend mit vielen Bezügen und Anspielungen, die zum intensiven Gespräch anregen.
Die Zeit in Melancholie zu schwelgen ist längst vorüber, besser kann man das gar nicht mehr zeigen, schade das sich einiger Kritik mehr Ablenkung wünschen für gehobenes Publikum als dieses Stück als Spiegel der Gesellschafft zu sehen. Und nicht als Kritik für ein Abo-Publikum sehen sondern als Menschen die versuchen an was festzuhalten das es nicht mehr gibt. Man sollte die Befindlichkeit einiger Kritiker nicht mehr so ernst nehmen.
Was genau war für Sie langweilig? Ich könnte Ihrer Wahrnehmungsfähigkeit eher trauen, hätten Sie den richtigen Schauspieler genannt..bzw. könnten Sie in Worte fassen, was Sie verstanden haben, was nicht. Anna
Gestern ‚Tiefer Schweb‘, heute ‚Der Kirschgarten‘. Zweimal Knallchargentheater. So verulkt, verhunzt, so verhohnepiepelt, dass man nicht mehr von ironischen Brechungen, delikaten Rückbezüglichkeiten, sondern von Entmündigung sprechen muss. Ich meine, wenn Tschechow als Tschechow nicht mehr genügt: Wozu holt man ihn dann aus der Schublade? Beethoven modernisiert man ja auch nicht, bis er nach Beyonce klingt. (Doch, das tut man.) Tschechow zu aktualisieren ist ja ein Mißtrauensantrag an Autor wie Publikum. Man glaubt, der moderne Mensch wäre nicht mehr fähig aus dem Urtext, dem Urstück gegenwärtige Bezüge herauszuhören, herauszulesen. Man glaubt, didaktisch, pädagogisch wirksam werden zu müssen, indem man komplett überdreht, weil man meint, nur so den medial überreizten Konsumenten überhaupt noch ins Theater bringen zu können.
Immerhin: Ich fand den Vorhang gut. Hat mich an das Atmen, den Herzschlag der Welt erinnert. Atman und Brahman. Und die fallenden Stämme. Totes, metallgeführtes Holz, abgepolstert mit Autoreifen, damit es den Bühnenboden nicht zerschlägt. Der wenigstens steht nicht zur Disposition.
Noch ist nicht alles flexibilisiert. Irgend einen Halt scheint der Mensch doch noch zu brauchen: Bretter, die die Welt erdeuten.