Mittwoch, 7. Mai 2008, 17.30 Uhr

von Lena Schneider

Die Hochzeit. Alle reden an diesem Abend von ihr, alle haben davon gehört, auch wir. Von den gestrengen, spitzlippigen jungen Damen am Check-in des Nordstaates bis zu dem Burschen Mischa, dem einzigen Kind in RubyTown, das überall zugleich zu sein scheint – alle fragen früher oder später im Gespräch das Gleiche. Bleibst du zur Hochzeit? Are you staying? Wann genau das Fest stattfinden soll, weiß keiner so richtig. Wer nachfragt, verrät sich als frisch eingereister Tourist. Und bekommt eine typisch Ruby-Townsche Antwort: Wenn es dunkel wird.

Nur die Neuankömmlinge oder ganz harten Realitätsfanatiker interessieren sich in Ruby Town für Zeitabläufe, das begreift man schnell. Die abgeschabten Schilder, alten Fotos, das brüchige Linoleum, der Nippes in den Wohnwägen, die ausgeblichenen Kleider, alles zeigt auf Chronologie im Still – oder besser Ausnahmezustand. Natürlich vergeht auch hier die Zeit, sogar viel erkennbarer als sonst. Denn wann hat man schon die Chance, ganze Produktionsabläufe von Anfang bis Ende zu beobachten, und das im Schlendergang, die Sträßlein von Ruby Town auf und ab.

Wodka und Rosenlimonade

So sehe ich durch das Fenster des Friseursalons schrittweise die gelockte Frisur der Braut Georgiana entstehen, gleich nebenan entwickelt sich aus einem Dutzend Äpfeln eine duftende Süßspeise mit Schokolade, Zucker und Zimt und auf mindestens zwei Kochplatten gleichzeitig knattert Mais zu Popcorn. Auch die Uniformierte am Eingang wirft zwischen ihren wachsamen Blicken hin und wieder einen in einen brodelnden Topf, erzählt stolz von den neuen Sanitäranlagen in der Zone (die stinkenden Toiletten), und dass sie auch zum Fest eingeladen wurden. "Normaler Weise laden wir uns selbst ein."

Zur Feier des Tages, erfahre ich, spendiert das Militär für den Abend Sauerkraut und Bockwurst für alle. Später an der Bar treffe ich Miran, den Bruder der Braut. Für die Hochzeit hat er eine Fuhre Coca Cola aufgetrieben, wertvolle Ware, wo sonst nur Wodka und Rosenlimonade verkauft wird. Wie er versichert, besorgt er auch alles andere, bei Bedarf sogar eine Peepshow von Milo, "unserem Dorfzigeuner". Kein Interesse, auch egal. Für die Männer jedenfalls, erzählt er, machen das sonst die zwei schwarzen Frauen, die Oberhaupt Leo vor ein paar Jahren auf einer Reise geschenkt bekam. Ach so.

Knochen mit Zucker 

"Wie kommt es, dass ihr aus dem Norden es immer so eilig habt", fragt er noch und lässt mich damit sitzen. Je später der Nachmittag, desto voller die kleinen Straßen. Wer jetzt einen Ruby Towner in ein Gespräch verwickelt, hat sofort einen Pulk Neugieriger um sich herum. Das macht die Mehrheit der Touristen zu Zaungästen in ihrem eigenen Stück. Dafür beginnen die Ruby Towner ihre kryptischen Zeremonien. Ich werde gebeten, eine Prise Zucker auf einen mit Strippe umwickelten Knochen zu streuen: Damit das Leben des Brautpaars ein süßes wird.

Später mehr Knochen: Mit nackten Oberkörpern pesen die Männer aus Ruby Town durch die Gassen und kicken schnaufend Knöchelchen vor sich her. Leo bläst auf einem Horn: Menschenjagd. Dann erscheint Martha Rubin, die weißgewandete Halbheilige auf dem Balkon. Vorhin noch, bei einer selten stillen Audienz in kleiner Runde, erwies sie mir die Ehre, meinen Müsliriegel nicht nur gnädig anzunehmen, sondern sogar geschmäcklerisch anzuknabbern. "Wir haben den Tod vertrieben", sagt Martha jetzt zu der unter ihr versammelten Masse.

Das gefrorene Lächeln der Braut

Die Hochzeit selbst ist schnell getan. Martha verknotet das Paar, bestreut es mit dem Zucker, der zuvor durch die Hände der Besucher ging und reibt einen knotigen Stock um Gesicht, Schultern und Lenden der Vermählten. Keine Schwüre, dafür die Hoffnung auf einen gesunden Spross der Verbindung. Bravorufe, Applaus, dann Geschenke: Äpfel, eine Schale Popcorn, eine Besucherin schenkt ein Huhn.

Giorgiana und Joel nehmen alles strahlend hin, der Moment ist eine vollkommene Dorfromanze, 50er Jahre Schlager inklusive. Nur einmal, als sie von einem eine Uhr geschenkt bekommt, friert der Braut das Lachen im Gesicht: Weder Zeit noch Militär sind hier wirklich willkommen. Doch dann Musik, Wodka, Tanz: Ruby Town dreht sich weiter, eine neue Runde hat längst begonnen.

 

Zur Übersicht: Neues aus Ruby TownSigna beim Berliner Theatertreffen 2008.

Kommentar schreiben