Freunde oder Feinde

von Dirk Pilz

31. Januar 2017. Heute nur ein paar Fragen. Knapp 14 Tage haben wir ja inzwischen Trump. Er wurde gewählt, seine politischen Entscheidungen gleichen jedoch einer Machtergreifung. Wer jetzt noch zweifelt, was dieser Mann will, wer womöglich hofft, dass er von der sogenannten Realpolitik gebremst würde, macht sich der Naivität schuldig.

kolumne 2p pilzEs liegt alles offen zutage: Dieser Mann denkt Politik wie Carl Schmitt Politik einst beschrieben hat, nämlich vom "Ernstfall" her, mit dem das Politische "total" und die Welt zur Zweiklassengesellschaft wird, aufgeteilt in "Freunde" und "Feinde". Der Begriff des Ernstfalls bedient dabei eine Logik der Eskalation, mit der alles Handeln von seiner äußersten Steigerungsform oder Grenze her bestimmt wird. Entsprechend agiert Trump: im Dienste einer Hegemonie des Politischen. Der Ernstfall ist bei Schmitt übrigens immer der Krieg als Stunde der Wahrheit, und Kriege können zwar sehr verschiedene Formen annehmen, haben aber immer Leid und Unterdrückung zur Folge.

Alles weiter wie gehabt?

So weit also die Lage. Ich frage mich, was die Theater nun zu tun gedenken. Bislang jedenfalls kaum etwas. Als vor zwei Jahren die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo angegriffen wurde, platzierten viele Theater eifrig den Spruch "Je suis Charlie" auf ihren Webseiten und an den Bühnenportalen. Dergleichen findet jetzt nicht statt. Wie kann das sein?

Vielleicht ist es ja klüger, stur an den Spielplänen und Verabredungen festzuhalten, um den Dynamiken der grassierenden Hysterisierung zu entgehen. Kann sein, man verzichtet besser auf die hundertste Podiumsdiskussion, es wirkt ja doch mitunter arg wohlfeil, vom warmen Theaterstuhl aus, auf die Bösen der Welt zu schimpfen. Andererseits: Ist es nicht doch auch sehr weltfremd, wenn nicht wirklichkeitsblind, allen Ernstes ungerührt über das schlichte Pro und Contra des Schauspiel- oder Performance-Theaters oder – nur zwei Beispiel für das gewöhnliche Betriebsgeschehen – demnächst über die Theatertreffeneinladungen zu streiten? Alles weiter wie gehabt?

Geschichten vom unmöglichen Leben im Falschen

Sicher, es wird künftig allerlei Inszenierungen geben, die mit spitzen Fingern auf Trump zeigen, er macht es einem ja auch einfach, sich ordentlich zu empören. Und klar, einer wie Michael Thalheimer zum Beispiel wird sich bestätigt fühlen, er predigt ja ohnehin seit Jahren, dass der Mensch schlecht, schlecht, schlecht sei, kein Wunder also, wenn nun ein besonders Schlechter US-Präsident geworden ist. Überhaupt hat sich die tonangebende Ästhetik von Susanne Kennedy bis Frank Castorf auffallend widerstandslos auf ein fatalistisches, sehr gern auch zynisches Weltbild geeinigt, in dem die Kritik am Neoliberalismus die traurigste Allianz mit dem Defätismus eingegangen ist und entsprechend gern mit dem Ernstfall, nämlich dem Zusammenbruch des "Systems" flirtet: Man sieht allermeist Figuren, die nichts als bejammernswerte Würste im Hamsterrad der Wirklichkeit sind, was uns Zuschauern die Augen über unsere eigene Erbärmlichkeit öffnen soll, sieht also Theater, das so tut, als würde es außerhalb dieser Wirklichkeit stehen und die größeren und kleineren Zusammenhänge zu durchschauen vermögen.

Sicher, das Theater ist auch gern selbstkritisch und erzählt natürlich allenthalben Geschichten vom unmöglichen Leben im Falschen. Aber geschieht es nicht meist von einem Standpunkt des vermeintlichen Durchblickertums aus?

Das eigene Weltbild überprüfen

Vielleicht ist es doch kein bloßer Zufall oder Ausweis von Überfordertsein, dass die Bühnen sehr laut schweigen derzeit? Womöglich kommt darin die heimliche Furcht zum Ausdruck, dass die angemessene Reaktion auf den Trumpismus der Gegenwart darin bestünde, sich selbst zu fragen, ob das eigene, liebgewonne Weltbild nicht zu überprüfen wäre? Ahnt man am Ende, dass die bühneneigene Selbstgerechtigkeit samt defätistischem Zynismus eben diesem Trumpismus in die Hände spielt? Dass die gut eingeübten Techniken der Schuldzuweisung, nach denen bös' und dumm immer nur die anderen sind, nicht mehr greifen? Dass man mit solcher Weltsicht genau jene Drift ins Dualistische bedient, die auf Freund-Feind-Logiken hinausläuft? Vielleicht sollte man einmal anfangen, darüber nachzudenken, welcher Weltanschauung man sich in die Arme wirft, wenn man die Castorfs, Thalheimers, Kennedys etc. beklatscht?

Ich glaube, das sollte man, auch um dem Trumpismus widerstehen zu können und nicht in den gewöhnlichen, karrieregeleiteten Opportunismus oder das bloße Empörertum abzubiegen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Man sollte das auf Theater- wie auf Kritikerseiten, und man heißt immer: man selber. Selbstgerechtigkeit und Opportunismus ist ja etwas, das gerade unter Theaterjournalisten bestens bekannt ist. Ich glaube, man muss auch fragen, wie das kritische Befragen der eigenen Position vonstatten gehen kann, ohne so zu tun, als beträfe einen nicht, was man bei anderen diagnostiziert, ohne sich also außerhalb zu stellen, weil es dieses Außerhalb nicht gibt.

Einfach abwarten und hoffen, dass der Trumpismus vorübergeht und man unbeschadet durchkommt, wird jedenfalls nicht helfen.

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.

 

Zuletzt schrieb Dirk Pilz an dieser Stelle über die pietistische Logik Tim Renners.

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Kommentare  
Kolumne Dirk Pilz: man muss warten
Wieder einmal ein guter Beitrag, Herr Pilz. Die Frage, warum die Theater schweigen ist aber m.E. einfach beantwortet: sie sind nie so besonders gut in der Tagesaktualität, vor allem nicht, wenn man mehr als eine reine Reflexreaktion wünscht. Und der US-Präsident legt nun mal eine derzeit alle erstaunende (und von Herrn Seehofer auch prompt bewunderte...) Schnelligkeit an den Tag, daß ja kaum die Empörungsplattformen Twitter, etc. hinterher kommen. Wenn man die kritische Auseinandersetzung - also eine, die über bloße Witzchen, 'Ich glaubs ja nicht'-Erstaunen und die wohlfeilen Faschismus-Vergleiche hinausgeht - will, wird man notgedrungen warten müssen.
Kolumne Dirk Pilz: dieses bessere Wissen
Ja, man spielt so den Trumps in die Hände. Das kann man aber wissen, wenn man beruflich sich mit den global existierenden Ästhetiken auseinandersetzt. Es ist aber schwer, dieses bessere Wissen in sich zuzulassen, wenn man gut im Kunstgeschäft ist und es liebt, dass das Publikum einen liebt -
Kolumne Dirk Pilz: gängige Schubladen
Dirk Pilz fordert Selbstkritik und Überprüfung des eigenen Selbstbilds von Künstlern und Intellektuellen statt Freund-Feind-Logik, aber wenn es dann jemand probiert, wie Stegemann im "Gespenst des Populismus", ist Falk Schreiber, ebenfalls nachtkritik, fieberhaft damit beschäftigt, die Infragestellung des auch an den Theatern etablierten Weltbilds wieder in die gängigen Schubladen links und rechts einzuordnen und zu unterstellen, eine solche Selbstkritik spiele den rechten Populisten zu. Das ist ein Totschlagargument, zu dem ich mir hier einen Kommentar von Dirk Pilz gewünscht hätte.
Kolumne Dirk Pilz: Verantwortung für Autarkie
@Lionell: Dem hätte Stegemann bereits selbst entgehen können, wenn er zum Beispiel tituliert hätte: "Versuch über Populismus". Nun halte ich Stegemann für klug genug, solches oder ähnliches zu tun und sich nicht durch ihn gestattete Anklänge einvernehmlich mit seinem Verlag zum Marx und Engels zu stilisieren. Titel sind eben auch wichtig, wenn man Bücher veröffentlicht. Nicht jeder Titel, der den Verkaufszahlen nützlich sein kann, ist es zwangsläufig dem Verständnis des Inhalts. Der Autor hat für Autarkie zu sorgen. Nicht die Kritik.
Kolumne Dirk Pilz: don't judge the cover
@DR: Don't judge a book by it's cover. Der Untertitel des Buches lautet übrigens "Ein Essay zur politischen Dramaturgie" (Essay aus dem Frz. essai, Versuch). Ansonsten finde ich es nicht eben hilfreich, einen Titel zum Anlass zu nehmen, um wichtige Beiträge zu einer notwendigen Debatte, wie sie Dirk Pilz hier anstoßen will, nicht zu diskutieren.
Kolumne Dirk Pilz: gern diskutieren
Dochdoch, gern diskutieren. Und Sie haben recht, da war ich vorschnell. Tut mir leid. Vermutlich debatten-entnervt...
Kolumne Dirk Pilz: in Frage
Ich schätze den Beitrag und die Aufforderung von Dirk Pilz. Und ich würde gerne mehr dazu lesen. Mehr als die Anregung der Infragestellung des Selbstbildes, sondern eben die Infragestellung. Ja, Stegemann hat angefangen. Ich würde gerne einen Text von Dirk Pilz lesen, der sich (uns) in Frage stellt.
Kolumne Dirk Pilz: Marx
Ich verstehe den folgenden Satz von Dirk Pilz nicht: "Dieser Mann denkt Politik wie Carl Schmitt Politik einst beschrieben hat, nämlich vom 'Ernstfall' her, mit dem das Politische 'total' und die Welt zur Zweiklassengesellschaft wird, aufgeteilt in 'Freunde' und 'Feinde'."

Soweit ich weiss, hat der marxistische Begriff der "Klasse" nichts mit den Begriffen "Freund" und "Feind" zu tun, sondern mit dem Begriff des Eigentums, des Kapitals. Marx hat doch einfach nur die Kapitalgesetze/-bewegungen beschrieben. Wer das gleich mit dem Thema "Freund" und "Feind" in Verbindung bringt, hat irgendwie Marx nicht verstanden. Oder? Trump argumentiert doch nicht mit Marx, der tut nur so und meint, die Massen damit instrumentalisieren zu können. Was aber zählt, unter Freunden, ist erstmal und vor allem Herzensbildung. Wie kann man Menschen abwerten, nur weil es ihnen immer nur ums Geld geht? Achtung, satirischer Scherz. Trifft alle. Will Dirk Pilz genau darauf hinaus?
Kolumne Dirk Pilz: Lawine
Man darf, ganz lapidar, nicht aufhören, zu demonstrieren. Freitagsdemonstrationen! Dazu aufrufen. Wenn jede Woche Millionen in der Welt demonstrieren, kann das auch Trump zermürben. Und je schneller man ihn zu restriktivem Verhalten zwingt, desto schneller wird das Inakzeptable offensichtlich. Eine Lawine!!
Kolumne Dirk Pilz: die Augen öffnen
Konsistenter denken
Am einem Board in der Firma hängt ein Comic mit einem Strichmännchen (na ja, eigentlich ein Strichmädchen): „I’ve made some fresh trouble, do you want it?“ So lässt sich (und das ist für das Büro wie die Welt nicht die schlechteste Perspektive) Realität auch wahrnehmen: Es gibt immer genug aufzuräumen von dem, was die Treiber an „Trouble“ produzieren. Im Job geht es, in der Welt bin ich zweifellos überfordert.
Im August 2015, als vor Wien in einem Lastwagen 71 Flüchtlinge erstickten, dachte ich, das kann doch nicht so weitergehen am Theater mit diesen selbstmitleidigen Bespiegelungen. Ich meinte, „dass wir nicht mehr bleiben, was wir waren.“ Aber: „Wir sollten achtsam sein, in welche Richtung wir uns verändern lassen“. Zunächst wurde ja aus der gebotenen humanitären Nothilfe ein Willkomensenthusiasmus, ein von den Medien befeuerter „bacchantischer Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist“, wie Rüdiger Safranski gern, Hegel zitierend, die romantische Neigung der Deutschen charakterisierte, die jedoch in ihrem Taumel gar nicht trunken, aber ebenso nicht nüchtern seien, sonderm mit Hölderlin: „heilignüchtern“. Doch auch der heilignüchterne Taumel endet offenbar, wie die echte Trunkenheit, in einer veritablen Katerstimmung.
Dirk Pilz erwähnt die nach Deutschland Geflüchteten nicht, nur Charlie Hebdo. Nun meint er jedoch, die Wahl von Donald Trump sei der richtige Anlass um „darüber nachzudenken, welcher Weltanschauung man sich in die Arme wirft, wenn man die Castorfs, Thalheimers, Kennedys etc. beklatscht“. Dirk Pilz, Sie haben Thalheimers „Wallenstein“ besprochen! „Man sieht allermeist Figuren, die nichts als bejammernswerte Würste im Hamsterrad der Wirklichkeit sind, was uns Zuschauern die Augen über unsere eigene Erbärmlichkeit öffnen soll.“ Nein, wenn Sie die Infragestellung durch Thalheimer so empfinden, wehren Sie sie ab. Sicher reduzierte Thalheimer Schillers „Wallenstein“ auf ein Extrem von Krieg, Macht und Gewalt, aber er hat meines Erachtens recht, dass Krieg und Gewalt so extrem sind. Und Thekla, wenngleich machtlos, ist keine „bejammernswerte Wurst“, wenn sie die Situation zusammenfasst:
„Das ist kein Schauplatz, wo die Hoffnung wohnt,
Nur dumpfes Kriegsgetöse rasselt hier,
und selbst die Liebe, wie in Stahl gerüstet,
zum Todeskampf gegürtet, tritt sie auf.“
Von Frank Castorf will ich gar nicht erst anfangen, Susanne Kennedy kenne ich zu wenig.
Diese Regisseure tun was sie können, um uns die Augen zu öffnen. Allerdings müssen wir selber etwas damit anfangen, wenn diese endlich offen sind.
Kolumne Dirk Pilz: die Trumps unter uns
Das Drollige an der Angelegenheit ist ihr Alarmismus: erst durch die Wahl von Donald Trump soll plötzlich eine Lage eingetreten sein, die es den Theatern dringlich macht, ihre Spielpläne und ästhetischen Strategien zu überdenken (und, möchte man ergänzen, den Kritikern ihre Zustimmung zu diesen Strategien). Genausogut könnte, um nur ein Beispiel zu nennen, der „Abgasskandal“ diesen Anlaß bieten, noch dazu hat er hausgemachte Aspekte: während immer neue, spektakuläre, internationale Klimakonferenzen sich mühten, den verderblichen CO2-Ausstoß der Menschheit zu bändigen, vergifteten hochbezahlte, honorige Aufsichtsratsvorsitzende der deutschen Automobilindustrie zugunsten ihrer Aktionäre (wie ihrer eigenen Bezüge) weltweit die Atemluft des Planeten (auf dem nicht zu leben scheinen). Und das ist nur ein Beispiel. DIE TRUMPS SIND UNTER UNS! Und das nicht erst seit gestern.
Kolumne Dirk Pilz: der Kolumnist antwortet
Lieber Herr Steckel,
es ist alledings genau diese Form von Gleichmacherei (und Gleich-Denkerei), die ich für abwegig halte: Die Wahl Trumps und der Abgasskandal sind nicht von derselben politischen Qualität. Und es ist eben diese undifferenzierte Rede von 'dem System' oder 'den Trumps unter uns', die ich für problematisch halte, um es vorsichtig auszudrücken. Wenn man die Unterschiede verwischt, landet man bei eben dieser Form von zynischem Fatalismus, die jede Kritik (als Weise, Differenzen zu sehen) letztlich sinnlos macht (oder machen soll). Darauf würde ich also bitte bestehen: dass es zwischen einem wie Winterkorn und Trump Unterschiede gibt. Ich gebe Ihnen zu, dass es genügend andere Anlässe gibt und gegeben hat, zu überdenken, welcher Weltanschauung man eigentlich zujubelt, aber: wer jetzt weiter so tut, als sei Trump nur ein weiterer Abgasskandal der Weltgeschichte, macht sich der vorsätzlichen Vereinfachung verdächtig.
Ob darin Alarmismus steckt, wird sich erweisen müssen; alarmistisch in Ihrem Sinne ist am Ende ja jede Kritik - das finde ich nicht sonderlich erhellend.
Und dies noch, auch das habe ich ja geschrieben: Die Trumps sind unter uns, genau, aber sie sind nicht schlicht immer bei den anderen, sondern der Trumpismus trifft einen auch selbst. Dieses Zeigen auf andere ist genau der Dualismus, den der Trumpismus bedient und ausnutzt.
herzliche Grüße,
dip
Kolumne Dirk Pilz: unterschreiben
Den letzten Kommentar unterschriebe ich zu 100%!!!
Kolumne Dirk Pilz: Schmierenkomödien
Dass der so genannte Abgasskandal in der Unterhaltungsindustrie gar nicht vorkommt - nicht einmal in öffentlich-rechtlichen Talkshows - ist schon ein eigener Umweltskandal.
Dabei ist er nicht nur lebensgefährlich für Volkswirtschaft wie Gesundheit, sondern böte auch die Schablone für abwaschechte Schmierenkomödien.
Kolumne Dirk Pilz: Anmerkungen
Zwei kleine Anmerkungen zu der Kritik an den Theatern, die ich im wesentlichen teile.
1. der blödsinnige Streit über Schauspiel- conta Performancetheater wird, genauso wie die Einladungen zu Theatertreffen und Festivals, eher von den einschlägigen Medien und Kulturfunktionären geführt. Da sind die Theater nicht federführend, insofern auch nicht in erster Linie zu kritisierend.
2. In den Theatern passiert schon einiges (sicher gehr noch mehr) - egal ob frei oder etabliert, oder sogar kooperierend. Gerade wenn es nicht um die Behauptung des Über- oder Durchblickens geht, finden sich in den Produktionen jenseits des "grossen" Spielplans einiges - von Expertenproduktionen (Bürgerbühnen DD und Mannheim, Volkstheater Karlsruhe, Stadttheater des Staatstheaters Braunschweig ...), Studio-/Werkstattproduktionen etc.. Vielleicht liegt das daran, dass diese Positionen anders konzeptioniert werden, und auch schneller anzusetzen sind. Aus meiner Sicht ginge es allerdings auch darum, die Blicke und Ohren dahin zu lenken, wo Theater gute Schritte wagen. Was nicht heißt, das ich die Aufgabe der Kritik nicht auch wesentlich im Kritisieren sähe.
Kolumne Dirk Pilz: nur mehr Winterkorn
Lieber Herr Pilz –

es handelt sich nicht um qualitative, sondern um quantitative Differenzen.
W i e v i e l systemischen Irrsinn (ich bestehe meinerseits auf dem ’systemischen’) dürfen, können, müssen wir hinnehmen, bevor wir unser Leben zu ändern haben? Wäre mit Mrs. Clinton, wie zahlreiche Hollywoodgrößen (Clint Eastwood ausgenommen) zu meinen belieben, alles glattgegangen? Wir haben, allein durch unsere alltäglichen Lebensformen, Teil an allen Ungerechtigkeiten auf dem Planeten, auch an den gegen ihn selbst gerichteten. Die Schubkräfte der Verheerung sind so gewaltig, daß jede Kritik an ihnen sich ausnimmt wie der gespenstische Ameisengesang in der Gruselgeschichte: WENN DER SCHRANK UMFÄLLT SIND WIR ALLE ALLE TOT. Wir alle stecken nicht nur in diesen Kräften fest, wir setzen sie unermüdlich frei. Das ist, seit den ersten Veröffentlichungen des ’Club of Rome’, bekannt. Ich verstehe folglich nicht, von welchem ’Dualismus’ Sie schreiben. „Die Wahl Trumps und der Abgasskandal sind nicht von derselben politischen Qualität“ schreiben Sie. Sind sie eben doch. Die Differenz ist eine rein quantitative. Trump ist nur m e h r Winterkorn.

Herzlich –

Steckel.
Kolumne Dirk Pilz: Tarkowskij
..."Sünde sei das,was nicht notwendig ist. Und wenn es so ist,dann ist unsere ganze Zivilisation von Anfang bis Ende auf Sünde aufgebaut.Wir haben eine schreckliche Disharmonie erreicht, das heißt ein Ungleichgewicht zwischen der materiellen Entwicklung und der geistigen...
Wenn es nur endlich jemanden gäbe,der aufhören würde mit dem Geschwätz und etwas tun würde...es wenigstens versucht."... Andrej Tarkowskij.Opfer.1986
Kolumne Dirk Pilz: warum die Sünde reinbringen?
@ Stephan Ullrich: Warum müssen Sie den Begriff der "Sünde" hier noch reinbringen? Das klingt mir zu sehr danach, die "Sündigen" sogleich dafür bestrafen zu wollen. Und das hat noch nie irgendjemandem geholfen. Wenn Menschen aufgrund dieser "Sünde" andere leiden lassen (wollen). Menschen verändern sich nur aus eigenem (Nach-)Denken und Fühlen heraus. Dazu Andreas Werckmeister, zitiert nach Jens Johler:

"[...] wenn aber der Mensch sich allzu rein halten und ohne Sünde sein will, dann sündigt er nur umso mehr! Fragt Ihr aber warum, so antworte ich: weil er damit Christi Verdienst in seiner göttlichen Erniedrigung schmälert und lädiert. Denn Christus ist Mensch geworden und hat den Kreuzestod erlitten, damit wir alle von unseren Sünden reingewaschen werden." ("Die Stimmung der Welt")

Ich muss kein Christ sein, um das zu verstehen. Ein Verständnis von bzw. ein Sinn für Musik ist zuweilen besser als politisch instrumentalisierte Religion.
Kolumne Dirk Pilz: Selbstbefragung
@Inga:Bitte!keine Nebelkerzen werfen, mein Nebelhorn befindet sich noch zur Reparatur beim Schuhmacher.Wenden wir uns der Empfehlung von Herrn Pilz zu, der kritischen Selbstbefragung und überprüfen einmal das eigene Weltbild: Wussten Sie Inga,dass Gandhi an einem Tag in der Woche mit keinem Menschen sprach, und das über Jahre hinweg?
Kolumne Dirk Pilz: das Elite-Paradox
@ Stephan Ullrich: (...) Mit welcher Begründung (wohlgemerkt mit Bezug auf meine Kommentare hier) empfehlen Sie mir nun die kritische Selbstbefragung in Bezug auf Trump? (...) Wer Dinge klären möchte, muss das schon direkter bzw. mehr im gemeinsamen Miteinander tun.

Davon abgesehen, kann ich Trumpwähler einfach nicht verstehen, wenn sie Trump vor allem wegen ihres Hasses auf "die Eliten" wählen, aber selbst offenbar nicht wahrnehmen, dass Trump eben auch längst Elite und nicht mehr Basis ist. Soviel dazu. Ähnlich - aber anders - verhält es sich hier wohl mit den AfD-Wählern. Trump ist mehr Schein als Sein. Er gibt aber vor, total authentisch zu sein und dem Volk(swillen) seine Stimme zurückzugeben. Diese Stimme kann sich das Volk aber nur selbst geben. Auch ohne Trump. Auch ohne Gewaltrhetorik. Ja klar, da gebe ich Ihnen Recht.
Kolumne Dirk Pilz: Thalheimers Verdienst
Erst entrückt und dann zu nah
Als Michael Thalheimer 2005 den „Faust“ inszenierte, war Dirk Pilz schon irgendwie genervt: „Faust, ein unerlöster Zeitgenosse“, ja, ja! „Es ist wie in einer Talkshow, nur auf ungleich höherem Niveau: Alles kommt irgendwie zur Sprache, um auch davon gesprochen zu haben.“ Ihm fehlte, was er in Volker Löschs „Dogville“ in Stuttgart ausmachte: der „Schockblick in den eigenen Abgrund“. Die Thalheimer-Form war ihm nicht politisch. „Sein Theater sagt viel, aber nichts so, dass es Positionierung verlangen würde“: „moderne Entrückungsästhetik“.
Mir hingegen ist erst unlängst bei der Inszenierung von Hasko Weber wieder klar geworden, dass Thalheimer eine gewichtige Tradition der „Faust“-Rezeption geformt hat. Michael Jaeger nimmt in seinem Buch „Global Player Faust“ ausdrücklich auf Thalheimer Bezug, der die Brisanz der neuen Sicht auf die Thematik „prominent und faszinierend“ herausgearbeitet habe.
Thalheimer verdeutlichte, dass Faust und Mephisto wirklich eine Figur sind, dass „das Böse im Menschen selbst vorhanden ist, also wirklich als duales System“. Denn: Wir sind verantwortlich, und wir werden als Menschen weiter für unsere Geschichte verantwortlich sein.
Ich habe Verständnis dafür, dass man die Thalheimer-Ästhetik nicht mag (und bin ohne meine Frau hingegangen), aber gerade „Schillers Faust: Wallenstein“, wie der Essay von Dieter Borchmeyer im Programmheft betitelt ist, fordert heraus. Und es ist auch hier richtig: Unsere Verantwortung als Mensch liegt nicht in der Inszenierung vor Augen, sondern muss von uns hinzugefügt werden.
2016 nun war es Dirk Pilz plötzlich zu provozierend, er sah „das gesamte politische Feld unter Verdacht gesetzt: Wer sich darauf einlässt, ist der Gefangene von Zwängen, Kompromissen und falschen Freunden. Gute Politik, das kluge Aushandeln von Gegensätzen, das Arrangement mit der Praxis – das ist in diesem Theater nicht vorgesehen. Als wäre Politik stets und ständig nichts als ein schmutzig derbes Geschäft, als ließe sie sich auf solche simple Muster herunterpoltern.“ „Thalheimer hat es längst aufgegeben: ‚Er zeigt uns wilde Tiere, denen mit keiner Politik und keiner Hoffnung zu helfen ist.‘ “
Ich hätte mir gewünscht, dass Michael Thalheimer eine Anleihe bei Peter Greenaway nimmt und den Bühnenkäfig mit Bildern der Ostfront aus dem Zweiten Weltkrieg bespielt. Damals war man der Meinung, dass der Krieg verloren sei, nicht wenn „Böheim“, sondern das Donezbecken aufgegeben würde. In den letzten Jahren ist ja auch in Deutschland wieder eine kecke Art wie in „Wallensteins Lager“ erwacht, man könne es noch mal versuchen. Nicht zuletzt der scheidende Bundespräsident hat versucht, in dieser Sache ein kleines Feuer zu entfachen. Er hat damit noch einmal deutlich gemacht, dass, woher er auch kommt, es gewiss nicht die kirchliche Friedensbewegung der DDR war. Um dort mit zu tun gehörte zur Pflicht, selbst wenn man der Kirche nicht angehörte, den Geist der Bergpredigt zu befolgen. Dies meinte nicht, dass man sich widerstandslos physischer oder psychischer Folter ausliefert, sondern dass man die Anderen, die in der DDR das Sagen hatten, einschließlich der sowjetischen Militärs, nicht als Objekte des Hasses und der Feindschaft betrachtete, sondern als Menschen, an deren Gewissen und Fähigkeit zu Einsicht und Verantwortung zu appelieren galt.
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