Freunde oder Feinde

von Dirk Pilz

31. Januar 2017. Heute nur ein paar Fragen. Knapp 14 Tage haben wir ja inzwischen Trump. Er wurde gewählt, seine politischen Entscheidungen gleichen jedoch einer Machtergreifung. Wer jetzt noch zweifelt, was dieser Mann will, wer womöglich hofft, dass er von der sogenannten Realpolitik gebremst würde, macht sich der Naivität schuldig.

kolumne 2p pilzEs liegt alles offen zutage: Dieser Mann denkt Politik wie Carl Schmitt Politik einst beschrieben hat, nämlich vom "Ernstfall" her, mit dem das Politische "total" und die Welt zur Zweiklassengesellschaft wird, aufgeteilt in "Freunde" und "Feinde". Der Begriff des Ernstfalls bedient dabei eine Logik der Eskalation, mit der alles Handeln von seiner äußersten Steigerungsform oder Grenze her bestimmt wird. Entsprechend agiert Trump: im Dienste einer Hegemonie des Politischen. Der Ernstfall ist bei Schmitt übrigens immer der Krieg als Stunde der Wahrheit, und Kriege können zwar sehr verschiedene Formen annehmen, haben aber immer Leid und Unterdrückung zur Folge.

Alles weiter wie gehabt?

So weit also die Lage. Ich frage mich, was die Theater nun zu tun gedenken. Bislang jedenfalls kaum etwas. Als vor zwei Jahren die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo angegriffen wurde, platzierten viele Theater eifrig den Spruch "Je suis Charlie" auf ihren Webseiten und an den Bühnenportalen. Dergleichen findet jetzt nicht statt. Wie kann das sein?

Vielleicht ist es ja klüger, stur an den Spielplänen und Verabredungen festzuhalten, um den Dynamiken der grassierenden Hysterisierung zu entgehen. Kann sein, man verzichtet besser auf die hundertste Podiumsdiskussion, es wirkt ja doch mitunter arg wohlfeil, vom warmen Theaterstuhl aus, auf die Bösen der Welt zu schimpfen. Andererseits: Ist es nicht doch auch sehr weltfremd, wenn nicht wirklichkeitsblind, allen Ernstes ungerührt über das schlichte Pro und Contra des Schauspiel- oder Performance-Theaters oder – nur zwei Beispiel für das gewöhnliche Betriebsgeschehen – demnächst über die Theatertreffeneinladungen zu streiten? Alles weiter wie gehabt?

Geschichten vom unmöglichen Leben im Falschen

Sicher, es wird künftig allerlei Inszenierungen geben, die mit spitzen Fingern auf Trump zeigen, er macht es einem ja auch einfach, sich ordentlich zu empören. Und klar, einer wie Michael Thalheimer zum Beispiel wird sich bestätigt fühlen, er predigt ja ohnehin seit Jahren, dass der Mensch schlecht, schlecht, schlecht sei, kein Wunder also, wenn nun ein besonders Schlechter US-Präsident geworden ist. Überhaupt hat sich die tonangebende Ästhetik von Susanne Kennedy bis Frank Castorf auffallend widerstandslos auf ein fatalistisches, sehr gern auch zynisches Weltbild geeinigt, in dem die Kritik am Neoliberalismus die traurigste Allianz mit dem Defätismus eingegangen ist und entsprechend gern mit dem Ernstfall, nämlich dem Zusammenbruch des "Systems" flirtet: Man sieht allermeist Figuren, die nichts als bejammernswerte Würste im Hamsterrad der Wirklichkeit sind, was uns Zuschauern die Augen über unsere eigene Erbärmlichkeit öffnen soll, sieht also Theater, das so tut, als würde es außerhalb dieser Wirklichkeit stehen und die größeren und kleineren Zusammenhänge zu durchschauen vermögen.

Sicher, das Theater ist auch gern selbstkritisch und erzählt natürlich allenthalben Geschichten vom unmöglichen Leben im Falschen. Aber geschieht es nicht meist von einem Standpunkt des vermeintlichen Durchblickertums aus?

Das eigene Weltbild überprüfen

Vielleicht ist es doch kein bloßer Zufall oder Ausweis von Überfordertsein, dass die Bühnen sehr laut schweigen derzeit? Womöglich kommt darin die heimliche Furcht zum Ausdruck, dass die angemessene Reaktion auf den Trumpismus der Gegenwart darin bestünde, sich selbst zu fragen, ob das eigene, liebgewonne Weltbild nicht zu überprüfen wäre? Ahnt man am Ende, dass die bühneneigene Selbstgerechtigkeit samt defätistischem Zynismus eben diesem Trumpismus in die Hände spielt? Dass die gut eingeübten Techniken der Schuldzuweisung, nach denen bös' und dumm immer nur die anderen sind, nicht mehr greifen? Dass man mit solcher Weltsicht genau jene Drift ins Dualistische bedient, die auf Freund-Feind-Logiken hinausläuft? Vielleicht sollte man einmal anfangen, darüber nachzudenken, welcher Weltanschauung man sich in die Arme wirft, wenn man die Castorfs, Thalheimers, Kennedys etc. beklatscht?

Ich glaube, das sollte man, auch um dem Trumpismus widerstehen zu können und nicht in den gewöhnlichen, karrieregeleiteten Opportunismus oder das bloße Empörertum abzubiegen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Man sollte das auf Theater- wie auf Kritikerseiten, und man heißt immer: man selber. Selbstgerechtigkeit und Opportunismus ist ja etwas, das gerade unter Theaterjournalisten bestens bekannt ist. Ich glaube, man muss auch fragen, wie das kritische Befragen der eigenen Position vonstatten gehen kann, ohne so zu tun, als beträfe einen nicht, was man bei anderen diagnostiziert, ohne sich also außerhalb zu stellen, weil es dieses Außerhalb nicht gibt.

Einfach abwarten und hoffen, dass der Trumpismus vorübergeht und man unbeschadet durchkommt, wird jedenfalls nicht helfen.

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.

 

Zuletzt schrieb Dirk Pilz an dieser Stelle über die pietistische Logik Tim Renners.

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