Soapcast auf Speed

von Michael Wolf

Berlin, 17. Februar 2017. Die Erwartungen waren hoch. Regisseur Ersan Mondtag ist so etwas wie ein Shootingstar. Gerade dreißig Jahre alt, wurde er just bereits zum zweiten Mal zum Theatertreffen eingeladen. Nur ein Hype, sagen einige, Feuilleton-Liebling, sagen andere. Mit seiner ersten großen Inszenierung auf dem harten Theatermarkt Berlin hatte er die Chance, es seinen Kritikern zu zeigen. Und zumindest dieser Kritiker hier hätte es sich auch gerne zeigen lassen. Was er dann aber sah, war kein Durchbruch, eher Fraktur. Zugezogen bei einer überambitioniert ausgeführten Fingerübung.

Rette unsere Stadt!

Der Abend am Berliner Gorki Theater heißt "Ödipus und Antigone". Mondtag und Dramaturg Aljoscha Begrich haben den Mythos um die Stadt Theben kühn zusammengestrichen. Es empfiehlt sich, vorher noch mal in den Sophokles zu schauen. Alternativ: Lauschen Sie Michael Köhlmeiers wundervoller Erzählstimme. Oder schauen Sie Nachrichten. Kein Entkommen, auch in dieser Inszenierung steckt eine Portion Trump.

antigone 06 560 armin smailovic uKreon verstößt das Baby Ödipus: Aram Tafreshian © Armin Smailovic

Zu Beginn handeln Yousef Sweid und Orit Nahmias aus, wer von ihnen Eteokles spielen darf. Schnell schweifen sie ab, verhandeln den Nahostkonflikt, die Renaissance des politisch motivierten Mauerbaus und den kommenden Faschismus. Der bricht dann am Ende des Abends tatsächlich aus. Als Antigone gegen das Verbot die Leiche ihres Bruders beerdigt, zittert ganz Theben vor ihr. Sie hat das Gesetz Kreons nicht geachtet, das macht sie mächtig. Wenig später recken sie im Stile der Riefenstahl-Filme ihre Arme siegessicher in den Himmel. Dazu ruft ein Chor: "Antigone, komm. (...) Reinige unsere Stadt (...) Leite du, wir folgen." Wer die Regeln nicht beachtet, wird also führen. Und Delinquenz ist der neue Faschismus. Soweit Mondtags Exegese der ersten Wochen Trump.

Das weiße Häuschen

Passend die Bühne: Julian Wolf Eicke und Ex-Signa-Mitglied Thomas Bo Nilsson haben, wenn schon nicht das Weiße Haus, so doch zumindest die Fassade eines weißen Haues auf die Drehbühne gebaut. Vorne Holz, innen Kacheln. Daneben eine verwinkelte Treppe und ganz oben noch mal das Haus: als Sarg. Das Haus bzw. Geschlecht der Labdakiden wird hier zu Grabe getragen. Und zwar im Schnelldurchgang.

Schwerfällig sind dagegen die Bewegungen der Schauspieler. Denn die Figuren sind Greise. Runzelig ihr Gesicht, weiß das Haar, unsicher der Gang. Mangelndes Übergewicht kompensiert Kostümbildner Josa Marx, indem er das Ensemble in bourdeaux-farbene Strumpfhosen und pinke Kleidchen steckt: Klingt nach Modenschau im Seniorenheim? Eher nach Horrorfilm. Das Ensemble schlurft über weite Strecken des Abends über einen Soundteppich aus Streichern, Blitzen, Donner, Regen, Grillenzirpen und Gewehrschüssen. Atmosphäre kommt trotzdem nicht auf. Dafür sorgen die über Mikroports verstärken Stimmen. Sie klingen künstlich, intim und doch viel zu weit entfernt für die kleine Bühne.

Mondtag fährt also einiges auf und so sei es erlaubt, eine Zeile aus dem Text als versteckte Poetik des Abends zu verstehen: "Ungeheuer ist vieles, nichts ungeheurer als der Mensch. Mit jeder Art von Technik im Besitz, hat er die Macht zum Schlimmen oder Guten." Benny Claessens singt diese Verse wunderbar falsch. Dass er wieder in Berlin spielt, ist eine schöne Nachricht. Schade nur, dass er nicht Theater spielt, sondern immer nur Theaterspielen spielt. Statt Ödipus realistischerweise stürzen zu lassen, rollt er sich mühsam die Treppe hinab. Im Todeskampf quiekt und brüllt er abwechselnd, sinkt nieder, stirbt – Stille – und quiekt noch mal. Wenn Claessens nicht auf Lacher aus ist, gibt er den Ödipus dafür herrlich wehleidig, läppisch und verschlagen wie eine alte Dame, die beim Rommé schummelt.

antigone 07 560 armin smailovic uGolden Girls meet The Walking Dead: Yousef Sweid, Çigdem Teke, Orit Nahmias. Vorne: Benny Claessens
© Armin Smailovic

Genüsslicher Fatalismus

Zu gewinnen gibt es trotzdem nicht viel für ein Regiekonzept, das irgendwo zwischen schnellen Gags, Filmzitaten und genüsslichem Fatalismus verborgen liegt. Zugegeben: Eine realistische Spielweise liegt bei antiken Stoffen nicht nahe. Dafür wurden die ersten Tragödien nicht geschrieben. Aber was tritt an ihre Stelle? Ein Soapcast auf Speed, nur eben in Zeitlupe, arthritisch. Wäre es tatsächlich ein Film, so lautete die Tagline des Drehbuchs: Golden Girls meets The Walking Dead – und das klingt noch entschiedener als der Abend. Die Inszenierung krankt an der Maßlosigkeit ihrer Mittel. Viel hilft nicht immer viel.

So drängt sich ein ketzerischer Gedanke auf: Vielleicht stimmt es doch, dass ein eingelullter Betrieb allzu leichtfertig jubelt, wenn da jemand mal was anders macht. Aber sei's drum. Wenn Mondtag demnächst wieder was anders, das aber entschlossener macht, dann jubelt auch dieser Kritiker gerne mit.

 

Ödipus und Antigone
nach Sophokles
in einer Fassung von Aljoscha Begrich und Ersan Mondtag
unter Verwendung der Übertragungen von Durs Grünbein (Sieben gegen Theben), Friedrich Hölderlin (Antigone) und Soeren Voima (Europa und Antigone)
Regie: Ersan Mondtag, Bühne: Julian Wolf Eicke, Thomas Bo Nilsson, Kostüme: Josa Marx, Musik: Beni Brachtel, Dramaturgie: Aljoscha Begrich.
Mit: Benny Claessens, Kate Strong, Sema Poyraz, Çigdem Teke, Orit Nahmias, Yousef Sweid, Tanya Erartsin, Aram Tafreshian.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

"Eingedenk der Tatsache, dass die antiken Ödipusse, Antigones und Ismenen im Gegenwartstheater gern auf psychologisches Fernsehrealismusformat geschrumpft werden, ist Mondtags ausdrücklich distanziert-formaler Zugriff zunächst wohltuend", schreibt Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (19.2.2017). Mit hohem Slapstickaufwand lasse Ersan Mondtag das Personal der Tragödie sich selbst disqualifizieren. Jedoch wirken die Theatermittel auf die Kritikerin mitunter beliebig. Viel abgewinnen konnte sie dagegen dem "brüderlichen Satyrspiel" zwischen Eteokles und Polyneikes (gespielt von Youssef Sweid und Orit Nahmias), das der Tragödie vorangestellt ist.

"Die Kostüme von Josa Marx sind eine Wucht. Trotzdem mangelt es dem Abend an jener Konsequenz, für die Ersan Mondtag so oft gelobt wurde", schreibt Katrin Pauly in der Berliner Morgenpost (19.2.2017).

Der Abend beginne mit Orit Nahimas und Yousef Sweids Streit vielversprechend: "Schlagfertig, mehrsprachig, politisch, verwirrend", schreibt Katrin Bettina Müller von der tageszeitung (20.2.2017). "Aber diese Verknüpfung zwischen Konflikten von heute und dem Stoff von Sophokles hält nicht lange." Mondtag verweigere dem Abend die Heldin Antigone. Stattdessen lasse er den "großartig zögerlichen Aram Tafreshian" einen unsicheren und durchaus nicht an seiner Macht hängenden Kreon spielen, der Antigones Fragen gar nicht so falsch finde, von seinem Volk aber dazu getrieben werde, sie zu verdammen. "Das ist eine durchaus interessante Wendung des Dramas, sicherlich auch beflügelt von aktuellen Führungsfiguren und ihren Wählern." Allein diese Deutungsebene werde zwar angerissen, verliere sich dann aber "im Horrorfilm ähnlichen Weitergang".

"(E)in unheimlich düsteres, beklemmend schauriges Familienszenario, in dem es nur greise, wackelige, bösartige, einzig auf Macht und Gewalt erpichte Untote gibt", sah Irene Bazinger von der FAZ (20.2.2017). "Formal entschieden und kraftvoll zupackend schneidet sich Ersan Mondtag den antiken Stoff zurecht – bis höchstens noch das grobe Gewebe, nicht jedoch die Musterung, Feinzeichnung und die Textur erkennbar sind. Daher lässt einen diese formal zwar reife, inhaltlich allerdings äußerst dürftige Inszenierung seltsam kalt." Mondtags Arbeit sei in ihrer stilistischen Konsequenz interessant, scheitere aber, weil sie sich mit dem Oberflächenglanz begnüge.    

Der Abend beginne wie einer der schwächeren Mondtags und steigere sich dann mächtig, schreibt Christian Rakow in der Berliner Zeitung (19.2.2017). "Mondtag sucht in seinem grellen Zerrbild des Ödipus-Mythos die moderne, freudianische Sichtweise: auf die Problemgeschichte bürgerlicher Innerlichkeit." Der Abend werde zur antibürgerlichen Drohkulisse in Zeiten von Trump und AfD. "Eine finstere Zeitdiagnose."

So funktiere der ganze Abend, erklärt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (21.2.2017): "große Opern-Arien, den Regler für die Dramaqueen-Auftritte bis zum Anschlag hochgezogen – aber, ätsch, ganz ernst ist das natürlich nicht gemeint, war nur so eine lustige Idee". Allerdings: "Was die Herren Aischylos und Sophokles vor zweieinhalbtausend Jahren geschrieben haben, wird ohne größere gedankliche Umstände in den Pop entsorgt." Fazit: "Was Ersan Mondtag macht, ist untotes Theater, in dem die Zombies der ausgesaugten Theaterfiguren umgehen, verdammt zum Dasein in der Twilightzone der Regieeinfälle."

 

Kommentare  
Ödipus und Antigone, Berlin: von eigenen Mitteln erschlagen
ich kann der beschreibung absolut folgen und nur dazu fügen, dass alles, was ich bisher von ersan montag gesehen habe, von seinen eigenen mitteln, erschlagen wurde. zuviel gewollt, zu dünn gedacht, reine wirkungsästhetik, die keiner prüfung stand hält. (...)
Ödipus und Antigone, Berlin: wohlwollendere Reflexion erwünscht
Das Problem vieler Theaterkritiken besteht darin, dass die Kritiker oft keine Messlatte ihrer Kriterien offenlegen. Mit einfach nur "Nichts neues unter der Sonne" macht es es Künstlern praktisch unmöglich eine faire Wertschätzung ihrer Arbeit zu erfahren. Auch wenn eine klare Auflistung von:
1. Idee, 2. Handlung, 3. Umsetzung der Handlung, 4. Figuren, 5. Glaubwürdigkeit der Darstellung, 6. Produktion (Bühnenbild/Kostüme) etc. keine erschöpfende Antwort darauf gibt, warum eine Aufführung als befriedigend/bereichernd/aufregend empfunden wird, sollte sie dem interessierten Leser Anregungen geben, über die geäußerten Aspekte selbst zu reflektieren. Dass ich heute abend meinen 9. Hamlet anders sehen (und mit den vorherigen vergleichen) werde, als meine Begleitung, die Hamlet zum ersten Mal sehen wird, ist unvermeidlich, aber es wäre ratsam, wenn Kritiker regelmäßig mal ihren Elfenturm verlassen und einen Abgleich mit dem Alltagsleben vornehmen. Theater wird nicht nur für die "geistige ELite" gemacht, die sich in der Regel so auf ihre Positionen versteift hat, dass sie gar nicht mehr in der Lage ist, andere Blickwinkel und Meinungen zu akzeptieren oder gar eigene zu revidieren. Ich habe hunderte von Produktionen gesehen, und wenn man in London eine unerschöpfliche Auswahl hat, ja, dann kann man schnell vergessen, dass das nicht die Norm kulturellen Schaffens - im guten wie im schlechten Sinne - ist. Eine Rückbesinnung auf eine wohlwollendere Reflektion eines Werkes fördert kreatives Denken, nicht aber der Konsumansatz, "ich will was tolles Neues sofort". Klassiker sind schließlich auch nichts anderes als Werke, denen man eine faire Chance gab und die wiederholt - zur richtigen Zeit und am richtigen Ort - dem Publikum "etwas gegeben haben". Fazit: Ein klare Trennung von wohl definierten Aspekten eines Werkes und die persönliche Wahrnehmung der Summe aller Aspekte durch den Kritiker dient der Kultur mehr als reine Stimmungsmache.
Ödipus und Antigone, Berlin: Hinweis auf Psycho
Es ist das Haus meiner Mutter.
Ödipus und Antigone, Berlin: in Maßlosigkeit ermüdend
Sehr gute Kritik. Der Abend war in seiner Maßlosigkeit schnell ermüdend. Weniger Form mehr Inhalt wäre einer nächsten Inszenierung sehr zu wünschen.
Ödipus und Antigone, Berlin: was Wohlwollen besagt
wie wohlwollen sollen KritikerInnen denn noch sein? abgesehen davon, dass "wohlwollen" so ziemlich das schlimmste ist, was einem Künstler passieren kann... es bedeutet, dass man Ihn/ sie nicht ernst nimmt, aber ihn/ sie persönlich ganz dolle mag und schätzt... (...)
Ödipus und Antigone, Berlin: für eine elitäre Elite
Ein Klassiker wurde ja nicht gegeben und schon erst recht nicht zwei, obwohl man ja solches angekündigt hatte. Dass nach Beseitigung von Inhalt nur noch hohle Formen übrig blieben und diese auch nicht wirklich spannend sind ist aus meiner Sicht in der Kritik gut widergespiegelt. Ohnehin richtete sich die Veranstaltung sehr wohl an eine sehr elitäre Elite, nämlich jene, die im Stande ist, in der Inszenierung einen Sinn zu entdecken. Das ist eben nur ganz wenigen vergönnt.
Ödipus und Antigone, Berlin: Kunstgewerbe mit Geisterbahneffekten
Ich habe mich sehr auf den Abend gefreut. Zum ersten Mal ein Stück des viel gefeierten Regisseurs gesehen.
Und leider, leider finde ich die Kritik noch zu positiv.
Ein quälend langer, flacher, forciert artifizieller und dümmlicher Abend. Ohne einen intelligenten Gedanken zum Stoff oder auch nur eine nicht mit zuckerig-pinker Ironisierung übergossene Szene. Kunstgewerbe mit Geisterbahneffekten.
In Erinnerung an Kortner:
Ja, ich habe einmal gelacht, aber weit unter meinem Niveau.
Trotzdem, wünsche dem jungen Regisseur, dass er tiefer gräbt, sich entwickelt & never forget: don't believe the hype!
Ödipus und Antigone, Berlin: Vergleich
ist dasselbe wie wenn ich kapputes zeuch vor einer weißen wand stelle und sage: Gucken Leute! Kunst! und dann kommt jemand ganz wohlwollend daher und pimpt den ganzen schrott auf und macht daraus tatsächlich kunst... man kann aus allem was machen, wenn man einen wohlwollenden blick hält. hat nur wenig bishin zu nichts mit kunst zu tun...
Ödipus und Antigone, Berlin: innovativ und munter machend
Viel Geschwätz. Ich bleibe vielleicht auch beim Schwätzen.
Ich fand diesen Abend innovativ. Mondtag findet neue Möglichkeiten im Theater, die zumindest kurzfristig spannend sind.
Er verknüpft zwei antike Stücke, nämlich Ödipus und Antigone, die ja zusammen gehören, aber selten in dieser Einheit gezeigt werden.
Und das macht er ganz modern. Zuerst folgt ein Streit der Clowns, würde ich sagen. Dabei geht es um die Betrachtung der Welt und die Ansichten aus männlicher und weiblicher Sicht, wer ist wer? Schnell ist man in den Konflikten der Zeit. Leider kann ich diesen Dialog schwer folgen. Zu schnell und die Übertitelung rast mir auch davon.
Dann folgt Ödipus: Fast eine Stunde wird der Mythos ohne Empathie abgewickelt. Es wird viel geschrien. Dennoch ist dieser Teil inhaltlich sehr nachvollziehbar, denn der mythische Handlungsstrang wir kaum unterbrochen. Es sei denn, plötzlich im Geschrei setzt eine Ruhe ein, die fast unerträglich ist.
Dann folgt Antigone, der Übergang ist geglückt. Doch dann ist der Rest auch schnell erzählt. Irgendwie gibt es einen Bruch im antiken Handlungsstrang. Es wird gekürzt und neu gestaltet. Das ist dann auch der schwächere Teil des Abends. Antigone wird zu einer Jeanne d´Arc, die das Volk auf die Barrikaden führt. Manche meinen auch, sie führt uns auf faschistische Wege. Radikalität ermöglicht zwei Seiten. Ich sah gerade auch von Veiel "Beuys". Wo endet eine Radikalität des politischen Denkens. Aber das Einlullen auf demokratische Prinzipien hilft mitunter auch nicht, wenn ich heute an türkische Auftritte in Oberhausen denke.
Immer mehr verlassen den prinzipientreuen Kreon, zuerst Ismene. Dann verlässt er auch selbst den Raum, um sich auf die Straße zu begeben, in einem Vernichtungsschlund. Zurück bleibt der Transgender Ödipus, längst gestorben, aber er singt ein Lied auf die Menschen.
Dann folgt ein Endspiel, nichts ist zu retten. Die Möglichkeit eines Neuanfangs wird verspielt. Der Säugling wird auf die Erde geworfen. Die Hoffnung stirbt halt zuletzt doch.
Habe ich das alles so richtig gesehen? Zumindest eines hatte ich an diesem Abend geschafft, obwohl übermüdet, mir fielen jedoch zu keinem Zeitpunkt die Augen zu. Ich war munter während dieser Vorstellung.
Bin ich wirklich allein, wenn ich diesen Abend positiv sehe? Beim Abschlussapplaus hatte ich zumindest nicht den Eindruck.
Ödipus und Antigone, Berlin: Hinweis der Redaktion
Werte Kommentatoren und Kommentatorinnen,

nachdem in den letzten Stunden zahlreiche Kommentare zu dieser Inszenierung nicht veröffentlicht werden konnten, möchten wir uns mit dem Aufruf an deren Verfasser*innen wenden, doch bitte so gut zu sein, und ungesunde Stimmungen woanders abzuladen. Wir wünschen uns hier sachliche Debatten und Argumente statt Ressentiments.

Freundlich grüssend und im Auftrag: sle
Ödipus und Antigone, Berlin: interessante Ansätze
In den Inszenierungen der „Antigone“-Tragödie tritt Kreon meist als starrsinniger, machtbewusster Herrscher von Theben auf: Ich bin der Staat, ich bin das Gesetz! In Ersan Mondtags „Ödipus und Antigone“ ist dieser Kreon (gespielt von Aram Tafreshian) ein Zauderer mit Fistelstimme. Ein interessanter Ansatz, aus dem man noch mehr hätte machen können…

Alle Spielerinnen und Spieler dieses Abends treten stark überschminkt mit zerfurchten, zombiehaft entstellten Gesichtern auf und tragen purpurne Gewänder, die zwischen Cindy aus Marzahn und liturgisch-sakralen Priestergewändern oszillieren. Diese Kostüme von Josa Marx sind eindrucksvoll und ragen deutlich aus der Berliner Theater-Landschaft heraus. Diese ästhetische Konzept ist interessant, ist sich aber über weite Strecken selbst genug. Mit diesem Pfund hätte die Inszenierung stärker wuchern können.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2017/03/06/oedipus-und-antigone-antiken-projekt-von-ersan-mondtag-am-gorki-theater/
Ödipus und Antigone, Berlin: kühne Setzung
Der Abend pflügt durch die Ödipus-Geschichte, schaut dem umwerfenden Benny Claessens dabei zu, wie er als Heilsbringer und Führer scheitert, wie ein riesenhaftes Kleinkind durch eine Welt schwankt, in die er nicht gehört und zuletzt, nach seinem Ende wie ein die Scheinheiligkeit der Welt entlarvender Narr die überlebenden Zombies heimsucht, die sich längst wieder im aseptischen Innenraum verschanzt haben, um die Außenwelt draußen zu halten, was natürlich nicht gelingt. Geist-Ödipus singt, nichts sei ungeheurer als der Mensch und treibt die panisch schlotternde, untote sieche Gesellschaft hinaus. Dorthin, wo Antigone wartet, die an diesem Abend nicht auftritt, sondern Symbol bleibt. “Antigone. komm!”, ruft der Chor, “Wir machen und Sorgen” und “Rette unsere Stadt!” Die ermüdete, gelähmt Gesellschaft gebiert den Wunsch nach starker Hand, nach dem Führer, der das Volk zurückführt zu imaginierter Größe, der einfache Lösungen hat, der reinigt und klärt und ausstößt. Die Gesetzesverweigerin aus Gewissensgründen Antigone mutiert hier zur populistischen Führerfigur – eine kühne und doch erschreckend stringente Setzung.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/03/06/die-welt-ist-ein-horrorhaus/
Ödipus und Antigone, Berlin: Lesen hat mir mehr gebracht
Theater wollte ich und bekam - Kammeroper mit Musicalsong. Das sah und hörte sich alles ganz schön an und war mir doch am Ende wertlos. Wieder einmal Regietheater: Einfallsgewitter und Obsession. Einfühlungsstopper die Menge - ein wenig Kabarett - Slapstick.Schön bunt. Wieder einmal hat mir das Lesen von Sophokles mehr gebracht als der Theaterabend dazu. Schade. Im Grunde geh ich sehr ins analoge Theater. Da waren mir gleich am Anfang schon die Microports zuviel. Ich wurde gut unterhalten. Mit Denkanregung und Horizontaufriss war nichts. L'art pour l'art. Selbstbeselbigung des Theaterbetriebs.
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