Lolita und Maude

von Georg Kasch

21. Februar 2017. Es kann ein Fluch sein, gut auszusehen und im Rampenlicht zu stehen. Klar, man hat auch jede Menge Vorteile: Erfolg im Beruf, beim Flirten, eigentlich überall, und zuweilen liegt im Aussehen ja auch der Grund, warum man berühmt ist. Aber je erfolgreicher und gutaussehender man ist, desto mehr interessieren sich die Menschen dafür, mit wem man das Schlafzimmer teilt (und wenn mit niemandem: warum nicht).

Früher konnte man googeln, wen man wollte unter den (nach landläufiger Meinung) attraktiven Männern unter, sagen wir 50 Jahren – Manuel Neuer, Justin Trudeau, Johnny Depp – und als Kombinationsvorschlag kam, gleich hinter "Freundin", garantiert: schwul.
Nichts scheint für die Menschen spannender zu sein, als wer mit wem ins Bett geht, und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Google auf vielfältigen Wunsch hin seine Vorschlagspolitik geändert hat. Das Schlafzimmer ist politisch.

kolumne 2p kaschBürgerliche Inszenierung

Entsprechend inszenieren sich Politiker: Meist als Ehegatten, wahlweise mit Kindern. Als Christian Wulff mit seiner Patchworkfamilie in Bellevue einzog, wurde das zum Beispiel ebenso als Symptom für eine sich entspannende Gesellschaft gewertet wie das unkonventionelle Beziehungsmodell von Joachim Gauck. Auch wenn beides medial überinterpretiert wurde, hatte man den Eindruck: Irgendwann ist es wirklich egal, wen öffentliche Menschen in welcher Konstellation an ihrer Seite haben.

Schön wär’s. Gerade ist Wahlkampf in Frankreich. Der Kandidat der Konservativen, lange als sicherer nächster Präsident gehandelt, führt eine vorbildliche Ehe und hat fünf Kinder vorzuweisen, aber auch ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil er seiner Gattin (und damit sich selbst) offenbar Geld überwiesen hat, das ihr nicht zusteht. Plötzlich gilt Emmanuel Macron als Favorit im Kampf gegen Marine Le Pen vom Front National. Der Kandidat der Mitte ist mit 39 verhältnismäßig jung, wirkt jungenhaft, und scheint ohne einen Parteiapparat im Rücken besonders wählbar in einer Zeit, da das politische Establishment ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. Trotz seiner Vergangenheit als Banker und Wirtschaftsminister.

Altersunterschied, mal anders

An seiner Seite: Brigitte Trogneux, 24 Jahre älter als er, seine ehemalige Französischlehrerin. Das ist ein Stoff, aus dem sonst Filme sind: Mrs. Robinson mit Happy End. Und das umgekehrte Modell zum klassischen Fall Trump: alter, reicher Typ mit Modell-Trophäe. Kaum führte Macron in Umfragen, kochte die Gerüchteküche los: Macron ist schwul und nur zum Schein verheiratet. Offenbar gibt es viele Menschen, die sich das nicht vorstellen können: ein derart charmanter Typ mit einer Frau an seiner Seite, die seine Mutter sein könnte? Warum eigentlich nicht? Weil Frauen immer noch in erster Linie gebärfähig und –freudig sein müssen? Weil ein echter Kerl nur auf Idealmaße abfährt? Weil Lolita die gottgegebene Norm und Maude die Ausnahme ist?

Und was ist mit diesem Gerücht erreicht, das in Frankreich offenbar ernsthaft diskutiert wird? Geht es darum, die eher konservativen Wähler*innen auf Nummer Sicher gehen zu lassen? Oder darum, auch Macron ein Glaubwürdigkeitsproblem zu verschaffen – erst die Homestorys vom Eheglück und jetzt ein Doppelleben? Selbst wenn Gerüchte leicht zu widerlegen sind – irgendwas bleibt immer hängen, siehe US-Wahlkampf. Und wer steckt dahinter? Die Konkurrenten? Oder Moskau persönlich? Das würde insofern passen, als Putins Traum von einem postwestlichen Europa eine Marine Le Pen willkommener wäre.

Ist Putin etwa schwul?

Außerdem: Wer auf andere mit dem Finger zeigt, weist mit drei Fingern auf sich selbst. Angeblich steckt Russland hinter den Gerüchten. Ich meine, Russland, Putin, hallo? Wer reitet denn gerne mit nacktem, muskulösen Oberkörper durch die Tundra, zeigt seine Muskeln, zelebriert seine Männerfreundschaften? Wer hat denn seine Gattin eher beiläufig abgesägt? Wer unterdrückt denn die Schwulen im eigenen Land? Wenn das keine Ablenkungsstrategie ist ... Wozu solche Spekulationen führen? Eben – zu nichts. Was wäre gewonnen, wenn Putin schwul wäre? An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.

Apropos Attraktivität und Spekulationen: Niemand käme auf die Idee, Martin Schulz eine schwule Affäre anzuhängen. Glück gehabt.

 

Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt.

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Kommentare  
Kolumne Kasch: Weiterspinnen und Wunsch
Ach ja, wieder einmal dank für die schön treffende Queer-Kolumne. - Wobei natürlich bei dem Ende Martin Schulz und sein Wahlkampfteam sehr zu warnen ist: er muss unbedingt aufpassen, dass er sich nicht zu viel um die Bauern kümmert und den Verbraucherschutz was die Fleischproduktion anbetrifft: der Verdacht der präferierten Sodomie käme sofort auf, auch ungeteilte Schlafzimmer: seeeehr kritisch - wer so lebt, kann nur auf Cybersex stehen!!! - Ja. Nein, das ist wirklich nicht lustig. Es gibt absolut nichts zu gewinnen mit solchen bewusst oder unbewusst in die Welt gesetzten Schlafzimmer-Spekulationen - aber für a l l e fast immer mehr zu verlieren, als man sich vorstellen kann...
Kleine Kritik am Rande: Liebe Redaktion - bitte veröffentlicht doch auch einmal hier wenigstens die schöne Chat-Zusammenfassung vom Heidelberger gut organisierten Iberoamerikanischen Theaterfestival, die Georg Kasch und Janis El-Bira da gemacht haben. Ich finds total schade, dass Ihr zwar auf die Website verlinkt, aber keinen eigenen Beitrag dazu gebracht habt.

(Liebe*r Tutmirechtschade, der Artikel, auf den Sie sich beziehen, ist auf der Festival-Webseite zu "Adelante" veröffentlicht worden, die unabhängig von nachtkritik.de fürs Theater Heidelberg produziert worden ist – hat also nichts mit unserem Programm zu tun, auch wenn ein Nachtkritik-Redakteur und ein Nachtkritik-Autor mitgewirkt haben. Für alle anderen hier aber trotzdem der Link zu dem Beitrag, um den es geht: http://www.adelante-festival.de/de/programm/rahmenprogramm/rahmenprogramm-div/399-zum-abschluss-von-adelante-ein-redakteurs-gespraech // mit freundlichem Gruß, sd/Redaktion)
Kolumne Kasch: eigenständiger Beitrag
Liebe sd/Redaktion - naja, das sehe ich ja total ein! - Ich meinte aber vor allem, dass mir ein eigenständiger Beitrag von Euch (beauftragt) da gefehlt hat - war das so abwegig gedacht?

(Liebe*r Tutmirechtschade, wozu genau? Wir haben aus dem Programm von Adelante die Eröffnungsinszenierung besprochen – vielleicht interessiert Sie das, faslls Sie es noch nicht gesehen haben: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=13613:nimby-not-in-my-backyard-eine-gentrifizierungssatire-des-theaters-heidelberg-in-koproduktion-mit-dem-colectivo-zoologico-chile-beim-iberoamerikanischen-festival-adelante&catid=38:die-nachtkritik-k&Itemid=40 Mit freundlichem Gruß, sd/Redaktion)
Kolumne Kasch: Lust am Leben
Naja, wozu genau? - also dazu, wie Ihr das seht, vor allem empfindet beim Zuschauen! undoder Zuhören, wie sich Traditionen der lateinamerikanischen und deutschen Theater/Dramatik-Landschaften aufeinander beziehen, einander befruchten, wo sie sich überschneiden mit der angelsächsischen Antizipation zum Beispiel. Also dieser dramaturgische Ansatz dieser Triologie, dem dritten Teil, "Die Nichterzählten", dass versucht wird, festliche Rituale und Gewaltrituale wie sie Konfrontation mit Staat hervorbringen, gegenüberzustellen, der ist doch sehr interessant. Das rührt doch an die Grundbedingungen des europäischen antiken Theaters, hebt es aber in die Gegenwart. Das zeigt m.E. das große kreative Potential, das sich theaterkünstlerisch Bahn bricht, wenn wirklich gut und mit Lust am Leben nachgedacht wird über das Private im Gesellschaftlichen und umgekehrt - naja, ich bin kein Kritiker, ich kann das leider nur so ungefähr und phrasenhaft ausdrücken - mist...
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