Mensch, Mörder, Mann

von Ralf-Carl Langhals

Köln, 10. Mai 2008. Zwei verschrobene Gestalten erwarten wortkarg am Wegesrand einen ominösen Dritten. Es ist nicht Godot. Schnee liegt in der Schlosserei des Schauspiels Köln, für das Christoph Nußbaumeder das Auftragswerk "Mörder-Variationen" schrieb. Doch bis sich bei deren Uraufführung "Drei Männer im Schnee" finden, dauert es fünf Akte. Ganz so lustig wie bei Kästner geht es nicht zu, ganz so frustig wie bei Beckett auch nicht. Gelegentliche Längen und einen verrätselten Schluss duldet man gerne, ist der talentierte Volksstück-Erneuerer doch diesmal einen anderen Weg gegangen.

Im Vergleich zu den letzten beiden Uraufführungen des derzeitigen Hausautors am Mannheimer Nationaltheater, wo 2007 "Offene Türen" und "Jetzt und in Ewigkeit" herauskamen, könnte man fast von Handlungsarmut sprechen, würde sie sein Repertoire nicht wesentlich bereichern. Die überbordenden szenische Dichte ist diesmal einer reduzierten wie rhythmischen strukturierten Erzählweise gewichen, die Regisseur Florian Fiedler sensibel begleitet. Vielleicht hat Nußbaumeder auch daher sein philosophierendes am Abgrund heiteres Drei-Mörder-Stück nach musikalischen Kompositionsprinzip "Mörder-Variationen" benannt.

Testkunden für Auftragskiller
M 1 und 2, es mag für Mörder, Mann oder Mensch stehen, im Schnee und unauffälligen Agentenoutfit des 60er-Jahrefilms nebeneinander, getrennt durch eine Schräge und zwei entzückende wie spielpraktische Packpapier-Vorhänge, die Ausstatterin Christin Berg in Thomas Dreißigackers Grundraum gehängt hat. Für Gestrüpp stehen sie, schließlich verbergen sich dahinter Strauchdiebe, gedungene Mörder oder Heckenschützen – Auftragskiller wäre für diese beiden charmant unbeholfenen Zivilversager zu hoch gegriffen.

Sie warten auf ein und dasselbe Opfer, einen blinden Alten, so wurde ihnen vom jeweiligen Auftraggeber "Erbsenzähler" und "Milchmann" geheißen. Schickte der Autor nicht drei (musizierende, weibliche, taube) Testkunden auf die Strecke – kriminalistisch ein leichtes Spiel, sollte man meinen. Schauspielerisch dagegen bleibt es schwierig, dürfen die Mörder doch gegenseitig ihre Identität nicht preisgeben und agieren daher separat und doch miteinander. Eine Herausforderung, der sich Simon Eckert und Aljoscha Stadelmann erfolgreich stellen.

Es zieht sie zueinander diese Mordgesellen von der traurigen Gestalt, die einstigen Raritätenberufler "Taucher" und "Imker" mit Bedarf an Nähe. Sich morden und umarmen, verschaukeln und vertrauen mögen sie. Aljoscha Stadelmann hat dabei ein paar grandiose Nummern auf Lager, einige allerdings auch jenseits der redlichen Publikumskoketteriegrenze, gegen die Simon Eckerts jugendliche Sachlichkeit sich schwer tut.

Finaler Hektikanflug
Durch ein gelungen umgesetztes Geflecht an Ruhe, Gedanke und Pointe, entwickeln wir schnell Sympathie mit den versagenden Kapitalverbrechern, die uns (geschickt gemacht) als Muttermörder und Vergewaltiger doch wieder grausen. Problematisch wird der Abend mit dem Auftritt von Jan-Peter Zimmermann als M 3. Das liegt weniger an seinen süffisant im Ilja Richter Ton gesäuselten BWL'er Weisheiten, sondern an der aus Programmheft und fünftem Akt herausbrechenden Erkenntnis über die zeitgenössische Leibeigenschaft durch das Angestelltenverhältnis, die neo-marxistische Entfremdung, selbstverschuldete Unmündigkeit.

Das sind kluge Grundgedanken, die man gerne auf dem Theater sieht, aber in Köln so tun, als seien sie von Anfang an für alle und jeden unvorbereiteten Zuschauer offen lesbar gewesen. Statt das finale Geschehen mit M 3 "zu erden" herrscht im Finale urplötzlich dramaturgische Thesenverwirrung. Wie nah aber Florian Fiedler bei Nußbaumeder ist und just auf jene Verhedderung auch inszenatorisch mit einem finalen Hektikanflug reagiert nimmt diesem Wermutstropfen jede Bitterkeit.

 

Mörder-Variationen
von Christoph Nußbaumeder
Regie: Florian Fiedler, Bühne: Thomas Dreißigacker, Kostüme: Christin Berg.
Mit: Simon Eckert, Aljoscha Stadelmann, Jan-Peter Kampwirth, Horatio Romano, Jacques Lipschitz und einer Blaskapelle (Mitglieder der Rheinischen Musikschule).

www.schauspielkoeln.de


Mehr Nachtkritiken zu Inszenierungen des jungen Regisseurs Florian Fiedler finden Sie hier (Ibsens Ein Volksfeind am Schauspiel Frankfurt), oder hier (Schillers Kabale und Liebe am Maxim Gorki Theater). Und hier wird die Uraufführung von Christoph Nußbaumeders Stück Jetzt und in Ewigkeit durch Burkhard C. Kosminski am Nationaltheater Mannheim besprochen.

 

Kritikenrundschau

Andreas Rossmann kann in Christoph Nußbaumeders neuem Stück die "Parabel auf ein fremdbestimmtes Leben" erkennen. Nur bis sich die szenische Versuchsanordnung dazu verdichte, bleibe sie so abstrakt wie ominös, findet der Westtheaterkritiker der FAZ (13.5.2008) Auch vermöge die Inszenierung von Florian Fiedler dieser Schwäche "kaum entgegenzuwirken" trotz der "schattierten Figuren", die die Schauspieler abgäben. Es fehle an "konkreter" inszenatorischer "Verortung", um die "kritischen und vielleicht auch clownesken Möglichkeiten des Auftragswerks zum Vorschein" zu bringen. So bliebe die Unternehmung in "der Unverbindlichkeit eines Beckett light hängen". 

In der Kölnischen Rundschau (13.5.2008) schreibt Thomas Linden: "Realismus und Künstlichkeit" lägen in dieser Inszenierung von Florian Fiedler "ständig im Clinch". Wenn sich gegen Ende "turbulente Dinge" ereigneten, inszeniere Fiedler sie trotz Pistolenknallerei "so undramatisch", dass "der Adrenalinspiegel des Publikums nicht die kleinste Steigerung erfährt". Allerdings böten sich in diesem Stück "zwischen gemütlichem Boulevardkrimi und pseudo-philosophischem Gedankenschach" auch kaum Gelegenheiten, "Spannung zu entwickeln". Das "Spiel" erzähle "vor allem von der Ratlosigkeit eines Autors", der "krampfhaft" versuche, "eine Geschichte interessant zu machen". Verrührt würden "die Partikel der Story mit Aphorismen über Freiheit, Leben und Tod", die "Reflexionen" bewegten sich "immer fein säuberlich an der Oberfläche", "Bedeutungslosigkeit" dehne die Zeit, und "beckettsche Absurdität" wolle sich "nicht einstellen".

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