"Dann doch lieber eine Kreuzfahrt!"

24. Februar 2017. In einem offenen Brief des Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins, Ulrich Khuon, der heute verschickt wurde, kritisiert er die Glosse der "Zeit"-Musiktheaterkritikerin Christine Lemke-Matwey, die in der Ausgabe gestern erschienen ist.

Der Text in der linken Seitenspalte der Seite eins des Feuilletons beginnt damit, dass eine Hamburger Reederei demnächst auf die erste deutschsprachige gay cruise, eine Kreuzfahrt für Schwule und Lesben, startet. Wechselt dann zu "Edward II.", das jüngst Premiere hatte an der Deutschen Oper Berlin.

Lemke-Matwey schreibt: "Der Komponist der Oper: schwul. Der Librettist: schwul. Der Regisseur: schwul. Der Dirigent: wissen wir nicht. Der Intendant: schwul. Der Chefdramaturg: auch. So weit, so gut und schon deshalb kaum erwähnenswert, als sich Oper und Homosexualität von Haus aus nahe sind, nicht nur in Berlin. Man fragt sich allerdings, wie die geballte schwule Bühnenkreativwirtschaft ein derart jämmerliches Stück hervorbringen kann. Sprachlich jämmerlich, dramatisch jämmerlich, musikalisch jämmerlich."

Weiter heißt es: "Hätte diese Uraufführung vor 30 oder 40 Jahren stattgefunden und in Bonn, man hätte ihren Mut bewundert oder sich empört. 2017 in Berlin aber fällt sie aus der Zeit". Fazit: "Mozart, Verdi und Alban Berg aber ging es nie nur um Sex, so wie es der Berliner Edward jetzt für sich reklamiert. Hoffen wir, dass das schwule Leben noch anderes zu schätzen weiß. Gute Kunst zum Beispiel. Oder einen Sonnenuntergang auf hoher See zwischen Civitavecchia und Salerno."

Verblüfft und erschrocken

Ulrich Khuon schreibt nun in den offenen Brief, verschickt vom Deutschen Bühnenverein, dass er den Kommentar "verblüfft und erschrocken" gelesen habe, weil er die "beanstandete mangelnde Qualität der Oper kurzschließt mit der Homosexualität des Teams". "Schwul" werde hier als Zuschreibung benutzt, die Menschen auf ein einziges Merkmal zu reduzieren. Die Sprache, die Metaphernfelder und Konnotationen des Kommentars seien in höchstem Maße irritierend. "All dies passt hinein in eine Tendenz forcierter normativer Normalitätswünsche und einen sich schon wieder auflösenden Respekt vor Diversität."

(sik)

 

Der offene Brief im kompletten Wortlaut:

Offener Brief des Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins, Ulrich Khuon, zum ZEIT-Kommentar von Christine Lemke-Matwey

Verblüfft und erschrocken lese ich die Glosse von Christine Lemke-Matwey, der Musikkritikerin der ZEIT, die die von ihr beanstandete mangelnde Qualität der Oper 'Edward II.' in der Deutschen Oper Berlin kurzschließt mit der Homosexualität des Regieteams, ja überhaupt einiger Verantwortlicher in der Deutschen Oper. Das Ergebnis: "jämmerlich", die Verantwortlichen: "schwul".

"Schwul" wird hier als Zuschreibung benutzt, die Menschen auf ein einziges Merkmal reduziert – als wäre klar, welche Träume, Haltungen, Wünsche, Geschmäcker der Komponist, Librettist, Intendant haben, weil sie schwul sind; als wäre damit schon gesagt, um was für Menschen es sich handelt. Das ist ein Merkmal diskriminierender Diskurse.

Die Sprache, die Metaphernfelder und Konnotationen, die hier aufgerufen werden sind in höchstem Maße irritierend. "Schwule" bringen "jämmerliche" Kunst hervor, der schwulen Community wird „ein vitaler Opfersinn“ unterstellt und in der Inszenierung gehe es "nur um Sex", anders als in der "heterosexuell grundierten Operngeschichte" – das reproduziert alte, homophobe Bilder und Zuschreibungen.

All dies passt hinein in eine Tendenz forcierter normativer Normalitätswünsche und einen sich schon wieder auflösenden Respekt vor Diversität. "Man wird doch mal sagen dürfen", lautet die Devise.

Gerade in einer Zeit, in der die Freude am Unterschiedlichen und die Kraft von diversen Gemeinschaften zugunsten einfacher Identitäten vernachlässigt werden, kann sich das Theater als Ort der Kollaboration nicht auf verkürzte Antworten beschränken. Vielmehr kann hier ein gelebter Universalismus, der Differenzen und unterschiedliche Bedürfnisse anerkennt, sie aber nicht wertet, als Entwurf erprobt werden. Das macht viel Arbeit und bedeutet ständige Aushandlung, Reibung, Überprüfung der eigenen Perspektiven und Zusammenhänge – ist aber ein Weg, über sich und die eigenen Horizonte und Begrenzungen hinauszuwachsen.

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