Tendenz zur Geheimnislosigkeit

von Esther Slevogt

Berlin, 10. Mai 2008. Nicht, dass es im Verlauf der Debatte keine anregenden Momente gegeben hätte. Zum Beispiel als Ulrich Khuon, Intendant des Hamburger Thalia Theaters, die aktuelle Dominanz von Bühnenbildern im gegenwärtigen Regietheater nicht ganz so euphorisch bewerten mochte, wie die anderen Kollegen auf dem Podium: Die Frankfurter Intendantin Elisabeth Schweeger zum Beispiel, die den Einfluß der bildenden Kunst auf aktuelle Bühnenbilder feierte, die nicht mehr illustrierten, sondern eigenständige Werke seien; Kampnagel-Chefin Amelie Deuflhard, die überhaupt die Räume immer wieder zum Hauptfaktor für Theaterprojekte erklärte.

Oder der Kritiker und Theatertreffen-Juror Stefan Keim, der noch einmal frisch euphorisiert aus der Installation Die Erscheinungen der Martha Rubin zurück gekehrt war, deren Einladung zum Theatertreffen er impulsgebend befördert hatte und nicht müde wurde, das Projekt zum ultimativen Erfahrungsraum zu erklären.

Khuon gab aber dann doch eher Kritisches zu Protokoll. Nein, als Dominanz des Bühnenkonzepts wolle er diesen Trend nicht bezeichnen. Eher als Tendenz zur Geheimnislosigkeit. Denn die Bühnenbilder, um die es hier wohl gehe, seien zwar oft spektakulär, aber eben auch so starke Setzungen, dass eigentlich bereits im ersten Augenblick alles Pulver verschossen sei. Bühnenbilder von Katja Haß oder Anna Viebrock beispielsweises gelte es im Lauf einer Aufführung zu entdecken und zu enträtseln. Bei den Bühnenbildern, die im Moment Furore machten, sei vom ersten Moment an alles klar.

Alte Rede von neuen Orten

Trotzdem hatte die Diskussion insgesamt nur wenig mit dem Titel zu tun, unter dem sie angekündigt war: "Second Life im Live-Format. Theater auf der Suche nach neuen Orten". Denn der bezog sich auf die bereits etwas verblasste Prominenz der virtuellen Welten der Internet-Plattform Second Life, wo es möglich ist, als digitaler Klon in einer Online-Welt ein zweites Leben zu führen, und in deren Hochzeiten sogar Weltkonzerne dort virtuelle Filialen eröffneten.

Jetzt habe die Künstlerformation SIGNA, so Stefan Keim in seinem Begründungstext im tt-Katalog, in der ganz physischen Wirklichkeit eine Welt geschaffen, die es dem Zuschauer erlaube, sich "wie in einem Realität gewordenen Computerspiel" zu bewegen. Und weil sich das Theater ja immer wieder gern selbst als Medizin gegen alle möglichen Zivilisationskrankheiten beschreibt, kann man ihm dieser Deutung zufolge bei SIGNA nun als Bezwinger des Virtuellen begegnen.

Doch leider wurde dieser Denkvorstoß als Steilvorlage für tiefer gehendes Fragen nach neuen Theaterformen und der Rolle des Theaters zwischen der "Hyperrealität der Blockbuster" (Ulrich Khuon) und den simulierten Welten des Virtuellen dann aber gar nicht aufgegriffen. Stattdessen ging es hauptsächlich um "neue Orte" als Schauplätze von Theater, was ja nicht wirklich eine neue Fragestellung ist. Denn den Alleinvertretungsanspruch des Guckkastens ficht das Theater schließlich schon seit mindestens einem halben Jahrhundert an.

Der Schauwert der Schauplätze 

Und so nutzten besonders Amelie Deuflhard und Elisabeth Schweeger das Podium immer wieder, ihren eigenen Theaterbegriff zu promoten. Speziell Amelie Deuflhard feierte noch einmal ihre Projekte aus der Berliner Zeit, als sie die künstlerische Leiterin der Sophiensaele war. Doch ihren Schauwert bezogen diese Projekte oft eher aus dem Sensationscharakter der Schauplätze und weniger aus der künstlerischen Qualität. Stichwort Volkspalast beispielsweise, die künstlerischen Zwischennutzung des ehemaligen und inzwischen im Abriss befindlichen Palastes der Republik in Ost-Berlin. Dort hatten zwei Sommer lang allerlei Projektlein Bedeutung und Mythos des Orts genutzt, mitunter eher mediokre Veranstaltungen atmosphärisch und inhaltlich aufzuladen.

Hier machte der höfliche Ulrich Khuon dann ein paar süffisante Bemerkungen zum Thema "Location": Die Theater sollten nicht überall "herumwuseln" und glauben, dass die "Location" schon die halbe Inszenierung sei. "Wenn das Theater so denkt, ist auch schon Feierabend!"

Trotzdem plapperte man munter weiter und wäre nicht der ebenso lebensklug wie subtil argumentierende Khuon sowie der allein schon durch seine Begeisterungsfähigkeit einnehmende Stefan Keim gewesen, es wäre ein fades Stündchen geworden, das viele aktuelle und wichtige Themen ansprach, ohne sie freilich auch nur im Ansatz zu diskutieren.

Und immer wieder Martha Rubin 

In der letzten viertel Stunde ging es dann doch noch ein bisschen um die SIGNA-Performance. Während Keim überschwänglich die Verwandlung des Zuschauers zum empathiefähigen Mitgestalter der Veranstaltung pries, wiegelte der Regisseur und Bühnenbildner Michael Simon ab: traditionell psychologische Theateraufführungen könnten das Gleiche bewirken. Er beschrieb seine Erfahrungen bei einer Aufführung von Andrea Breths Inszenierung von "Hedda Gabler" mit Ulrich Matthes und Corinna Kirchhof in der Berliner Schaubühne vor etwa zehn Jahren, wo er fast auf die Bühne gesprungen sei, so unerträglich habe er das Verhalten des von Matthes gespielten Tesmann gefunden.

Khuon fand in gewohnt freundlicher Zurückhaltung die Performance interessant, aber doch in Vielem nicht ganz ausgereift. Elisabeth Schweeger kritisierte die mangelnde Möglichkeit des SIGNA-Zuschauers zu "reflexiver Distanz". Man werde verführt zu leben, fügte sie naserümpfend hinzu: "Doch das hat nichts mit Kunst zu tun!" 

Aber wozu dann das ganze Theater?

 

Second Life im Live-Format. Theater auf der Suche nach neuen Orten
Podiumsdiskussion II, Theatertreffen 2008

Mit: Amelie Deuflhard, Stefan Keim, Ulrich Khuon, Elisabeth Schweeger und Michael Simon. Moderation: Susanne Burkhardt und Jürgen König, Deutschlandradio Kultur

www.berlinerfestspiele.de

 

Hier unser Bericht zur Podiumsdiskussion I beim Theatertreffen 2008: Staat Macht Moral. Staat Macht Moral. Auf der Suche nach Strippenziehern.

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