Kind im Bestatteranzug

von Ulrike Gondorf

Essen, 3. März 2017. Es klingelt. Der Tod steht vor der Tür. Und will den namenlosen Helden der Geschichte abholen. So beginnt der Roman "Sophia, der Tod und ich", mit dem der Musiker und Songwriter Thees Uhlmann es im vorletzten Bücherherbst auf die Spiegel-Bestseller-Liste geschafft hat. Mit seinem Debüt als Schriftsteller.

Natürlich ist der Tod des Helden hier nicht der Schluss, sondern der Anfang der Geschichte. Sein halbherziges Feilschen mit dem Tod hat zwar keine Wirkung, das ist der gewohnt und das bringt nichts. Aber dass es plötzlich noch einmal klingelt mitten im Übergang ins Jenseits, ist nicht vorgesehen im routinierten Plan. Diesmal ist es Sophia, die Ex, die ebenfalls zum Aufbruch drängt: zum versprochenen Besuch bei der Mutter des Todeskandidaten. Sie machen also die Reise zusammen, aus den angekündigten drei Minuten werden drei Tage. Und für alle drei werden es die besten ihres Lebens.

Roadtrip zwischen Himmel und Hölle

Auf der Bühne des Essener Grillo-Theaters ist Stefan Diekmann der Held auf Abruf. Nerd-Brille, hängende Schultern unterm großkarierten Flanellhemd. Ein bisschen verhuscht, ein bisschen schlecht gelaunt, nervig und genervt. Eine Klage grundiert all die vielen kleinen Widrigkeiten des Alltags: er hat einen achtjährigen Sohn, den er nicht sehen darf und dem er täglich eine Postkarte schreibt. Auch für den scheinbar allmächtigen Tod gibt es einen Stachel: er jammert darüber, der Vollstrecker eines unabwendbaren Schicksals zu sein. Er hasst es, gehasst zu werden. Und nicht zu wissen, was das Leben ist, an das sich seine Kunden gewöhnlich winselnd klammern. Unter dem korrekten Outfit des Bestatters, das Jens Winterstein mit Würde trägt – schwarzer Anzug, schwarze Krawatte – steckt ein neugieriges, mutwilliges, durch und durch gutmütiges Kind.

SophiaderTodundich1 560 Kaufhold Martin uCarpe-diem-Postkarten an den eigenen Sohn: "Sophia, derTod und ich" © Kaufhold Martin

Horaz forderte "Carpe Diem“, die Ratgeber von heute nennen es Achtsamkeit. Es ist also keine neue Lösung für das letzte Rätsel, die Thees Uhlmann in seinem sympathischen Unterhaltungsroman zu bieten hat. Aber auch wenn jeder weiß, dass jeder Tag der letzte sein könnte, wer setzt das schon um im Alltag? Und ein schräges Roadmovie voller schrulliger Typen, vertrauter Familiengeschichten, schlagfertiger Dialoge und einem Schuss Science Fiction ist eine angenehme Art, noch mal Nachhilfe zu nehmen für diese Lektion. In diesem Sinne funktioniert auch der Theaterabend in Essen. Es wird viel gelacht. Und gelegentlich macht sich auch ein bisschen Rührung breit, wenn der Aufschub gerade dann zu Ende gehen muss, als der Vater endlich seinen kleinen Sohn wiedergefunden hat. Auf der Klaviatur von Witz und Sentiment spielt der Text ziemlich ergiebig.

Sympathisch-boulevardeske Pointen

Trotzdem wird einem im Laufe der Bühnen-Uraufführung von "Sophia, der Tod und ich" immer klarer, dass man das alles besser lesen als im Theater anschauen sollte. Paradoxerweise weil die Geschichte so sehr auf Sprache und einen Dialog voll boulevardesker Pointen setzt. Ob da noch mehr wäre, was man zum Leben erwecken könnte, das haben der Regisseur Tilman Gersch und die Dramaturgin Jana Zipse mit ihrer Essener Bühnenfassung jedenfalls nicht deutlich gemacht.

SophiaderTodundich2 560 Kaufhold Martin uZiemlich bunte Truppe in "Sophia, derTod und ich" © Kaufhold Martin

Sie halten sich eng an die Vorlage, übernehmen viele Dialoge. Stefan Diekmann ist als Held der Geschichte zugleich ihr Erzähler. Es entsteht ein ständiger Wechsel zwischen einer Art innerem Monolog und szenischen Momenten. Wenn man den Text flott liest, wird man vorangetragen von Pointen, schrägen Perspektiven, einer originellen, manchmal auch ein bisschen originalitätssüchtigen Schilderung. Aber sobald die Figuren aufhören zu reden, hören sie auf zu existieren. Es gibt nichts zu "spielen", nichts, was man durch Beobachtung erst durchdringen könnte, jedenfalls nicht in dieser Essener Fassung und Inszenierung.

Bühnenbild als Bremsklotz

Am Besten läuft das alles, wenn es schnell läuft, und Stefan Diekmann und Jens Winterstein sind gut im Komödientiming und jonglieren schlagfertig mit Pointen. Aber als Regisseur arbeitet Tilman Gersch immer wieder gegen diese boulevardeske Geläufigkeit. Es gibt stumme oder musikalische "Zwischenspiele", am meisten aber bremst das Bühnenbildkonzept. Man sieht lauter übergroße Postkarten, wie der Erzähler der Geschichte sie an seinen Sohn schreibt. Und darauf müssen die Akteure szenenweise ihr Bühnenbild selbst malen, in dieser Baukastenlandschaft müssen sie herumklettern, die Elemente immer wieder verschieben. Wozu? Es gibt nichts zu tun, es entstehen keine Räume, es kommt nichts ins Schwingen zwischen Text und Aktion. "Sophia, der Tod und ich" schnurrt ab wie ein Comic: ganz lustig, aber flach.

Sophia, der Tod und ich
Uraufführung
Nach dem Roman von Thees Uhlmann, Bühnenfassung von Tilman Gersch und Jana Zipse
Inszenierung: Tilman Gersch, Bühne und Kostüme: Henrike Engel, Dramaturgie: Jana Zipse, Licht: Darius Engineer.
Mit: Stefan Diekmann, Jens Winterstein, Stephanie Schönfeld, Ingrid Domann, Jan Pröhl.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-essen.de

 

Kritikenrundschau

Tilman Gersch verlasse sich auf die Leichtigkeit des pointensatten Textes und die Spielfreude des Ensembles, die Bühnentauglichkeit der Vorlage lote er nur ansatzweise aus, schreibt ein nicht genannter Rezensent in der Westfälischen Rundschau (6.3.2017). "Vieles bleibt mehr Skizze statt Szene." Aber es sei ein kurzweiliger Abend, und die Leichtigkeit des Textes "überspielt nicht nur die ausgeblendeten Tiefen des Themas, sondern auch den vagen Inszenierungs-Zugriff".

"Die leicht überzeichnet agierenden Protagonisten liefern sich ein boulevardesk-pointiertes Dialog-Pingpong in der comic-mäßigen Inszenierung", schreibt Britta Helmbold in den Ruhrnachrichten (6.3.2017) – "Zu spielen gibt es nicht viel."

Kommentare  
Sophia, der Tod und ich, Essen: wunderbar ausbalanciert
Vielleicht wäre es einer Erwähnung wert gewesen, dass es dem Großteil des Publikums offensichtlich anders ging als Ihnen, Frau Gondorf. Der frenetische Applaus jedenfalls ließe darauf schließen. Ja, es wurde gelacht, und das nicht unter Niveau. Und es gab höchst berührende Momente. Man hätte viel falsch machen können bei diesem heiklen Thema, schwarzer Humor ist ja nicht jedermanns Sache. Ich war dankbar für die Leichtigkeit der Inszenierung und fand sie deshalb noch lange nicht flach, sondern wunderbar ausbalanciert zwischen Heiterkeit, Ironie und Melancholie
Sophia, der Tod und ich: einen Nerv getroffen
Ein etwas selbstbezogener, aber auch selbstironischer, unentschlossener Held - "ich" aus dem Titel -, der immer wieder erzählt; der nicht mal beim Sterben den Absprung schafft und sich nach einer Gemeinschaft sehnt ("You'll never walk alone"). Ein Tod, der, wenn es um den Tod geht, stark und entschlossen ist, der aber vom Leben nichts versteht und darin kindlich und naiv ist - wunderbar facettenreich dargeboten von Jens Winterstein. Sophia, die sich glücklicherweise nicht nur anatomisch von ihrem Vater unterscheidet - mit der Abgeklärtheit und der Zuneigung einer Ex-Freundin; bei Stephanie Schönfelds Interpretation wird man selbst "poloniaphil". Eine Mutter, die, von Ingrid Domann mit Gefühl und Witz gespielt, mit Kittelschürze und robuster Zuneigung noch die Rollen des 20. Jahrhunderts verkörpert. Und ein Sohn Johnny (mit Jott wie in Josef, nicht mit Dsch wie in Dschingis Kahn), der liebevoll als Sohn von "ich" gestylt, aber als rich kid der Mutterfamilie ausstaffiert ist. Und das alles in die Postkartenwelt von "ich" gestellt, um den es in diesen letzten Stunden geht. Ein intergalaktischer Zweikampf zwischen den Toden in Zeitlupe - und wir fiebern mit dem "guten Tod", der "ich" - und auch "mich" - sanft hinüberbringt. - Tilman Gersch und Jana Zipse ist eine Bühnenfassung gelungen, die in vielem "original-getreu" ist, die aber durch Bühnenbild und Musik (der Tod singt mit: "Hölle, Hölle, Hölle") in einer Schwebe zwischen Anschauung und Phantasie bleibt. Bei dem höchst gemischten Publikum - Essener Bürgertum, Intellektuelle, Künstler, Pensionäre, Studenten und Schüler - hat die Inszenierung einen Nerv getroffen. Das haben sie mit anhaltendem, ins rhythmische Klatschen übergehenden Applaus zum Ausdruck gebracht. - Besser im Theater anschauen!
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