Der König tanzt

von Falk Schreiber

Hamburg, 8. März 2017. Der Diktator hat Humor. "We are the press", singt er zur Melodie der Charity-Schnulze We are the world, "we are objective, we are reporting in the name of truth and always neutral ... We're here to make a better world for you and me". Und als die Gesangseinlage vorbei ist, zeigt er, was er wirklich von der Presse hält: "Habt ihr eine bessere Welt geschaffen? Eure Scheißkameras sind Waffen! Ich hasse Journalisten!"

An die Orgel gefesselt

Viele Großmimen wollen irgendwann einmal eines der ärgsten Monster der Weltgeschichte spielen. Forest Whitaker etwa war Idi Amin, Bruno Ganz Adolf Hitler, Ulrich Matthes Joseph Göbbels. In ihren besten Momenten zeigten diese Performances die Leutseligkeit der Macht, die politische Intelligenz der Autokraten, ohne die Gefährlichkeit diktatorischer Systeme zu verharmlosen. Ein Ausnahmeschauspieler wie John Malkovich beherrscht das natürlich ebenfalls – sein fiktiver Diktator Satur Diman Cha ist ein lauernder Charmeur, ein sanfter Typ mit tonloser Stimme und leichtem Fantasiedialekt, der seine eigene Position mal ironisch, mal selbstkritisch reflektiert, während er einem Gefangenen einen Revolver an die Stirn drückt. Mit anderen Worten: Es ist ein Vergnügen, Malkovich zuzusehen, wie er sich durch die Hamburger Elbphilharmonie schlängelt. Ganz große Schauspielkunst. Die selbst durch ein Stück wie "Just call me God" nicht nennenswert beeinträchtigt wird.

 just call me god 560 jann wilken uWenn er schon mal da ist, kann man ihn auch gleich doppeln: John Malkovich als Diktator in der Elbphilharmonie © Jann Wilken

Komponist Martin Haselböck und Regisseur Michael Sturminger haben hier offiziell Musiktheater in der für Performatives nur bedingt geeigneten Konzerthalle inszeniert; tatsächlich ist der Abend aber mehr oder weniger ein Zwei-Personen-Sprechtheaterstück, das immer wieder in ein szenisches Konzert übergeht. Der Diktator hat sich in seinem privaten Konzertsaal verkrochen, während vor den Toren eine Revolte tobt. US-Soldaten dringen mit einer Journalistin in das Versteck ein, letztere bittet, nachdem die Militärs aus dem Hinterhalt ausgeschaltet wurden, den Gewaltherrscher um ein Interview. Der fesselt derweil den Feldkaplan (Komponist Haselböck himself) an die Orgel, auf dass dieser spiele, Bach zunächst, dann Procul Harum, gegen Ende zunehmend Neutönerisches.

Überwältigungstheater

Das Stück also ist so wichtigtuerisch wie formelhaft. Und es lädt Malkovich ein, die jämmerliche Handlung zu einer Solonummer umzugestalten, allein: Wie Malkovich diese Solonummer anlegt, das haut einen um. Wie er Diktator Muammar al-Gaddafi zitiert, ohne den ehemaligen Gewaltherrscher Libyens platt zu kopieren. Wie er in einem fulminanten Monolog den Ball des Unrechts ins Feld der freien Welt spielt. Wie er böse Witze macht, wie er "Fake News" anprangert oder stolz verkündet, dass sein Konzertsaal lange vor dem eigentlichen Eröffnungstermin fertiggestellt worden sei, wie er Lacher im Publikum provoziert, das ja um die endlose Geschichte der Elbphilharmonie mit ihren zigfach verschobenen Eröffnungen weiß. Wie sich die Zuschauer also solidarisieren mit einem Schlächter, nur weil er einiges an Unterhaltungswert mitbringt – das ist so spannend wie vielschichtig.
Außerdem bläst einen die sagenumwobene Orgel der Elbphilharmonie weg, zumindest nachdem Störgeräusche während der ersten Viertelstunde eliminiert wurden. Mit diesem Instrument lappt "Just call me God" ins Überwältigungstheater, und weil die Orgel im Programmheft durchaus stimmig als Instrument der Macht erklärt wird, passt das. Dieses ganz klar an den Ort gebundene Überwältigungstheater soll im April für zwei Aufführungen in den Konzertsaal der Münchner Hochschule für Musik und Theater transferiert werden – also in den ehemaligen "Führerbau" der NSDAP.

just call me god 560a jann wilken uSträfliches An-die-Wand-spielen: John Malkovich, Sophie von Kessel © Jann Wilken

Doch: Malkovichs Spiel zuzusehen, ist ein fieses Vergnügen; dass die Inszenierung aber zulässt, wie der Star des Abends eine hochverdiente Schauspielerin wie Sophie von Kessel (als Journalistin, die schon in der Figurenbeschreibung als "attractive and successful" trivialisiert wird) einfach an die Wand spielt, ist sträflich. Überhaupt, die Inszenierung! Regisseur Michael Sturminger sorgt im Grunde vor allem dafür, Malkovichs Performance möglichst reibungsfrei ablaufen zu lassen: Der König tanzt, man störe ihn nicht! Davon abgesehen ist der Abend szenisch von nahezu erschreckender Einfallslosigkeit. Diese Inszenierung ist schlicht ein Abbild dessen, was ohnehin gesagt wird, und selbst das ist angesichts der dürftigen Vorlage nicht besonders ergiebig.
"Just call me God" ist die dritte gemeinsame Arbeit des Teams Haselböck-Sturminger-Malkovich, mit der Serienkiller-Performance "The Infernal Comedy" und dem Casanova-Stück "The Giacomo Variations" gastierte das Trio unter anderem in Hamburg. Der jüngste Abend aber ist kein Gastspiel, sondern ein Auftragswerk der Elbphilharmonie, und es ist die Frage, ob das Konzerthaus, das seine Position in der Hamburger Kulturlandschaft erst noch finden muss, sich mit diesem Auftrag einen Gefallen getan hat. Nicht weil der Abend nicht seine Momente hätte, sondern weil er nicht weiß, wo er hin möchte, weder inhaltlich noch formal, als eigenartiges Zwischending zwischen den Genres und seinem Anspruch als Starvehikel.

 

Just call me God – A Dictator's final Speech (UA)
von Martin Haselböck (Musik) und Michael Sturminger (Text)
Musikalische Leitung: Martin Haselböck, Regie: Michael Sturminger, Ausstattung: Renate Martin, Andreas Donhauser
Mit: John Malkovich, Sophie von Kessel, Martin Haselböck, Errol T. Harewood Trotman, Felix Dennhardt, Josef Rabitsch, Valentin Ledebur und Franz Danksagmüller (Live-Elektronik).
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.elbphilharmonie.de

 

Mehr dazu: Der NDR sendete Bilder von den Proben zu "Just call me God" und stellte ein paar Fragen an John Malkovich.

 

Kritikenrundschau

"Der Tyrann, der Bach liebte" ist Peter Kümmels Rezension in der Zeit (16.3.2017) überschrieben. Der Abend sei ein Kammerspiel mit Zug zur Welterklärung, "eine Psycho-Angelegenheit in bombastischer Umgebung". Ohne Malkovich wäre es nichts, "das Stück ist ein Tourneevehikel mit einem irrichternden Weltstar an der Spitze, einem grandiosen Bestiendarsteller, der großteils monologisch über eine Bühne gleitet."

Der Abend läuft mittlerweile auch in Wien am Konzerthaus und Christoph Irrgeher schreibt in der Wiener Zeitung (14.3.2017): "Just call me God" wolle vor allem Luftraum sein für die delikaten Wortgirlanden des John Malkovich, aber auch eine Detonationsfläche für dessen eruptive Seite. "Nur leider: Der Abend läuft auf eine doppelte Denunziation hinaus. Durch seine Monologe und Schauerorgelmelodrame (Malkovich brüllt, das Instrument auch) zu einer Art Höllenfürst aufgebaut, erhält die Figur im Laufe ihres letzten Interviews nur ein paar Psychopathen-Facetten dazu. Womit es bei einem Schreckgespenst bleibt, von dem sich jeder im Saal wohlig entfernt fühlt. Viel Beifall, am Mittwoch darf Amsterdam Monster-Schauen."

Malkovichs Despot bilde eine Mischung aus Saddam Hussein, Gaddafi und Idi Amin dar, schreibt Hubert Spiegel in der FAZ (10.3.2017). "Die Ambitionen der Regie halten sich in Grenzen. Nichts soll vom Star ablenken." Malkovich sei "tatsächlich eine Wucht an Präsenz und Präzision, ein psychopathischer Komödiant der Macht, giftig und schillernd wie eine Viper". Jedoch: "Man mag vielleicht auf allen Plätzen der Elbphilharmonie gleich gut hören, aber fürs Schauspiel ist dieser Saal nicht ideal." Malkovich sei einige Male kaum zu verstehen.

Manuel Brug von der Welt (10.3.2017) sah "das alte Spiel zwischen der Schönen und dem Biest, die Erotik der Macht, die Hilflosigkeit der bis zum Stockholm-Syndrom ihrem Geiselnehmer ausgelieferten Gefangenen samt ihren scheiternden Manipulationsversuchen". Das toughe Charisma Sofie von Kessels verhindere, dass ihre Caroline Thomas nur Stichwortgeberin bleibe, "auch wenn sie dem aasigen Hyänencharme des dauerlauernden John Malcovich auch nicht wirklich gewachsen ist." Malkovich spiele "ein Alphatierchen, das sich nie geschlagen gibt, nonchalant über die Codes des Herrschens und die Tricks der Einschüchterung verfügt".

"Malkovich zeigt in anderthalb Stunden packend die Masken und Abgründe eines Gewaltherrschers", so Daniel Kaiser vom NDR (9.3.2017). Die eigentliche zweite Hauptrolle spiele an diesem Abend die Orgel. "Die Idee ist gut: die große Orgel als Macht-Instrument, so wie sie schon die römischen Kaiser und auch die Nazis einsetzten. Doch die Musik-Dosis stimmt nicht immer. Da erdrückt der Klangteppich schon mal die englischen Texte, bei denen mancher im Publikum auch ohne Musik schon seine Schwierigkeiten hat, sie zu verfolgen." Mehrmals setze Regisseur und Autor Michael Sturminger dann noch auf einen technisch verstärkten und verfremdeten Cluster- und Schrei-Effekt. "Da versteht man dann gar nichts mehr."

Steilvorlage für Sturmingers Kammerspiel seien praktisch alle Mörder und Verführer, die Malkovich je auf die Leinwand brachte. "Ihm gegenüber müssen sich die Journalistin Caroline Thomas, gespielt von Sophie von Kessel vom Münchner Residenztheater, und die Orgel, gespielt von Haselböck, behaupten. Doch daraus will kein Abend werden", schreibt Frauke Hartmann in der Frankfurter Rundschau (9.3.2017). "In dem trivialen Man-Frau-Duell (sic!), dass Sturminger dieser Produktion erneut zugrundegelegt hat, spielt sich zwischen Malkovich und von Kessel weder ein glaubhafter obszöner Flirt noch sonst etwas ab." Alles wirke gestellt und aufgesagt.

"Das Stück hat nichts Dokumentarisches und Malkovichs Spiel schon gleich gar nicht", schreibt Egbert Tholl anlässlich der Münchner Premiere von "Just call me god" in der Süddeutschen Zeitung (10.4.2017). Malkovich spiele nicht auf ein Argument hin, "er spielt einen selbstgefälligen Gott, spielt Macht und die Mechanismen der Macht." Sophie von Kessel als sein Gegenüber erweise sich "nicht nur im Umgang mit der englischen Sprache" als ebenbürtig. "Sie gibt ihrer Figur Anflüge von psychologischer Evidenz mit, entreißt dem Diktator einmal die goldene Pistole im Blick auf den toten Geliebten." Aber Schlüssigkeit sei nicht das Hauptmerkmal dieses Abends. "Sondern eben das Spiel", so Tholl und noch einmal begeistert von den beiden Darstellern: "Beide sind sexy, Sophie von Kessel klar und schön wie nie, Malkovich kaum zu fassen, blitzschnell."

 

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