Und ewig lockt das Weib

von Andreas Thamm

Hof, 31. März 2017. London eignet sich traditionellerweise gut für Mord. Die Leiche findet man dann logischerweise in der Themse. In diesem Fall fehlt der größte Teil, es handelt sich bloß um einen Kopf, in einem Rucksack. Detective Inspector Charlie Lee und Detective Sergeant Ignatius Stone nehmen die Ermittlungen auf. Und im Hintergrund klimpert Nick Caves Red Right Hand, wie sich das gehört, wenn ein Mord stattgefunden hat. Das gab es auch schon im deutschen TV. Passt halt sehr gut.

Das Theater Hof zeigt "Three Kingdoms" von Simon Stephens. Die drei "Königreiche", das sind England, Deutschland und Estland. Die Hofer Produktion beschränkt sich im Gegensatz zu früheren Inszenierungen auf die deutsche Sprache und erspart dem Publikum den Zusatzaspekt babylonische Sprachverwirrung.

Kuddelmuddel im Rotlichtviertel

Das Stück hat auch so schon genug Kuddelmuddel zu bieten. Der Kopf im Rucksack gehört zu einer Prostituierten, Vera Petrova. An ihren Schläfen ist viel Blut ausgetreten, die Wunden stammen offenbar von einem Schraubstock. "Dann hat sie zum Zeitpunkt der Enthauptung gelebt", weiß Stone. Stimmt. Zu sehen ist davon nichts, trotzdem ist das Stück ab 18, der "milieubedingten Drastik der Handlung und Sprache" wegen. Na gut: Das Wort "Fotze" führt hier tatsächlich jeder hin und wieder mal im Mund. Die Gewaltdarstellung aber erinnert aber doch eher an Wrestling-Shows. Zackbumm.

ThreeKingdoms2 560 H Dietz Fotodesign uVernehmung auf die harte Tour. Ralf Hocke (Charlie Lee), Oliver Hildebrandt (Georg Kohler), Jörn Bregenzer (Steffen Dresner), Dominique Bals (Ignatius Stone) © H. Dietz Fotodesign

Die Spur führt die beiden Ermittler von der Kollegin der Ermordeten zum rassistischen Zuhälter und nach Hamburg. Im Haar hatte sie nämlich Sperma eines Hamburgers. Auch dort gibt es eine Prostituierte und einen Zuhälter, diesmal mit Glitzerjackett statt Unterhemd. Der Kollege, Steffen Dresner, unterstützt die Ermittlungen, ein ekliger Typ, der gern Travolta-mäßig tanzt und düstere Geheimnisse aus Ignatios Vergangenheit in Heidelberg aus den Akten kramt.

Und jetzt, nach all dem ziemlich konventionellen und bekannten Hin-und-her-Gerenne und den ermüdenden Verhören nach wenig überraschendem Schema, wird es doch noch interessant. Der Gute trägt das Böse in sich. Ignatio wurde damals, in Heidelberg, zwangsexmatrikuliert, weil er sich von einer 14-Jährigen entjungfern ließ. Freud lässt ordentlich grüßen und Dresner tanzt wieder eklig und hat nun etwas gegen den Kollegen in der Hand.

Auch diese Motivik ist freilich nicht neu. Der Ermittler ist überwältigt vom Trauma und verführt von den Frauen, die ihm alle so bekannt vorkommen. "Trink nicht so viel", hatte Stones hysterische und kriminell junge Frau Caroline ihm zum Abschied gesagt, aber natürlich trinkt Stone zu viel. Er hat seit fünf Tagen nicht geschlafen. "Ich fürchte mich vor dem Schlafengehen", verrät er der Unbekannten aus dem Hamburger Hotel.

ThreeKingdoms1 560 H Dietz Fotodesign u Ermittler bei der Arbeit. Marina Schmitz, Dominique Bals, Jörn Bregenzer, Peter Kampschulte, Susanna Mucha © H. Dietz Fotodesign

Stone entgleitet die Kontrolle, er schlittert in den Wahn. In Estland sind die Frauen sexy und der Wodka sonderbar süß. Dresner und Stone finden den Mädchenhändler Rebane und prügeln ihn windelweich. Die Krimiebene weist wenig Hürden, wenig Komplexität auf: Von A nach B, aufs Maul und weiter zu C. Leider gilt ihr der Fokus der Inszenierung von Frank Behnke. Das Bühnenbild mit Leucht-Hintergrund, schiefer Ebene und versteckten Treppen verspricht eigentlich einen schillernd-psychedelischen Spaß, eine Fahrt in den Abgrund dieser Psyche. So wirklich abgründig will der Abend aber nicht werden, dafür ist das Spiel, die ganze Anlage dann leider zu brav, die Regie zu ideenarm.

Vollgepumpt mit Ironie

Vieles wirkt letzten Endes zu unentschieden. Der Krimi kann so keine Spannung entwickeln, die Psychologie verspielt ihr verstörendes Potential. Auch in manchen Dialogen scheint den Schauspielern nicht klar zu sein, ob realistisch dargestellt oder überspitzt und überzeichnet werden soll. Dennoch: Dominique Balls als Ignatius Stone müht und windet sich überzeugend. Mit ihm erlebt der Zuschauer eine Entwicklung vom Lederjacken-Standard-Bullen zum Besudelten, der sich möglicherweise selbst schuldig gemacht hat. Auch Oliver Hildebrandt als schmieriger Andre Rebane und Ralf Hocke als mit britischer Ironie vollgepumpter Charlie Lee machen Spaß.

Zwischen den Frauenfiguren herrscht dafür wenig Konturenschärfe. Das Verwirrspiel, das sie mit Ignatio anstellen, inszenatorisch durch die Doppelbesetzung umgesetzt, wird nicht wirklich herausgearbeitet. Die eigentliche Qualität von Stephens Stück, die weniger im Plot und mehr in der Sprache liegt, drückt sich dennoch immer wieder durch. Zum Beispiel wenn Dresner, der eigentliche Bösewicht, Ignatio rät, nie wieder die Augen zu schließen: "Sonst steht das Innere deines Kopfes in Flammen."

 

Three Kingdoms
von Simon Stephens
Regie: Frank Behnke; Bühne und Kostüme: Frank Albert; Dramaturgie: Thomas Schindler.
Mit: Ralf Hocke, Dominique Bals, Florian Bänsch, Susanna Mucha, Thomas Hary, Marina Schmitz, Marco Stickel, Jörn Bregenzer, Oliver Hildebrandt, Marina Schmitz, Peter Kampschulte. 
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause

www.theater-hof.de


Kritikenrundschau

Frank Behnkes "mutig anstößige Inszenierung" von "Three Kingdoms" gewinne "verstörend (...) Tiefe", schreibt Michael Thumser in der Frankenpost (3.4.2017). "Sachlich wie einen schonungslosen Kinoreißer" lasse der Regisseur "das Spiel beginnen, aber in den Bildern vermeidet er Realismus von Anfang an." Dann reiße er das Geschehen "mit aller Gewalt (...) in die Fetzen einer zerstörerischen Horrorvision." Das "kantig, gleichwohl geschlossen aufspielende Ensemble" sorge so für "130 pausen- und atemlose Minuten", denen der Teil des Publikums, der ausharrte, "schockiert zwar, doch gefesselt" folgte.

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