In Zeiten linker Selbstgefälligkeit

von Martin Pesl

Wien, 6. April 2017. Langatmig ist dieses Zeltfest nicht. Gerald Fresacher hat es mit Discokugel, Bierbänken und viel Dampf unter der Plastikplane ausgestattet. Ein Urinal, Dixi-Klos und geschmacklos gekleidete Menschen beiderlei Geschlechts komplettieren die Atmosphäre. Darin spielt es sich dann ab: Hassposts, Voguing, Judith Butler, Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge, Selfies, Trump: Harald Poschs Abend "Demokratische Nacht – Du Prolet!" ist ein unkonzentriertes Konzentrat von allem, was so beim schnellen Durchscrollen der News-Seite hängenbleibt.

Dazwischen wird Horváth gegeben, und das überraschend gut, dafür, dass dem Regisseur und Ko-Leiter des Werk X alles andere wichtiger zu sein scheint. Wenn die Herren Gasthausbesucher beim Gruppenpinkeln "Stille!" brüllen, konterkariert das amüsant die bisweilen sakrale Verehrung der Horváth'schen Leerstellen. Aber auch seine Momente, in denen sich bildungsferne Figuren durch ihre Sprechweise rührender Lächerlichkeit preisgeben, sind griffig herausgearbeitet. Besonders Laura Mitzkus ("Red doch nicht immer so hochdeutsch!"), und die faszinierend wandelbare Zeynep Buyraç geben dem Text eine ganz natürliche Modernität.

Linke Spießbürger

Der Text, "Italienische Nacht" aus dem Jahr 1931, ist Ödön von Horváths unmittelbar politischstes, aber auch trockenstes Stück. Es erzählt von den "Republikanern" (also Sozialdemokraten), die darüber zerbrechen, dass Faschisten ihre Feier im Gasthaus mit einem deutschen Tag "sprengen" wollen. Statt gegen die Rechte zusammenzustehen, zerstreiten sich die Linken und/oder geben sich dem Spießbürgertum hin.demokratischeNacht1 560 Yasmina Haddad uVorm Volk und vor Missständen wird gewarnt: Dennis Cubic und Mitspieler*innen
© Yasmina Haddad

Aufg'legt für die Wiederbelebung in Zeiten der linken Selbstgefälligkeit trotz rechter Bedrohung. Gerade Poschs zahllose Bezüge in die Gegenwart geben dem Thema hier aber den Anstrich der Gestrigkeit. Das "Denkmal" etwa, das Karl (Simon Alois Huber) zum Leidwesen der Faschisten verschandelt, ist ein mit Hitler-Bärtchen bemaltes FPÖ-Plakat für Norbert Hofer. Die Präsidentschaftswahl war vor fünf Monaten, und Hofer hat verloren.

Was die SPÖ so alles nicht verhindert

Einen schmierigen Rechten gibt es natürlich trotzdem: Wojo von Brouwer spielt ihn lustvoll mit blauer Krawatte, um ihn vom Stadtratsweichei mit roter Krawatte und Sexpuppe zu unterscheiden. Wichtiger ist eh, dass die bürgerliche Linke sich "warm anziehen" soll, wie es im Ankündigungstext der Produktion heißt. Deshalb singen alle inbrünstig ein provokantes Lied, das das N-Wort enthält, während Dennis Cubic passiv-aggressiv betont, dies geschehe mit einer Förderung der Kulturabteilung der (SPÖ-geführten) Stadt Wien.

Sodann leitet Cubic mit hektischer Empörung zu Missständen über, die diese Partei in Österreich verursacht oder nur nicht verhindert hat. Motto: Gegen die Rechten sind eh alle, sagen wir doch zur Abwechslung auch mal, was uns gegen die anderen einfällt. Vielleicht für den Abend kaum relevant, aber optisch ungünstig ist, dass dem Werk X demnächst seine zweite Spielstätte abhanden kommt: Die Wiener Kulturpolitik schreibt die Leitung für das Theater am Petersplatz (jetzt: Eldorado) neu aus. Und Wiener Kulturpolitik, das heißt natürlich SPÖ.

Selbstironie und Persiflage

Bevor die so lautstarke wie diffuse Polemik beim Publikum sacken kann, leert sich die Bühne. Die Hospitantin der Produktion tritt als Mindestsicherungsempfängerin auf und referiert, sie müsse sich für drei Euro am Tag drei Mahlzeiten leisten. "Ich hab gehört, in dem Stück geht's um die SPÖ. Ja, die wähl ich noch. Warum, weiß ich auch nicht." Spätestens dieser ungelenke Schwenk in den Sozialporno zieht jeder ernsthaften Kritik, die der Abend aufzuwerfen immerhin Ansätze zeigt, den Boden unter den Füßen weg. Der nächste Horváth-Dialog kommt dafür wieder super.

demokratischeNacht3 560 Yasmina Haddad uFaszinierend wandelbar: Zeynep Buyraç © Yasmina Haddad

In 75 Minuten hat auch Selbstironie Platz. "Ist überhaupt wer aus Meidling da?", fragt Laura Mitzkus einmal – das Werk X bemüht sich oft vergeblich um lokales Publikum aus der Umgebung. Live gefilmte Fake-Blowjobs mit Döner wirken, als wolle Posch, der das Regieführen im Werk X sonst meist seinem Ko-Leiter Ali M. Abdullah überlässt, die oft sexuell überladenen Arbeiten des Kollegen persiflieren.

Mein hässliches Wien

Horváth hatte für sein Stück mehrere Enden, keines wirklich befriedigend. Hier sagen am Ende alle noch irgendwelche Dinge. Wojo von Brouwer zum Beispiel sagt: "Ali Abdullah hätt's besser inszeniert". Und Zeynep Buyraç erntet Lacher mit dem Satz: "Ich lass mir mein Wien von keiner Studie der Welt schönreden." Wien wurde nämlich kürzlich wieder zur lebenswertesten aller Städte erklärt. Schon blöd. Da wutbürgert es sich im Theater einfach nicht so geschmeidig.

 

Demokratische Nacht – Du Prolet!
nach "Italienische Nacht" von Ödön von Horváth
Uraufführung
Fassung und Inszenierung: Harald Posch, Bühne und Kostüm: Gerald Fresacher, Licht: Johannes Seip, Dramaturgie: Hannah Lioba Egenolf. Mit: Zeynep Buyraç, Laura Mitzkus, Wojo van Brouwer, Dennis Cubic, Simon Alois Huber, Stefanie Süßbauer, Raphael Unger.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.werk-x.at

 

Kritikenrundschau

wirkungsvollen Überschreibung von Ödön von Horváths "Italienischer Nacht" gelingt Harald Posch im Werk X im Meidlinger Kabelwerk kein geringes Kunststück. - derstandard.at/2000055578778/Demokratische-Nacht-Du-Prolet-Klappe-auf-Sozi-reinWirkungsvoll überschrieben, durchaus ein Kunststück, so Ronald Pohl im Standard (7.4.2017). Zarte Frank-Castorf-Anleihen katapultieren das Stück in die populistische Gegenwart. "Der Horváth-Sound werde sehr wirkungsvoll transformiert. Die Beteiligten schreien ihr Unbehagen heraus." Fazit: "Ein lärmendes Requiem auf die Linke; ein starkes Stück." 

Regisseur Harald Posch verlege die Handlung ins heutige Wien, habe sie "mit Aktualität angereichert, doch viel vom Originaltext behalten", schreibt Norbert Mayer in der Presse (8.4.2017). "Demokratische Nacht" habe starke Momente vor allem dann, wenn Horváths hintersinnige Sprache wirken könne. Der Abend verliere, wenn die Wiener Zustände mit dem Holzhammer bearbeitet werden oder allzu plump Prekariat vorgeführt wird. "Es gibt beträchtlich viele Flachwitze". "Das junge Ensemble agiert beherzt, mit Hang zur Outrage – es wird in 80 Minuten oft vulgär herumgebrüllt. Nicht immer ist das zum Vorteil für das Verständnis, so gehen einige Gags daneben."

 

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