Die Realität mag ich nicht

von Dirk Pilz

Berlin, 8. April 2017. Das ist natürlich lustig. Da sitzen zwei von einer Reisegruppe aus Geflüchteten in einem Dresdner Hotel und schauen aus dem Fenster. An einem Montag. Was sehen sie da? Pegida-Demonstranten, na klar. Sie versuchen sogar, deren Plakat-Botschaften zu verstehen. Wieso steht da "Fatima Merkel"? Ist es ihr zweiter Name, wie bei Barack Hussein Obama? Unschuldiges Achselzucken. Aber warum trägt Angela Fatima Merkel Kopftuch? Sie ist Muslima? Noch mal Achselzucken. Und wieso fordern sie da "Sex bleibt deutsch"? Was, "Sachsen bleibt deutsch"? Hm, naja.

Karim Dahoud und Hussein Al Shatheli können ihr Achselzucken und Augenverdrehen jedenfalls sehr schön ironisch ausschauen lassen. Wirklich lustig.

Im sicheren Hafen der Satire

Ja, es ist erschreckend einfach, sich über Pegidisten lustig zu machen, wenn man nicht zu ihnen gehört. Und kann schon auch sein, dass es im Umgang mit Pegida & Co. vor allem Humor braucht, womöglich auch eine Brise Spott. Aber biegt eine Inszenierung, die einen eigenen, möglichst nicht vorgestanzten und also nicht fix einsortierbaren Blick auf Deutschland hier und heute versucht, biegt sie nicht ein bisschen sehr schnell in den sicheren Hafen der Satire ab, wenn sie sich derart aufs Kabarettistische verlegt? Kann es sein, dass sie von derlei Lustbarkeiten die schnöden Segnungen der Realitätsverdrängung erhofft? Niels Bormann steht einmal an der Rampe und verkündet zerknirscht, wie nur er zerknirscht klingen kann: "Realität. Mag ich einfach nicht." Man glaubt es sofort. Nur, ist das jetzt schlicht ehrlich oder schiere Koketterie angesichts eines Abends, der lieber spaßig als sperrig realistisch ist?

Winterreise1 560 Ute Langkafel MAIFOTO uYael Ronens Leib-und-Magen-Spieler Niels Bormann (rote Jacke) und das Exil Ensemble des Gorki Theaters: Karim Daoud, Maryam Abu Khaled, Ayham Majid Agha, Hussein AL Shatheli, Kenda Hmeidan © Ute Langkafel / MAIFOTO

Schwierig. Ist es überhaupt angebracht, so zu fragen, wenn das erste Exil Ensemble an deutschen Theatern, das seit November vergangenen Jahres am Gorki Theater eine "Plattform für professionelle Künstler*innen" gefunden hat, "die gezwungen sind, im Exil zu leben", wenn also dieses besondere, unbedingt unterstützenswerte Ensemble mit sieben Schauspieler*innen aus Syrien, Palästina und Afghanistan mit seiner ersten großen Inszenierung an die Bühnenöffentlichkeit tritt?

Die Flucht zu Fuß

Die Regisseurin des Abends heißt Yael Ronen, und nach Common Ground und The Situation sind die Erwartungen hoch, sehr hoch, weil dies Arbeiten waren, denen die seltene Balance gelang, gleichermaßen luftig wie lastenschwer zu sein, das Traurige und Tröstliche brüchige Allianzen eingehen zu lassen. Das gelingt diesmal nicht, es soll womöglich auch nicht gelingen. Hussein Al Shatheli erzählt von seiner Flucht aus Damaskus, zu Fuß über die Grenze in die Türkei, mit dem Boot nach Griechenland, mit gefälschtem Pass nach Zürich. Man hört es als fluchtunerfahrener, wohlstandsverwöhnter Deutscher mit einem Schrecken, der ratlos macht. Daneben tritt die Geschichte von Maryam Abu Khaled, der es nicht glücken will, in Deutschland einen Liebespartner zu finden, was sie mit wunderbarer Komik zu erzählen versteht. Das Schreckliche und das Schräge, das Unfassbare und Unterhaltsame trifft unvermittelt aufeinander. Vielleicht soll es so sein, vielleicht gibt es da nichts zu vermitteln.

Winterreise2 560 Ute Langkafel MAIFOTO uReise- und Fluchtberichte auf der Bühne von Magda Willi: mit Hussein AL Shatheli, Karim Daoud, Maryam Abu Khaled © Ute Langkafel / MAIFOTO

Außen herum ist der Abend dabei ein einfaches Stationendrama. Unter der Reiseleitung von Niels Bormann wird eine zweiwöchige Busfahrt durch Deutschland unternommen, um das Land kennenzulernen. Erste Station: Dresden, Pegida. Danach: Weimar, Besuch in Buchenwald. Bormann hat schnell Zweifel, ob es eine gute Idee war, die Reise mit Pegida-Erlebnissen anzufangen und mit einer KZ-Stippvisite fortzusetzen: "Die Nacht nach Buchenwald war schrecklich, alle hatten Albträume."

Die deutschen Toiletten ein großes Problem

Die Albträume werden durch eine Szene in der Allianz-Arena in München verscheucht, nächste Station. Es geht um "the German toilet situation", um "very dry toiletpaper" und also "a big problem". Noch so eine Szene, in der die Nöte interkulturellen Missverstehens als Spaßnummer gegeben werden. Aber man sieht zugleich doch die Schmerzen und Ängste, die hier mit Scherzen niedergerungen werden sollen. Auch das macht diesen Abend so sonderbar unfertig, schartig.

Im Bühnenhintergrund steht passend dazu eine halbrunde Leinwand. Es werden Reisefilmaufnahmen gezeigt, Schnee und Wasser, Häuserzeilen, Baustellen, Autobahnen, dazwischen immer wieder die Wimmelbild-Zeichnungen von Esra Rotthoff. Das Schöne und das Schroffe: alles immer im Wechsel.

Es gibt, lehrt uns diese "Winterreise" durch Deutschland, reichlich Gründe, die (deutsche) Realität nicht zu mögen, es gibt allerdings auch Gründe, Hoffnung zu haben. Das Exil Ensemble ist einer.

 

Winterreise رحلة الشتاء
von Exil Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Sophie du Vinage, Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi, Video: Benjamin Krieg, Zeichnungen: Esra Rotthoff, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Ayham Majid Agha, Maryam Abu Khaled, Hussein Al Shatheli, Niels Bormann, Karim Daoud, Mazen Aljubbeh und Kenda Hmeidan.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

"Sicher hätte man diese deutsch-schweizerische 'Winterreise' auch als Tragödie oder zumindest als Hardcore-Drama erzählen können. Und sicher wären dann Themen wie Pegida noch mal anders zur Sprache gekommen und die Reibungsflächen über 'offene Beziehungen' oder Toilettengewohnheiten hinausgegangen", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (10.4.2017). "Aber Yael Ronen und das Exil-Ensemble haben eine klare und plausible Entscheidung für den Entwaffnungshumor getroffen." Wahl sieht den Abend auch als "unaufgeregten Seitenhieb auf einige Theaterprojekte mit Refugees (...), die, möglicherweise noch nicht mal bewusst, eher Relevanzvampirismus betreiben als sich wirklich mit ihren Protagonisten konfrontieren zu wollen." Das Exil-Ensemble vom Gorki habe den Spieß umgedreht und Dresden, Mannheim, Hamburg, Zürich und Co. schlaglichtartig aus seinem Blickwinkel erzählt. "Und zwar so, dass man auf die nächsten Projekte sehr gespannt ist."

"Es ist schade, dass es diesmal wenig zum szenischen Miteinander kommt", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (10.4.2017). Im Vergleich zu Ronens "Common Ground" träten die Reisenden nicht nur mit den Einheimischen nicht in Kontakt, "auch untereinander passiert nichts, was sich dramatisch verwerten ließe". Die einzelnen Erzählstücke würden vor allem formal durch die Videobilder, Grafiken und den permanenten Soundtrack zusammen gehalten. "Dies allerdings sehr gekonnt."

"Dass dunkle Vorahnungen und die exzessive Beschäftigung mit dem Tod eher ein deutsches Phänomen sind", ahnt Tobi Müller im Deutschlandradio Kultur-"Fazit" (8.4.2017) nach diesem Abend im Gorki. Yael Ronen und das Exil Ensemble ließen die Begegnungen zwischen Einwohner und Ankommenden "erstmal über das Nicht-Verstehen, aber eben auch angstfrei über die gegenseitige Parodie" laufen. Die Video-Ebene halte das Ganze flott am Laufen, "auch wenn es mal in die Nummernrevue driftet und sich der Abend zunehmend zieht", so Müller. Am wichtigsten aber: "Die Neu-Berliner spielen nach wie vor sich selbst, aber sie spielen sich eben auch als Schauspieler. (…) Es ist anzunehmen (und zu hoffen), dass dieser Prozess weiter geht. (…) Denn ganz am Anfang haben es die Spieler schon selbst gesagt: Wir sind gelangweilt von unseren eigenen Geschichten. Man sollte das sehr ernst nehmen."

"Yael Ronen nimmt geschickt jede Kurve auf dieser emotionalen Achterbahnfahrt, biegt immer rechtzeitig ab, wenn die Erinnerungen der Exil-Ensemble-Mitglieder zu trüb zu werden drohen oder die Beobachtungen über das merkwürdige Paarungsverhalten der Deutschen dabei sind, ins Alberne zu kippen", lobt Anke Dürr auf Spiegel online (9.4.2017). Und erinnert an Yael Ronens bewährte Verfremdungstechnik – "dass die Schauspieler ihre echten Vornamen verwenden, heißt nicht, dass die 'Winterreise' Dokumentartheater ist." Sie erzähle aber, "aus der ganz eigenen Perspektive von Menschen, die sich darum bemühen, die Außensicht zu verlieren", viel Wahres über Deutschland. "Zum Glück ist es oft zum Lachen."

Das Exil- Ensemble sei "ein großes Glück", schreibt Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (13.4.2017). "Seine erste Premiere weniger." Denn der Abend falle "erstaunlich konfliktscheu" aus. Yael Ronen, "sonst eine Meisterin theatraler Konfliktbewältigung, macht es sich in Klischees gemütlich".

 

Kommentare  
Winterreise, Berlin: nichts anderes zu erzählen?
Wenn ein Künstler vor dem Krieg aus Damaskus über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflohen ist, und hier in einem Exilensemble ein Engagement erhält, wenn der von einem deutschen Reiseführer, auf einer Recherche Reise für ein Theaterprojekt, nach Dresden verbracht wird, um dort Nationalisten bei einer Demonstration zuzuschauen, wenn der einen von diesen Verblendeten kidnappen würde, um ihn in Buchenwald mit Wattestäbchen die Vitrinen putzen zu lassen, und danach in Untersuchungshaft geriete, die gesamte Zelle auseinander nähme und immerzu laut brüllte, dass das Klopapier hier zu grob sei, und er in diesem verfluchten Land nicht einmal Sex, geschweige denn eine Freundin oder einen Liebhaber bekommt, dann würde ich das verstehen. Ich würde sagen, für die Entführung wird er sich verantworten und für den Sachschaden aufkommen müssen, aber geben wir ihm eine zweite und dritte Chance, helfen wir ihm weiter, denn er ist einfach nur ausgeflippt. Wenn aber der selbe Künstler diese Recherche Reise unternimmt, um vor einem ausgewähltem Publikum in Berlin, im Theater der Postmigranten zu erzählen, dass Pegida schlimm, Buchenwald grausam, seine Flucht furchtbar und das Toilettenpapier bei deutschen Großveranstaltungen nicht komfortabel ist, (...) um mich zum Lachen zu bringen, dann würde ich nur denken: Wie bescheuert ist das denn?! Weiß der nicht, dass ich das auch weiß?! Hat der wirklich nichts anderes zu erzählen?! Vollkommen meschugge! Er würde sehen, wie sich mein Blick nach unten senkte und ich verzweifelt nach dem Loch suchen würde, dass der Schreiner ließ, um mich meinerseits fliehen zu lassen. Er würde mich einsam zu Hause erleben, wie ich meinen Kopf schüttelte, und versuchte herauszubekommen, ob nun der jüngste Giftgasangriff in Syrien eine Inszenierung von Verschwörern war, oder auf das Konto von Assad geht. Wie ich nicht lachte, kein Theater besuchte, und einfach probierte mich, jenseits jeder Satire, ernsthaft zu sortieren und neu auszurichten.
Winterreise, Berlin: ein Grundproblem
Sich auf den anderen einzulassen ist schwer, Da kann es helfen, wenn man zunächst das Eis bricht, sich über die Seltsamkeiten der „Fremden“ lustig macht und sie vielleicht selbst über sich zum Lachen bringt. Also verbringt der Abend viel Zeit damit, satirisch die deutsche Ordnungsliebe, die Zugeknöpftheit, die Angst etwas Falsches zu sagen, die Hyperkorrektheit und die Albernkeiten dümmlicher Angsteinbildungen von Pegida und Co. durch den Kakao zu ziehen. Die Busreise, die der Abend chronologisch nacherzählt, beginnt denn auch in Dresden – an einem Montag. So beobachtet man Pegida aus dem Hotelzimmer und fragt sich, ob Angela Merkel wirklich mit zweitem Vornamen Fatima heißt und Muslimin ist.

(...)

So bleiben die schön gezeichneten Cartoonzeichnungen auf der halbrunden weißen Videowand (Bühne: Magda Willi), die an eine Art Vortragssituation erinnern, den verwirrt neugierigen, verstehen wollenden aber immer wieder scheiternden Blick der Nicht-Emigrant*innen sichtbar zu machen. Dass diese Zeichnungen von der Gorki-Hausgrafikerin Esra Rotthoff stammen, also den Außenblick von innen imaginieren, ist eine weitere, wenn auch verschenkte Ironie. Das ist alles sehr unterhaltsam und oft hochkomisch, aber es birgt ein Grundproblem: Über die Ebene des Lustigmachens kommt der Abend nicht heraus. Pegida als lächerlich zu empfinden, die deutsche Regelwut zu persiflieren ist einfach, zu einfach. Winterreise bleibt dabei stehen, lehnt sich zurück, lacht ein bisschen und denkt nicht weiter darüber nach. Und so stehen vor allem die monologisch erzählten Fluchtgeschichten wie Fremdkörper im Raum, die das kollektive Amüsement bestenfalls ein wenig stören. Sie lassen überraschend kalt, dergleichen glaubt man schon etliche Male gelesen zu haben. Dass sie sich meist aus dem Spielfluss herauslösen, in Monologen gen Publikum dargeboten werden, lässt sie aufgesetzt erscheinen, raubt ihnen das Leben. Sie erscheinen eben wie Geschichten, mehrfach distanzierte Reportagen, weniger wie gelebte Leben.

Weil sie nicht zu dem passen wollen, was dieser Abend vor allem ist: ein launischer Ritt durch allerlei Klischees und Lächerlichkeiten, eine muntere Satire des ach so korrekten und natürlich immer verklemmten Deutschen, der dem „fremden Blick“ – dessen Konzept hier sträflich unhinterfragt bleibt – als vor allem eines erscheint: sehr albern, ein bisschen abweisend, aber auch harmlos. Natürlich bleiben auch die „kulturellen Eigenheiten“ der Neubürger*innnen nicht unverschont – allerdings eben auf einem ähnlichen Klischee- und (abwesenden) Reflexionsniveau. Dass in diesem Land Flüchtlingsheime brennen, dass die dämlichen Pegida-Marschierer Teil einer größeren, gar nicht so ungefährlichen Bewegung sind, dass sich hinter den hastig abgehandelten Fluchterzählungen und den hübschen Anekdoten über die Fremdheit in dieser neuen, unverständlichen, nicht selbstgewählten Welt, tiefe Verletzungen und Verluste verbergen, die sich nicht so leicht wegwischen lassen, ficht diesen Abend nicht an, der wirkt wie eine erste Themensammlung, Ergebnis einer frühen Proben- und Recherchephase, die in Form gebracht, künstlerisch bearbeitet, kontextualisiert werden will. Stattdessen breiten sie Ronen und das Exil Ensemble – auf das man sich zweifellos auch weiterhin freuen darf – unkommentiert vor dem Publikum aus. Eine Materialsammlung, die alles weglässt, was sich nicht satirisch verwenden lässt oder gar wehtun könnte, die irgendwann ziemlich unvermittelt abbricht und doch ein Theaterabend sein will. Das zumindest gelingt nicht im Ansatz.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/04/09/trockenes-toilettenpapier-danke-merkel/
Winterreise, Berlin: toller Abend
Naja ... auch um auf die Kritik einzugehen und die Kommentare:
"eine Busfahrt die ist lustig"... aber darauf wollte das Stück nicht hinaus, es wird mit Klischees gearbeitet, schon wie das Stück beginnt ist ein Thema dass ich von vielen ob Gastarbeiter-Generation, Austauschstudenten oder Urlauber gehört habe, "dieses Grau in Grau, ja sogar der Himmel, wie kann ein Mensch so leben, bzw was müssen das für Menschen sein die so Leben" zum Glück war das bei den Leuten nur der aller-erste nicht der bleibende Eindruck, als Deutscher sieht man es als ein Klischee aber eines dass einem normalerweise nicht bewusst ist, allerdings für viele Menschen die erste Erfahrung. Vieles hätte eben genauso von "anderen" Bus-reisenden stammen können, die Inszenierung macht aber gerade zum Ende nochmal deutlich dass es nicht so ist. Es sagt wir sind (natürlich) Menschen, und können gemeinsam viel Spaß haben, aber bitte beachtet es herrscht Krieg und Unterdrückung in unserer Heimat wir sind keine Auswanderer. Sehr unterhaltendes Stück, der Charakter Niels, wunderschön gespielt, rundet die Sache gut ab. Gerade der Schluss-Akt der gefühlt nicht reingepasst hat war der Fingerzeig der bei dem sonst durchweg urkomischen Stück nötig war. Das Exil-Ensemble sind in diesem Fall weniger Kriegsberichterstatter als ganz einfache Theater Menschen - in diesem Sinne. Danke für diesen tollen Abend! Willkommen und viel Erfolg!
Winterreise, Berlin: fassungslos und froh
Nein, es war keine Busfahrt, einfach so. Es war eine Begegnung zwischen den Welten. Auf der einen Seite steht Bormann, der alles falsch macht, weil er Zweifel hat, berechtigte Zweifel. Auf der anderen Seite sind es die Menschen des Exil Ensembles, die Geschichten erzählen.
Was ist Deutschland und wie will, derjenige, der hierher kommt, in diesem Land leben. Was hat er zur Geschichte beizutragen und was hat dieses Land beizutragen. Ronen und das Exil Ensemble schaffen diesen Spagat. Für mich lagen die Höhepunkte zwischen dem Hotelabend in Dresden, der unbekümmernden Sicht auf die Pegidademonstration, irgendwie stimmt doch diese Verständnislosigkeit über das, was dort auf der Straße geschieht. Und andererseits ist es die Fluchtgeschichte von Hussein Al Shatheli, immer und immer wieder gehört, jetzt noch einmal authentisch in Szene gesetzt. Irgendwie bin ich als Zuschauer fassungslos und dennoch froh, dass Geschichten erzählt werden, die mir ein Zuschauen ermöglichen. Ich habe diesen Abend voller Spannung gesehen und war froh über die Leichtigkeit. Diese führt all dieses Wutgetue der besorgten Menschen in diesem Land ad absurdum.
Bormann wollte ein Kulturland zeigen und scheiterte. Vielleicht der
Besuch bei den Eltern in Bremen hätte zu einer Verständigung führen können, führen müssen. Was bleibt: Zuhören, Geschichten erzählen, gemeinsames Reisen, gemeinsame Erfahrungen, gemeinsames Scheitern, Missverstehen, Verständnis, gemeinsames Lachen... Ich freue mich auf weitere Produktionen.
Noch einen Seitenhieb auf meinen "Freund" Baucks. Machen Sie doch endlich einmal etwas besser. Ihre unerträglichen Kommentare sind mir zuwider. Wie bescheuert ist Ihre vereinfachte, unsensible Zusammenfassung? Wer ist die "israelische Jüdin", die Sie benennen. Und sind Sie so authentisch, dass Sie sich in die Lage eines geflüchteten Syrers hineinversetzen und diesen mit Ihrer Meinung neu zu sortieren und auszurichten versuchen? Ganz schön gewagt, Herr Baucks. Ist wirklich nicht witzig, was Sie fabulieren. Weitere Bemerkungen erspare ich mir.
Winterreise, Berlin: Funken schlagen
„Fatima Merkel?“ Heißt die deutsche Kanzlerin nicht Angela? Die beiden Flüchtlinge, die zum Exil Ensemble des Berliner Gorki Theaters gehören, blicken verwundert auf die Plakate vor ihrem Dresdner Hotel-Fenster.

Eine typische Yael Ronen-Szene: die israelische Hausregisseurin des postmigrantischen Theaters versteht es, Pointen und Funken aus dem Zusammenprall verschiedener Welten zu schlagen.

Ebenso typisch für Yael Ronens Inszenierungen ist, dass der launige Ton schnell in ernste Momente umschlägt. Ausführlich berichten die Protagonisten über ihre Fluchterlebnisse: wie sie sich an die türkische Grenze, dann auf klapprigen Booten übers Mittelmeer und die Balkanroute durschschlugen, wie sie mit den Schleppern um Pässe feilschten und wie oft sie an die in Trümmern liegende Heimat denken.

„Winterreise“ wirkt vor allem in der zweiten Stunde noch etwas unfertig: mehr wie eine Stoffsammlung, die noch einige Striche und Feinschliff vertragen könnte. Aber das Grundkonzept, den (wie von Ronen gewohnt oft bewusst-naiv überzeichneten) Außenblick der Neuankömmlinge auf unsere Gesellschaft mit ihren Fluchterfahrungen zu bündeln, ist stark genug, über diese Schwächen hinwegsehen zu lassen.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2017/04/13/winterreise-yael-ronen-schickt-das-exil-ensemble-mit-dem-bus-durch-deutschland/
Winterreise, Berlin: zum Gastspiel Hamburg
Das Maxim Gorki Theater erzählt auf den Hamburger Lessingtagen die Geschichte einer Winterreise von „Emigranten“ durch Deutschland zu Zeiten von Pegida. Dies geschieht mit äußerst sparsamen Theatermitteln, so dass sich das Spiel fast ausschließlich auf die Akteure beschränkt. Dieser Abend hat den Charakter einer unfertigen Skizze, was ihm aber seinen Charme verleiht. Der unvermittelte Zusammenprall verschiedener Welten und die nicht selten daraus resultierenden Missverständnisse sind das Salz in der Suppe. Sie schaffen Situationskomik, die zum Lachen verführt, welches im nächsten Moment im Halse stecken bleibt, da das scheinbar unterhaltende, doppelbödig ins unfassbar Schreckliche führt. Alles wirkt fragmentarisch und unfertig. Man ist auf dem Weg zu einem Ziel und das ist das Ziel des Abends. Es gibt bei uns, zahlreiche Gründe unsere Realität nicht zu mögen, aber die Hoffnung, dass unsere Realität bunter und vielfältiger wird, öffnet den Abend auf eine andere Zukunft. Die immense Spiellaune der Darsteller*innen wurde mit frenetischem Beifall belohnt.
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