Schreiben Sie das jetzt!

von Dirk Pilz

11. April 2017. Diesmal ein kleiner Blick hinter die Kulissen der Theaterkritik. Es ist zwar noch immer nicht abschließend geklärt, wozu es eigentlich Theaterkritik gibt, es wird sich vermutlich auch nicht klären lassen. Fest steht aber: Es gibt allerlei Theaterkritikerinnen und Theaterkritiker, die mit ihrem Geschäft sogar Geld verdienen (wenig, meistens sehr wenig, aber immerhin), es gibt zudem die Presse- und sogar Meinungsfreiheit, noch, muss man inzwischen hinzufügen, und es gibt allerlei Theatermacher, das ist schön. Mit Kritikern kommen sie in der Regel nicht überein. Die Interessen sind zu verschieden, die Eitelkeiten wahrscheinlich zu vergleichbar.

"Sie Arschloch! Was soll das?"

Dass sich die Damen und Herren Theaterschaffer von den Kritiken meistens missverstanden fühlen: geschenkt. Es wird vieles missverstanden, zudem ist in Kritiken tatsächlich oft allerlei Unsinn zu lesen, in meinen sicher nicht weniger. Dass man eine Kritik zwar auch zum Anlass nehmen könnte, das eigene Denken und Führwahrhalten zu überprüfen: ach herrje. Es braucht dafür die Bereitschaft zum ehrlichen Selbstzweifel, sie ist allgemein jedoch eher gering ausgeprägt. Außerdem wollen natürlich auch die Theaterkünstler vor allem gelobt und geliebt werden, wer wollte es ihnen verübeln. Verweigerte Liebe ist immer unschön, die Reaktionen sind es ebenso.

kolumne 2p pilzHarmlos sind hier die persönlichen Anwürfe. Gern erinnere ich mich an eine SMS, die mich vor Jahren an Heiligabend erreichte (woher hatte der gute Mann eigentlich meine Handynummer?), kurz vor der Bescherung: "Sie Arschloch! Was soll das?" Das fragte ich mich auch, aber ich gestehe, kurz zuvor eine Wiener Premiere dieses Künstlers besucht zu haben, bei der ich die Kunst der Veranstaltung nicht recht erkennen konnte. Weniger gern erinnere ich mich an jene Stuttgarter Maulschelle, die ich mir aufgrund einer schreiberischen Unaufmerksamkeit einhandelte; ich hatte eine knappe Bemerkung über eine Schauspielerin gemacht, die man in der Tat so verstehen konnte, als bezichtigte ich sie und nicht ihre Figur der Naivität. Schlimmer Fehler!

Erzürnte Künstler, von den Kritikern enttäuschte Theatermacher: kann ich alles gut verstehen. Aber es häufen sich jetzt Fälle, die mich beunruhigen. Sie haben nicht mit Kunst und Kritik zu tun, sondern mit Marketing und Meinungsfreiheit, mit der heiligen Freiheit der Presse nämlich, mit dem Grundsätzlichen also. Immer wieder erhalte ich die Aufforderung, über das schöne Festival xy einen ordentlichen Vorbericht zu verfasen, gern in vorwurfsvollen Tönen: "Warum schreiben Sie nichts über uns? Schreiben Sie!, oder wollen Sie uns nicht unterstützen?" Erst kürzlich ging die harsche Anweisung eines Intendanten ein, endlich einmal die Regisseurin soundso wahrzunehmen: "Machen Sie ein Interview!". Häufiger erfolgt auch der direkte Hinweis, man habe beim entsprechenden Organ eine Werbung gebucht, da dürfe man doch wohl eine Kritik erwarten. Es kam auch schon vor, dass Interviewtermine ohne mein Wissen vereinbart wurden, weil "Sie doch sicher im Vorfeld der Premiere etwas machen werden".

Die schlechte alte Doppelmoral

Für die Zukunft: Solche Termine nehme ich nie wahr. Und fürs Grundsätzliche, liebe Intendanten, Pressesprecher und Marketingbeauftragte: Es gibt einen Unterschied zwischen Presse- und PR-Arbeit. Nein, Theaterkritiker sind nicht die Außenposten der Öffentlichkeitsarbeit, sie sind auch keine Angestellten der Theaterkunst. Nein, es ist nicht die Aufgabe von Theaterkritik, schöne Festivals, tolle Regisseure, Schauspieler oder Autoren zu bewerben. Und kommen Sie mir bloß nicht mit dem Hinweis, dass wir doch alle im selben Boot säßen und gegen die böse Kulturpolitik und ihre steten Kürzungsgelüste gemeinsam zu streiten hätten. Den Kampf hat schon verloren, wer vorderhand das demokratische Grundrecht der Pressefreiheit preist, hintenherum aber alles für die eigenen Belange instrumentalisiert. Mit Mitteln der Verfilzung ist nie etwas gewonnen, auf lange Sicht. Dass es KollegInnen gibt, die sich vor den Karren spannen lassen: deren Problem. Ich halte es für falsch, gerade um der Sache willen.

Warum lassen sich Theater überhaupt zu derlei würdeloser Anbiederung herab? Der Konkurrenzdruck ist groß, ja, die Angst vor schwindender Relevanz auch, das Vertrauen in die eigene künstlerische Arbeit offenbar entsprechend schwach, leider. Nur wird durch alle Versuche, die Presse gefügig zu machen, nichts besser. Es sind ja dieselben Theaterbetriebsvertreter, die sich mit lauter Entrüstung über Leute wie Trump & Co. erheben, weil diese die Presse als Feinde beschimpfen, wenn sie nicht den eigenen Interessen gehorchen, was im Trump-Fall natürlich als böser Populismus gilt, im eigenen aber keinesfalls so verstanden werden soll. Ist es aber. Und das ist nicht nur ein Beispiel für die schlechte alte Doppelmoral, sondern vor allem von Glaubwürdigkeitsverlust.

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.

 

Zuletzt schrieb Dirk Pilz an dieser Stelle über die abgesagte Podiumsdiskussion an der Zürcher Gessnerallee.

mehr Kolumnen

images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/NAC_Illu_Kolumne_Kasch_2x2.png
Kommentare  
Kolumne Pilz: kulturpolitischer Karren
Dann sollten sich konsequenterweise allerdings auch Theaterkritiker und -kritikerinnen nicht so sehr gern als Jurymitglieder vor den kulturpolitischen Karren der Preisgießkannen-Verteiler spannen lassen -
Danke Dirk Pilz. Das war doch mal ein wahres ausgiebiges Wort(gefüge) gegen den PR-Gläubigkeitswahnssinn, der Dramaturgien zur Marketingblase disqualifiziert...
Kolumne Pilz: Hehrer Hochsitz
Das ist mir alles etwas zu pauschal. Wer ein Interview macht mit Theaterschaffenden im Vorfeld einer Inszenierung macht sich bereits gemein? Das sind Frontstellungen aus dem Kalten Krieg. Der Ton mancher Theater, den Pilz beschreibt - ich kann das nicht beurteilen - auch geschenkt. Und dasselbe Boot, in dem Kritik und Theater angeblich sitzen, ja, lächerlich, klar. Aber man sollte sich auch etwas frei von Einlussangst machen, nicht wahr? Und das Gespräch auch dann zwischendurch suchen, wenn man nicht gerade Hintergrundinformation braucht. Es zeugt von viel Unsicherheit, den hehren Hochsitz der Kritik zu re-reklamieren, die ich von Pilz als Schreiber sonst nicht kenne. Und bez. des Karrens, vor den man sich angeblich spannen lässt, wenn man in Jurys sitzt: Haben Sie etwas gegen Überblick und Kompetenz in Fachjurys? Immer diese Sehnsucht nach dem Deutschen Reinheitsgebot der Sphären. Die Alternative zu Kritikern oder Journalisten in Jurys sind Künstler, es gibt viele Politiker auf allen Ebenen, die sich das wünschen. In Ermangelung einer Vorstellung, was dann passieren würde.
Kolumne Pilz: kein schlechtes Gewissen
Hier meldet sich einer, der meist einmal im Monat für die Beilage "Freizeit" der FR einen Vorbericht zu einer Premiere im Schauspiel oder der Oper Frankfurt schreibt, manchmal auch zu einer Produktion im Rhein-Main-Gebiet, und der kein schlechtes Gewissen hat.
Das Angebot zu Vorberichten kommt bei mir nicht von den Theatern, sondern von mir selbst, ich schlage etwas vor, ich bevorzuge ungewöhnkiche neue oder vergessene Werke. Die Theater wundern sich manchmal, warum ich gerade dieses Stück wähle und nicht ein prominenteres. Ich will die Leser neugierig machen und informieren. Warum soll ich nicht nach einer lebenslangen Beschäftigung mit Theater etwas von meinen Kenntnissen und meiner Begeisterung an andere weitergeben? Ich schreibe also nicht wegen der im Kulturbereich geringen Honorare.
Ich spreche mit dem Regisseur oder einem Darsteller, recherchiere aber natürlich auch selbst. Im Augenblick arbeite ich an einem Artikel über die drei Opern-Einakter von Ernst Krenek aus dem Jahr 1928, die heute niemand mehr kennt, die demnächst an der Oper Frankfurt Premiere haben.
Wenn ich einen Vorberichte mache, schreibe ich nachher auf gar keinen Fall eine Kritik zu der Produktion, da wäre ich nach dem persönlichen Kontakt mit einem Mitwirkenden befangen.
Kolumne Fragen an Kritiker: Bereitschaft
Herr Pilz, Sie schreiben - "Dass man eine Kritik zwar auch zum Anlass nehmen könnte, das eigene Denken und Führwahrhalten zu überprüfen: ach herrje. Es braucht dafür die Bereitschaft zum ehrlichen Selbstzweifel, sie ist allgemein jedoch eher gering ausgeprägt." Ich hab Sie als jemanden erlebt, bei dem die Bereitschaft, etwas auf sich wirken zu lassen, das nicht genau seinem recht einfachen konservativen Weltbild entspricht und sein recht hermetisches Weltbild auch mal zu hinterfragen, sehr gering ausgeprägt ist. Diese "Bereitschaft zu ehrlichem Selbstzweifel" würde ich mir bei Ihnen auch im Umgang mit neuen Texten wünschen, zu denen Sie offenbar nicht sofort Zugang haben, weil sie dem Erfahrungshorizont Ihres Lebens fremd sind. Theater kann ja auch öffnen, verändern, neue Welten eröffnen. Dazu braucht es aber eben auch eine grundlegende Bereitschaft. Kunst ist immer ein Dialog und kann mit einem total verschlossenen Rezipienten, der schon vorher weiß, dass er das, was er zu sehen bekommen wird, nicht gut finden wird, nicht funktionieren. Das macht dann auch Ihre Texte wertlos für den Leser, weil sie ihm nichts erzählen, außer Ihrer Verweigerungshaltung Ausdruck zu verleihen. Im übrigen zweifle ich hier einige Behauptungen im Text sehr stark an. Dass Interviews ohne Ihr Wissen vereinbart wurden, wirkt sehr ausgedacht. Wie soll denn das gehen? Wie vereinbart man denn mit Ihnen einen Termin ohne Ihr Wissen? erscheint mir schwierig. Ich denke, das größere Problem der Theaterkritiker ist, dass sie ihre Position einbüßen, da es sehr viele Theaterblogs gibt und jetzt viele auch über Facebook ihre Eindrücke von einer Aufführung schildern. Und diese Schilderungen sind oftmals direkter und unmittelbarer als sogenannte "Verrisse", also Texte, in denen sich irgendwelche Kritiker aufmanteln, möglichst harsch zu urteilen und sich überbieten wollen in Negativsprech und einer Haltung von "Den mochte ich noch nie, den mach ich jetzt fertig, das verreiß ich ordentlich". Diese Verrisse, die Euch Kritiker ja oftmals so geil auf Euch selbst machen, erzählen uns Lesern meist sehr wenig über die Inszenierungen, sagen wenig über Inhalt, beschreiben kaum was, und wirken oft lückenhaft und irgendwie sinnlos - ich will ja etwas ERFAHREN über den Abend und nicht nur so eine kritikerwut spüren, die durch welche persönliche Befindlichkeit auch immer ausgelöst wurde. Also Ihr verspielt Eure Position selbst, wenn Ihr Euch so sehr gehend lasst und Euer persönlichen umprofessionellen Antipathien überlasst, wie Sie das oftmals machen. das führt irgendwann dazu, dass das, was jetzt noch so als "Kritik" bezeichnet wird und einen Anspruch einer Deutungshoheit stellt, irgendwann untergehen wird in einer Flut von Online Berichten, die dem Leser mehr berichten, mehr erzählen, und auch - ja - mehr Lust machen, ins Theater zu gehen. Hass gibt es ja schon genug in der Welt. Den will ich mir ja nun nicht auch noch dauernd von den Kritikern reinziehen müssen.
Kommentar schreiben