Presseschau vom 11. April 2017 – Die Frankfurter Rundschau interviewt Ludwig von Otting zum Thema Theaterhonorare
"Das ist inhuman"
"Das ist inhuman"
11. April 2017. Ulrich Seidler spricht in der Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau mit Ludwig von Otting, der von 1979 bis 2014 auf der Leitungsebene in großen Theaterhäusern der Republik tätig war, von 1985 an am Hamburger Thaliatheater als Künstlerischer Betriebsdirektor und seit 1992 bis zum Ruhestand als dessen Kaufmännischer Geschäftsführer. Jetzt engagiert er sich, der jahrzehntelang auf der Arbeitgeberseite stand, beim Ensemble-Netzwerk für faire Entlohnungen für Bühnenschaffende.
Im Interview wirft er der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) Untätigkeit vor und wehrt sich gegen das Argument, dass eine angemessene Bezahlung von Schauspielern zu teuer wäre. "In den öffentlich geförderten Theatern Deutschlands arbeiten knapp 2000 Schauspieler in den Ensembles. Wenn man davon ausgeht, dass von denen die Hälfte ungerecht bezahlt wird – eine willkürliche Zahl, egal. Wenn jeder von diesen 1000 Leuten plötzlich, nach Erscheinen einer weißen Fee, tausend Euro mehr im Monat bekäme, wären das bei 13 Gehältern: 13 Millionen Euro im Jahr. Auf die ganze Republik verteilt. Um die Größenverhältnisse zu illustrieren: Wenn Verdi drei bis vier Prozent mehr für ihre Klientel herausschlägt, da sind wir bei über eine Milliarde."
"Man muss die eigenen Bedürfnisse formulieren"
Die aktuelle Bezahlungspraxis nennt er inhuman. "Denken Sie an die Mindestlohn-Debatte. Was wurde da seitens der Arbeitgeber gejammert: Das Baugewerbe, das Taxigewerbe, das Verlagswesen, alles würde eingehen. Und? Nichts ist eingegangen. Das ist der ewige Aufschrei der gebeutelten Kapitalisten."
Deshalb macht er sich dafür stark, dass Schauspieler für ihre Rechte kämpfen: "Man muss die eigenen Bedürfnisse formulieren und vertreten. Die Schauspieler haben keine solche Vertretung, zumindest keine wirkungsvolle."
(geka)
Mehr zum Ensemble-Netzwerk und den aktuellen Theaterstrukturen? Zuletzt modellierte Thomas Schmidt in der Stadttheaterdebatte das neue Mitbestimmungstheater, Stephanie Gräve und Jonas Zipf dachten über Leitungsstrukturen an Theatern nach.
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Mit dem Alter kommt die Weisheit.
Zudem hat er recht:
Warum muss ein junger Schauspieler mit 1850 Euro auskommen, wenn sein Kollege in der Technik das Doppelte, der Musiker das 2 1/2 fache und Kollege Intendant das Zehnfache verdient.
Vielleicht sollten wir für die IntendantInnen eine Obergrenze von 8000 Euro einziehen, immerhin handelt es sich nicht um Berufe im Hochrisiko-Bereich, und die Stellen sind allesamt öffentlich gefördert.
Aus den Mitteln, die dadurch freiwerden, können wir - bei einem Durchschnitt von derzeit 11.800 € Intendantengehalt an deutschen Bühnen - insgesamt 532.000 Euro sparen. Wenn wir noch an die Spesen gehen, wäre vermutlich noch deutlich mehr Sparpotential vorhanden.
Damit können 1330 junge und jüngere Schauspieler 400 € Gagenerhöhung bekommen. Überdenken Sie doch bitte, welchen Effekt dies hätte.
400 Euro Gagenerhöhung für die 1300 am schlechtesten bezahlten Künstler.
Sollte der Bühnenverein nicht ein Zeichen setzen?
Dies wäre eine Umverteilungsmaßnahme, die ansonsten im Ermessen der Kulturpolitiker liegt. So schnell ließe sich ein Problem lösen.
Und wenn einige Opern- und Metropolen-Intendanten ein Problem damit haben, sollen sie zu privaten Festivals abwandern oder eigene Theater gründen. 8000 € sind eine Gage, die ordentlich ist für die Leitung eines kommunalen oder Landes-Betriebes, ohne Risiko. Soweit mein Vorschlag.
Wo sind denn nun die alten "Hausgemeinschaften" (egal ob im Theater oder im öffentlichen Raum) geblieben?
"Ich kann nicht glauben, dass unsere Hausgemeinschaft, die doch bis hierher, bis ins eigenhändig gebaute, selbstverwaltete Haus gekommen ist, nicht mehr gemeinsam weitergehen will. Dass wir auch untereinander nur noch so reden wie mit den Kitamüttern am Tor: keine Frage als die nach dem Wetter, dem letzten Urlaub und dem oberflächlichen Gedeihen der Kinder. Heute Abend werde ich das ändern. Ich werde alles ins Plenum tragen: die enttäuschte Liebe, die unerfüllten Erwartungen, die fehlende Anerkennung, den Stolz, die Scham. Ich werde nicht mehr zulassen, dass wir die Offenheit nur vorgeben, und uns mit allem, was entscheidend ist, hinter unseren Wohungstüren und hinter unserem Lächeln verschanzen."
(Anke Stelling, "Bodentiefe Fenster")
ich bleibe dabei.
Die Theater müssen ein Zeichen setzen. Für die Gesellschaft.
Intendantengehälter runter, und die Gehälter derer am Ende der Nahrungskette nach oben.
Wer Wasser predigt, darf nicht um Spesen feilschen, und nicht um doppelt bezahlte Regiegagen - einmal das weiter laufende Gehalt, dann die Regie-gage obendrauf, meist noch am eigenen Haus.
Fangen wir doch bitte an, die Dinge beim Namen zu nennen.
11.000, 12.000, 15.000, und einige sogar mehr.
Ist das normal?
An einem staatlich subventionierten Theater.
Ein Intendant verdient mehr als ein Oberbürgermeister, mehr als ein Staatssekretär, mehr als Bundesminister?
Und glaubt tatsächlich, er sei wichtiger?
Entspricht das den Normen unserer Gesellschaft und den oft selbstverordneten Ambitionen der Theaterleitungen, sich einzusetzen gegen Ungerechtigkeit?
Der Bühnenverein hat es in der Hand, die Intendanten zuerst um Offenlegung der Gehälter und anschließend um Verzicht zu bitten, für die am meisten von Ungerechtigkeit Betroffenen an ihren eigenen Häusern, die jungen SpielerInnen, die jungen AssistentInnen, die jungen DramaturgInnen.
Nicht jammern, machen.....
aus dem Bauch heraus kann ich Ihren Ausführungen zustimmen, aber ich halte sie trotzdem für falsch.
Natürlich erscheint ein Intendant*innen-Gehalt von >100.000 EUR p.a. aus der Perspektive einer/s Solist*in mit Mindestgage (rd. 23.500 EUR p.a.) fantastisch hoch.
Aus der Perspektive anderer Geschäftsführer*innen öffentlicher Unternehmen ist das Intendant*innen-Gehalt durchschnittlich. Auch eine Gehaltsspanne von 1:4 ist im Vergleich zu "freien Wirtschaft" eigentlich eher gesund.
Ich halte nichts von einer Neiddebatte. Die Gehälter im künstlerischen Bereich sind zu niedrig. Das ist weitgehend Konsens.
Aber die Lösung besteht meines Erachtens darin ordentliche Tarifabschlüsse für die Künstler*innen zu erreichen. Die Erhöhung der Mindestgage um 200 EUR in zwei Jahren ist schon einmal ein kleiner Schritt in die richtige Richtung - und nur durch das Engagement des Ensemble-Netzwerk zu erklären. Der Druck darf nicht kleiner werden – und eine Diskussion mit dem Thema "ihr müsst abgeben, damit die mehr bekommen können" reduziert den Druck auf die Träger*innen der Theater.
Von mir aus können die Intendant*innen weiter so viel verdienen wie bisher. Ihre Verantwortung ist im bestehenden System auch immens hoch. (Ob sie ihr gerecht werden ist eine andere Frage).
In die Kritik müsste man dann natürlich auch die Gehälter der (Intendanten als) Bühnenvereinsmitglieder einbeziehen - finde ich.
Man kann nicht immer nur "die Politik" verantwortlich machen, wenn man nicht bereit ist, sich selbst auch in Frage zu stellen.
Den Schauspielern bleibt ja gar nichts Anderes übrig, als sich so auszurichten. Deshalb müssen sie aber doch kein Armutsgelübde ablegen. Die Gagen bei Film und Fernsehen wachsen auch nicht in den Himmel, mit denen sie ihr Gehalt aufbessern müssen, wenn sie beim Theater angestellt sind.
Wie in anderen Bereichen ist es auch bei den Stadttheatern richtig zu fragen, was deren Arbeit in einer Kommune wert ist. Sich damit schmücken, bei Premieren Händeschütteln reicht nicht.
Ist es da nicht sehr viel netter, in einer Metropole zu leben, hin und wieder mal einen Drehtag zu haben - und ansonsten Freie-Theater-Projekte mit Partizipation und Honoraruntergrenze zu machen?
Insofern kann ich es verstehen, dass keiner mehr Lust hat, unter diesen Umständen fest an ein Provinztheater zu gehen.
Ich schätze mal, dass sich das Stadttheatersystem damit irgendwann selbst erledigt. Dann wird es keine Ensembles mehr geben, nur noch Gast-Schauspieler.
Frau Lieneweg stellt fest, dass das Berufsbild der Schauspieler sich verändert. Die wollen nicht mehr alle ins Festensemble. Kammelt und Frankner sagen: Ja, weil die Arbeitsbedingungen an vielen kleineren Theatern so schlecht sind. Viel Arbeit, kleine Gage. Das sagt auch das Ensemblenetzwerk. Recht haben sie. Wer die Zahlen kennt wird das nicht bestreiten.
Frau Lieneweg sagt, das Berufsbild verändert sich einfach so. Das hat NICHTS mit den Arbeitsbedingungen zu tun. Höchstens damit, dass man nicht mehr von den kleinen Häusern an die großen hochkommt, wie das früher normal war. Da hat man dann viel Geld verdient und alles war gut.
Diese Perspektive hat man nicht mehr und ist unzufrieden. Womit denn? Mit den Arbeitsbedingungen an den kleinen Häusern würd ich sagen. Ich verstehe ihre Argumentation nicht, Frau Lieneweg: Die Arbeitsbedingungen an kleinen Theatern sind nicht das Problem. Früher konnte man ja an die großen gehen konnte. Das kann man aber heute nicht mehr. Sollte man dann nicht doch über die Arbeitsbedingungen AN SICH nachdenken?