Die Danksager – Am Berliner Ensemble verabschieden sich Leander Haußmann und Sven Regener mit einem dunkelbunten Abend
Harter Regen des Abschieds
von Sophie Diesselhorst
Berlin, 27. April 2017. Fast zum Schluss sitzen sie tatsächlich ums Lagerfeuer herum, und der offene nackte schwarze Bühnenraum ist maximal romantisch aufgeladen, als hätten sich alle besten Momente aus den Hit-Inszenierungen zusammengetan, die Leander Haußmann in den letzten paar Jahren auf die Bühne des Berliner Ensembles gezaubertrickst hat. Das Feuer flackert, zehn Bob-Dylan-Doubles kehren uns den Rücken zu, singen das lange lange lange Lied A hard rain's gonna fall und wärmen sich an dem, was sie in den vergangenen anderthalb Stunden beschworen haben, der schönen heilen Welt des Theaters.
Mit Hut, Sonnenbrille, Gitarre und Mundharmonika
Dies ist ein Abschiedsabend, also ist Sentimentalität nicht nur erlaubt, sondern geboten. Zumal der Abschiedsabend sich ja in dieser Spielzeit in Berlin zu einem eigenen Genre entwickelt hat. Er wird an der Volksbühne zelebriert von allen, die dort wichtig waren und wurden; und hier am Berliner Ensemble, wo auch eine Ära bzw. 18-jährige Intendanz endet, hat Claus Peymann seinen Prinz von Homburg bei der Premiere im Februar mit einem Kniefall beim Schlussapplaus sentimentalisch gekrönt.
Dieser pathetischen Steilvorlage weichen Leander Haußmann und "Element of Crime"-Frontmann Sven Regener nun mit ihrem "bunten Abend" fürs Ensemble des BE zunächst aus, indem sie dezidiert unterspannt daherkommen. Zehn Bob-Dylan-Doubles mit Hut, Sonnenbrille, Gitarre und Mundharmonika sitzen aufgereiht da und fallen einander leicht aggressiv nuschelnd ins Wort. Dylan soll also den Literatur-Nobelpreis bekommen, und die Challenge für diese Dylan-Spieler ist: sich eine möglichst authentische Dankesrede auszudenken.
Also schmeißen sie sich in Pose; als alter Bob Dylan wettert Roman Kaminski dagegen, dass der Rock'n'Roll "zur Literaturscheiße runtergezogen" werden soll. Felix Strobel als junger Bob kommt in geradezu polleschesken Schleudergang, hin- und hergeworfen zwischen Begriffstheorie und den eigenen banalen Verknüpfungen – Dylan zu hören "ist wie Rosenkranzbeten, weil da überlegt man sich ja auch nicht, was die einzelnen Wörter noch bedeuten, da hat das einfach insgesamt eine Bedeutung und die läuft einem nicht weg, wenn man an was anderes denkt. Und dann ist da doch plötzlich eine Frage, zum Beispiel: Warum fährt man überhaupt nach Hause, was hat das zu bedeuten? Und warum funktioniert seine Musik so viel besser wenn man Auto fährt als mit der S-Bahn."
Verhangenes Geschehen
Als strenge Organisatoren rahmen "der Assistent" (Norbert Stöß) und "die Assistentin" (Karla Sengteller) das Geschehen, sie entblättern das ganze etwas sperrige Szenario der "Danksager"; wir befinden uns in einer Institution, die nie Theater genannt wird, aber neben Bob-Dylan-Imitatoren auch Günter-Grass- und Thomas-Mann-Imitatoren sowie einen Dramaturgen beschäftigt und von einem "General" tyrannisch geführt wird, der auch diesen Abend als "bunten Abend" angeordnet hat. So richtig schlüssig ist das alles nicht, viele Szenen hängen im Ungefähren, und auch die Pointen sitzen oft nicht ganz richtig, aber zumindest letzteres gehört ja dazu zum rechten Abschiedsschmerz.
Während die beiden Assistenten sich zwar von der natürlichen Konkurrenz der natürlichen Loser, die die Bob-Dylan-Doubles allesamt klischeegetreu sind, dezent anstecken lassen und einander Reizwörter zuwerfen, nur um die improvisierten Poeme des jeweils anderen mit einem schadenfrohen "Das ist jetzt aber auch nicht so gut" abzuwerten, wittert der Dramaturg (Martin Seifert) seine Once-in-a-lifetime-Chance, auch mal im Rampenlicht zu stehen und pfeffert die lustigste Szene des Abends hin, porträtiert sich als "Einhorn in einer dem Untergang geweihten Welt" und macht mit einem tragbaren Nebelmaschinchen als Signet seines Jobs, "von dem ja eh niemand so richtig weiß, worin er eigentlich besteht", das ohnehin verhangene Geschehen noch intransparenter.
"War er das wirklich?"
Und spätestens als Antonia Bill sich als Bob Dylan Nummer 5 eine unglaubliche Menge Wimperntusche im Gesicht verheult, denn: "Wenn es ihn nicht mehr gibt, gibt es uns auch nicht mehr", verschwimmen die Ebenen endgültig, wird der ganze Bob-Dylan-Hokuspokus zur dann doch supersentimentalen Hommage an Peymann und sein BE als Trutzburg des Schau-Spiels, und perfekt gemacht wird das von Carmen-Maja Antonis apodiktischem Auftritt als General Peymann / Bob Dylan, der das Spotlight auf der Bühne immer dahin dirigiert, wo er gerade stehen und künden möchte. "War er das wirklich?", raunen die Doubles sich zu. Ja, er war's, wer sonst. Und aus welcher (Theater-)Welt als aus seiner sollte hier, auf dieser Bühne erzählt werden. Solange er der Monarch der Fernbedienung ist.
Die Bühne ist zu diesem Zeitpunkt schon ganz bis nach hinten aufgemacht worden; mehrere rote Vorhänge sind gefallen, die individuellen Stühle, auf denen die Dylans anfangs hockten, sind als Brennholz um die Lagerfeuerstelle gruppiert worden, und die Pauke, auf der die Assistenten mit von ihrem Enthusiasmus zuverlässig fehlgeleitetem Taktgefühl die wenigen, chorisch vorgetragenen Dylan-Hits des Abends "begleitet" haben, ist auch verschwunden.
Doch ein Denkmal!
Platz da für das letzte Bild, in dem der Abschiedsschmerz sublimiert wird, in dem das Ensemble sich vom Vergangenen und Künftigen löst, indem es sich vom Lagerfeuerflackern hypnotisieren lässt. Die Dylans verweigern sich, mal kurz ganz im Geiste ihres Originals, der zeitlichen Einordnung. Damit auch der Anforderung, sich selbst ein Denkmal zu setzen. Aber halt! Der General hat das allerletzte Wort. Er schließt den Eisernen Vorhang, und als der sich wieder öffnet, ist das Feuer weg, und die originellen Stühle stehen einsam und allein da. Doch ein Denkmal. Trist, platt, erlösend.
Die Danksager
Text und Regie: Leander Haußmann, Sven Regener Kostüme: Janina Brinkmann Dramaturgie: Steffen Sünkel.
Mit: Carmen-Maja Antoni, Antonia Bill, Claudia Burckhardt, Traute Hoess, Karla Sengteller, Raphael Dwinger, Boris Jacoby, Roman Kaminski, Peter Luppa, Matthias Mosbach, Luca Schaub, Martin Seifert, Nörbert Stöß, Felix Strobel.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.berliner-ensemble.de
Als "schön paradoxen Versuch, mit verjuxtem Understatement von aufrichtig vergossenem Herzblut zu erzählen" beschreibt Wolfgang Höbel den Abend auf Spiegel online (28. April 2017). "Wer will, kann ein bisschen herummeckern an der melancholischen Luschigkeit, in der diese Aufführung mitunter zu versinken droht; manchmal reden die Figuren bei aller herzensfrommen Leidenschaft auch nur schrecklich banalen Stuss." Zugleich sei dieses "expressive Unvermögen" natürlich Haußmann und Regeners zentrales Thema: "Der Kunst-Liebende hat keine Wahl, wenn er denjenigen huldigt, denen seine Liebe gilt – er ist zum Mut zur Peinlichkeit verdammt."
"Das meiste an diesem Abend sind ausbaufähige Schnapsideen, die sich bei den sicher fröhlichen Proben und anschließenden Kantinengesprächen angesammelt haben", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (19.4.2017) und fand es "bei allem Charme vor allem ermattend", allerdings immerhin "mit Absicht und mit viel Ironie".
Unter flachen Witzen hat Barbara Möller gelitten, und "der Plot trägt auch nicht wirklich." Zum Abgewöhnen sei das "und trauriger Beweis dafür, dass man alles kaputt kriegen kann, wenn man nur entschlossen genug rangeht", schreibt Möller in der Welt (29.4.2017). "Was war los mit Haußmann und Regener, fragt man sich verzweifelt, als sie diesen Abend zusammengebastelt haben? Beziehungsweise: Was war los mit Claus Peymann? Wie konnte er zulassen, dass diese lustlose Uraufführung den Schlusspunkt unter seine 18-jährige BE-Intendanz setzt?"
Irene Bazinger schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.4.2017): Auf dem Umweg über Dylans Nobelpreis würden Subtexte über Peymanns Abschied und "Debatten über die Freiheit der Kunst angezettelt" und darüber, ob Künstler überhaupt "Auszeichnungen entgegennehmen sollten". Haußmann und Regener scherzten und kalauerten sich durch den Abend. Regener seien "ein paar komische Szenen und witzige Dialoge eingefallen", Haußmann bringe sie "halbwegs in Schwung, jedoch nie wirklich auf Touren". Der Abend sei dünn. Die Bewunderung für Bob Dylan sei dabei "offensichtlich", allerdings würden die Songs "stramm und zackig und gleichförmig im Chor geschmettert".
Patrick Wildermann schreibt im Berliner Tagesspiegel (2.5.2017): Zehn Bob-Dylan-Imitatoren träfen aufeinander. "Weshalb, das wird nicht wirklich klar, es spielt auch weiter keine Rolle." Der Redefluss "ohne tiefere Bedeutung" rausche so dahin, dazwischen stimmten "all die putzig kostümierten Dylan-Lookalikes" die Lieblingslieder des Autorenteams an. Nur selten gäbe es Lichtblicke in der "lahmen Theaterdämmerung". Etwa wenn Martin Seifert als "Der Dramaturg" erscheine oder Carmen-Maja Antoni als "General". Vermutlich parodiere sie Claus Peymann, vielleicht aber auch Kim-Jong-Un.
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Hinzu kommen recht flaue Witzchen über die Berufsgruppen, die im Stillen zu einem Theaterabend beitragen: über Dramaturgen, über Beleuchter… Das schleppt sich dahin, bis endlich wieder ein Dylan-Song gespielt wird. Neben den Werken des großen Meisters (von „Knockin´on heaven´s door“ bis „Mr. Tambourine Man“) bekommt das Publikum noch ein Abschiedssolo von Carmen-Maja Antoni geboten, die als egozentrischer General den Prototyp eines selbstherrlichen Intendanten parodiert.
Am Ende versammelt sich das ganze Ensemble mit Gitarren um das Lagerfeuer, Kunstschnee rieselt leise vor sich hin und auf einen Knopfdruck senkt sich der eiserne Vorhang krachend über diesem Abend.
Unter den Applaus für die Schauspieler mischten sich Buhrufe für Leander Haußmann und Sven Regener.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2017/04/27/die-danksager-leander-haussmann-und-sven-regener-mit-einem-uninspirierten-abend-zu-bob-dylan-am-berliner-ensemble/
Schon Wuttkes Auftritt als Iggy Pop hätte für eine ganze Spielzeit gelohnt. Schade, Peymann, das war es leider. Große Zeiten liegen lange zurück. Selbstlob stinkt dann einfach, Trump machts vor. Vielleicht gelingen dem alten, großartigen Mann ohne BE noch wunderbare Inszenierungen. Ich wünsche es ihm und würde mich freuen.
Und natürlich war früher alles besser und die Kultur wird bald untergehen. Ja ja, bla bla...
So zweideutig ist der Rest des Abends selten. Spannung birgt er kaum, die Aneinanderreihung ewig gleicher Nummern ist ermüdend. Das tropft und plätschert und wippt vor sich hin, will nichts und nirgendwohin und ist sich selbst genug. Die Gegenüberstellung Peymann-Dylan ist nett, wird aber kaum wirklich verfolgt. Zwei Ikonen (eine davon eher selbst ernannt) künstlerischer Selbstbestimmung, zwei Pioniere, die längst zu Marken geworden sind, entkernt, nur noch für das stehend, was ihre Rezipienten in ihren sehen wollen. Das funktioniert beim Barden aus Minnesota natürlich besser und ist bei Peymann denn doch arg bemüht. Also ironisiert man die Dylansche Heldenverehrung – tatsächlich ein Problem unter Hardcore-Dylan-Fans – und holt den Jahrhundert-Songschreiber ein bisschen herunter vom Sockel, damit der hiesige Hausherr neben ihm weniger winzig erscheint. Und trifft sich beim Geschichtenerzählen. Am Ende sind alle Vorhänge gefallen, wabert der Nebel, brennt in der Bühnenmitte ein Lagerfeuer, um das sich die Truppe versammelt und gemeinsam „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ singt, auch noch, nachdem der „General“ längst den Eisernen Vorhang hat herunterfahren lassen (auch ein Volksbühnen-Zitat). Ein schöner, beiläufiger Schlusspunkt eines Abends, der nichts anderes will als einfach da zu sein, bevor sich das alles im eigenen Nebel verliert und verschwindet, als hätte es nie existiert. Ein letztes gemeinsames Lied. Es sei ihm und diesem Haus gegönnt.
Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2017/05/10/abschied-in-den-nebel/