Um Liebe ringen

von Willibald Spatz

München, 28. April 2017. Die Autorin wollte eigentlich nicht, dass aus ihrem Roman ein Film oder ein Theaterstück wird. Die Hauptfigur Cheryl ist 43 und damit genauso alt wie Autorin Miranda July jetzt. Und ungefähr so alt wie Maja Beckmann, die Cheryl nun doch spielen darf. Cheryl ist unglücklich verliebt in ihren zwanzig Jahre älteren Chef Phillip, der wiederum in eine 16-Jährige verschossen ist. Cheryl lebt und pflegt ihre Eigenheiten alleine. Bis zu dem Tag, an dem ihre andere Chefin ihr ihre Tochter Clee aufdrängt – nur kurz, bis sie einen Job und eine Wohnung gefunden hat. Selbstverständlich wird eine längere Geschichte draus.

Es ist ein großes Theaterglück, dass es Christopher Rüping und den Münchner Kammerspielen doch gelungen ist, von Miranda July die Erlaubnis für eine Dramatisierung zu bekommen, und ein noch größeres Glück ist die Besetzung der beiden Protagonistinnen Cheryl und Clee durch Maja Beckmann und Anna Drexler, die den Abend zu zweit reißen. Die Männerrollen werden von Anna Drexler übernommen und jeweils in große Nummern verwandelt – so erbärmlich sich jener Phillip auch anstellt, als es gegen Ende zum Beinahe-Beischlaf kommt. Die einzigen, die sich außer den beiden Schauspielerinnen noch auf der fast leeren Bühne aufhalten, sind Rebecca Meining und Brandy Butler, deren Live-Videos und Musik das Geschehen kongenial begleiten.

Annäherung und Entfremdung

Ob denn jemand Miranda July kenne, fragen Drexler und Beckmann gleich zu Beginn in den noch hell erleuchteten Zuschauerraum hinein. "Der erste fiese Typ" sei ihr Lieblingsbuch, und sie seien nun die Hauptrollen in einem Stück nach einem Roman von Miranda July, die normalerweise selbst die Hauptrolle spiele. Brechungen dieser Art gibt es schon immer wieder. Die Musikerin wird mit einem "Brandy"-Ruf aufgefordert, Musik zu liefern respektive harsch unterbrochen. Beschreibende Passagen aus dem Roman werden von herumliegenden Manuskript-Seiten abgelesen. Maja Beckmann verteilt zu Beginn einer Partyszene Flyer, auf denen vor Pornographie, Gewalt und zu lauter Musik gewarnt wird. Aber ansonsten wird weitgehend gespielt, das heißt, Maja Beckmann und Anna Drexler schlüpfen in die Rollen von Cheryl und Clee und stellen die teils rabiate, teils sanfte Annäherung und anschließende Entfremdung dieser beiden so gegensätzlichen Frauen dar.

01 miranda julys der erste fiese typ 560 david baltzer uAnna Drexler und Maja Beckmann © David Baltzer

Gleich beim Einzug verlangt Clee nach Fernseher und Mikrowelle, die im Gegenzug von Cheryl geforderten Schuhe wirft sie ihr entgegen. Clees nach außen getragene Brutalität zwingt Cheryl dazu sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Eine Therapiesitzung bricht sie nach zwanzig Minuten ab, weil sie auf die Frage, ob sie sich gegen die Übergriffe der Mitbewohnerin gewehrt habe, nicht mit ja antworten kann. Der Signalton der Mikrowelle wird dann zum Rundengong für einen minutenlang ausgetragenen Ringkampf zwischen den beiden, der gleichzeitig ein Niederringen von Cheryls Unmündigkeit wird: "Gerade als mein Rücken in Flammen aufzugehen schien, kamen die Endorphine, wie beim letzten Mal, nur stärker. Mein Hals war eine lockere, warme Lache, und mein Gesicht auf dem Boden fühlte sich kühl und wunderbar an. Empfand sie das Gleiche?"

Entwaffnende Menschenfreundlichkeit

Clee empfindet das gleiche, sie werden ein Paar. Clee bekommt ein Kind. Die Geburt ist eine schrille Kunstblutschlacht, das Baby ist eine Kamera, die die Erwachsenen herzen und in die sie hineinsprechen, so dass ihre Gesichtsgroßaufnahmen auf die Leinwand projiziert werden können. Clee zieht aus am Ende, das deswegen kein schlechtes ist. Cheryl ist mit sich ins Reine gekommen.

Miranda July erzählt in ihren Werken von äußerst problematischen Beziehungen und Persönlichkeiten, doch dabei scheint eine entwaffnende Menschenfreundlichkeit durch, gegen die nur wirklich böse Leute etwas haben können. Und genau diesen Charme einzufangen, gelingt Christopher Rüping und seinen zwei großartigen Schauspielerinnen mit Hilfe stilvoll eingesetzter Effekte und Musik. Man geht tatsächlich als ein wenig glücklicherer Mensch nach Hause, nachdem ganz zum Schluss die beiden zu Brandy Butlers "Rocket Girls" nach oben entschwebt sind und ihnen ein Astronaut von unten zugewinkt hat.

Miranda Julys Der erste fiese Typ
nach dem Roman von Miranda July
Inszenierung: Christopher Rüping, Bühne: Jonathan Mertz, Kostüme: Lene Schwind, Video: Rebecca Meining, Licht: Christian Schweig, Musik: Brandy Butler, Dramaturgie: Benjamin von Blomberg.
Mit: Maja Beckmann, Anna Drexler.
Dauer: 2 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.muenchner-kammerspiele.de

 

Kritikenrundschau

Christine Dössel ringt auf der Internetplattform der Süddeutschen Zeitung (1.5.2017) mit der Haltung der Inszenierung: bevor es auf der Bühne zu einem "licht- und soundtechnisch hochgejazzten Orgasmus und einer blutigen Sauerei von Geburt" komme, würden "vorsorglich" Flugblätter verteilt: "Achtung, es werde laut und pornografisch und komme zu Gewaltszenen!" Aber: "Haha, von wegen." Das Publikum, das "man für zu konservativ" halte, werde nur auf die Schippe genommen. Weder laut noch pornografisch werde es an diesem Abend, noch tue "irgendetwas weh". Es gebe eine "enorme Action- und Spielenergie" und eine sehr geringe "inhaltliche oder intellektuelle Ausbeute", diese eher auf "Bridget Jones"-Niveau. Der Roman werde heruntererzählt, das habe Längen, dennoch sei es eine Freude, "Anna Drexler und Maja Beckmann zuzusehen, wie sie lustvoll durch diese turbulente, oft hochnotkomische Lebensnummernrevue toben".

Es gebe "Masturbationsbewegungen, lesbische Küsse, einen 'Titten'-Monolog, herumfliegendes Essen, laute Musik, Videoleinwände, flackerndes Licht", alle das also, was schon in der Steinzeit der Avantgarde dem braven Bürger den Hut vom Kopf pustete, schreibt Anja Perkuhn in der Abendzeitung (2.5.2017). Regisseur Christopher Rüping intonier "Der erste fiese Typ" als extrem verdichtete Sitcom-Serie. Seine Inszenieurng füge Roman nicht viel hinzu. "Aber auch etwas Sushi-Reis im Haar nach einem lauten, bunten Abend ist ja schon mehr, als viele Menschen erleben, die nicht ins Theater gehen."

Patrick Bahners schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4.5.2017): Die Bühnenfassung verhalte sich "ungefähr so zum Roman wie der Roman zum Leben". Es gebe viel zu lachen, weil das, was bei der Lektüre "still, privat und einsam bleibt", sich hier "öffentlich, kollektiv und lärmend" ereigne: das "ertappte Wiedererkennen alltäglicher Idiosynkrasien". Die Darstellerinnen gingen "in den Figuren nie ganz auf". Wie Maja Beckmann und Anna Drexler aufeinander reagierten, "als geschähe all dieses Abgucken, Übertrumpfen und Konterkarieren ganz spontan", mache "den Abend zum Abenteuer, zur Kette unvergesslicher Momente".

 

Kommentare  
Miranda Julys ...,München: effekthascherisch und zu lang
Zum Schluss tosender Applaus. Ein Teil des Premierenpublikums ist vor Begeisterung aus dem Häuschen. Die Inszenierung hat sehr amüsante Phasen. Es ist ein Vergnügen Maja Beckmann und Anna Drexler zuzusehen. Anna Drexler macht es offensichtlich Spaß in verschiedenen Rollen, die "Rampensau" rauszulassen - wohl als Abschiedsgeschenk an das Kammerspielpublikum. Das macht Spaß. Und doch wird der Abend langweilig. Rüping bringt noch eine Inszenierungsidee und noch eine Inszenierungsidee und noch eine Inszenierungsidee und noch eine Inszenierungsidee .... Effekthascherisch biedert sich der Abend an ein junges Publikum an (wie schon bei Hamlet), das vermeintlich coole Inszenierungen sehen will. Aber ist dem wirklich so? Statt Tiefe Öberfläche? Dabei könnten die Themen "Einsamkeit, Sehnsucht nach Nähe, Anziehung und doch nicht zusammen kommen können" unter die Haut gehen. Wäre der Abend statt 2:15 Std. nur 1:15 Std. wäre er wohl gelungen. Stattdessen viel Lärm um nichts.
Mirandy Julys..., München: Witz & Tiefe
Weil neben der Inzenierung ganz klar die Schauspielerinnen das Ding meistern:
Maja Beckmann spielt mit/zwischen Witz und Tiefe, sehr berührend & Anna Drexler auf der ständigen Suche, packt einen komischen Moment nach dem nächsten aus
Mirandy Julys..., München: Geburtsszene
Das ist ein ganz gut gemachter Abend, mit hervorragenden Schauspielerinnen, aber für mich hatte er auch zähe Längen. Der Grund dafür scheint mir zu sein, dass es inhaltlich wirklich dürftig ist. Stand-up Comedy trägt halt nicht ewig.

Im Vorfeld wurde das Buch als feministisches Traktat hoch gejubelt. Ich kenne das Buch nicht, aber an dem Abend ist von einer solchen politischen Dimension überhaupt nichts zu spüren. Vielmehr bedient die Inszenierung Klischees: das von der einsamen, eigentlich verkorksten 43-jährigen, die sich in ihr Schicksal dann aber doch gütlich fügt, und das von dem überdrehten 16-jährigen Girl, der es aber letztlich doch nur darum geht, gevögelt zu werden.

In der Geburtsszene wird das für mich am deutlichsten, dass Regie/Dramaturgie letztlich völlig oberflächlich bleiben.
Miranda Julys ...,München: mit Sinnlichkeit gefesselt
Es war einfach ein phantastischer Theaterabend. Nicht mehr, nicht weniger. Die 4 Frauen auf der Bühne waren umwerfend und die Regie war klug genug, das möglich zu machen. Der Text ist bezaubernd und für mich kein "feministisches Traktat" sondern erzählt eine Geschichte, die mir manchmal ein bisschen zu konstruiert erscheint, aber mich ansonsten in ihrer verqueren Sinnlichkeit fesselt. Und bei der Premiere gab es einen Jubelsturm, wie ich ihn in den Kammerspielen auch schon lange nicht mehr erlebt habe.
Der erste fiese Typ, München: Verschenkte Möglichkeit
Wie so oft in den Kammerspielen ein zweigeteiltes Publikum: Frenetischer Beifall von den (üblichen) Claqueuren im hinteren Teil des Parketts, ratlose Blicke beim Rest des Publikums. Nicht wegen Blut, Sperma und Masturbation auf der Bühne - das schockiert heute nicht einmal mehr das Abo-Publikum des Stadttheaters Posemuckel. Eher wegen der Belanglosigkeit der Inszenierung. Diese setzt fast durchgehend auf Knallchargen-Nummern und Schenkelklopfer, modernes Bauerntheater eben. Da können auch die zwei eigentlich grandiosen Hauptdarstellerinnen nicht viel retten.

Dabei böte das Stück genug Themen für eine echte Auseinandersetzung: Einsamkeit, Emanzipation, Liebe, Sex, Verlangen, Verlust. Stattdessen wird dem Publikum ein Reigen von Slapstick-Szenen serviert, garniert mit einem kalkulierte Spiel mit dem Ekel und jeder Menge billigen Lachern. Weil dazu irgendwann die Regieeinfälle ausgehen, wird es in der zweiten Hälfte fast unerträglich zäh. Kein Wunder, dass (wieder einmal) keine Pause vorgesehen ist - die Regie wollte sich wohl den Anblick halbleerer Reihen im zweiten Teil ersparen.
Der erste fiese Typ, München: Bridget Jones-Vergleich
Gute Schauspielerinnen, unterhaltsamer Einstieg, manche nette Gags, aber Längen und - hier schließe ich mich gerne dem vorigen Kommentar an - "modernes Bauerntheater", viel seichtes Gerede, das rettet dann auch die Videotechnik und die Sängerin Brandy nicht. Hätte ich zu Hause auf der Couch "Bridget Jones" gelesen (an das mich die Hauptdarstellerin manchmal erinnert hat), wäre das im Vergleich ein geradezu geistreicher Abend geworden...
Schade!
Miranda Julys ..., München: phantastisch
SO EIN PHANTASTISCHES STÜCK, ich könnte heulen vor Glück!
Miranda Julys ..., München: Rocket Girls
Lauter großartige Frauen auf der Bühne:
so intensiv
so uneitel
so direkt
so komisch
sooo berührend!!!
Am Ende singt Brandy Butler ganz wunderbar "Rocket Girls"eigentlich "Rocket Man" von Elton John. Rocket Girls waren Frauen/Mathematikerinen die in den 60-iger Jahren den Männern den Weg ins All für die Nasa berechnet haben:)
Miranda Julys ..., München: Geschenk für Zürich
Uff, was für ein Theaterglück, was für eine Sensation für Zürich, was für ein Erlebnis.... Ich kriege einen Klos im Hals, wenn ich das hier formuliere - wie heißt der nochmal bei Miranda July: "Globus soundso" (gibts den wirklich?) Die Inszenierung so reich, so frei, eine Stunde lachen, eine Stunde weinen, zwei Tage davon träumen und erstmal alle Freunde zwingen, auch hinzugehen. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass eine andere Schauspielerin als Henni Jörisson die Rolle mal gespielt hat. Maja Beckmann und Christoph Rüping sind ein Geschenk für diese Stadt. Bitte bleibt hier.
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