Presseschau vom 5. Mai 2017 – Der Berliner Tagesspiegel steigt in die Vorabkritik des Berliner Theatertreffens ein

Warum keine Unterwerfung?

Warum keine Unterwerfung?

5. Mai 2017. In seiner heutigen Ausgabe widmet sich der Berliner Tagesspiegel mit zwei Texten dem morgen beginnenden Theatertreffen und übt schon einmal Kritik.

Peter von Becker vermisst vor allem eine Inszenierung: "Unterwerfung" mit Edgar Selge vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg: "Wenn es zuletzt etwa um Flüchtlinge ging, um Migration oder Rassismus, überwog dabei bisweilen das Thema die Gestaltung. Diesmal aber hätte sich die Chance geboten, beides so stark wie nachhaltig zusammenzubringen." Die Jury habe diese Aufführung "glatt verschlafen". Überhaupt sei die Jury blind gewesen, "offenbar zuallererst für Schauspieler*innen", denn sonst hätte sie laut Peter von Becker auch Professor Bernhardi von der Schaubühne in der Inszenierung von Thomas Ostermeier einladen müssen.

Grundsätzlicher wird Rüdiger Schaper, der sich über das um Gastspiele und "Specials" ergänzte Hauptprogramm wundert: Das weiche "das Jury-Prinzip auf, es relativiert den Charakter des Theatertreffens. Die Beiladungen stehen in keinem Zusammenhang mit den Aufführungen, die von der Jury ausgesucht wurden. Sie kommen nicht von Künstlern der ausgewählten Bühnen, sondern sind freihändig kuratiert. Das HAU, die Volksbühne und viele andere Berliner Bühnen bekommen hier von den Festspielen neue Konkurrenz. Sie werden es verkraften. Die Berliner Festspiele aber geben ohne Not ein absolut Eigenes preis. Es läuft auf die Abschaffung der Jury hinaus."

(wb)

Kommentare  
Tagesspiegel zum Theatertreffen: Zustimmung
Besonders Peter von Becker kann ich nur zustimmen.
Tagesspiegel zum Theatertreffen: Gegenvorschlag
Ich würde das Gegenteil vorschlagen. Dieses ganze Jurykonzept, das Objektivität vorgaukelt, finde ich ärgerlich. Man weiß ja doch, dass Geschacher und Theatermachtpolitik im Spiel ist. Außerdem ist der Ranking-Gedanke Gift für die Kunst, die altmodische Idee vom "Ritterschlag". Es stimmt, die augenblickliche Form verwischt den alten Gedanken. Aber man muss ja trotzdem nicht zum alten Gedanken zurück. Büdenhölzer und Oberender sind kluge Leute, warum nehmen die nicht einen wechselnden dritten Kurator dazu und bauen ein wirklich gutes Festival mit zehn "bemerkenswerten" Inszenierungen und Beiprogramm.
Tagesspiegel zum Theatertreffen: Nachfragen
guten Morgen Herr Schaper. Das mit dem freihändigen Kurateren ist nicht erst seit diesem Jahr so und wurde im vergangenen Jahr in der Presse auch schon ausführlich diskutiert. Wieso kommen Sie erst jetzt damit? Was ist die Absicht? Außerdem: was ist denn so schlimm an Veränderungen, wenn ein Festival sich verändert? Sie sind doch sonst auch sehr laut dafür, dass sich endlich was ändert, siehe Volksbühne.
Zu Herrn Becker: es hat immer Inszenierungen gegeben, die man hätte einladen MÜSSEN. was ist dieses Jahr so anders und besonders, dass man gleich ausfällig werden muss?
Tagesspiegel zum Theatertreffen: Überschreiten der Binnenperspektive
@2. Unterwerfer. In einem Punkt stimme ich Ihnen unumwunden zu: Yvonne Büdenhölzer und Thomas Oberender sind kluge Leute, die fraglos gute Festivals bauen können und ja auch schon gebaut haben. Ob man allerdings das Alleinstellungsmerkmal des Berliner Theatertreffens aufgeben sollte, ein Programm von einer theaterbetriebsunabhängigen Jury zusammenstellen zu lassen und zwar aus einem lebhaften Wettstreit sieben sehr unterschiedlicher ästhetischer und politischer Positionen heraus, das würde ich doch bezweifeln. Die Qualität und überhaupt der Anspruch einer solchen Kritiker*innen-Wahl liegen ja nicht in Objektivität oder "Ritterschlag", sondern schlicht im Überschreiten der Binnenperspektive des Theaters. Der Kritiker/die Kritikerin sind als Vertreter/in der Rezeptionsseite der Kunst mit anderen Interpretationsanstrengungen betraut, finden andere argumentative Linien und Darstellungszusammenhänge als die Produzenten. Nicht besser oder schlechter. Nur anders. Auch arbeiten sie nicht nach den bewährten Parametern der Festivaldramaturgie (ein Mix aus Groß und Klein, aus neuen Namen und arrivierten, aus Provozierendem und Harmonisierendem, aus Schauspiel im Guckkasten und Performances im öffentlichen Raum etc.). In einer Landschaft, in der es an kuratierten Festivals beileibe nicht mangelt (es werden eigentlich täglich mehr), würde ich diese Form der unabhängigen, externen Auseinandersetzung mit dem Theaterschaffen nicht aufgeben.

(NB: Ich gehöre der aktuellen Theatertreffen-Jury an, spreche hier aber nicht als Juror, sondern als Christian Rakow.)
Kommentar schreiben