Zurück in die Gewerkschaft!

von Nikolaus Merck

Potsdam, 14. Mai 2017.  Wo gibt's denn sowas? Arbeitgeber rufen auf zum Eintritt in die Gewerkschaft? Hallo? Im deutschen Theaterland gab's das am Wochenende. Das ensemble-netzwerk, aus der Taufe gehoben vor knapp zwei Jahren, hatte zu seiner "2. Bundesweiten Ensemble-Versammlung" geladen. Nach ersten Erfolgen mit der Aktion 40.000 Bühnenmitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten sollte nun auf einem Pow Wow beratschlagt werden, wie es weitergehen soll mit der Grass-Roots-Bewegung der Theater-Solist*innen aus Schauspiel, Musiktheater, Tanz, aus den Dramaturgien und Regie(assistent*innen)-Stuben.

ensemble 1632IMG 1942 560Lisa Jopt hält die Begrüßungsrede und zeigt ihren Gagenzettel © Ensemble-Netzwerk

Niedrige Gagen, Einstufung in die Entgeltgruppe E2 des Öffentlichen Dienstes zusammen mit Hilfsköchen und Boten, Arbeitszeiten, die der gesetzlichen Begrenzung auf 48 Stunden spotten, Wochenendarbeit ohne Freizeitausgleich, schlechter Schutz für Familien und Schwangere waren einige der Gründe, die in den vergangenen zwei Jahren zu einer (vor allem im Internet) massenhaften Mobilisierung vor allem der Schauspieler*innen geführt hatten.

Bessere Arbeitsbedingungen für alle

Schon in ihrem Potsdamer Begrüßungsvortrag machte Netzwerk-Vorfrau Lisa Jopt klar, was es nach einem Lehrjahr der Netzwerker in der Theater-Realpolitik nicht mehr geben soll: die Konfrontation mit den "Sonnenkönigen". Die im letzten Jahr als Mitschuldige an den miserablen Gagen und beklagenswerten Arbeitsbedingungen ausgemachten Intendant*innen sitzen doch im selben Boot, lautete der Generalbass, der sich durch die 45-stündige Veranstaltung zog. Das Leitmotiv dazu bildete der allseits geteilte Gemeinplatz: "Wir alle wollen doch 'volle Hütten' und die Bedingungen, um gute Kunst zu machen". Womit eins der zentralen Themen der Zusammenkunft im Grunde erledigt war.

rudolph ausschnitt 280 ensemble netzwerk uSebastian Rudolph © Ensemble-Netzwerk

Zwar war der Jubel am Freitagabend groß gewesen, als der Schauspieler Sebastian Rudolph ausrief: "Wenn mehr eigenständige Kreativität von uns verlangt wird, müssen Intendanten, Regisseure und Dramaturgen Macht abgeben." Auch stieß das Referat der Dramaturgin Stephanie Gräve über Thomas Schmidts Studie Theater, Krise und Reform. Eine Kritik des deutschen Theatersystems am Sonntagmorgen auf starkes Interesse. Die anschließende Diskussion jedoch beherrschten die Intendanten Ulrich Khuon und Hasko Weber. Wo sich Khuon selbstkritisch gab ("wenn wir als Sonnenkönige gesehen werden, brauchen wir einen Neuaufbruch"), misstraute Weber weitgehenden Forderungen von schlecht informierter, sprich Schauspieler-Seite. Auch das ein Ergebnis des gemeinsamen Lernprozesses in dem Jahr nach Gründung des Netzwerkes, in dem gerade Hasko Weber das "Greenpeace der Theater" tatkräftig beraten und unterstützt hatte.

Mitbestimmungsmodell hintenangestellt

Wohl möglich ist es auch politisch für das Ensemble-Netzwerk sinnvoller, den dritten Schritt, Demokratisierung des Theaters, nicht vor dem ersten zu tun. Immerhin ließe sich ja aus der Mitbestimmungsbewegung der 1970er Jahre lernen, dass eine Selbstüberforderung von Künstler*innen eher Enttäuschung und Erschöpfung als mehr Produktivität hervorbringt. Eine bessere "work-life-balance", wenigstens ein Quäntchen freie Zeit, ließe sich neben der Ausübung des Kunstberufes und den Bildungsanforderungen für eine fest eingerichtete Mitbestimmung wahrscheinlich nur schwer erreichen. Wohl möglich ist die Konzentration auf gewerkschaftliche Forderungen der notwendige Move, weil es zunächst darauf ankommt, das Gewicht der im Vergleich zu Orchestern, Chören und Gewerken beklagenswert schlecht organisierten Tänzer-, Sänger- und Schauspieler*innen am Theater zu stärken, um danach höhere Ziele ins Auge fassen zu können.

ensemble 2091IMG 3576 560Die Gewerkschafter-Gruppe im Netzwerk © Ensemble-Netzwerk "Ich will mich nicht um meine Arbeitsbedingungen kümmern müssen", hatte Sebastian Rudolph am Freitagabend zu Beginn der Tagung formuliert. "Ich will probieren, spielen, Texte lernen, empfindlich sein. Es ist mein Job empfindlich zu sein". Und war doch zu dem Schluss gekommen, dass es damit nicht sein Bewenden haben dürfte. "An welchem Schauspieler-Gen liegt es", fragte der Protagonist des Hamburger Thalia Theaters, einer der wenigen Stars der Versammlung, "dass wir nie etwas Sinnvolles machen?" Womit Rudolph das mangelnde Engagement seiner Berufskolleg*innen aufspießte. Gerade einmal 213 Leute sind bis dato dem Verein "ensemble-netzwerk" beigetreten. Andrerseits: bei nur 3.260 nach Normalvertrag Solo angestellten Solist*innen an deutschen Theatern sind die 250 in Potsdam versammelten Künstler*innen doch eine beachtliche Anzahl.

Ungehörter Ruf: Treten Sie in die Gewerkschaft ein!

Auffällig immerhin, dass die Kolleg*innen der großen Häuser unterrepräsentiert und die Student*innen und Anfänger stark vertreten waren. Auffällig auch, dass die Forderungen der ersten Versammlung nach wie vor unerfüllt sind. War 2016 in Bonn zum massenhaften Eintritt in die Schauspielergewerkschaft GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger) aufgerufen worden, versammelten sich gerade kümmerliche 25 Figuren zum Gewerkschafter*innen-Gruppenfoto am Sonntag. "Treten Sie in die Gewerkschaft ein!", hatte ausgerechnet Bühnenvereins-Geschäftsführer Marc Grandmontagne in einer mitternächtlichen Rede am Freitag unter dem Jubel der Zuhörer gefordert. "Werden sie politisch! Gehen Sie an die Öffentlichkeit."

ensemble 2161IMG 3791 560Abschluss-Gespräch mit Ulrich Khuon, Lisa Jopt, Anica Happich (junges ensemble-netzwerk),
Sabine Nolde (GDBA), Hasko Weber und Moderatorin Dorte Lena Eilers © Ensemble-Netzwerk

"Tretet in die Gewerkschaft ein!", forderte auch der Weimarer Intendant Hasko Weber, "Ihr müsst kommen, immer wieder kommen und nerven", pflichtete ihm der Kultursprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus Notker Schweikhardt im abschließenden Stuhlkreis am Sonntag bei. "Die Politiker*innen haben keine Ahnung von Euren Arbeitsverhältnissen", für die seien allein Auslastung, Vorstellungsanzahl und ob die Häuser mit den Etats auskommen, interessant.

Info-Updates an die Politik

Eine Erkenntnis, die den Aktivisten auch bei der wieder und wieder beschworenen Aktion "40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordnete" aufgegangen war. Politiker freuen sich, wenn die Spaßmacher und Performer anrücken. Von deren Arbeitsbedingungen hat niemand einen blassen Schimmer.

ensemble von Otitng Ausschnitt 280 ensemble netzwerk uKämpfer für einen "starken Tarifvertrag",
Ludwig von Otting auf der Konferenz 
© Ensemble-Netzwerk
Ob allerdings das schiere Informations-Update nützt? Der politische Diskursraum, in dem mit Niveau über Theater diskutiert werden kann, bröckele, hatte Marc Grandmontagne zu bedenken gegeben. Auch Hasko Weber konnte seine Skepsis nicht verhehlen, wenn er auf die Diskussionen mit Politikern zu sprechen kam. Allein Ulrich Khuon zeigte abermals, warum er als guter Hirte des deutschen Theaters gilt. Dass man mit ihm einen Theatermann für die Moderation einer Bürgerversammlung zum Thema Rassismus ins thüringische Altenburg geholt hatte, betrachtete er als gutes Zeichen, "wir sind doch die Expert*innen für die Offene Gesellschaft". Für Marc Grandmontagne ist auch das kulturpolitische Auftreten der AfD nicht nur ein Schreckgespenst. Dadurch hätten sich Politiker der demokratischen Parteien erst wieder darauf besonnen, dass es doch etwas in der liberalen Gesellschaft zu verteidigen gäbe, zum Beispiel die Theater.

Die 14-Millionen-Musterrechnung

Selbst die leidige Frage des Geldes, an dem im Theater so ziemlich alles hängt, jedenfalls die gerechten Gagen und verbesserten Arbeitsbedingungen, die das Netzwerk fordert, könnte demnächst noch einmal anders und neu diskutiert werden. 14 Millionen Euro im Jahr bräuchte es nach einer Musterrechnung des ehemaligen Thalia Theater- Verwaltungschefs Ludwig von Otting und des art but fair- sowie netzwerk-Aktivisten Sören Fenner, um alle Solist*innen-Gagen in Deutschland auf ein angemessenes Niveau zu bringen. 14 Millionen, und wo sollen die herkommen? "Ich bitt' Sie", brummelt Ludwig von Otting, "54 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen werden laut FAZ bis 2021 prognostiziert. Wenn einer sagt, es wäre kein Geld da, wissen Sie was das ist? Bullshit!"


Mehr zur Debatte um die Zukunft der deutschen Stadttheater. 

 

mehr porträt & reportage

Kommentare  
ensemble-netzwerk: das will keiner
Ja, nich, das will ja eigentlich keiner, sich um seine Arbeitsbedingungen kümmern müssen. Im Theater nicht und sonst auch. Z.B. als Publikum. Optional oder echt anwesendes. Wenn man das verinnerlicht hat, kann man eigentlich so einen Satz schon einmal gar nicht sagen.

Nein, ich denke nicht, dass es der Beruf eines Schauspielers ist, empfindlich zu sein. Was bitte soll das heißen? Dass alle Nicht-Schauspieler - also zum Beispiel die optionalen oder reale Theaterzuschauer - nicht empfindlich sein können? Schon allein, weil das ja nicht ihr Beruf ist?
ensemble-netzwerk: dabei sein
Das Foto der "Gewerkschafter-Gruppe" ist toll! Genau dort will man dabei sein.
ensemble-netzwerk: Teilnehmerzahl
Das Ensemble Netzwerk ist super! Dass jedoch so verhältnismäßig wenig Schauspieler am Wochenende in Potsdam waren, und vor allem Anfänger, liegt mitnichten daran, dass wir anderen kein Interesse hatten, sondern, dass wir Vorstellungen und Proben hatten. Nichtsdestotrotz verfolgen wir die Versammlung und Berichte darüber mit großem Interesse! Weiter so!
ensemble-netzwerk: im Zusammenhang
@D. Rust. Sie sollten erstmal die ganze Rede anhören, damit Sie den Zusammenhang verstehen können. Alle Reden sind online - alle schauen Sie sich erstmal an, bevor Sie so ein herabfälliges Urteil fällen.

(Sehr geehrte/r Villaverdi, können Sie mit einem Link zu den Videos weiterhelfen? Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
ensemble-netzwerk: Orientierung
#4 Bitte beschweren Sie sich zunächst bei Nikolaus Merck, der hier die Zitate ausgewählt und (s.o.) kommentiert hat. Und der HIER, auf dieser Seite damit meine erste Orientierung zum Weiterschauen/-anhören ist, wenn ich mich für diese Konferenz und ihre Ergebnisse interessiere.
Sie können mir auch gern begründen, WARUM ich mir Ihrer Ansicht nach "alle" von "Alle(n) Reden" die von der Konferenz online sind, anschauen soll.
ensemble-netzwerk: Videos folgen
Die Videos werden heute im Laufe des Tages auf die Homepage des ensemble-netzwerks hochgeladen. www.ensemble-netzwerk.de
ensemble-netzwerk: Vorverurteilung
#5
Ihre Interpretation vom Umkehrschluss, dass Sebastian Rudoplph meinen könnte, dass das Publikum nicht "empfindsam" sei, entspringt einer nicht gerade wohlgesonnenen Deutung. Ich kann Herr Merck keinen Vowurf machen, da ich finde, dass der Artikel auch ohne Ihre Unterstellungen implizierende Deutung gelesen werden kann. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Kritik an Inhalten der Reden: gerne! Aber so vorverurteilen Sie nur das wohlwollende Engagement eines Schauspielers und das ist mir sehr unsympathisch.
ensemble-netzwerk: Deswegen
Ensemblenetzwerk ihr seid großartig superwichtig und die einzige Überlebenschance fürs deutsche Theater,
Deswegen sitzen khuon und Hasko Weber ja mit da.
ensemble-netzwerk: Publikum empfindsamer als Theater
#7 Ich halte es in künstlerischen Angelegenheiten - Arbeitsbedingungen von z.B. Schauspielern sind das - für abträglich, wenn Künstler immer die Empfindsamkeit für sich reklamieren in der Öffentlichkeit. Das ist für mich eine - ob bewusst oder unbewusste - bourgeoise Einstellung gegenüber den Kunstrezipienten. Ohne Empfindsamkeit ist natürlich die Welt nicht so feinsinnig wahzunehmen, dass sie auch entsprechend ausgedrückt, dargestellt werden kann. - Aber ohne Empfindsamkeit ist auch kein Theater überhaupt erhaltenswert oder unterstützenswert zu finden. Ich würde es begrüßen, wenn das Theater sich zumindest bitte einmal vorstellen wollen würde, dass sein Publikum empfindsamer sein könnte, als es selber. Das würde m.E. für einen beträchtlichen Fortschritt sorgen können.
ensemble-netzwerk: Fragen
# 1 + 9 Und wenn das Publikum dann als empfindsamer eingestuft wird, als die auf der Bühne stehenden, dann bedeutet das was genau...? In welche Richtung geht der Zug? Ich kann's mir ja schon denken...
ensemble-netzwerk: Bezahlung!
Empfindsamkeit ist Bedingung für manche Profession - und hat selten was mit der Bezahlung zu tun. Die aber muss sich ändern!
ensemble-netzwerk: wohin?
#10: Das ist schön und freut mich! - Warum erörtern SIE dann nicht einfach, was das dann möglicherweise genau bedeuten könnte und wohin dann nach Ihrer Vorstellung nach der Zug gehen würde? - Das fände ich im Moment viel spannender, als wenn ich mich sofort erneut dazu äußere. - Es macht viel mehr Vergnügen, gemeinsam eventuell falsch zu denken als allein oder gar nicht!
ensemble-netzwerk: die Papas vom Bühnenverein
Es ist nicht nur unverständlich und enttäuschend, sondern auch richtig ärgerlich, dass sich das Ensemble Netzwerk auch ein Jahr nach Bonn nicht aus dieser koketten Naivität lösen kann, sondern brav an den Händen der Papas vom Bühnenverein und Onkeln wie von Otting verharrt und dann auch noch den Anspruch auf Nicht-Beschäftigung mit Arbeitsbedingungen postuliert. So werdet ihr nichts an Euren Arbeitsbedingungen ändern. Nichts.
Wer Interesse hat, sich mit zeitgemäßen Organisationsformen und Ästhetiken von Theaterensembles zu beschäftigen, die nicht nur erfolgreich, sondern auch vergleichbar gut sozial gesichert arbeiten und dabei alle Entscheidungen über Arbeitsbedingungen und über die künstlerische Ausformulierung bei sich behalten, der kann sich am kommenden Samstag, 20. Mai um 15 Uhr in der Akademie der Künste, Pariser Platz, einen guten Überblick verschaffen. https://www.facebook.com/events/265896423873469/
ensemble-netzwerk: nicht naiv sondern verantwortungsbewußt
Lieber Julian, wenn man einen großen Tanker gegen die Wand setzt explodiert er.

Dass Ihr mit Euren schnittigen Freie-Szene-Yachten viel leichter navigieren könnt, ist richtig. Und ja, ich finde auch - Ihr habt die zeitgemäßeren Orga-Formen und seid inzwischen vergleichbar gut abgesichert. Und Du, der BFDK, das PAP, die Koaltion der Freien - Ihr macht einen fantastischen Job, von dem sich die Intendanten, der Deutsche Bühnenverein und alle Künstlergewerkschaften eine große Scheibe abschneiden könnten.

Aber zurück zum Tanker: Ein Staatstheater ist nicht so manövierfähig und heftige plötzliche Bewegungen können wie gesagt einen großen Schaden verursachen. Daher ist unsere ensemble-netzwerk-Vorgehensweise nicht naiv, sondern verantwortungsbewusst. Und ehrlich gesagt ist die "Wir-sind-eine-große-Theaterfamilie"-Melodie von Euch abgeguckt: Ihr habt damit bei der Durchsetzung der Mindesthonorare großen Erfolg gehabt.

Ich hätte es auch gern schneller mit den Stadttheatern. Aber wir wollen ja das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Daher - bitte gib uns die Zeit, und bedenke, dass wir diese schwierige Baustelle ehrenamtlich und voller Leidenschaft bestellen. Und bitte spiele die beiden Systeme nich gegeneinander aus. Dabei gibt es keine Gewinner.

Der andere "Onkel vom e-n", Sören
Kommentar schreiben