Am charismatischen Nullpunkt

von Esther Slevogt und Christian Rakow, Video: Julika Bickel

Berlin, 16. Mai 2017. Das ist sie also, die lang erwartete Programmpressekonferenz der Dercon-Volksbühne. Im Publikum nicht nur die Pressevertreter*innen der einschlägigen Medien und Pressesprecher*innen anderer Berliner Kulturinstitutionen wie dem Gorki Theater oder den Berliner Festspielen, auch eine Abordnung der Castorf-Volksbühne, darunter Carl Hegemann, war gekommen.

Neue Spielstätte Tempelhof

Geladen hatte das Team um den designierten Intendanten Chris Dercon und seine Programmdirektorin Marietta Piekenbrock in den Flughafen Tempelhof, ins ehemalige Flughafenrestaurant. Tempelhof war seit der Berufung Dercons als Ort einer neuen Spielstätte der Volksbühne im Gespräch gewesen. Dann kamen 2015 / 16 erst einmal die Geflüchteten. Demnächst nun baut der Architekt Francis Kéré ein mobiles Satellitentheater für Tempelhof. Und auf dem Tempelhofer Flugfeld wird der Tänzer und Choreograf Boris Charmatz im September 2017 im Kontext seines Projektlabels Musée de la Danse Berlin-Editionen von "Fous des Danse" und "Danse de Nuit“ sowie ein weiteres als partizipative Choreographie für Laien und Profis gedachtes Projekt zeigen.

Chris Dercon über den Start an der Volksbühne Berlin: "Wow, das wird nicht einfach sein. Das ist hier so gut."
© Julika Bickel

In Zukunft soll der Theater-Komplex als "Volksbühne Berlin" firmieren und diverse Spielstätten vereinen. Eben Tempelhof, aber auch das Kino Babylon, den Roten und den Grünen Salon, die wieder unter Eigenregie der Volksbühne gestellt werden, perspektivisch – so hofft man – auch den Prater. Und die digitale Bühne ("Volksbühne Fullscreen") wird es geben, die unter anderem mit Beratung von Netz-Journalistin Mercedes Bunz das Internet als Ort für die Darstellende Kunst und neue Erzählformen erkunden will.

Eröffnung mit Beckett

16 Premieren, davon 13 Eigenproduktionen sind in der ersten Spielzeithälfte bis Januar 2018 geplant. Acht davon an der Hauptspielstätte am Rosa Luxemburg Platz, drei in Tempelhof. Der Diskurs-Performancekünstler Tino Sehgal eröffnet das große Haus mit einer mehrtägigen Bespielung zum Thema "Samuel Beckett", Becketts ehemaliger Mitarbeiter Walter Asmus wird im November drei Einakter "Nicht Ich / Tritte / He, Jo" herausbringen, mit Morton Grundwald, der einst den Benny in der aus DDR-Zeiten legendären dänischen Fernsehserie "Olsen-Bande“ spielte. Susanne Kennedy, Mette Ingvartsen, Mohammed al Attar und Yael Bartana werden sich als Künstler*innen erstmals am Rosa-Luxemburg-Platz vorstellen.

Mercedes Bunz über die digitale Bühne "Volksbühne Fullscreen": Internet künstlerisch denken
© Julika Bickel

Bei vielen Arbeiten handelt es sich um Weiterführungen von bereits etablierten Serien wie Ingvartsens "Red Pieces" oder Boris Charmatz' "Musée de la danse", teilweise um Adaptionen von bereits bestehenden Inszenierungskonzepten für Berlin (wie Jerôme Bels "The Show must go on"). Bei den Selbstmord-Schwestern von Susanne Kennedy an den Münchner Kammerspielen trat die Volksbühne bereits als Koproduzent auf.

Kämpferische Zuspitzungen

Chris Dercon und Marietta Piekenbrock sprechen in ihren Begrüßungsreden immer wieder von der schwierigen Vorbereitung ihres Intendanz-Starts. Man sei eigentlich schon viermal gekündigt worden, heißt es auf Nachfragen: nach der Antrittspressekonferenz, nach Bert Neumanns Tod, nach der Berlin-Wahl und der Infragestellung durch den neuen Kultursenator Klaus Lederer. Die Unsicherheit ist greifbar. In seiner Eröffnung wirbt Chris Dercon um "Generosität", um eine faire Chance für den Neustart, er gesteht Fehler in der Kommunikation ein, will mit einer humorvollen Sottise versöhnen: Belgischer Akzent sei ja jetzt in Berlin en vogue, nicht nur bei Benny Claessens (der zuletzt in Ersan Mondtags Ödipus und Antigone zu sehen war), sondern auch bei Alexander Scheer (der Dercon in Castorfs Faust recht ätzend parodiert). Verhaltenes Schmunzeln im Publikum. Marietta Piekenbrock sucht in ihrer Programmrede kämpferische Zuspitzungen. Die Anfeindungen durch Teile der Berliner Presse und Künstlerszene hätten "dazu beigetragen, unsere Idee von Freiheit zu schärfen."

Marietta Piekenbrock über den Start an der Volksbühne Berlin: "Die Skeptiker haben dazu beigetragen, dass wir unsere Idee von Freiheit schärfen." © Julika Bickel

Der Volksbühnen-Kulturkampf der letzten zwei Jahre als Bremsklotz für den Intendanzstart – dieses Motiv zieht sich durch die Pressekonferenz. Es sei schwierig gewesen, in den zurückliegenden Monaten ein stehendes Ensemble aufzubauen. Zugkräftige Namen fürs Schauspiel konnten in der Pressekonferenz nicht präsentiert werden. Allerdings würden "Sir" Henry Nijenhuis, Silvia Rieger und Sophie Rois weiter zur Volksbühne gehören, erklärte Chris Dercon gegenüber nachtkritik.de. Geplant sei nach wie vor nicht nur, ein festes Ensemble aufzubauen, sondern auch, die Produktionen regelmäßig im Repertoire zu zeigen. Der politisch verankerte Auftrag, die Volksbühne als Repertoire- und Ensembletheater zu führen, war unlängst von Klaus Lederer unter anderem im Interview mit nachtkritik.de wiederholt unterstrichen worden. Ob und wie er erfüllt wird, muss sich erweisen. Die Pressekonferenz dient hier vor allem der Bitte um Vertrauensvorschuss.

Frostige Nachfragen

Zur Überschneidung des Volksbühnen-Repertoires mit Festivalformaten der Berliner Festspiele und dem Programm von freien Produktionshäusern wie dem HAU (wo Künster*innen wie Boris Charmatz, Susanne Kennedy oder Mette Ingvartsen für Berlin entdeckt wurden) äußerte sich Marietta Piekenbrock mit Verweis auf die besseren, weil nachhaltigen Produktionsbedingungen. Womit die Rahmenbedingungen der Arbeit an der neuen Volksbühne so weit als möglich abgeklopft wurden. "Wir befinden uns am charismatischen, durchaus lustvollen Nullpunkt", sagte Marietta Piekenbrock auf die eher frostigen, teils offen kritischen Nachfragen der Journalist*innen.

Anders gesagt: Ab Herbst gilt es. Und die Dercon-Volksbühne kann zeigen, ob dieser Nullpunkt ihr Ground Zero für einen furiosen Neuaufbau wird.

 

www.volksbuehne1718.berlin

 

Ein Video-Interview von nachtkritik.de mit Chris Dercon sehen Sie hier.

 

Presseschau

Rüdiger Schaper schreibt auf tagesspiegel.de (16.5.2017): Dercons Volksbühne wirke "wie ein Pool für die jungen Kreativen, die Berlin ohnehin anzieht". Das "ephemere Stadtverständnis" verdichte sich zum Programm. "Da werden am laufenden Band neue Formate erfunden und vernetzt und überhaupt." Andererseits solle das "nahezu klassische Erbe der Moderne gepflegt werden". Der Übergang könne, "trotz allem Wehgeschrei, so hart nicht sein", weil von 227 Mitarbeitern 206 blieben. Es liege "erstaunlich viel Kontinuität in diesem Wechsel". Andererseits bekämen die Berliner Festspiele durch dieses Programm Konkurrenz.

Wolfgang Höbel war nach der Pressekonferenz echt sauer. Auf Spiegel Online (16.5.2017) schreibt er: Die Pressekonferenz von "Chris Dercon und sechs Frauen und Männer, die mit ihm arbeiten," sei eine "Show des Schreckens" gewesen und eine "Orgie des hochtrabenden, aber kaum wirklich bedeutsamen Geschwafels". Dabei seien Stoffe und Namen für das erste Halbjahr "nicht sensationell, aber durchaus interessante Versprechen für all jene, die sich für Theaterkunst auf der Höhe der Zeit begeistern". Dercon habe die Programmpräsentation offensichtlich zu einer "Charmeoffensive, zu einer Werbeshow um öffentliche Sympathie" nutzen wollen. Es sei eine "Inszenierung der Zerknirschtheit" gewesen, in der Dercon und seine Mitstreiter erst gestanden, "dass sie nicht immer glücklich kommuniziert" hätten, um sodann "noch unglücklicher weiter" zu kommunizieren. Das "Spießrutenschwafeln" sei "80 erschöpfende Minuten lang unerbittlich durchgezogen" worden.

Schon seit Monaten habe man im Groben gewusst, wohin "die Reise an der neuen Volksbühne gehen" werde, kommentiert Susanne Burkhardt auf Deutschlandfunk Kultur (16.5.2017, zum Nachhören). Aber auch nach der Pressekonferenz warte man auf "etwas, von dem man sich vorstellen kann, dass es die 800 Plätze füllt, die das große Haus bietet. Etwas, das man so eben nicht auf den Bühnen der vielen Theaterkombinate des Landes oder den üblichen Festivals finden könnte." Ein ausführliches Gespräch von Chris Dercon mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow auf Deutschlandfunk Kultur (16.5.2017) gibt es hier zum Nachhören.

Peter Laudenbach schreibt in der Süddeutsche Zeitung (17.5.2017): Chris Dercon habe sich, "nach den heftigen Auseinandersetzungen" für "einige ungeschickte Äußerungen" entschuldigt. Er, Dercon, habe "die Stimmungen und die politische Gemengelage in der Stadt unterschätzt und sicher auch bestimmte Sachen falsch gesagt". Sichtlich bemüht, sei das Team gewesen, "die Wogen zu glätten". Die "Bitte um Fairness" sei für den Neubeginn einer Intendanz "ungewöhnlich", die Nervosität unübersehbar. "Die Frage einer Journalistin, ob denn neben all den Tänzern, Video- und Internet-Künstlern auch Schauspieler engagiert seien, beantwortet Dercon mit einer gewaltigen Zahl: Rund 250 Schauspieler würden in der ersten Saison auftreten". Weil jeder "Regisseur und Choreograf" seine Darsteller mitbringe. "Nach und nach" wolle Dercon "ein Ensemble aufbauen". Die "schwierigen Rahmenbedingungen" hätten es schwer gemacht, "bestimmte Schauspieler fest ans Haus zu binden". In der Süddeutschen Zeitung (17.5.2017) gibt es außerdem ein Interview, das Christine Dössel und Jörg Häntzschel mit Chris Dercon und Marietta Piekenbrock geführt haben. Wir fassen es hier zusammen.

Ulrich Seidler schreibt in der Berliner Zeitung (17.5.2017), es sei "weiterhin unfair, die Künstler an ihren Plänen, statt an ihren Werken zu messen." Auf dem Papier bleibe in der neuen Volksbühne erstmal alles wie es ist. "Das Haus werde weiterhin mit einem 'gemischten Ensemble' arbeiten". Es gebe lediglich eine "Verschiebung von einem Repertoire-Betrieb mit täglich wechselnden Vorstellungen hin zu wiederkehrenden En-suite-Blöcken, wie ihn ähnlich und zunehmend die Schaubühne praktiziert". Alles werde getan, "um den Anschein eines Systemwechsels vom Ensemble-Theater zum Festspielhaus zu vermeiden". Auf der "künstlerischen Ebene" jedoch werde "eine Herz- und Seelentransplantation vollzogen", nach der "die Volksbühne als ein anderes Wesen aufwachen" werde. Das "dialogbasierte Schauspiel" rutsche fast ganz unter den Tisch, stattdessen gebe es "viel hochkarätigen Tanz, viel Installatives, Partizipatives, Chorisches, Performatives, Digitales sowie eine Programmschiene mit rekonstruierten oder aufgearbeiteten Bühnenarbeiten." Dem Theater werde "durch das Museum" das "vielleicht einzig gebliebene Genuine ausgetrieben: die schwer hinzunehmende und doch auch tröstliche Vergänglichkeit im Augenblick".

Eberhard Spreng  merkt auf Deutschlandfunk (16.5.2017) an: "Eine bisweilen pathetische Kuratorenprosa maskiert nur notdürftig den latenten Konflikt um die Zukunft der Beschäftigten und das Profil der Volksbühne."

Matthias Heine schreibt auf welt.de (16.5.2017) eine "Theaterkritik" zu der Pressekonferenz, und betätigt sich als Historiker. Er weist auf die Historizität des Austragungsortes hin. Für Christoph Marthalers "Murx den Europäer" hatte Anna Viebrock sich 1993 von einer Werbeschrift in der Halle von Tempelhof inspirieren lassen. Und überhaupt von wegen Kontinuität: Boris Charmatz, der in Tempelhof arbeiten werde, sei "auch schon mal" am Luxemburgplatz unter Frank Castorf aktiv gewesen. Wenn nun Tino Sehgal Samuel Beckett inszeniere, gbe es gleich eine doppelte Anknüpfung. Beckett erinnere an "Beckett Late Nights" von 1993, eines der ersten "Spektakel" der Castorf-Ära, "bei dem das ganze Haus mit verschiedenen Inszenierungen bespielt wurde". Tino Sehgal wiederum sei früher Mitglied des P14-Jugendtheaters der Volksbühne gewesen, "hatte Unterricht bei der Kresnik-Tänzerin Liliana Saldana, der als Frida Kahlo damals tout Berlin zu Füßen lag". Menschen "wie Sehgal" oder noch besser Morten Grunwald von der Olsenbande weckten "tatsächlich so etwas wie Neugier auf das Neue". "Man möchte so gerne Chris Dercon lieb haben", schreibt Heine. Doch angesichts des Höchstmaßes an "rhetorischer Luft" mit der "Projekte, die man so ähnlich schon mal gesehen hatte, als Innovationen verkauft" worden seien, falle das Lieb haben schwer. "Es klang fast immer, als hätte man in den Kuratorensprech-Maschinenmotor noch einen Dramaturgensprech-Turbo eingebaut." Klar sei jedenfalls: "Theater, bei dem sich Schauspieler unter der Anleitung eines Regisseurs mit literarischen Texten beschäftigen, wird es künftig an der Volksbühne nur noch in Ausnahmefällen geben."

Der Bericht in der Abendschau des rbb (16.5.2017) und ein Gespräch mit der Kulturkorrespondentin Maria Ossowski ist hier zu sehen.

Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (17.5.2017) lakonisch zum Programm: "Flughafentopographisch könnte man sagen: Da ist noch Luft nach oben."

Katrin Bettina Müller schreibt in der taz (17.5.2017): "Gute Künstler, gewiss, interessante Formate, aber ... wie viel Theater wird es denn noch unter diesem Kunstmann geben?" Zwar seien 120 Schauspieler "in den Projekten der ersten Spielzeit eingebunden", doch "namentlich wurden sie erst erwähnt, als es um ein Internettheaterformat ging". Und vom Aufbau eines Ensembles sei man "noch weit entfernt". "Warum haben sie daran nicht mehr gearbeitet, wenn es ihnen doch, wie Marietta Piepenbrock versicherte, so wichtig sei?" Bei dieser Frage habe die Programmdirektorin "etwas die Fassung" verloren. Und auf den "Gegenwind" aus Feuilletons, dem Haus und der Politik verwiesen.

Christine Wahl schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (17.5.2017): Aus dieser Pressekonferenz komme "man in zentralen Fragen nicht wesentlich schlauer heraus, als man hineingegangen" sei. Vieles aus dem Programm sei aus Zeitungsinterviews bekannt gewesen. Am Ende seien viele Fragen, vor allem die nach den Schauspieler*innen, mit denen gearbeitet werden solle, offen.

Im Interview mit der Zeit (18.5.2017) spricht Chris Dercon unter anderem über enttäuschende Verhandlungen. Nicht nur die alte Volksbühnen-Garde habe jegliche Kooperation verweigert, der starke Gegenwind erschwere auch, neue Künstler zu engagieren. "Die sagen: 'Ich mache doch nicht mit euch einen Vertrag, weil ihr selbst nicht wisst, ob ihr überlebt.'" Aufgeben habe er trotzdem nie wollen. "Aber ich muss sagen, dass ich mich in meinem Leben noch nie so unfrei gefühlt habe wie hier in Berlin. Ich bin ein Außenseiter, ich bin immer ein Außenseiter gewesen, Außenseiter haben einen unglaublichen Vorteil, weil sie zur Freiheit verdammt sind. Und diese bedingungslose Freiheit wurde mir hier oft genommen."

Im Interview mit der Berliner Morgenpost (19.5.2017) kritisiert Frank Castorfs Chefdramaturg Carl Hegemann die Pläne des Dercon-Teams für die Volksbühne 17/18: Ensemble- und Repertoiretheater sei es nicht, eher "ein zeitgenössisches Kunshaus in irgendwo". Aber die Politik könne und dürfe erst eingreifen, wenn die Infrastruktur des Hauses betroffen ist.

Boris Pofalla rekurriert in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (21.5.2017) auf Chris Dercons Aussage, er habe sich noch nie so unfrei gefühlt wie in Berlin: Dercons Urvertrauen in die schrankenlose Entgrenzung der Künste verweise auf seine berufliche Heimat in der bildenden Kunst. "Bildende Künstler können seit etwa dreißig Jahren eigentlich alles: Musik machen, Flüchtlingen helfen, Wissenschaftler und Politiker sein, Romane und Gedichte schreiben, Theorie und Kritik vorantreiben, Häuser entwerfen und Afrika beleuchten, um nur eine kleine Auswahl zu geben." Darin liege eine große Freiheit, die Dercon vermisse. "Aber in der Begrenzung liegt auch Freiheit. Und wenn eine Kunstsparte, die vor Geld nur so quietscht, sich auf andere, ärmere Kusinen stürzt, dann kann man das als übergriffig empfinden und als eine Form von Kolonialisierung."

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Kommentare  
Pressekonferenz Volksbühne 17/18: durchaus interessant
Ich habe das Programmbuch runtergeladen und gelesen, bin sehr neugierig und finde die Pläne durchaus sympathisch und interessant. Schwierig finde ich, dass es bis auf Beckett eigentlich kaum literarische Vorlagen geben wird. Und von der Verteilung her erscheint es mir doch ein bisschen viel Tanz. Nun denn. Dass die Eintrittspreise die alten bleiben, finde ich sehr schön. Und dass es Kontinuitäten bei der Betreuung der Film-, Literatur- und Musikprogramme im Roten Salon geben wird, gefällt mir auch.
Dass mit diesem Programm die ideologischen Gräben nicht beseitigt werden können, ist klar. Ich drück' die Daumen für ein volles Haus.
Volksbühne 17/18: Warum muss das sein?
Kino Babylon unter den Rocksaum - kann ich verstehen wegen der Lage solcher Kinos, Roter Salon kann ich auch verstehn, war eh nie ganz weg. Grüner kann ich weniger verstehn und Prater ... gar nicht. Da habe ich das Gefühl, wird nicht etwas zurückgenommen, sondern was Eigengewordenes wirklich vereinnahmt... Aber ich bin nicht gut in diesen Dingen, es ist nur so ein seltsames Gefühl, das mit Programm noch gar nichts zu tun hat. Und natürlich hat sich Piepenbrock NICHT bedankt. Das war pure Anklagerhetorik. Und das hat mir leider nicht gefallen - warum muss das sein? Andere kämpfen auch schwer gegen - positive wie negative! - Vorurteile, die in Medien verbreitet werden. (ja, das kann auch sehr schwer sein, sich gegen oberflächliches Lob oder ähnliches behaupten und weiterentwickeln zu müssen!) Das weiß man doch auch vorher, wenn man so einen Job an diesem Ort haben und machen will. Wenn das Ablehnungsfeuer so schlimm wehtut, zieht man sich zurück oder trägt das öffentlich mit Fassung- oder? Und falls man also wirklich dankbar ist für das Gegenfeuer - na dann soll man das auch echt sein!- Eine Pressekonferenz ist doch keine Therapiesitzung - naja - Ja, nun gilts. Warum muss man eigentlich überhaupt solche Programmpressekonferenzen geben? Gibt es da ein Gesetz dazu? Kann man Pressekonferenzen nicht auch so Art rocken? - Manchmal tun mir Journalist*innen echt leid, muss ein ziemlich langweiliger Job sein, ständig von A nach B hetzen und schlechtgelaunten Leuten vernüftige Fragen stellen müssen, damit die die Sache um die es geht, möglichst auf den Punkt bringen... '1: Danke für den Tipp mit dem Runterladen vom Programmbuch! Und dass die Preise bleiben finde ich auch gut.
Volksbühne 17/18: Waffenstillstand
Waffenstillstand.
Volksbühne 17/18: Mely Kiyak sagt
Ich will hir mal die Mely Kiyaks richtige Worte zitieren: "Ich traf Künstler im tiefsten Kurdistan, die von der Tate träumten. Die Tate ist das Paradies. Und nun kommt dieser Paradiesdirektor nach Berlin und wird vom Genöle der grauhaarigen Theaterdirektoren empfangen."
Volksbühne 17/18: Wo ist Romuald Karmakar?
Gab's ein Statement, wieso Romuald Karmakar aus dem künstlerischen Team verschwunden ist?
Volksbühne 17/18: Fragen über Fragen
Sehr gut, dass wir jetzt konkreter werden können.

Es tut mir leid, aber die Neuigkeiten verändern meine Lesart nicht. Für mich ist Dercons Berufung *an dieses Haus* nach wie vor ein Skandal, denn all das heute Präsentierte hätte er locker mit "Hangar 5 + irgendwoanders" machen können; ohne dass die Castorf-VB derart dran glauben müsste. Ein neues Ensemble aufzubauen und ein mobiles Theater, dafür braucht es nicht die Zerschlagung der Castorf-Volksbühne. (Milan Peschel äußerte sich dazu indirekt im Zuge seiner heutigen Premiere.) Doch dazu später mehr. Nun zu den Neuigkeiten. (Ich wähle einzelne Aspekte aus; davon ausgehend, das andere hier zu den einzelnen Programmbausteinen kommentieren.)

Wo ist Romuald Karmakar hin? Im Programmheft und der Presse nicht als Akteur wiederzufinden.

Gibt es für die zweite Spielzeithälfte denn irgendwelche publizierten Eckpfeiler? Drei Millionen Vorbereitungsetat und zwei Jahre Vorbereitung sind unterdessen ins Land gegangen.

Haben die drei bei Dercon verbleibenden Ensemblemitglieder (Rieger, Sir Henry, Rois) die Unkündbarkeit erreicht? Im RBB sagt Dercon, dass Sophie Rois in der Spielzeit 17/18 Gastierurlaub haben werde. Hat sie sich schon öffentlich dazu geäußert? Halte es für unwahrscheinlich, dass sie ernstlich bleibt; auch wenn ich es grundsätzlich für achtenswert halte, die eigene Position zu überprüfen und nicht irgendwelchen externen Forderungen nachzugehen. Sie hat den Offenen Brief unterzeichnet, Rieger und Sir Henry nicht.

Ist das Kéré-Theater nun aus Eigenmitteln oder aus Lottomitteln finanziert?

Die Geschichte des Hauses, insbesondere ihre Verwurzelung im Osten und im Arbeitermilieu kann ich null erkennen. Fotos an die Fassade zu projizieren ist diesbezüglich eher ein schlechter Witz und schon gar kein Sprechtheater, auch wenn ein Text von Einar Schleef dazugenommen wird.

Dercon sagt "Das [die Castorf-VB] ist hier so gut." Er hat recht! Und das wusste er auch von Anfang an (hoffe und vermute ich). Warum hat er nicht gesagt: "Leute, ich will echt ein Tanztheater plus Digital Playground in Berlin aufmachen. Finden wir da irgendeine Lösung, ohne dass wir dieses 'so gute' Sprechtheater dafür opfern müssen?"? Why?? Why?? Ich schnalle es nicht.

Jetzt den Schwarzen Peter den Kritikern zuzuschieben ("Die Rahmenbedingungen waren schwierig, …") verkennt die eigene Rolle, verschummelt geradezu die eigene Verantwortung. Dercon (und Piepenbrock) stand es frei, eine andere Strategie zu wählen, also andere Lösungsmöglichkeiten zu suchen als auf Tim Renners Entscheidung den eigenen persönlichen Aufstieg zu gründen.
Im März 2015 hat der Senat Castorf nichtverlängert. Drei Monate vorher (!) war Dercon mit Renner in der VB. Nochmal (!) drei Monate vorher trafen sich beide in der KunstHalle der Deutschen Bank in Berlin. Es gab also genug Vorlauf und Zeit, sich die Sache zu überlegen. Da kann man doch jetzt nicht die Rahmenbedingungen zum Sündenbock machen. Und spätestens im Sommer 2015 lagt die öffentliche Gemengelage zutage.

Mir fehlen Schauspieler, mir fehlt Theater, mir fehlt historische Durchdringung, mir fehlt die Singularität, mir fehlen die Theatertexte, mir fehlt das Profil. Iphigenie und Beckett und Kubrick, ertränkt in Tanz, Stadtraumgedöns, Interkulturalitätsfragmentation, einem atomisierten Programm mit wöchentlichen Premierchen. Letztlich hat Ulrich Seidler (Berliner Zeitung) wohl recht: "Je näher dieser Termin rückte, desto klarer wurde, dass sich mit ihm der Streit nicht in Luft auflöst. Und dass es anschließend weiterhin unfair wäre, die Künstler an ihren Plänen, statt an ihren Werken zu messen." Wenn die Werke dann vorliegen, ist es ggf. leider (wieder einmal) zu spät!
Volksbühne 17/18: Link
Interview zum Nachhören vom rbb Inforadio:

https://www.rbb-online.de/kultur/beitrag/2017/05/interview-chris-dercon-volksbuehne-berlin.html
Volksbühne 17/18: im Ernst?
Im Ernst? Die Beteiligten entlarven sich selbst.
Volksbühne 17/18: Wie soll das enden?
Warum ist es denn bitte schwierig gewesen ein stehendes Ensemble aufzubauen? Entweder man WILL es, oder man WILL es nicht - aber dann soll man das doch bitte auch sagen. Ist ja nicht gerade so, als hätte sich niemand beworben bei Herrn Dercon. Aber warum sollte es bei ihm auch anders sein als bei Reese, Beier, Ostermeier: Es gibt 50 Schauspieler, um die sich gekloppt wird und der Rest... ...naja, wie soll ich sagen... ...der Rest: existiert der einfach nicht. Wo soll das enden und was soll dabei für theater rauskommen frage ich mich nur?
Volksbühne 17/18: Gleichsetzung
Mir gefällt ganz und gar nicht, wenn Piekenbrock sich auf diese süffisante Weise bei denen bedankt, die "nachhaltig" in "Drohformeln, Angstlandschaften, in das öffentliche Drama der Skepsis investiert haben". Sie setzt so nämlich Drohformeln und Skepsis gleich. Skepsis aber ist ein hohes Gut, das sollte sie wissen. Drohformeln dagegen gehören auf die Seite der Einschüchterung und der Gewalt. Warum nur will das neue Volksbühnen-Team nicht unterscheiden zwischen Drohformeln und Skepsis? Wären sie mit der Skepsis von vornherein produktiver und gesprächsoffener umgegangen, wäre die Lage jetzt entspannter.
Volksbühne 17/18: Gewinnmargen
Warum eigentlich nicht HAU 4 und 5 statt Volksbühne Berlin. Da gibt es bestimmt Synergien, die sich nutzen lassen. Mit weniger Mitteln ließe sich so mehr produzieren. Bei sinkenden Profitraten im Kulturbereich könnten so so die Gewinnnmargen hochgehalten werden und sich das neue HAU einen Vorteil im Wettbewerb mit den Berliner Festspielen erarbeiten.
Volksbühne 17/18: digital geht mehr
So, jetzt ist erstmal ein bisschen mehr Klarheit. Und jeder kann jetzt aus dem Programm den Punkt rausnehmen, an dem er sich reiben oder über den er sich freuen will.
Daß es nicht einfach wird für die neue Leitung, angesichts des Widerstands nicht gleich selber trotzig zu agieren, war klar. Für mich ist jetzt der erste Wurf okay, freue mich auf den zweiten, der vielleicht dann auch mit etwas mehr Gelassenheit erstellt und vorgestellt wird.
Wie erwartet ist das Programm auf Seiten des Schauspiels dünn, hier hinterläßt der Vorkonflikt deutliche Spuren, die erst mit der Zeit verblassen werden. Allerdings überraschend dünn für mich auch die digitale Bühne: da gibt es mehr und da geht mehr. Bleibe aber neugierig.
Volksbühne 17/18: abgeschafft
Die Volksbühne als Sprechtheater ist also ab nächster Spielzeit abgeschafft: einfacher kann man es nicht benennen. Ich gratuliere allen Beteiligten, vor allem den Kulturveranstaltungen, Skandals an der Sache ist nur, wieiviel gutes Theater hatte man von dem Geld was da bisher und in den nächsten Jahren verschleudert wird, hatte machen können. Oder die Theater im Osten retten, oder die Gagen erhöhen, oder, oder, oder. Stattdessen ein weiteres BER Projekt. Ein Fass ohne Boden und ohne Sinn für Theater. Shiny und provinziell, aber so will ja Berlin sein.
Volksbühne 17/18: Rückschritt
Zitat aus dem SZ Interview: (Piekenbrock) "Wir sind im Begriff, ein Sprechen über Kunst zu verlernen zugunsten von Inhalt, Themen, Kon- zepten, Tagespolitik. Die Künstler, die wir einladen, sind für uns hochpolitisch, aber es verbindet sie, dass alle an einer Rückge- winnung der Form arbeiten. Form ist ein sehr starkes Motiv innerhalb ihres Werks."

Das empfinde ich als völligen Rückschritt in ein passives, von der Realität und den Menschen losgelöstes l'art pour l'art Gedöns. Form statt Inhalt ist das neue Ding - ernsthaft? Nur mit Bedeutung aufgeladene interdisziplinäre Theater- und Tanzkunst statt thematische Auseinandersetzung und Reibung? Das ist echt ein ziemliches Armutszeugnis.
Volksbühne 17/18: boshafte Artikel
Ich habe mich eben mal durch die Berichterstattung über die Programmvorstellung gelesen. Es gibt da teilweise Artikel von einer solchen Boshaftigkeit, das einem ganz anders wird. Irgendwer hat irgendwo geweint, irgendwer ist nervös, irgendwer hat eine belegte Stimme vorne am Mikro, irgendwer hat sich den schönsten seiner zerknitterten Schals umgelegt. Es ist ja okay, irgendwas nicht gut zu finden, aber das liest sich wirklich teilweise dermassen gemein. Sich einerseits übelst über ein Team lustig machen und dem Team gleichzeitig ankreiden, wie aufgeregt es denn sei. Ist ja okay, etwas nicht interessant zu finden oder vielleicht falsch, aber: Behave, Leute (zumindest ein bisschen).
Volksbühne 17/18: Narzissmus-Gradmesser
Hat sie das überrascht, lieber Johannes Mueller? Nach den letzten zwei Jahren? Woher soll die Höflichkeit kommen? Ich finde, die Berichterstattung über diese PK ist ein Gradmesser, ob man bereit ist, Veränderungsprozesse kritisch zu begleiten oder ob der betriebsübliche Narzissmus im Weg steht, dass es mal fünf Minuten nicht allein um die ureigensten Vorlieben und seine eigene Sehbiografie geht, also um die Angst, das eine oder andere noch lernen zu müssen oder, Gott bewahre, womöglich nicht zu verstehen oder, als allerletzte Maßnahme, auch anderen einen Platz im Deutungswettbewerb zuzugestehen, der so hart geworden ist. NK hat diesen Test, ehrlich: ein bisschen zu meinem Erstaunen, mit Bravour bestanden.
Volksbühne 17/18: Duty Free
Ich muß feststellen, es gibt zunehmend Momente, da ich mich im Duty Free Bereich eines stinknormalen europäischen Durchgangsflughafen (zb Düsseldorf oder Zürich) wohler fühle , als gerade in Berlin auf der Torstrasse. Wenn nun auch bald das alte Rad auf dem Vorplatz verschwindet werde ich beim nächsten Drink an einer xbeliebigen Flughafenbar, eine dicke Träne vergiessen und an die guten alten Zeiten denken.
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Volksbühne 17/18: digital verbrämter Budenzauber
Soll mir mal bitte einer erklären, was nun genuin die Volksbühneneigenproduktionen bei den Eröffnungspremieren sind. Ich sehe da nur Festival- und Koproduktionen mit anderen europäischen Häusern. Ist das die neue Freiheit? Koproduziert wird auch an anderen Häusern. Aber dass ein komplettes Eröffnungsprogramm - sogar in der neuen Sparte Digital gibt es Übernahmen vom Münchner Filmfest etc. - nicht im eigenen Haus entsteht, hat es nicht mal an den Münchner Kammerspielen gegeben. Sieht man mal von Iphigenie auf Tempelhof ab, die ja auch eine Koproduktion ist, ist selbst der Beckett-Dreiteiler nur zu 1/3 eine Volksbühnenproduktion. Die anderen beiden Teile sind eine dänische Übernahme vom Østre Gasværk Teater Kopenhagen und werden sicher nicht zum zukünftigen Volksbühnen-Repertoire gehören. Nach einem Ensemble fragt man lieber nicht, das wird es trotz Vertröstung seitens Dercon und schwammigen Verweisen auf Sophie Rois nie geben. Nur das Rahmenprogramm zu den Eröffnungen wie Tino Sehgal und Michael Schmidt entsteht in und für die Volksbühne. Wird aber nach den Feierlichkeiten auch wieder verschwunden sein. Man will zurück zu den Ursprüngen des modernen Theaters und verortet die beim Experimentaltheater Becketts. Dercon: "Bei Samuel Beckett wird gesprochen, sogar in Loops, und er stellt die Frage nach der Bedeutung der Sprache - nicht nur gestern, sondern auch heute. Wenn man sich die Sprache der jungen Leute mit Social Media gut anhört, merkt man, dass es eigentlich eine Form von Sprache ist, wie Brecht sie eingeführt hat." Brecht für die Sprache in den sozialen Netzwerken heranzuziehen, ist ja durchaus interessant, aber mit ihrer Eindampfung auf Twitter-Kurzformen und Zeichen beraubt man sie ihres Sinns und ihrer Bedeutung für das Theater. Multimedial und spartenübergreifend zu arbeiten, ist ja nun wirklich nicht neu. Das aber ist digital verbrämter Budenzauber. Das Geld, das Dercon dafür bekommt, fehlt der Berliner freien Szene an allen Ecken und Enden. Es ist ein Horrorszenario. Wenn es den vielen Tanz in der Volksbühne nicht gebe, den sich aber sowieso eine andere Klientel von Kunstinteressierten ansehen wird, gebe es nichts, was mich an dieser Volksbühne Berlin wirklich interessieren würde. Das noch zu erspielende Publikum wird sich Dercon mit dem HAU, den sophiensaelen und Berliner Festspielen teilen müssen. 5 Jahre läuft der Vertrag von Chris Dercon, schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung. Wenn da nächstes Jahr nicht deutlich mehr kommt, wird der sicher nicht verlängert. Nur dann hat man ein Kunsthaus Berlin, das mit viel Geld wieder komplett neu zum Theater aufgebaut werden muss.
Volksbühne 17/18: Reflex
Mich spricht das neue Programm überhaupt nicht an (Susanne Kennedy z.B. halte ich für völlig überschätzt und ein veritables one trick pony...), aber die sich nicht selbst, blöde werdende Häme auf Seiten der Kritiker und Kommentatoren ist schon erstaunlich.
Das Ätzendste ist, dass es jetzt eine Zeit hin- und her gehen wird, die, die immer wussten wie scheisse alles wird und die, die dann als Reflex das Neue in die Höhe jubeln werden, sich gegenseitig zu Tode diskutieren und man im Endeffekt dann erst mit Abstand etwas darüber sagen kann, ob die neue Volksbühne geglückt ist oder nicht.
Volksbühne 17/18: Verstehenwollen
#15: Ja, behave, deshalb meine Frage: Gibt es eigentlich ein Gesetz, dass man Pressekonferenzen abhalten muss in dieser Art? Wenn man also nicht freundlich sein KANN gegen die Medienvertreter, weil man ihnen soviel Schuld gibt an den ausgebremsten Planungen - und Frau Piepenbrock war das ganz eindeutig nicht - dann sollte man das doch bitte ganz lassen, eine Pressekonferenz zu geben! Was genau z w i n g t die Mannschaft, sich den bösen Medienvertretern, die ihr nur Übles wollen, auf diese Art zu stellen??? Warum hat Frau Piepenbrock ihre "Danksagung" nicht vorab in die Redaktionen geschickt oder an einzelne Medienvertreter, die ihnen in der Vorbereitungsphase besonders schwer zu schaffen gemacht haben durch Kritik, die an Bosaftigkeit grenzt??? Ich möchte das einfach nur gern verstehen, warum das so sein muss mit diesen Presskonferenzen. Ich glaube nicht, dass von den Medien keiner versteht, wenn da ein Team aufgeregt ist bei so einem Termin. Medienleute haben oft selbst Podien oder ähnliches zu bestreiten. Und kennen die selbe Aufregung, wenn sie um ihre außerredaktionelle Meinung gebeten sind und persönliche Haltung von ihnen öffentlich diskursiv vor anwesendem Publikum abverlangt wird... Ich möchte es so gern verstehen, diese konkrete Team-Vorstellung - aber ich verstehe sie nicht.
Volksbühne 17/18: Kritik und Kritik an der Kritik
@ Johannes Müller: Auch ich habe die Berichterstattung zur PK durchgelesen und finde sie nicht über die Maßen unfair, im Gegenteil. Ich kann mir ein Bild machen. Hier wird doch über Theater geschrieben. Da gehören Auftritt, Wirkung, verschiedene Meta-Ebenen und auch Interpretation doch einfach dazu. Gespenstisch ist aber nach wie vor folgender Vorgang: Jede und jeder, der oder die das Kommende am immer noch kraftvoll Existierenden misst, wird hier von Manchen als Bremser, Verhinderer, sich dem notwendigen Wandel in den Weg stellender Sturkopf abgewatscht. DAS ist mindestens ebenso unfair!
Volksbühne 17/18: kryptische Bilder
Den Wechsel nicht als feindliche Übernahme oder Entkernung diffamieren, denn das Gegenteil könnte der Fall sein... kryptische Bilder. Was ist den das Gegenteil von Entkernung? Verkapselung? Und was bedeutet dieser Konjunktiv? Müssen sich die Neuen erst noch entscheiden, ob sie freundlich oder feindlich übernehmen? Ein rhethorischer Eiertanz ohne Kern. Insofern eben doch eine Ent-Kernung. Eine mit Spannung erwartete Hülle, vielleicht aber eben auch nur ein Heißluftballon: bunt, schön anzusehen und am Ende immer herabsinkend. Und immer im Konjunktiv. Fahrradkette.
Volksbühne 17/18: voll 80er
Interessanter als die leidige ideologische Debatte ist doch der Blick auf das Theaterverständnis der neuen Leitung, das aus den 80-er Jahren zu stammen scheint: Raum, Licht, Körper auseinanderzudifferenzieren, mit theaterwissenschaftlicher Emphase zur Essenz des Theaters zu deklarieren: Avantgarde von gestern. Dem sind die Künstler, die Dercon eingeladen hat, längst entwachsen, und es wird interessant zu sehen, welche "Bindungskräfte" er für sie entfalten kann mit einer Leitung, die so sehr schwimmt. Denn sie schwimmt nicht, weil der Gegenwind zu stark wäre, sondern weil sie dem offensichtlich nichts entgegensetzen kann mit einem Programm, das nicht auch an anderen Berliner Häusern stattfinden könnte. Da hat jemand unterschätzt, dass Theater mehr ist als ein kuratiertes Programm.
Volksbühne 17/18: Prognose
Alle Befürchtungen sind eingetroffen. Sprechtheater gibt es nicht mehr, die neue Volksbühne konkurriert mit dem HAU und den Berliner Festspielen. Ich wage zu prognostizieren, dass es, wenn ein bißchen Gras über die Sache geachsen ist, auch einen Stellenabbau bei den Gewerken geben wird. Wozu braucht es noch eigene Werkstätten, wozu eine Kostümabteilung etc.
Zwei Jahre Geld verbraten - für nichts.
Volksbühne 17/18: Knoten in der Argumentation
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß da ein Knoten in der Argumentation ist. Großveranstaltungen oder Institutionen der Kunst können z.B. thematische Akzente setzen. Man kann sich durch die neunte Berlin Biennale mit ihrem Hyper-Kommerz berieseln lassen, oder bei der Schnitzeljagd in Athen heuer indigene Völker kennenlernen (auch alles nicht unumstritten).
Diese Veranstaltungen - besser: Vorstellungen - sind oft jahrelang vorbereitet und haben eine Laufzeit von mehreren Monaten. Trotzdem sind sie, schon wegen Ihrer zunehmenden Anzahl, nur Facetten, Stichworte; zeitgeistliche Analysen im besten Fall, modische Meterware im schlechtesten.
Das neue Team der Volksbühne spricht von mehr Nachhaltigkeit. Da stellt sich mir die Frage inwieweit die Grenzen dieses Ansatzes nicht schon ausgelotet sind: erst wurde das Gereifte zum Temporären gezwungen- nun soll dieses Extrakt ebenso zwanghaft gestreckt werden, um den Geschmack von Reife zu kreieren. Daher stammt doch auch der Vorwurf des „Neoliberalen“.

Wo wir bei neoliberal sind: Auch das Partizipatorische hat seine subversive Unschuld verloren, und das nicht erst seit kuratierten Suppenküchen.

Wir wollen doch alle aus der Krise. Ich wünsche mir wirklich, daß sich die Sparten weiter mischen. Doch es kann nicht so sein, daß Kunst dem Theater nur ihre Sprachlosigkeit (Hilflosigkeit?) überstülpt.
Volksbühne 17/18: nicht den Spaß verderben
Es gibt immer Leute, die schon alles kennen. Aus den Sechzigern, aus den Siebzigern, aus den Achtzigern usw. usw. Und die können das dann immer alles gleich alls Revival-Fashion Week einordnen. Aber es gibt eben auch immer Leute, die in den Sechzigern und in den Siebzigern und in den Achtzigern andere Sachen zu tun hatten, als Kunst zu suchen, betrachten, einzuordnen. Auf die setzt die neue Volksbühne offensichtlich und man sollte ihnen nicht den Spaß verderben. Mehr Tanz in Berlin kann ja vielleicht auch nicht schaden - vielleicht ist das auch erhellend für das Staatsballett, bei seiner neuen Herausforderung hilfreich... So wie die Pläne aussehen in der Kombination mit so vielen Beteiligten und unter der politischen Maßgabe, dass hier Repertoire-Betrieb einzurichten sei - da muss zumindest die Konstümabteilung eventuell sogar vergrößert werden! - Wenn die neue Volksbühne konkurriert mit HAU und Berliner Festspiele - ist das nicht normal? Die primär textbasiert arbeitenden Bühnen in Berlin konkurrieren ja auch miteinander. Was ich echt schlechten Stil finde: dass Dercon mehrfach öffentlich direkt Lederer ankreidet für seine ganz normale politische Arbeit. Ich meine, das ist doch sein vorgesetzter Dienstherr, ob ihm der Wechsel nun passt oder nicht- Der hat ja das Recht, kurz vor seinem Amtsantritt auffällig eilig abgeschlossene Verträge zu prüfen. Er ist ja außerdem Jurist und sein Vorgänger war das nicht. Der hatte andere Qualitäten vielleicht, auch wenn die viele nicht so sehen konnten. Und man kann und sollte sich natürlich auch mit seinem - demokratisch gewählten - Dienstherrn streiten, wenn es was zu streiten gibt, aber man sollte das doch bitte nicht unbedingt öffentlich tun. Das ist wirklich schlechter Stil - finde ich jedenfalls. Ehrlich gesagt, glaube ich auch nicht, dass Medien so etwas immer als gefundenes, auflage/like-stärkendes Fressen begrüßen...
Volksbühne17/18: Vergleiche
Das Deutsche Theater konkurriert mit der Schaubühne, dem Berliner Ensemble, und mit dem Gorki, und früher auch noch mit der Volksbühne. Dieser Best-of-5, nun Best-of-4Spitzenkampf stört keinen. Die neue Volksbühne immer wieder mit dem HAU zu vergleichen, findet sofort Zustimmung, auch wenn die Modelle der beiden Häuser grundverschieden sind, von den Berliner Festspielen ganz zu schweigen. Ich dachte, Nachtkritik sei ein Expertenportal?
Volksbühne17/18: skeptisch
Die "Wir konnten keine Schauspieler finden, weil Lederer uns öffentlich infrage gestellt hat"-Aussage Dercons ist auch nicht stichhaltig. Für eben solche Fälle gibt es Abfindungsregelungen. (Genau diese Abfindungssummen waren doch auch das Argument, warum man jetzt nicht mehr rauskönne aus der Verpflichtung Dercons.)

Dercon hätte sehr wohl Verträge machen können, die bei seiner Abberufung natürlich *nicht* null und nichtig gewesen wären, sondern ein sicheres, arbeitsfreies Einkommen für alle Engagierten bedeutet hätte.

Im Gegenteil, mit jedem abgeschlossenen Vertrag, mit jedem budgetierten Euro hätte Dercon seinen Sattel fester zurren können.

Zuguterletzt hat Klaus Lederer am 22.12.16 (zwei Wochen nach seiner Amtsübernahme) gesagt, dass er "nicht vertragsbrüchig" werden würde.
https://www.morgenpost.de/kultur/article209058707/Ich-werde-nicht-vertragsbruechig.html
Fairerweise sei erwähnt, dass es lange für das avisierte Gespräch Dercon/Lederer brauchte und erst am 23.2.17 das Ergebnis publik wurde: http://www.bz-berlin.de/kultur/mehr-kultur/klaus-lederer-berlin-erfuellt-chris-dercons-vertrag

Mich würde also interessieren, wieviele Schauspieler Dercon/Piepenbrock gefragt haben und wieviele von denen abgesagt haben mit der Begründung "aber vielleicht werdet ihr noch vor Amtsantritt abberufen".

Bis dahin bin ich eher skeptisch.
Volksbühne 17/18: Imperium
Man sollte sich über eine Sache im Klaren sein: Dercon ist Chef des größten Theaterimperiums seit Max Reinhard: Volksbühne, Tempelhof, Babylon-Kino, Prater. Da kann die Konkurrenz von Radialsystem, Sophiensäle, Hau und Gorki nur Bauklötze staunen. Und dann dieses Programm mit zwei Eigenproduktion von groß angekündigten 18 Premieren (davon zwei Filme und eine Fotoprojektion) sind 13 eingekauft und wurden schon längere Zeit in anderen europäischen Städten gespielt. Wieviel Euro bekam Dercon zur Vorbereitung noch mal? Sprechtheater, Ensemble- und Repertoiretheater, all das interessiert ihn nicht. Man kann nur hoffen, dass Lederer früh genug auf die Vertragsvereinbahrungen zurück kommt und das Schlimmste zu verhindern weiß. Mir graut's vor dieser dreisten Übernahme
...
Volksbühne 17/18: wie im Kino
Oooh *staun*: wie im Kino - "Das Imperium schlägt zurück":)
Pressekonferenz Volksbühne 17/18: schaun wir mal
In der Sendung "TheaterRäume - Bühnen als Ort des Wandels" (vgl. Presseschau vom 22. Mai 20117) geht es auch um die Debatte um die zukünftige Intendanz Chris Dercons an der Volksbühne. So sehr Dercon bemüht ist, für sein zukünftiges Theater, das eben kein Theater der Zukunft ist, zu werben, so leer sind seine Ausführungen - und so selbstentlarvend: So heißt es in der Passage über das Sprechtheater:

(Dercon)Und in das Theater ist auch wichtig, dass gesprochen wird. Man muss sprechen.
(Müller) Wer spricht?
(Dercon) Der Künstler!
(Müller, überlappend) Aber jetzt: in der Volksbühne?
Dercon: Zum Beispiel Beckett spricht!
(Müller) Aber ich meinte jetzt: Schauspieler...
Dercon. Es gibt Schauspieler, mit denen wir reden...

"Der Künstler" ist Beckett, auf die Idee, dass es auch Schauspieler im Sprechtheater gibt, kommt Dercon erst auf Nachfrage und bleibt da nur sehr vage. Wirklich nichts gegen Beckett, aber dass er der einzige Autor ist, auf den D. sich auch an einer an-deren Stelle bezieht, verdeutlicht die enge Perspektive Dercons.

Auch der Ensemblebegriff ist seltsam:

"Wir wollen wirklich mit einem Ensemble arbeiten. Aber Ensemble bedeutet nicht nur Schauspieler, bedeutet auch Techniker, bedeutet auch Künstler. Dass man wieder aus den Erfahrungen lernen kann und das weitergibt. Das Theater ist wie ein Muse-um für mich ..."

Also: Ensemble = Schauspieler + Techniker + Künstler. Schauspieler sind für D. demnach keine Künstler. Wenn die Techniker genauso zum Ensemble gehören wie die Schauspieler, warum werden sie im Programmbuch nicht genannt, sondern nur - stellvertretend - die Leiter der Gewerke? Nach Dercons Logik müsste der Kabelträger doch genauso wichtig sein wie der ein paar Mal gastierende dänische Schauspieler. Wer soll das glauben?

Und an welches Publikum denkt D.? Er erinnert sich an Theater in Brasilien und das Publikum: "Mann! Das Publikum war eine totale Mischung von Filmemachern, Architekten, Aktivisten, Theatermachern, Literatoren usw." Da ich zu keiner der genannten Gruppen gehöre, stecke ich wohl in dem "usw.", obwohl die drei Buchstaben logischerweise für andere "kulturschaffende" Berufe stehen. D. scheint also ein Theaterpublikum, das von außerhalb des Kulturbetriebs kommt, für unwichtig zu halten. Dann schaun wir doch mal, wie er so sein Theater füllen kann. Aber vielleicht will er das ja auch gar nicht.
Pressekonferenz Volksbühne 17/18: Hinweis
hier ein wirklich detailreicher und sachlicher Beitrag zum Thema:
www.dispositio.net/archives/2452
How to Kill a Great Theatre: The Tragedy of the Volksbühne
Pressekonferenz Volksbühne 17/18: Mitschuld
Wer möchte, dass in Zukunft an der Volksbühne interessantes Theater gespielt wird, sollte Dercon bei der anfänglich wie üblich zu leistenden Aufbauarbeit nach Kräften unterstützen. Egal ob er/sei ihn mag.
Wer das nicht tut, und vor allem wer ihm seit 2 Jahren einfach nur unfair in die Fresse schlägt, wie so viele hier, ist letztlich am einem womöglich enttäuschenden Ergebnis mitschuld. Und damit ist keinem gedient. Schon erst recht nicht jenen, denen die Volksbühne, als was auch immer, wichtig ist.
Pressekonferenz Volksbühne 17/18: nicht international genug
Und sehr deutlich und eindeutig. Danke Holger Syme. Vielleicht kann das jemand übersetzt hier ins Portal fügen? Was mir in all der Zeit immer auffiel: Nicht, wen Chris Dercon gefragt hat, wenn es um die Weiterführung/Neuausrichtung der VB geht. - Wen er alles gut sichtbar nicht gefragt hat. Auch außerhalb der VB im Theaterbetrieb nicht gefragt hat. Das ist gut, dass Syme darauf konkret hinweist. Dass hier mehr als der erreichte Stand an Internationalität, an Interdisziplinarität der VB einfach programmmatisch negiert wurde, sondern auch der Reichtum unserer Theaterlandschaft als solcher. Syme fässt das sehr gut zusammen: Im Hinblick auf den erreichten, international Theater prägenden Stand der Castorf'schen VB ist das Dercon/Piepenbrock-Programm nicht etwa nicht international und nicht interdisziplinär, sondern einfach nicht international und interdisziplinär genug. Ob das eine Tragödie ist, wird sich weisen. Ein Gedächtnis mag nahezu mit Gewalt überschrieben werden - zu löschen ist es nicht. Es kehrt zurück. Und es kehrt je unberechenbarer zurück, je mehr administrativer Auslöschungswillen ihm angetan wurde.
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