Wir müssen sterben, wir müssen feiern

von Esther Slevogt

Berlin, 17. Mai 2017. "Wir müssen alle sterben. Wie kann man sich dazu verhalten?", sagt Thom Luz am Ende und fügt hinzu: "Ich freue mich, dass wir das zusammen feiern können." Das war kein Satz aus seinem Stück, sondern das Ende der Dankesrede des Autors und Regisseurs der siebten Theatertreffen-Premiere. Und nun hätte es gut gepasst, wenn statt des von DJ Spatz Habibi untermalten profanen Endes der Ehrung mit Büfett ein Nebel gekommen wäre, um die Beteiligten dem Geschehen zu entrücken – wie Iphigenie dereinst von Artemis vor der Opferung in eine Wolke gehüllt und ins rettende Tauris verbracht wurde. Nebel war schließlich auch der eigentliche Protagonist des Abends: "Traurige Zauberer" vom Staatstheater Mainz (hier die Nachtkritik vom 21. Mai 2016), wo er in seinen diversesten theatralischen Vorkommensweisen vorgeführt wurde: wie er sich wabernd verbreitet oder aus Umzugskisten entweicht. Oder durch eine Pauke wie durch eine Kanone getrieben wird, die ihn geschosshaft als Ring wieder ausspeit, bis er an einer Spielerin abprallt und zerstiebt.

Flüchtigkeit in Schrulligkeit

Andererseits passt das vorsichtige Stürzen der Truppe nach den Honneurs der Festivalleitung von der repräsentativen Kunst ins profane Leben mit Büfett auch zum Gegenstand des Abends, der die Flüchtigkeit der Theaterkunst als Pendant zur Flüchtigkeit des Lebens feiert. Und uns mehr oder weniger illustre Theatertreffenpremierenbesucher mit einer gewissen betrieblichen Schrulligkeit mahnt (in deren melancholische Eigentümlichkeit uns andere Schweizer Theatermacher wie Ruedi Häusermann oder Christoph Marthaler freilich schon eingeübt haben), den Blick fürs Kleine, Abseitige und Zerbrechliche nicht zu verlieren. Denn dies genau (hören wir zwischen den Zeilen des Abends flüstern) markiert nämlich die materiellen wie immateriellen Orte, an denen sich das Leben ereignet. Unser Leben, genauer gesagt.

TraurigeZauberer5 vorne Antonia Labs hinten Ulrike Beerbaum 560 Andreas Etter u"Traurige Zauberer" vom Staatstheater Mainz. Vorn: Antonia Labs, hinten: Ulrike Beerbaum © Andreas Etter

In seiner unspektakulären Beiläufigkeit stellt dieser Abend natürlich auch eine gewisse Provokation im Kontext einer kulturellen Leuchtturmveranstaltung wie dem Theatertreffen dar, wo man gemeinhin auf "Menschen Tiere Sensationen" hofft und nun angesichts soviel leiser Lebensweisheit manchmal doch reichlich ungeduldig wurde. Aber hier springen nun mal keine Tiger durch den Reifen. Aus besagten Paukentrommeln entweichen nur die zarten Nebelringe.

Meer der Existenz

"Flieg!" – "Flieg!" – "Flieg!", beschwört ein Zauberer seine Assistentin immer wieder und macht eine magische Zaubererhandbewegung dazu, als müsse sich die zierliche Frau, wie von seinen Händen magnetisch angezogen, nun langsam in die Höhe heben. Doch die Assistentin bleibt wie tot auf dem Bühnenboden liegen und fliegt natürlich nicht. "Verschwinde!" – "Verschwinde!" – "Verschwinde!", versucht ein anderer Zauberer sein magisches Glück parallel dazu an seiner Assistentin. Auch sie bewegt sich selbstverständlich nicht von der Stelle. Kein Zauber, nirgends.

Doch in Wirklichkeit ist natürlich gerade das der Zauber, an dem dieser Abend sich abarbeitet: die Hoffnungslosigkeit, mit der wir auf die Wunder der Kunst setzen. Der Monitor am Inspizienten-Pult zeigt nicht, wie sonst üblich, die Bühnentotale, damit dort das Geschehen zentral überwacht und gesteuert werden kann. Vielmehr ist dort ein Meer zu sehen, ein tobendes und alles verschlingendes. Das Meer der Existenz vielleicht, in dem wir am Ende untergehen.


Hier geht's zur Nachtkritik der Uraufführung am Staatstheater Mainz im Mai 2016.

Alles zum Berliner Theatertreffen 2017 gibt's im Liveblog.

 

Kommentare  
Traurige Zauberer, TT-Berlin: berückend
Traurige Zauberer zelebriert eine sterbende Kunst und ist zugleich Hommage an jene, deren Teil auch dieser Abend ist. Die Kraft der Verwandlung, die das Theater stets hatte – der Wirklichkeit, aber auch des Zuschauers – sie ist der eigentliche Star an diesem stillen, dunklen,hypnotischen Abend, der je länger er dauert, das Publikum immer weiter hineinzieht, in eine Welt, die nicht einmal skizziert ist, die er „nur“ behauptet und die im Zuschauer Kontur annimmt, an Schärfe gewinnt, sich plastisch in multiple Dimensionen hineinwölbt, die sich speist aus der Vergänglichkeit, dem Wissen darum, dass alles Leben und Streben vergeblich ist. In dieser Erkenntnis findet Thom Luz Poesie – und selten mehr als an diesem berückenden Abend. Eine Elegie, ein Traumspiel, ein absurd schrulliger Geistertanz mitunter, ein Ballett des Nichts, das doch alles ist, der Illusion, die Wahrheit atmet, der Magie, die Schein bleibt und doch Welt sein darf. Ein Abend der von der Fantasie erzählt und vom Tod, vom Erschaffen und vom Vergehen, vom Erscheinen und vom Verschwinden. Vielleicht lässt sich dieser Abend nicht in Worten greifen, vielleicht klingt alles, was ihn einzufangen sucht, platt und schal. So wie es oftmals ist, wenn man versucht, einen Traum zu erzählen. Und doch bleibt etwas von dem Nebel, von den Schimären, die er uns einbildet. Eine Erinnerung an die Macht der Magie und die Schönheit des Vergehens. gemeinsam träumen sich Ensemble, Musik, Nebel und Publikum in die Nacht, die eine ewige sein mag. Eine traumlose ist sie nicht.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/05/20/traumend-in-die-nacht/
Traurige Zauberer, TT-Berlin: Skandal
Und noch ein Abend des dreisten Epigonentums, diesmal von dem noch zu keinem Theatertreffen eingeladenen Ruedi Haeusermann. Ein Skandal.
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