Presseschau vom 19. Mai 2017 – Castorfs Dramaturg Carl Hegemann kritisiert in der Berliner Morgenpost die Pläne von Chris Dercon für die künftige Volksbühne Berlin

Die Befürchtungen wurden übertroffen

Die Befürchtungen wurden übertroffen

19. Mai 2017. Im Anschluss an die Programm-Pressekonferenz der künftigen Volksbühne Berlin unter Neu-Intendant Chris Dercon (hier der Nachtkritik-Bericht) hat die Berliner Morgenpost in Person von Peter Zander ausführlich mit Dramaturg Carl Hegemann gesprochen, einem der Vordenker der Volksbühne von Noch-Intendant Frank Castorf.

Hegemann kritisiert die Agenda des Dercon-Teams scharf: Die Befürchtungen, die man seit der Berufung gehabt habe, seien "eigentlich noch übertroffen. So könnte auch ein zeitgenössisches Kunsthaus in irgendwo aussehen." Der erklärte Wunsch der Berliner Politik, an der Volksbühne weiterhin ein Ensemble- und Repertoiretheater zu pflegen, dürfte sich in Hegemanns Augen "nicht erfüllen".

Gastspiele statt Eigenproduktionen

Hegemanns zentrales Argument: Dercon präsentiere vor allem Gastspiele von Arbeiten, die "längst anderswo Premiere hatten und höchstens neu kombiniert werden" sowie Produktionen, für die temporär Ensembles zusammengestellt würden. "Insofern sind es gar keine Eigenproduktionen der Volksbühne, sondern Produktionen von verschiedenen Ensembles oder Künstlern, die in der Volksbühne lediglich Geld und Support bekommen – um dann nach der Premiere und ein paar weiteren Vorstellungen um die Welt zu touren."

Es deute sich an, dass hier kein täglich wechselndes Repertoire gespielt werde, sondern Stücke im en-suite-Betrieb: "Und das bedeutet viele Schließtage und keine Flexibilität, wenn etwas nicht klappt. Es sieht so aus, als würden damit die grundlegenden Kriterien, die nach dem Willen des Senats auch für die neuen Leitung gelten sollten, ins Gegenteil verkehrt."

Künstler muss man machen lassen

Gleichwohl hält Hegemann eine Intervention der Politik nicht für angezeigt. Auch Castorfs Team hätte sich beim Amtsantritt 1992 politischen Vorgaben widersetzt. Man könne "die Künstler und Kuratoren, nachdem man sie blind oder blauäugig engagiert hat, nicht einfach rausschmeißen, wenn sie anders auftreten als erwartet. Man muss sie erstmal machen lassen und darf ihre Arbeit nicht behindern. Auch das gehört zur Kunst. Die Politik kann eigentlich erst dann eingreifen, wenn außerkünstlerische Schieflagen entstehen, die zum Beispiel die Arbeitsplätze betreffen. Denn Abbau von Arbeitsplätzen oder die Unterminierung der Infrastruktur kann per definitionem nicht unter den Kunstvorbehalt fallen."

(morgenpost.de / chr)


Mehr zum Themenkomplex finden Sie im nachtkritik.de-Bericht von der Pressekonferenz der Volksbühne Berlin und im Video-Interview mit Chris Dercon.

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