Theatertreffen 2017
Theatertreffen 2017 – Wie in der Oper geht es zu bei Ersan Mondtags und Olga Bachs "Die Vernichtung"
Ah, fantastisch!
von Georg Kasch
20. Mai 2017. Johannes Brahms’ von den letzten Hoffnungen und Dingen kündende "Ein deutsches Requiem" hat’s Theaterleuten gerade angetan. Beim Theatertreffen 2016 bebilderte Anna-Sophie Mahler Josef Bierbichlers Mittelreich damit akustisch – und zwar live. 2017 ließ Kay Voges den zweiten Satz durch seine Borderline Prozession geistern. Jetzt beginnt Ersan Mondtag Die Vernichtung in b-Moll: "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras ..."
Vom Bewusstsein darum, dass wir sterben müssen (oder gar von einer Erlösungsidee – da wird Brahms rechtzeitig abgedreht), ist danach kaum mehr die Rede bei den Menschlein, die sich zwischen WG-Tisch, Berghain und Katerstimmung um Kopf und Kragen reden. Und das im vergifteten Paradies, durch das Mondtag Olga Bachs Klischee-Hedonisten treibt und es dabei fast so stark nebeln lässt wie Thom Luz. Ein kalter Abend zwischen entfremdeten Fassbinder-Sprech, Kraftwerk und Techno, bei dem etliche in der Reihe mitwippen.
Hysterische Lacher, knurrender steinerner Gast
"Ich will das alles nicht mehr mitmachen", heißt es einmal. Was mindestens auf Imogen Kogge zutrifft, die nach einer Stunde anschwellender Lautstärke geht. Was soll sie da als Kerr-Preis-Jurorin auch entdecken? Die – tatsächlich jungen – Berner Schauspieler*innen stecken in Ganzkörperbodysuits, eine expressiv gemalte Nacktheit. Zwischen Posen, Kopulationssimulation und rhythmischer Sportgymnastik stricken sie die ohnehin dürftige Textwolle luftig über die Microports ein: einen Satz sprechen, eine Pause fallenlassen. Klar könnte man das alles auf uns selbst beziehen, unseren Narzissmus, unseren Wohlstandsopportunismus. Aber die luftleeren Sätze und die sich ihrer Mittel gar zu sichere Ästhetik halten das Thema auf Abstand.
Geschmäcker sind verschieden: Beim Schlussapplaus bekämpfen sich Buhs und Bravos so leidenschaftlich wie sonst nur in der Oper. Das hatte sich schon in den hysterischen Lachern zuvor angedeutet. Oder bei Claus Peymann, der mit bösen Kommentaren nicht geizte und, als das Techno-Crescendo endlich einhielt, murmelte: "Ah, fantastisch!" Selten zuvor war das Verteilen von Ohrstöpseln am Eingang so sinnig. Zwar hat man damit kaum mehr etwas vom Text verstanden. Aber nichts verpasst.
Damit setzt Mondtag übrigens ein Ausrufezeichen hinter eine Merkwürdigkeit dieses Theatertreffens: dass einem ausgerechnet viele der kurzen Abende entsetzlich lang vorkommen.
Hier geht's zur Nachtkritik der Uraufführung von "Die Vernichtung" am Konzert Theater Bern.
Alles zum Berliner Theatertreffen 2017 gibt's im Liveblog.
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