Kein Entkommen

von Sascha Westphal

24. Mai 2017. Emily strahlt richtig. Wenn die angloamerikanische Künstlerin über die islamische Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit spricht, kann sie kaum an sich halten: "Die Tradition der islamischen Fliesen. Öffnet das Tor zu einer ganz außergewöhnlichen Freiheit. Die man nur durch eine Art tiefer Unterwerfung erlangt." Während sie diese Sätze spricht, scheint Melanie Kretschmann regelrecht von Innen heraus zu glühen. In jedem Wort schwingt Emilys Ergriffenheit und ihre tiefe Überzeugung mit.

Aus der Künstlerin wird eine Missionarin, die zumindest für den Moment all ihre Zweifel und Ängste vergisst. Gegen so viel Enthusiasmus und Ernst ist der von Niklas Kohrt gespielte jüdische Kurator Isaac machtlos. Er versucht es zwar noch mit einer sarkastischen Bemerkung. Aber an Emily, dieser Entflammten, prallt seine oberflächliche Abgeklärtheit einfach ab. Also gibt sich Kohrts im tiefsten Innern haltloser Intellektueller ihrem Feuer schließlich hin. Auch das ist eine Unterwerfung. Für einen Augenblick siegen Begeisterung und Liebe über Kalkül und Zynismus.

Geaechtet 560 David Baltzer uAm Abrund der Skyline: Niklas Kohrt, Melanie Kretschmann, Thelma Buabeng, Simon Kirsch
© David Baltzer

Auch Stefan Bachmann hat sich von Emilys flammenden Worten anstecken lassen. Ihre Hymne auf die Unterwerfung, die eine Künstlerin oder einen Künstler erst wahrhaft befreit, liefert den Schlüssel zu seiner Inszenierung von Ayad Akhtars mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Stück, das sich in den vergangenen anderthalb Jahren wie Lauffeuer über die deutschsprachigen Bühnen verbreitet hat. "Geächtet" entspringt einer Tradition, die es an Formbewusstsein und Strenge durchaus mit der klassischen islamischen Kunst aufnehmen kann. Jede noch so beiläufige Dialogzeile dieses bis auf die Knochen schneidenden Konversationsstücks ist ein Schritt in Richtung des Abgrunds, in den Akhtars Porträt der New Yorker Oberschicht einen am Ende stürzt. Der amerikanische Autor beherrscht die Konventionen des well made play perfekt. Und dieser Perfektion unterwirft sich Stefan Bachmann.

Im goldenen Käfig

Der Bühnenkasten, den Simeon Meier in die Außenspielstätte am Offenbachplatz hineingebaut hat, ist ein goldener Käfig und damit doch nur ein Gefängnis. Daran ändert auch die Fototapete nichts, die alle drei Seiten des Kastens bedeckt und ein atemberaubendes Panorama Manhattans zeigt. Der erfolgreiche Anwalt Amir Kapoor ist ein Gefangener einer Gesellschaft, die ihn nur zu ihren rigorosen Bedingungen akzeptiert. Für seinen Aufstieg musste er erst einmal seine pakistanischen Wurzeln und damit auch seine muslimische Erziehung verleugnen. Als er auf Drängen seiner Frau Emily und seines Neffen Abe Partei für einen unter Anklage stehenden Imam ergreift, setzt er eine Kettenreaktion in Gang, an deren Ende er alles verloren haben wird. Aber auch Emily, Amirs afroamerikanische Kollegin Jory und deren Mann Isaac sind nicht frei. Ihre Herkunft und ihre Stellung machen auch sie zu Geiseln. Nur haben sie in der Post-9/11-Welt die etwas besseren Karten. Sie stehen nicht von vornherein unter Generalverdacht.

Der Preis des Aufstiegs

Stefan Bachmann ordnet sich mit seiner Inszenierung ganz Akhtars Dialogen unter, in denen die schönen Lügen der Profiteure der westlichen Gesellschaften ebenso wie der fehlgeleitete Zorn der Außenseiter gnadenlos seziert werden. Und wie Emily findet auch er dadurch zu einer "außergewöhnlichen Freiheit". An Yasmina Reza, deren Stücke so oft als Vorbilder für "Geächtet" genannt werden, erinnert hier nichts mehr. Dafür sind die im Kasten gefangenen Menschen von Anfang an viel zu komplex und widersprüchlich. Bei Bachmann dominieren auch nicht die beiden Männer, Amir und Isaac, das Geschehen. Emily und Jory stehen gleichberechtigt neben ihnen.

Thelma Buabengs Jory und Simon Kirschs Amir spiegeln sich gegenseitig. Zwei Aufsteiger, die ihrer Herkunft entkommen sind, und dafür einen hohen Preis zahlen. Buabeng glaubt man sofort, dass diese Anwältin Henry Kissingers Ausspruch "Wenn ich zwischen Gerechtigkeit und Ordnung wählen muss, wähle ich immer die Ordnung" zu ihrem Lebensmotto gemacht hat. Ihre steife Haltung erzählt eindringlich von dieser Ordnung, die nur ein anderes Wort für Unterdrückung ist.

Geaechtet2 560 David Baltzer u Gefangen im well-made disaster: Simon Kirsch, Elias Reichert © David Baltzer

In einem im Programmheft zur Inszenierung veröffentlichten Text verweist der Dramaturg Julian Pörksen auf die Nähe des Stücks zu antiken Tragödien. Und die offenbart sich in Stefan Bachmanns Inszenierung mit aller Macht. Seine Zurückhaltung wischt alles Boulevardeske beiseite. Simon Kirschs Amir, in dessen Spiel sich Zorn und Zärtlichkeit, Selbstsicherheit und Zweifel auf wundervolle Weise die Waage halten, und Melanie Kretschmanns Emily sind hier tatsächlich ein großes Liebespaar. Beide glauben, sich selbst erschaffen zu haben, und lieben sich im anderen. Wenn Amir schließlich gewalttätig wird und Emily brutal zusammenschlägt, ist das mehr als ein Schock und auch mehr als ein Tabubruch. Danach gibt es kein Zurück mehr, für niemanden. Die Bilder, die sie sich von sich selbst und vom anderen gemacht haben, sind zerstört und damit auch ihr Leben. Das ist der Preis ihrer, aber auch unserer aller Hybris.

 

Geächtet
von Ayad Akhtar
Deutsch von Barbara Christ
Regie: Stefan Bachmann; Bühne: Simeon Meier; Kostüme: Esther Geremus; Licht: Bernd Purkrabek; Dramaturgie: Julian Pörksen
mit Simon Kirsch, Melanie Kretschmann, Niklas Kohrt, Thelma Buabeng, Elias Reichert.
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

www.schauspielkoeln.de

 

Kritikenrundschau

Akhtar lasse die Figuren mit mathematischer Genauigkeit wie Atomkerne in einem Teilchenbeschleuniger aufeinanderprallen. "Dann kippt das Stück vom giftigen, aber eleganten Parlando ins schamlos Melodramatische, und das ist gut so, denn dort, jenseits der Scham, beginnt die Erkenntnis", schreibt Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (25.5.2017). Stefan Bachmann habe das Erfolgsstück "ganz in angloamerikanischer Tradition" ohne weitere Regiemätzchen inszeniert.

Ein "ein anregend-unbehagliches Theatererlebnis, das den Nerv unserer unruhigen Zeit trifft" hat Hartmut Wilmes gesehen und schreibt im Bonner General-Anzeiger (27.5.2017): Bachmanns Inszenierung werde der "brillanten Vorlage" in jeder Hinsicht gerecht. "Wie einen Kristall wendet sie den Text. So schillern die Fallstricke politischer Korrektheit, die Gefahren von Überanpassung und Verleugnung der eigenen Wurzeln je nach Blickwinkel irritierend widersprüchlich." Die Krone im "starken Ensemble" gebühre Simon Kirsch, der "keine dunkel geschminkte Haut" brauche, "sondern nur nuanciertes Spiel, um Amirs zeitlupenhaften Höllensturz packend zu spiegeln".

Kommentare  
Geächtet, Köln: sehr gut
Sehr gute Inzenierung, brillante Schauspieler, allen voran Simon Kirsch und Melanie Kretschmann, Bravi!!!!
Geächtet, Köln: Frage nach dem Text
Leider streckenweise zu leise gesprochen, dann die Zwischenmusik zu laut. Das Tempo und die New Yorker Emotionen schwappen rüber - die vier Protagonisten sind Klasse besetzt und hielten uns in Atem ....Ein Stück zum Nachlesen und Drübereden - aber wo bitte ist es erschienen ?
Geächtet, Köln: Hier gibt's den Text
In der Reihe THEATER THEATER 27 ISBN: 978-3-596-2963-9
S.Fischer Taschenbuch
Wünsche Spaß bei der Lektüre
Geächtet, Köln: Akustik
Heute war es in der Außenspielstätte unerträglich heiß. Es scheint keine Klimatisierung zu geben. Die Akustik war sehr schlecht. Ich habe ein Drittel der Dialoge akustisch nicht verstanden. Das machte das Verständnis des Stückes unmöglich. Ich trage zwar Hörgeräte, bin oft im Depot 1 und 2 und habe da keine Probleme. Mehrere Leute beschwerten sich ebenfalls über die Akustik. Ein Herr war froh von mir zu hören, wie es mir ergangen ist. Er sagte, er glaubte schon, er habe einen Hörschaden! Der Abend war für mich ein einziger Frust, weil der größte Teil des Stückes Pantomime für mich war.
Geächtet, Köln: genetisch komplizierter
Vielleicht habe ich das Stück nicht richtig verstanden (dann bitte gern auf die Sprünge helfen!), aber dass sich sowohl Amir als auch sein Neffe letztlich klischeegerecht entwickeln, fand ich zu platt. Als ob Gewalt und Aufstand genetisch programmiert wären und trotz aller rationaler Aufgeklärtheit und Bildung im Muslimen siegen. Und dass die Szene, in der Amir Emily zusammenschlägt, durch orientalisch anmutende Musik abgerundet wird, unterstützt diesen Eindruck. Oder habe ich da irgendeine Ironie nicht gecheckt?
Bezeichnend im übrigen angesichts des konsequenten Integrationsanspruchs des Schauspiels, dass erstens nach wie vor keine schwarze Schauspielerin im festen Ensemble ist (man hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, auf der Website einen Link mit Hintergrundinformationen zu Thelma Buabeng, die nun für diese Rolle engagiert ist, anzulegen). Zweitens ist das Publikum ethnisch nach wie vor recht homogen. Schade.
Elias Reichert war eine echte Entdeckung, er hat wunderbar gespielt. Hoffentlich sehen wir ihn in Köln häufiger!
Ich war auch in der Vorstellung am 30.5., es war unsagbar heiß. Hat man den Teil der Baustelle zu vorschnell bezogen oder eine Belüftungsmöglichkeit schlichtweg vergessen? Schon bei einer anderen Veranstaltung vor einigen Wochen (damals mit gemäßigten Außentemperaturen) war es sehr unangenehm. Hoffentlich muss nicht erst jemand kollabieren, bis sich etwas ändert.
Ach ja, zur Akustik: leider wirklich schlecht. Auch für Menschen unter 40 und ohne Hörschädigung teilweise nicht verständlich.
Geächtet; köln: hinweis Premiere in Münster
Das Stück läuft auch im Theater Münster im Kleinen Haus (hatte gerade Premiere), wurde aber leider hier nicht besprochen.

Vielleicht eine nette Anregung zum Vergleich...
Geächtet, Köln: perfekte Regie
Ich werde mir das Stück noch einmal anschauen, so gut ist es.
Und keine Angst für Gegner des Boulevard Theaters, es hat nichts mit den hochgelobten, aber boulevardhaften und flachen Stücken der Yasmina Reza gemein, wie Gott des Gemetzels oder Kunst,10 Klassen besser, auch wegen der perfekten Regie von Bachmann
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