Einfältige Symbolik

Berlin, 7. Juni 2017. Jetzt wird sie doch gebaut, die sogenannte Einheitswippe. Das geplante Monument soll an den Umbruch der Jahre 1989/90 erinnern, und andere friedliche Freiheitsbewegungen in diesem Land.

Von Esther Slevogt

Berlin, 7. Juni 2017. Das kitschige Ding war ja schon vom Tisch und man hatte aufgeatmet. So ein peinliches Denkmal braucht schließlich kein Mensch. Nun ist es wieder da. Kurz vor dem vergangenen Wochenende passierte der Beschluss dafür doch noch das Parlament.

In einer Sitzung, die erst in den frühen Morgenstunden endete (in deren Verlauf auch der sogenannte Majestätsbeleidigungsparagraf abgeschafft) und eben das Einheitsdenkmal beschlossen wurde: Eine gülden schimmernde, megalomane Wippe, die die Choreografin Sasha Waltz im Verbund mit dem Stuttgarter Event-Agenten Johannes Milla erdachte, wird also in naher Zukunft vor der wieder aufgebauten Schlossattrappe am Ende der Straße Unter den Linden zu finden sein. Das deutsche Geschichts-Disneyland in Berlins Mitte ist dann um eine Attraktion reicher.

kolumne 2p slevogtVierzehnhundert Menschen sollen gleichzeitig darauf Platz finden und je nach Überhang an Menschenmasse die Wippe sich entweder in die eine oder in die andere Richtung neigen lassen. Ein Überhang von fünfzig Personen ist dafür nötig, wie man hört.

Symbolisieren soll das "Bürger in Bewegung" überschriebene Werk, dass Menschen sich zum gemeinsamen Handeln entschließen müssen, wenn sie etwas bewegen wollen. "Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk" soll deshalb einmal auf der Wippe eingraviert sein. Das riefen dereinst im Wendejahr 1989 die Leipziger Montagsdemonstranten bis die DDR unterging. Ja. Und man kann es sich tatsächlich schon ganz gut vorstellen, wie in naher Zukunft (ungefähr 2022 soll der Bau vollendet sein) Busladungen kreischender Touristinnen und Touristen zum Wippen vor dem Denkmal ausgespuckt werden. Zum Demokratie spielen, oder so. Vielleicht werden ja auch die Weight Watchers in Zukunft ihre Kundschaft zum Volkswiegen aufs Einheitsdenkmal bitten und damit dem Ding zumindest eine volksgesundheitliche Funktion einschreiben. Who knows. Zumindest das Stadtmarketing wird sicher hochzufrieden sein.

Geschichte wird gemacht

Das Monument soll ja nicht nur an die friedliche Revolution von 1989/90 erinnern, sondern auch an andere freiheitliche Einheitsbewegungen, wie es 2007 unter anderem in den Beschluss des Parlaments für ein solches Denkmal hieß. Gebaut werden sollte es auf dem Sockel eines Reiterstandbilds von Kaiser Wilhelm I. auf der einstigen Schlossfreiheit vor dem dann wiederaufgebauten Schloss. Dessen Ruinen, wir erinnern uns, waren 1950 von der Regierung der gerade gegründeten DDR als Symbol des fehlgeleiteten Deutschland abgerissen worden. Die ihr neues Deutschland dann selber fehlgeleitet haben, weshalb zur Strafe der Palast der Republik ebenfalls abgerissen wurde, den sie auf dem Grundstück des Schlosses dann errichtet hatten. Deutschland, ein Abriss- und Aufbauspiel. Beim Abriss des Schlosses waren 1950 die Reste des Reiterstandbildes von Kaiser Wilhelm I. davor gleich mit geschleift worden.

Einfältige Metaphorik

Auch dieses pompöse Monument war im Grunde schon ein Einheitsdenkmal gewesen: errichtet für den Mann, der mit seiner Krönung zum Kaiser der Deutschen 1871 Einiger des Reiches geworden war. Der der deutschen Kleinstaaterei ein Ende gemacht hatte, was der Traum auch vieler prominenter deutscher Freiheits- und Einheitsbewegungen seit dem Vormärz gewesen war. Was dann aber, wie wir wissen, leider nicht zum historischen Glück gewendet wurde. Doch das ist eine Geschichte, die das neue Denkmal nicht mehr miterzählen wird. Erzählt es überhaupt noch (eine) Geschichte?

Seine einfältige Metaphorik macht es eher zum unfreiwilligen Symbol unserer postdemokratischen Bewegungsgesellschaft, in der oft postfaktische Stimmungsmache politische Meinungsbildung ersetzt hat. "Wir sind das Volk" skandieren die Menschen mittlerweile auf Pegida-Demos. Gut möglich also, dass die Wippe am Ende eher als Metapher gelesen wird für den schwankenden Boden unserer fragil gewordenen Demokratie denn als Symbol für friedliche Umbrüche.

 

Esther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de und außerdem Miterfinderin und Kuratorin der Konferenz Theater & Netz. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?

 

Zuletzt widmete sich Esther Slevogt dem Titelgeber ihrer Kolumne.

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